Protocol of the Session on September 28, 2016

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das stimmt doch gar nicht!)

jeder dieser Punkte ist eine Ohrfeige für diesen Senat und steht für das Versagen dieses Senats.

(Beifall bei der AfD und bei Dr. Ludwig Flocken fraktionslos)

In dem Brandbrief eines Justizvollzugsbeamten aus Santa Fu war kürzlich zu lesen, die JVA Fuhlsbüttel stehe kurz vor dem Kollaps. Zustände wie die, die jetzt vorherrschen, waren 1990 verantwortlich für eine Revolte. 10 Prozent der Stellen sind nicht besetzt, 13 Prozent der Mitarbeiter sind erkrankt. Die Folge: Eine vernünftige Aufsicht über die Gefangenen ist nicht mehr gewährleistet, es drohen Übergriffe auf die Beamten, unter den Ge

fangenen droht das Recht des Stärkeren. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe weiß Gott kein Herz für schwere Strafgefangene, aber es handelt sich bei diesen Menschen um Menschen, die in die staatliche Obhut gegeben worden sind, und dann, Herr Senator, sorgen Sie auch dafür, dass diesen Menschen eine angemessene Behandlung widerfährt.

(Beifall bei der AfD)

Herr Steffen, ich kann nur fragen: Ist Ihnen das alles egal? Ist Ihnen egal, wenn Gefangene zunehmend Drogen missbrauchen, weil es keine Kontrolle gibt? Ist es Ihnen egal, wenn Strafgefangene nicht resozialisiert werden, weil Sie eine falsche Personalpolitik gemacht haben? Sie können sich jetzt auch nicht damit herausreden, dass Sie erst im vergangenen Jahr Ihr Amt angetreten hätten, denn Sie waren erstmals schon unter Ole von Beust Justizsenator, als sowohl CDU als auch GRÜNE den Strafvollzug als Steinbruch benutzt und alle Ausbildungslehrgänge gestrichen haben. Sie haben sich damals dem Finanzdiktat des Finanzsenators von der CDU unterworfen und die Ausbildungslehrgänge auf null reduziert. Das muss man sich einmal vorstellen: Über Jahre wurden keine Nachwuchsbeamten mehr ausgebildet. Bis 2013 blieb es bei dieser Linie. Wissen Sie, verehrte Kollegen von SPD, CDU und GRÜNEN, woran mich das erinnert? An den Satz: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Wie kommen Politiker allen Ernstes dazu, wider alle Erfahrung so zu handeln und alle Konsequenzen dieser Politik für die Zukunft auszublenden? Welcher Teufel, Herr Steffen, hat Sie eigentlich damals geritten? Waren Sie zu geblendet davon, dass Sie von Ole von Beust zum Senator ernannt worden sind? Oder war es einfach die Tatsache, dass Sie in Ihren Visionen glaubten, in Zukunft gäbe es keine Straftäter mehr, also brauche es auch keine Vollzugsbeamten mehr?

(Beifall bei der AfD)

Herr Steffen, es reicht für die Leitung der Justizbehörde nicht aus, allein ein übersteigertes moralisches Sendungsbewusstsein zu entfalten. Ihnen fehlte damals und Ihnen fehlt heute so ziemlich alles, was einen guten Senator ausmacht: Weitsicht, das Gefühl für Konsequenzen des eigenen Handelns und auch Verantwortung.

Wie bereits erwähnt, wurden Ausbildungslehrgänge schon 2009 gemeinsam mit der CDU gestrichen, und so ist es ein Treppenwitz, wenn der CDU-Abgeordnete Seelmaecker, der von 2008 bis 2011 Mitglied dieser Bürgerschaft war, sich heute als der große Ankläger gegen den Dauerversager Senator Steffen geriert. Erbärmlich ist es, Herr Seelmaecker, wenn Sie heute durch die JVAs reisen und sich als Fürsprecher der Belange des Justizvollzugs gerieren. Der Staat ist ein großer Tanker, der nicht innerhalb von Minuten umsteuern kann. Heutige Fehler wirken sich in Jahren aus.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Herr Senator Steffen, Sie verlangen von Ihren Beamten, dass sie pflichtbewusst ihre Aufgaben übernehmen. Wie aber wollen Sie denn Ihre Beamten noch motivieren? Wann reden Sie eigentlich mit Ihren Beamten? Immer nur nach Brandbriefen. Fakten kennen Sie jedenfalls nur aus der Zeitung oder aus den Schriftlichen Kleinen Anfragen.

Herr Bürgermeister, entlassen Sie diesen Justizsenator. Machen Sie im Jahr des Bundestagswahlkampfs ein Ende mit Schrecken statt ein Schrecken mit Steffen ohne Ende. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, das Wort bekommt der Abgeordnete Dr. Flocken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Volksvertreter! Ein Justizvollzugsbeamter schildert mir den Antrittsbesuch des Senators in einer Justizvollzugsanstalt so: Begrüßung der Strafgefangenen: herzlich, freudig, freundlich, mit hallo, wie geht es, lange nicht gesehen. Begrüßung der Mitarbeiter: höflich, formell, reserviert, distanziert, kühl. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Gerhard Lein SPD: Da haben wir ja Glück gehabt!)

