Protocol of the Session on July 13, 2016

sellschaftlichen Aufruf ernst nehmen und den Schritt machen sollten zu sagen, wir müssen das Thema grundsätzlich angehen. Wir müssen weg vom Untersuchungsausschuss. Wir müssen weg davon, nur mit dem Blick der Politik auf das Jugendhilfesystem zu schauen, und müssen mit den Fachleuten sprechen. Wir müssen gemeinsam das Vorhaben initiieren, die Probleme tatsächlich zu analysieren, und darauf schauen, ob das, was bis jetzt beschlossen worden ist, richtig ist.

Ich wünsche mir, dass auch Sie als CDU diesen Schritt wagen. Über die Idee, die Sie haben, kann man dort verhandeln. Das halte ich nicht für falsch, sondern darüber sollte man diskutieren.

(Dennis Gladiator CDU: Haben wir im PUA gemacht!)

Wir sollten weg von diesen ständigen Einzelanträgen und Einzelpunkten unter dem Motto "Neuordnung des Kinderschutzes" und uns stattdessen einmal die Zeit nehmen zu überlegen, welche Rahmenbedingungen unsere Kinder brauchen, und auch die Frage ins Spiel bringen, warum Kinder in armen Stadtteilen sterben. Wir haben ein grundsätzliches Problem in diesem Bereich. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, dass ich Kindersterben in bestimmten Stadtteilen gut finde, im Gegenteil: Es sollen gar keine Kinder sterben. Aber Armut ist ein Problem in dieser Stadt, ebenso die Rahmenbedingungen, die für ein besseres Leben notwendig wären. Und das sind Faktoren. Man kann den ASD mit zusätzlichen Mitarbeitern verstärken, aber wenn die Rahmenbedingungen fehlen, wenn es in den Familien nicht funktioniert, wenn das soziale Umfeld kaputt ist … Es bringt nichts, dass man das ständig verstärkt, wenn die Betroffenen auf der anderen Seite keinen Halt haben.

Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel. Ein Mensch ist krank, geht zum Psychologen, kommt dann aber nach Hause und hat wieder mit Problemen zu tun, aus denen es keinen Ausweg gibt. Oder – wir haben über das Thema Flüchtlinge gesprochen – ein Flüchtling bekommt geförderten Deutschunterricht – das ist richtig –, aber dann kommt er nach Hause und muss wieder seine Muttersprache sprechen, weil er keine Rahmenbedingungen hat. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die Erfolg mit sich bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Jugendhilfesystem haben wir die gleichen Probleme, und Sie als CDU sind leider mit verantwortlich dafür,

(Philipp Heißner CDU: Für alles!)

dass dieses Jugendhilfesystem so kaputt gemacht worden ist, dass der Schutz nicht nur in der Familie nicht funktioniert unter der Obhut des Staats, sondern auch in den Heimen nicht. Wenn man sich nur einmal anschaut, wie viele Kinder außerhalb

Hamburgs untergebracht sind und was dabei herausgekommen ist, was für Elendszustände in den Heimen Friesenhof, Dörpling oder Rimmelsberg sind. Das macht eines deutlich: Wir haben ein Problem.

Mein Angebot – nicht, dass ich in der Regierung wäre, aber wir verhandeln zusammen – ist: Kommen Sie zu diesem Gesprächskreis, damit wir uns gemeinsam auf einen Antrag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission einigen, von dem alle profitieren. Denn hier geht es um die Zukunft unserer Kinder. Hier geht es nicht um die Zukunft der einzelnen Abgeordneten. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Yildiz. – Das Wort hat Herr Oetzel von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Selbstverständlich stimmen wir als FDP-Fraktion der Einschätzung zu, die jetzt von allen meinen Vorrednern schon genannt worden ist, dass jedes zu Schaden gekommene Kind, welches sich in staatlicher Obhut befunden hat, ein Kind zu viel ist. Wir müssen uns als Politiker daher selbstverständlich stets fragen, welche Rückschlüsse aus solchen Fällen zu ziehen sind, wenn so etwas vorkommt, und was wir tun können, um solche Vorfälle möglichst komplett, soweit es eben geht, zu vermeiden.

(Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Fraktionsübergreifend hat man sich nach der Lektüre des Jugendhilfeinspektionsberichts zum Fall Tayler an den Kopf gegriffen aufgrund der Tragweite des dort aufgedeckten behördlichen und auch menschlichen Versagens. Denn, auch das haben meine Vorredner gerade alle bestätigt, man muss leider sagen, mit fast traumwandlerischer Sicherheit wurde dort fast ausschließlich vollständig außerhalb bestehender Vorgaben und Strukturen gearbeitet. Das klingt jedes Mal wieder bitter, wenn man das so deutlich sagt, aber ich würde es nicht so betonen, wenn es nicht leider die Wahrheit wäre.

Ich muss aber auch sagen, dass vor diesem Hintergrund die Argumentation des CDU-Antrags etwas seltsam anmutet, denn die Kollegen befürchten nun, abweichend von diesen Erkenntnissen des Berichts der Jugendhilfeinspektion, dass die derzeitigen Strukturen des Kinderschutzes in Hamburg die maßgebliche Ursache für die tragischen Todesfälle sind und nicht die falsche Einschätzung der Lage durch die Beteiligten. Das ist eine These, die sich, wenn wir ehrlich sind und uns die Tatsachen anschauen, nicht belegen lässt. Der Kollege von der CDU hat gerade selbst zugestanden, dass

(Mehmet Yildiz)

der tragische Tod von Tayler möglicherweise einer gewesen ist, den man hätte verhindern können, wenn die bestehenden Regeln so, wie es sie gibt, eingehalten worden wären.

Und eine zweite Sache: Die CDU hat eben selbst noch einmal ihre These wiederholt, dass es hier eine persönliche Verantwortung des Staatsrats gibt. Was auch immer davon am Ende des Tages stimmt, ich denke, man muss sich zumindest entscheiden, wo man die Schuld final sieht. Entweder man sieht die Schuld beim Staatsrat oder daran, dass die Strukturen falsch sind, oder daran, dass von den Strukturen abgewichen wurde. Aber alles drei auf einmal mutet, wie gesagt, etwas seltsam an.

(Beifall bei Frank Schmitt SPD und Anna Gallina GRÜNE)

Trotzdem, auch wenn der Zusammenhang, wie ich gerade versucht habe zu zeigen, sich so nicht herstellen lässt, sollte man zumindest den Antrag der CDU nicht einfach von der Hand weisen. Denn unabhängig von den konkreten Fällen der Vergangenheit – das ist das, was ich eingangs gesagt habe – müssen wir immer schauen, wie wir die Strukturen im Kinderschutz verbessern können, und das Auseinanderfallen von Rechts- und Fachaufsicht bei gleichzeitiger Aufsplitterung der Umsetzung in den verschiedenen Bezirken scheint eine Regelung zu sein, die keinen Mehrwert bringt und die Gesamtregelung schon im Ansatz unübersichtlich und latent anfällig macht. Die CDU-Fraktion macht daher mit ihrem Antrag einen Vorschlag, der sehr vernünftig klingt, aber auch sehr, sehr weitreichend ist. Eine so umfangreiche Änderung sollte meines Erachtens nicht ohne einen ausführlichen Diskussionsprozess eingeführt werden, zumal der CDU-Antrag in den einzelnen Petita schon sehr ins Detail geht. Ich hätte daher erwartet, dass die antragstellende Fraktion die Überweisung an den Familienausschuss beantragen würde. Aber das ist nicht geschehen und der Antrag wird folglich auch nicht überwiesen. Ich weiß natürlich nicht, ob dem zugestimmt worden wäre; es mag sein, dass nicht zugestimmt worden wäre, das will ich gar nicht in Abrede stellen.

(Uwe Lohmann SPD: Ich bin gegen Doppel- befassungen!)

Aber vielleicht haben wir dann in einer möglichen Enquete-Kommission, wenn sie denn kommt, noch einmal Gelegenheit, uns auch dieser tiefgreifenden Frage zu stellen. Und wenn die CDU feststellt – und das hat sie ja gerade –, dass im System des Kinderschutzes etwas grundsätzlich falsch läuft, dann, denke ich, wäre eine solche Enquete-Kommission der richtige Ort, um darüber zu sprechen. Der große Vorteil einer Enquete-Kommission gegenüber den Untersuchungsausschüssen der vergangenen Legislaturperioden: Diese EnqueteKommission würde sich den Themen fallunabhän

gig nähern und man hätte dort einen völlig anderen Blick auf die verschiedenen Fragen und könnte sich auch dieser Frage, die heute beantragt wird, anders nähern.

