Protocol of the Session on May 25, 2016

(Beifall bei der AfD)

Sicher lehnen wir den Antrag von SPD und GRÜNEN aus der Drucksache 21/2945 ab. Es ist gerade schon mehrfach dargelegt worden, dass Strafrecht sich grundsätzlich – das lernt man als Jurist im ersten Semester – an objektiven Tatbeständen und nicht an irgendwelchen internen Befürchtungen orientieren soll. Das stellt die Richterschaft nachher vor allergrößte Probleme und führt auch in der Praxis zu völlig untragbaren Ergebnissen.

Jenseits rechtstheoretischer Erwägungen möchte ich sagen, dass ich als Mann – letztens hat Kollegin Oelschläger zu der Thematik gesprochen – diese Diskussion zuweilen als ausgesprochen schräg und vielleicht etwas zu feministisch empfunden habe. Es kann einfach nicht angehen, dass nach den Silvesterereignissen jeder Mann, der bürgerlich sozialisiert worden ist, sozusagen als Triebtäter, als Hallodri dargestellt wird, vor dem es die Frauenwelt zu schützen gilt. Wenn Sie einmal als Mann in einem Karnevalszug gewesen sind, dann wissen Sie, dass es auch einem Mann einmal passieren kann, dass er Hände dort fühlt, wo sie nicht hingehören. Aus diesem Grund muss der Gesetzgeber endlich tätig werden. Ich weise noch einmal darauf hin, dass das nicht nur ein Problem ist, das Frauen berührt, sondern zunehmend, ebenso wie Gewalt in der Ehe, auch Männer betreffen kann. – Vielen Dank.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt nun Herr Senator Dr. Steffen. – Habe ich eine Wortmeldung übersehen? – Herr Dr. Flocken, es tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen. Herr Dr. Steffen wartet dann ab; danke sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Volksvertreter! Paragraf 177 Absatz 1 in der heutigen Fassung setzt voraus, dass der Täter oder die Täterin das Opfer mit Gewalt, durch Drohung mit Gewalt oder einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters oder der Täterin schutzlos ausgeliefert ist, zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen nötigt. Diese Ausgestaltung der Vorschrift hat sich in der Praxis als zu eng erwiesen, da es Situationen gibt, in denen die Voraussetzungen von Paragraf 177 nicht vorliegen, aber dennoch in strafwürdiger Weise für sexuelle Handlungen ausgenutzt werden, etwa wenn das Opfer aufgrund des Überraschungseffekts des Täters oder der Täterin keinen Widerstand leisten kann oder wenn das Opfer nur aus Angst von Widerstand absieht.

Der Referentenentwurf der Bundesregierung ist hier öfter zitiert worden; dazu brauche ich jetzt nichts mehr sagen.

Die CDU sieht in den Silvesterpogromen eine weitere nicht durch den Referentenentwurf erfasste Strafbarkeitslücke, nämlich die Erheblichkeitsschwelle des Paragrafen 184 Nummer 1 Strafgesetzbuch. Völlig zu Recht will sie diese Lücke schließen. Dagegen verlangen SPD und GRÜNE in ihrem Antrag eine totale Abkehr vom bisherigen Sexualstrafrecht und damit auch vom Entwurf der Bundesregierung. Sie missbrauchen die Silvesterpogrome für ein feministisches Konzept eines völlig neuen Sexualstrafrechts, das sie über den Bundesrat in die Gesetzgebung einführen wollen. Danach kann nun jede Frau eine Strafanzeige mit der Begründung erstatten, sie habe sich aus Angst oder um den Vergewaltigungsakt abzukürzen, nicht zur Wehr gesetzt. Die Praxis könnte dann wie erwähnt so aussehen, dass eine Frau oder ein Mann nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr zur Polizei geht und Strafanzeige wegen Vergewaltigung stellt, weil sie oder er den Sex eigentlich doch nicht wollte. Keine blauen Flecken, keine Würgemale, keine inneren Verletzungen sind künftig ein Kriterium für eine Vergewaltigung, lediglich das innere Gefühl; Frau von Treuenfels hat dankenswerterweise das Thema der Falschbeschuldigung angesprochen, ohne dieses Wort zu benutzen. Mit den Silvesterpogromen hat dieser Antrag von SPD und GRÜNEN nichts zu tun.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: So geht es doch nicht!)

Sie haben es doch in Ihrem Antrag geschrieben.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Achten Sie mal auf Ihre Wortwahl!)

