Protocol of the Session on June 15, 2016

Das Wort bekommt der fraktionslose Abgeordnete Dr. Flocken.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Das wäre doch einmal eine gute Gelegenheit gewesen, den Unterschied aufzuzeigen zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Zwar drängen die Strukturen und vor allen Dingen die Umsätze der Helferinnen- und Helferindustrie Zweifel auf an der Uneigennützigkeit vieler Protagonisten, aber lassen wir diese Zweifel einmal beiseite. Nehmen wir an, dass alle Beteiligten im guten Willen handeln, den Schwächsten zu helfen. Das Ergebnis zeigt aber, wie Frau Özdemir schon ganz zu Anfang gesagt hat: Es gibt immer mehr Elend – Elend, nicht nur Armut. Der Staat kann es nicht. Wenn er es versucht, wird es immer schlimmer. Der Staat ist Teil des Problems, nicht der Lösung.

Dem Patienten geht es immer schlechter, und was sagen die Parteien? DIE LINKE sagt, er brauche immer mehr von der gleichen Medikation. Die Koalition sagt, einfach weiter so. Die CDU will ein anderes Medikament. Die AfD will das Medikament nicht für alle. Machen Sie – auch rechtlich – den Weg frei für diejenigen, die sich dieser Aufgabe traditionellerweise angenommen haben, nämlich Kirchen, Bürgervereine, humanistische Vereinigungen, die Heilsarmee, Stiftungen, reiche Einzelpersonen oder in dieser Zeit auch diejenigen, die sich auf die mohammedanische Zakat berufen. Alle diese hätten doch einmal Gelegenheit zu zeigen, dass sie ihre sozialen Redensarten ernst meinen, wenn der Staat sich hier zurücknehmen würde.

Mildtätigkeit kann nur freiwillig sein. Staatliche Tätigkeit beinhaltet immer eine Form von Zwang, und sei es nur beim Erheben von Steuern. Aufgabe des Staats ist es, Freiheit und Demokratie zu schützen. – Vielen Dank.

Das Wort bekommt Senatorin Dr. Leonhard.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt deutlich, dass es den klassischen Obdachlosen nicht gibt – wenigstens darüber besteht Einigkeit – und es auch das eine Rezept im Umgang mit Wohnungslosigkeit und mit von Wohnungslosigkeit Bedrohten nicht geben kann; Ausweis dessen sind auch die Dinge, die wir in Hamburg tun, um dieser Zielgruppe gerecht zu werden. Da gibt es zum einen diejenigen, die hier aus unterschiedlichsten Gründen auf der Straße leben, langfristig oder kurzfristig, und bei denen es uns gelingt, sie über Beratung in die Systeme der öffentlichen Unterbringung und schließlich in eigenen Wohnraum zu bringen, wie es im Winternotprogramm in zahllosen Beispielen gelungen ist. Das werden immer mehr. Die Fachstellen für Wohnungsnotfälle leisten an dieser Stelle Großartiges, ebenso Teile der Straßensozialarbeit, und da kann man nicht behaupten, dass Hamburg nichts mache.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

So ist es trotz des enorm angespannten Wohnungsmarkts – und zumindest über diesen Fakt besteht Konsens in diesem Hause – im vergangenen Jahr gelungen, wieder mehr Menschen aus der Wohnungslosigkeit in eigenen Wohnraum zu vermitteln, in mehr Fällen Wohnraum zu sichern und die Zahl derjenigen zu steigern, die es im Winternotprogramm durch Beratung geschafft haben, eine feste Bleibe zu finden, sei es bei uns in staatlicher öffentlicher Unterbringung oder in einer eigenen Bleibe – und das angesichts des hohen Drucks, den wir in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung haben. Auch hier kann man nicht sagen, Hamburg mache an dieser Stelle nichts.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Darüber hinaus haben wir uns vorgenommen – und auch erreicht, das zeigen die Zahlen der letzten Jahre eindeutig –, die Zahl der Wohnungslosen in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung kontinuierlich zu steigern. So ist es uns gelungen, die Plätze von 2 400 im Jahr 2014 auf fast 3 000 im vergangenen Jahr zu steigern und den Anteil weiter wachsen zu lassen, trotz des enormen Bedarfs, den wir für die Flüchtlinge haben. Das ist eine Leistung an sich. Das sucht in anderen Kommunen seinesgleichen, das muss man klar sagen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber bei aller Beratung und bei aller Notwendigkeit aufsuchender Sozialarbeit gibt es vor Ort manchmal Situationen, die so nicht bleiben können, wo das friedliche Zusammenleben in Nachbarschaften gefährdet ist und man an einem bestimmten Punkt einer guten Lösung auch nicht mehr Zeit geben