(Beifall bei Uwe Lohmann SPD und Farid Müller GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Müller.

Sollte sich dann am Ende herausstellen, dass eine Zentralisierung der Struktur tatsächlich einen Mehrwert bringt – und ich sage sehr deutlich: dafür spricht einiges –, dann wären wir als Freie Demokraten am Ende sicher die Letzten, die sich dem verschließen würden. Aber ohne intensive Beratung und angesichts der konkreten Petita der CDU und dieses sehr komplexen Themenfeldes werden wir uns heute leider nur enthalten können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Uwe Lohmann SPD und Farid Müller GRÜNE)

Herr Dr. Körner von der AfD-Fraktion bekommt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Todesfälle von Kindern in behördlicher Obhut immer wieder vorkommen, spricht das dafür, dass es sich nicht nur um Fehlverhalten von Einzelpersonen handelt, vielmehr liegt in derartigen Situationen in der Regel ein Organisationsversagen vor, das heißt, es gibt strukturelle Fehler. In ihrem Antrag hat die CDU derartige Mängel aufgezeigt: die Teilung von Aufgabe und Verantwortung für den Kinderschutz zwischen der BASFI auf ministerieller Ebene und den bezirklichen Jugendämtern auf operationeller Seite. Als dritte Verantwortliche übt die Finanzbehörde die Dienstaufsicht aus und ist verantwortlich für die Bereitstellung der personalen Ressourcen. Das sich aus dieser Fehlkonstruktion ergebende Hin- und Herschieben der Verantwortung und die damit einhergehende latente Verantwortungslosigkeit sind Strukturfehler. Wir stimmen aus diesem Grunde dem Antrag zu.

Die Organisation der öffentlichen Jugendhilfe in Hamburg gehört auf den Prüfstand. Die strukturellen Organisationsmängel sind zu beseitigen. Natürlich haben wir nichts dagegen, wenn das noch weiter untersucht und diskutiert wird. Im Interesse der Kinder und Mitarbeiter sowie der Senatorin sollte hier dringend Abhilfe geschaffen werden. Wir denken, alle möchten ein derartiges Ereignis nicht noch einmal erleben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt Herr Dr. Flocken.

(Daniel Oetzel)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Strukturen klarer und straffer machen wollen Sie, Herr Heißner, und warum einfach, wenn es auch kompliziert geht, sagt die Koalition. Nicht die Strukturen sind aber das Problem, sondern die politisch korrekte Ideologie, der die Akteure unterliegen.

Beispiel 1: Tayler. In Kanada sind alle Fälle von tödlich endenden Kindesmisshandlungen aus mehr als zwei Jahrzehnten genau untersucht worden. Ergänzt durch Daten aus fast allen Kontinenten fand man: Lebt ein Kleinkind mit beiden Eltern zusammen oder mit der Mutter allein, dann ist das Risiko, Opfer einer tödlich endenden Kindesmisshandlung zu werden, nur ein Hundertstel dessen, als wenn ein Stiefvater im Haushalt lebt. Eine Freundin aus einem fernen Land sagt dazu: Was, dazu wird ernsthaft geforscht? Das weiß doch jede Latina. Wenn eine alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes eine neue Partnerschaft eingeht, dann muss sie den Wunsch nach einem gemeinsamen Wohnen abwägen gegen die Gefahr, der sie ihr Kind aussetzt. Volksweisheit und Wissenschaft stimmen also überein. Die politische Korrektheit sagt dagegen: Cinderella-Effekt – so heißt das auf Denglisch –, das gibt es nur im Märchen. Überhaupt, eine normale Familie, wie vorgestrig ist das denn, wie rechts. Die Patchwork-Familie, die ist bunt, die ist modern, ein Stiefvater ist so gut wie ein echter Vater, mindestens. Wie können Sie es da einer abhängig Beschäftigten übelnehmen, die sich sagt, ein Stiefvater ist sowieso gut, den darf ich nicht verdächtigen? So starb Tayler.