Meine Damen und Herren, das Wort bekommt Senator Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden über das Thema Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Strafvollzug. Richtig ist: Die Arbeitsbelastung im Vollzug ist hoch. Das ist kein neues Thema. Weil wir das wissen, haben wir bereits in der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Koalition festgelegt, dass wir die Ausbildung deutlich ausweiten wollen. Wir sind seit anderthalb Jahren an diesem Thema dran. Ausbildung im Vollzug dauert zwei Jahre, sodass wir im nächsten Jahr die Früchte unserer Arbeit werden ernten können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Seit letztem Jahr bilden wir deutlich mehr aus, als wir Altersabgänge haben werden.

Falsch ist die Behauptung, es sei so schlimm wie noch nie. Ich wollte das tatsächlich aufgrund der Debatte, die in der letzten Woche geführt wurde, noch einmal genau wissen und habe mir die Zahlen seit 2006 angeschaut. Das ist der Zeitpunkt, ab dem wir ähnliche Strukturen im Strafvollzug haben. In jenem Jahr regierte die CDU allein, aber es war genau die Zeit, in der die Strukturveränderungen und die Weichenstellungen, die der Senat von

CDU, Schill-Partei und FDP gemeinsam auf den Weg gebracht hatten, sich bemerkbar machten. Ich habe mich gefragt, wie über die Jahre der Betreuungsschlüssel gewesen ist. Wie viele Gefangene muss ein Bediensteter betreuen? Der Betreuungsschlüssel lag 2006 bei 1,96, also grob gesagt, ein Bediensteter muss sich um zwei Gefangene kümmern. Das ist kontinuierlich gesunken bis zum Jahr 2011, und zwar auf 1,5. Bis 2014 blieb die Relation konstant. In den letzten beiden Jahren haben wir einen Anstieg auf 1,7, aber wir sind noch weit entfernt von den Werten, die wir im Jahr 2006 vorgefunden haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zu- ruf von André Trepoll CDU)

Weil wir natürlich dieses niedrigere Niveau erreichen wollen, ist es gut, dass wir jetzt gegensteuern und massiv ausbilden.

(André Trepoll CDU: Die Einsicht kommt viel zu spät!)

Jetzt könnte man sagen, es sei alles gut, weil wir nicht die Zustände von 2006 haben. Aber der Vollzug hat sich seitdem gewandelt, der Vollzug ist heute ein anderer als damals, er hat sich grundlegend gewandelt. Wir erwarten wesentlich mehr von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Arbeit hat sich geändert. Während unter Senator Kusch ein einseitiges Sicherheitsdenken vorherrschte – wegschließen und gut ist, war die Devise –, war es mein Anliegen und auch das Anliegen von Senatorin Jana Schiedek, eine vollständige Neuausrichtung des Strafvollzugs konsequent voranzutreiben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben in allen Bereichen Strafvollzugsgesetze, die sich stärker am Anliegen der Resozialisierung orientieren. Wir haben ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz, das stärkere Sozialkontakte gewährleistet. Wir haben ein Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz, das die Behandlung in den Mittelpunkt stellt. Ich selbst habe mich sehr stark dafür eingesetzt und konnte es in der vorletzten Wahlperiode auch zügig umsetzen, dass wir eine eigenständige sozialtherapeutische Anstalt einrichten. Und es ging nicht nur um Gesetze und Struktur, es ging auch um Inhalte. In meiner ersten Amtszeit habe ich die Fachkommission Resozialisierung eingesetzt, deren Vorschläge dann in der letzten Wahlperiode unter Senatorin Schiedek umgesetzt wurden.

Auch im Vollzug selbst, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, hat ein Umdenken eingesetzt. Es war nicht nur gesteuert von oben, von Parlament und Behörde, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben selbst wichtige Impulse gesetzt. Ein Beispiel ist die JVA Billwerder, wo die Mitarbeiter das Projekt entwickelt haben, dass sie ihre persönlichen Fähigkeiten und Neigungen in Angebote