(Detlef Ehlebracht)

kann, und dann passieren solche Sachen wie am Nobistor. Das ist nicht Ziel unserer Sozialpolitik, es kommt aber vor und wird immer gut durch Beratungsangebote begleitet. Man muss dazu sagen: Auch an dieser Stelle ist es gelungen, einzelnen über dieses Vorgehen den Weg in die Beratungsangebote der Stadt zu weisen. Insofern wird das vielleicht auch immer mal wieder passieren müssen in nächster Zeit.

Darüber hinaus möchte ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen, das sowohl Frau Bekeris als auch Frau Dutschke angesprochen haben und das man in der notwendigen Ernsthaftigkeit auch ansprechen muss in einer Metropole wie Hamburg. Wir haben einen zunehmenden Anteil von Menschen, die bei uns schließlich – ihr Ziel ist das nicht gewesen – auf der Straße landen. Das sind solche, die sich im Rahmen der EU-Freizügigkeit hier eigentlich eine berufliche Perspektive erhofft haben und sie dann doch nicht erreichen. Für diese Menschen brauchen wir andere Hilfskonzepte und andere Strategien, allein schon wegen der gesetzlichen Grundlage – übrigens erst wieder vor wenigen Tagen vom Europäischen Gerichtshof in einer Weise bestätigt worden –, in deren Rahmen wir uns zu bewegen haben. Es sind überwiegend Menschen aus osteuropäischen Ländern, in vielen Bereichen als Freizügigkeitsgescheiterte bezeichnet, die hier eigentlich keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, sofern sie hier nicht eine längere Zeit einer Berufstätigkeit nachgegangen sind.

Wir versuchen – und dabei ist Hamburg bundesweit ziemlich führend –, diese Menschen durch Beratungsangebote zu erreichen, die sich direkt auf ihre Zielgruppe beziehen. Da ist zum einen die Beratungsstelle für Arbeitnehmerfreizügigkeit, die konkret Betroffenen hilft, wenn ihre Gehaltszahlungen ausstehen, wenn es unsichere Arbeitsvertragsverhältnisse gibt, wenn die Arbeitgeber, die sie hierhergelockt haben, nicht das halten, was sie versprechen. Hier können wir in vielen, vielen Einzelfällen zusammen mit Gewerkschaften und sozialen Trägern helfen. Das ist das Erste, bevor es ganz prekär wird. Wenn es dann ganz prekär geworden ist und die Menschen auf der Straße leben, erreichen wir sie durch unsere mehrsprachigen Beratungsangebote, insbesondere durch plata, aber auch durch die hoffnungsorte und vieles mehr. Und dann geht es nun einmal in erster Linie um die Frage, wie eine Rückkehr ins Heimatland mit unserer Unterstützung so organisiert werden kann, dass sie für diejenigen funktioniert und sie vor Ort nicht ins Bodenlose fallen. Das ist unser Ansatz, den wir an dieser Stelle wählen – und wir müssen ihn auch wählen; er ist sachgerecht und er ist vernünftig.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist einiges dazu gesagt worden, welche Möglichkeiten bestehen, wenn Beratung und Entschei

dungsfindung Zeit brauchen: die sieben möglichen Übernachtungen im Pik As und die Möglichkeit, einen Zustand auch einmal über eine Hotelübernachtung zu überbrücken. Diese Möglichkeit besteht. Aber man muss eben auch bereit sein, sich dieser Perspektive zu öffnen.