Beispiel 2: Yagmur. Vor zweieinhalb Jahren habe ich ein PUA-Mitglied gefragt: Untersuchen Sie auch, ob Kinderschutzmitarbeiter bei Familien aus bestimmten Kulturen Hemmungen haben, genau hinzuschauen und gegebenenfalls einzugreifen? Die Antwort: Kindesmisshandlungen kommen gleichermaßen auch bei Deutschen vor. Die Frage war, wie gesagt: Trauen sich die Mitarbeiter bei anderen Kulturen, auch genau hinzuschauen?

Den PUA-Bericht, mehr als 500 Seiten, habe ich einem Kriminalbeamten gezeigt. Sein Kommentar: So schreibt nicht jemand, der aufklären will, sondern der vertuschen will. Im Ausschuss habe ich Staatsrat Pörksen dieselbe Frage gestellt – keine Antwort, auch nicht auf eine Schriftliche Kleine Anfrage. Eine Antwort gab aber diese Woche Montag Ahmad Mansour in der "taz". Er erhalte Anfragen von Mitarbeiten im Kinderschutz in Berlin: Dürfen wir so wegschauen, wie wir es tun, wenn wir Kinder aus bestimmten Kulturen mit blauen Flecken übersät sehen? Hunderte – also nicht blaue Flecken, sondern Anfragen. Die brutale Wirklichkeit starrt ihnen ins Gesicht. Sie kneifen die Augen zu. Sie fordern mit aller Ihnen zur Verfügung stehenden Härte Respekt vor Menschen, die ihre Mädchen verstümmeln.

(Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN: Thema!)

Wie können Sie es einer abhängig Beschäftigten da verübeln, wenn sie Respekt zeigt und Zurückhaltung übt vor Menschen, die ihre Kinder blau schlagen? So starb Yagmur.

Machen Sie Schluss damit. Politische Korrektheit tötet. Haben Sie den Mut, Ihren Verstand zu benutzen. Verlassen Sie die selbstverschuldete Unmündigkeit. Im Übrigen meine ich, dass das Gemeinwesen die Pflicht hat, Leben, und besonders das Leben der Schwächsten, zu schützen. – Vielen Dank.

Gibt es weitere Wortmeldungen, meine Damen und Herren? – Bitte, Herr Heißner von der CDU-Fraktion noch einmal.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ganz kurz. Man könnte ja schon eine Reihe machen mit den Selbstwidersprüchen von Uwe Lohmann. Also entweder es ist ein Schnellschuss oder man hat seit vielen, vielen Jahren diskutiert, aber beides auf einmal geht nicht. Und auch die kleinen, ich sage einmal, gebogenen Wahrheiten von Frau Gallina: Natürlich haben wir uns im Ausschuss auch zum Beispiel schon einmal mit Deljo auseinandergesetzt.

Aber das nur am Rande. Was ich wirklich bemerkenswert finde: dass keiner der Redner der Koalitionsfraktionen heute auf ein einziges meiner inhaltlichen Argumente richtig eingegangen ist. Das Einzige, was kam, war, dass Frau Gallina gesagt hat, man könne doch nicht den gesamten Jugendschutz zentralisieren – und das steht nicht nur nicht im Antrag, das ist sogar ausdrücklich ausgenommen. Kein einziges Sachargument.

Und das andere war die Enquete-Kommission. Damit habe ich schon gerechnet. Ich hoffe, dass diese Show heute, die Sie mit der Enquete-Kommission veranstaltet haben, der Weckruf ist – an die FDP, auch an die GRÜNEN, die mit uns damals den PUA gegen die Enquete-Kommission unterstützt haben, an alle anderen Parteien –, dass das ein reines Manöver ist. Es ist ein Ablenkungsmanöver, es ist ein Täuschungsmanöver. Kein einziges inhaltliches Argument. Das ist wirklich ein zynischer Umgang mit diesem Thema. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Yildiz von der Fraktion DIE LINKE bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich nicht noch einmal sprechen, aber nachdem ich die Rede von Herrn Flocken gehört habe … Dass man jedes Thema mit rassistischen Ambitionen verbin

det und Kindesmissbrauch für seine menschenverachtenden Vorstellungen benutzt, kann ich nicht akzeptieren und bin deshalb noch einmal ans Rednerpult gekommen.

Eines sollte man noch sagen: Von den leider gestorbenen Kindern hat nur eines einen Migrationshintergrund gehabt. Dass man daraus diese Schlussfolgerung zieht, ist echt krankhaft. – Danke schön.