(Dirk Nockemann)

einfließen lassen, etwa in Sportgruppen, die das Leben im Vollzug erträglicher machen und den Gefangenen eine andere Perspektive aufzeigen. Das ist ein ganz wichtiger und elementarer Bestandteil der Arbeit des allgemeinen Vollzugsdienstes: sich nicht nur um Sicherheit zu kümmern, sondern auch um Fragen der Resozialisierung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Diese Veränderungen sind das Ergebnis von harter Arbeit in den letzten zwei Wahlperioden. Der Vollzug ist ein anderer geworden, und unsere Personalbedarfsplanung, die im Jahr 2012 eingeführt wurde – das ist das, worüber wir jetzt reden, wenn wir über Vakanzen reden –, bildet genau diese veränderten Anforderungen ab. Wir können auf das Personal nicht verzichten, weil der Vollzug weiter in Bewegung bleiben muss. Wir wollen neue Opfer von Straftaten verhindern und arbeiten deswegen auch an dem Opferschutz- und Resozialisierungsgesetz. Um es ganz deutlich zu sagen: Für einen Verwahrvollzug à la Kusch, Schill und FDP können wir auch mit weniger Personal arbeiten. Ich frage mich tatsächlich vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, was eigentlich die Basis Ihrer Kritik ist. Sie waren viel geiziger mit dem Personal.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Konkret zur Anstalt Fuhlsbüttel. Es besteht kein Anlass zu Sorgen um die Sicherheit, das wurde bestätigt durch die Vielzahl der Gespräche, die wir mit den Bediensteten in der letzten Woche geführt haben. Die Sicherheit ist gewährleistet. Besonders deutlich wurde das durch die außergewöhnliche Situation, die wir im August in Fuhlsbüttel hatten, als es den anonymen Hinweis gab, dass eine Geiselnahme geplant und Waffen in der Anstalt seien. Das ist eine besondere Ausnahmesituation. Damit konnte die Anstalt professionell umgehen. Sie hatte Unterstützung von anderen Anstalten und auch die Zusammenarbeit mit der Polizei funktionierte reibungslos. Darauf sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Recht stolz.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es hat funktioniert, weil alle angepackt und alle zusammengehalten haben. Diese Generalrevision hat auch gezeigt, dass die Bediensteten bei den Durchsuchungen konstant gute Arbeit machen; überdurchschnittlich viele oder auffällige Funde gab es nicht.

Es gibt aber einen anderen Punkt, der mich auch selbst in Sorge umtreibt: Wir müssen aufpassen, dass unsere Errungenschaften bei der Resozialisierung nicht in Gefahr geraten und wir konkret in Fuhlsbüttel oder auch in anderen Anstalten nicht aufgrund der Personallage an einzelnen Tagen Angebote für Gefangene zurückfahren müssen. Wenn dort 22 Kräfte fehlen, gemessen an unserer Personalbedarfsplanung, dann bleibt das nicht folgenlos. Das Erfreuliche ist aber: Die Entspannung

naht. Wir können ab Oktober acht Mitarbeiter aus der Ausbildung nach Fuhlsbüttel schicken. Insgesamt sind 20 neue Kräfte ausgebildet. Und wir werden weiter ausbilden, bis zu fünf Lehrgänge pro Jahr. In diesem Jahr schaffen wir vier. Der nächste Schwung an Vollkräften kommt bereits Anfang Februar. Unsere Ausbildungsoffensive wirkt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der zweite Punkt: Wir werben auch in anderen Bundesländern für den Hamburger Vollzug, und das mit Erfolg. Zwei Bedienstete wechseln aus Mecklenburg-Vorpommern zu uns und werden der Anstalt Fuhlsbüttel zugewiesen. 10 von 22 – die Vakanz wird also deutlich zurückgefahren. Das wird zu einer spürbaren Entlastung in dieser Haftanstalt führen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der dritte Punkt: Wir erkennen das hohe Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die immer wieder einspringen, wenn es eng wird. Deswegen habe ich angeordnet, dass ab sofort und rückwirkend zum Juni 2016 bis zunächst Ende des Jahres bis zu 3 000 Mehrstunden pro Monat ausgezahlt werden. Das entspricht 20 Menschen zusätzlich im Vollzug. Das ist für alle im allgemeinen Vollzugsdienst, in allen Justizvollzugsanstalten. Hier wird deutlich: Es gibt ein hohes Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das würdigen wir.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der vierte Punkt: Wir sorgen für klare Verhältnisse. Ein neuer Anstaltsleiter in Fuhlsbüttel wird ab 1. November seinen Dienst antreten. Wolfgang Reichel hat bei seiner Vorstellung überzeugt. Er ist der richtige Mann für die Herausforderungen in Santa Fu mit dem anwachsenden Personalkörper, mit dem zu bearbeitenden Konzept für die Sicherungsverwahrung und für die anstehenden Sanierungsprozesse. Aber zur Entlastung gehört auch der Prozess der Umstrukturierung, mit dem wir weitere Potenziale erschließen wollen, um die Arbeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlasten.

Zum Schluss: Die Sicherheit ist gewährleistet, aber die Arbeitsbedingungen und Resozialisierungsbemühungen machen mir Sorgen. Deshalb handeln wir. Wir treiben die Ausbildung weiter voran, wir erkennen die Mehrarbeit finanziell an, wir packen die Strukturreformen an. Sicherheit und Resozialisierung, beides ist wichtig. Daran arbeiten wir weiter hart.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Seelmaecker von der CDU-Fraktion bekommt noch einmal das Wort.

(Senator Dr. Till Steffen)

(Dirk Kienscherf SPD: Jetzt mal entschuldi- gen!)