Was wir nicht machen können, ist, durch staatliche Angebote an dieser Stelle den einen Hilfe leisten zu wollen – was richtig ist und gute Motive hat –, aber auf der anderen Seite für Arbeitgeber, die die Situation dieser Menschen ausnutzen, weitere Anreize zu schaffen, indem wir im großen Maße Übernachtungskapazitäten zur Verfügung stellen. Das ist schwierig. Das können wir nicht machen. Vor diesem Hintergrund werden wir weiter darauf setzen, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind, ihnen Beratungsangebote machen und versuchen, ihnen auf diese Weise zu helfen, wieder auf die Füße zu kommen. Das ist vernünftige Sozialpolitik und so werden wir das auch weiterhin machen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frau Özdemir von der Fraktion DIE LINKE bekommt erneut das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir hören uns seit 2011 von der SPD immer die gleichen Reden zu diesem Thema an.

(Dirk Kienscherf SPD: Das Beratungsange- bot wird immer weiter ausgeweitet!)

Es hat sich in Ihren Reden nichts geändert. Sie zählen immer wieder auf, welche Angebote es in der Stadt gibt. Alles ist total schön und gut, es gibt keine Probleme auf der Straße und die Unterkünfte sind nicht überlastet.

(Dirk Kienscherf SPD: Du musst mal zuhö- ren!)

Ich habe genau zugehört und gebe gerade das wieder, was Sie eben gesagt haben.

Von Senatorin Leonhard hätte ich erwartet, dass Sie nicht das gleiche Armutszeugnis vorlegt, wie Herr Scheele es damals bei diesem Thema getan hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sprechen hier die ganze Zeit von Beratung. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter machen eine sehr gute Arbeit und beraten sehr kompetent, aber das Problem dabei ist doch, dass sie gar nicht die Möglichkeit haben, die Menschen wieder in Wohnraum zu integrieren. Sie haben nicht die Möglichkeit, den Menschen gesundheitlich weiterzuhelfen. Und wenn Sie mir jetzt mit der Krankenstube ankommen, dann kann ich Ihnen einmal erzählen, wie das in der Praxis aussieht. Da kommen kranke Obdachlose, noch keine 40 Jahre alt, die

(Senatorin Dr. Melanie Leonhard)

vielleicht eine Grippe haben oder Sonstiges. Sie werden versorgt und gehen dann wieder, können sich aber nicht erholen, sodass die Krankheit immer schlimmer wird, bis es dann so weit kommt, dass sie in jungen Jahren auf der Straße sterben. Sie können gern mit Herrn Dr. Püschel vom UKE sprechen und sich die Fälle anhören.

Sie sprechen immer davon, dass es ausreichend Plätze in den Notunterkünften gebe. Überlegen Sie doch einmal: Wir haben 2 000 Obdachlose – das ist die Zahl, von der die Diakonie spricht –, und auch der Stand von 2009 war, dass es viel zu wenig Unterkunftsplätze in dieser Stadt gibt. Das ist doch eine logische Folgerung.

Ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum Sie zu jeder Jahreszeit mit dem Winternotprogramm ankommen und es in den höchsten Tönen loben, obwohl Sie dieses Jahr nicht einmal den Mumm dazu hatten, das Winternotprogramm auch tagsüber zu öffnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Projekt plata versucht, auf der Straße aufsuchende Sozialarbeit zu machen und zu beraten. Doch das Einzige, was plata anbieten kann, ist die Rückfahrkarte nach Polen oder in ein anderes osteuropäisches Land. Aber das löst das Problem nicht, weil viele Menschen – und über die reden wir, nicht über die, die zurückfahren – eben nicht zurückfahren, keine Perspektive haben, dann ausgebeutet werden und in Zuständen leben müssen, die nicht menschwürdig sind. Hierfür müssen Sie endlich ein Konzept vorlegen. Wir haben 2012 und 2013 heftige Debatten darüber geführt, vor allem, als die Menschen das Winternotprogramm aufsuchten und sichtbar wurden. Bis jetzt haben Sie nichts vorgelegt, kein Problem gelöst, also können Sie sich auch nicht ausruhen.

(Beifall bei der LINKEN)

In Richtung CDU möchte ich nur noch sagen: Mir war klar, dass Sie damit ankommen, dass der Ordnungsdienst dort konsequente Arbeit geleistet hat. Aber glauben Sie wirklich, dass das Problem damit gelöst ist?

(Joachim Lenders CDU: Ja!)

Sie wissen doch genau, dass sich die Menschen einen anderen Platz zum Schlafen suchen werden. Sie wissen auch genau, dass das kein ordnungspolitisches Problem ist, sondern ein sozialpolitisches Problem, das langfristig gelöst werden muss und nicht gelöst ist, wenn der Ordnungsdienst kommt, die Menschen räumt und sie nicht wissen, wohin sie gehen möchten.

Wir können deutlich sagen, das haben wir auch aus der Debatte erkennen können, dass Sie weiterhin kein Interesse haben, endlich ein Konzept vorzulegen – ein Konzept, das Sie auch umsetzen –, sondern sich weiter auf Ihren immer wieder

vorgetragenen Angeboten ausruhen werden. Und das ist wirklich ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt noch einmal Frau Bekeris von der SPD-Fraktion.

Vielen Dank. – Liebe LINKE, Sie werden sich diese Rede noch ein weiteres Mal anhören müssen. Ich werde Ihnen immer wieder sagen, was Hamburg in diesem Zusammenhang alles tut, vielleicht kommt es dann bei Ihnen an. Erkennen Sie an, dass wir Kapazität und Plätze ausgebaut haben, dass wir die Öffnungszeiten und die Kapazitäten der Tagesaufenthaltsstätten ausgebaut haben. Das sage ich Ihnen jetzt einfach noch einmal.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frau Grunwaldt, ich freue mich, dass die CDU von sozialpolitischer Seite aus den Wohnungsbau des Senats unterstützt. Wir brauchen im Endeffekt mehr Wohnraum, da haben Sie recht; das war der Dreh, den Sie am Ende noch gemacht haben. Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau. Da sehe ich Sie dann an unserer Seite, dass Sie es unterstützen, dass wir jetzt statt 2 000 Sozialwohnungen 3 000 bauen wollen. Das finde ich gut.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Frau Dutschke hat eine Evaluation der Beratung zur Rückkehr angesprochen. In diesem Jahr sind es 346 Personen, die freiwillig zurückgekehrt sind. Diese Beratungen, das sagte ich bereits, finden in der Muttersprache statt. Das ist sehr wichtig für die Menschen. Es ist wichtig, dass sie sehen, dass die einzelnen Beratungsstellen wissen, was in ihrem Land vorgeht, dass die Beratenden aus ihrem Land kommen und sie ihnen vertrauen können, und dass es dann für sie eine Perspektive ist, in ihr Heimatland zurückzukehren.

Von der AfD habe ich gehört, Sie wollten etwas über die Ursachen von Obdachlosigkeit sagen. Sie waren in einigen Punkten sogar relativ differenziert, sind dann aber doch nicht zurück zu den Ursachen gekommen. Zwei, drei Sachen wie Armut oder Arbeitslosigkeit hätten Ihnen einfallen können. Das können Sie an anderer Stelle noch einmal nacharbeiten; mal sehen, was dazu von Ihnen in den Ausschüssen kommt.

Ich möchte noch einmal auf die Beratungsstelle für die freizügigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sprechen kommen. Wenn Sie die Presse verfolgen, wissen Sie, dass das die Beratungsstelle ist, die immer wieder Skandale aufdeckt, auch bei großen Firmen. Ich finde das richtig und ich finde das gut. Es zeigt, dass wir in Hamburg nicht akzeptieren, wie einige Arbeitgeberinnen und Arbeit