Die Wortwahl gefällt Ihnen nicht? Okay. Ich beziehe mich auf Herrn Henryk Broder,

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Das ist kein Argument!)

das ist ein jüdischer Essayist, der schon im Januar gesagt hat, er könne nicht verstehen, dass diese offensichtliche Parallelität zu dem, was vor dem 9. November 1938 passiert ist, den Leuten nicht auffalle. Dazu brauche man laut ihm kein Historiker und kein Antisemitismusforscher zu sein. Er hat das übrigens in der "Welt" und nicht in irgendeinem Blog veröffentlicht. Ebenfalls in der "Welt" von gestern heißt es unter der Überschrift "Nein heißt Nein", dass dieses Motto der Justiz Probleme bereite:

"Wie kommt es […], dass offensichtlich seit Jahrzehnten so eklatante Mängel im Sexualstrafrecht existieren, die dazu führen, dass Vergewaltiger freigesprochen werden? […] die feministische Antwort auf diese Frage: weil wir in einer hartnäckig patriarchalen Kultur leben, deren Nutznießer es einfach nicht über sich bringen, den erklärten Willen von Frauen zu akzeptieren."

So weit "Die Welt".

Nun ist es so, dass Männer, zumindest europäisch sozialisierte Männer, in aller Regel das Nein einer Frau akzeptieren,

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Ich lach mich tot!)

und zwar nicht aus …

(Glocke)

(unterbrechend) : Herr Dr. Flocken, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN)

Sie haben nur fünf Minuten Redezeit. – Das Wort bekommt nun Herr Senator Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es vorweg deutlich zu machen: Ich finde den Vergleich mit der Reichspogromnacht am 9. November 1938 unerträglich; er gehört nicht in diese Debatte.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP)

(Dirk Nockemann)

Diese Debatte können wir nur führen, wenn wir sehr deutlich machen – und wir hatten in diesem Hause schon bemerkenswerte Debatten, in denen uns das zum Teil sehr wohl gelungen ist –, dass es im Hinblick auf die Frage, wie der Staat zu reagieren hat, in keinerlei Hinsicht einen Unterschied machen kann, welchen kulturellen Hintergrund ein Täter hat. Es kann weder ein gesteigertes Verständnis für Täter mit einem anderen kulturellen Hintergrund geben, noch kann es sein, dass man aufgrund des Umstands, dass eine bestimmte Tätergruppe einen Migrationshintergrund hat, Rückschlüsse auf die gesamte Gruppe zieht. Das kann nicht diese Debatte bestimmen. Und wer sich schon länger mit den Themen Vergewaltigung und sexueller Missbrauch beschäftigt hat, weiß, dass wir keine Zuwanderer brauchen, um genug Gründe zu haben, uns mit diesem Thema sehr ernsthaft zu beschäftigen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Daniel Oetzel FDP)

Ich finde es sehr ermutigend, dass es einen überaus breiten Konsens gibt, der von vielen Rednerinnen und Rednern in dieser Debatte getragen wurde, und kann sagen, dass das deutsche Sexualstrafrecht reformbedürftig ist. Für große Teile der Gesellschaft, vor allem für Frauen- und Opferverbände, ist die Lösung dieses Reformbedarfs klar: Nein muss künftig Nein heißen. Das war auch schon vor den Ereignissen zum Jahreswechsel der Fall; das ist eine langjährig erhobene Forderung. Es ist schon gesagt worden, dass dies im Laufe der letzten Jahre zum Gegenstand von Forderungen im Bundestag gemacht wurde. Insoweit ist es keine neue Forderung, aber eine Forderung, die in der Tat mehr Aufmerksamkeit genossen hat. Deswegen muss gelten, dass jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung strafbar sein muss – das ist, finde ich, eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es ist offenbar so, dass Teile der Politik noch nicht ganz so weit sind. Die CDU/CSU im Bund stand da lange auf der Bremse, wie Herr Tabbert es beschrieben hat. Jetzt will das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz genau das umsetzen, was der Union im Rahmen der Koalitionsverhandlungen mühsam abgerungen werden konnte. Aber der bisherige Gesetzentwurf des Bundesministeriums und der Bundesregierung bleibt deutlich hinter unserer Forderung, "Nein heißt Nein" zum Grundsatz zu machen, zurück. Der Ansatz der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung, mehr aber nicht. Die Strafbarkeitslücken bestehen fort, weil das Übergehen des entgegenstehenden Willens vom Sexualstrafrecht nicht erfasst wird. Das reicht als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit nicht aus. Ein Nein des Opfers reicht auch weiterhin nicht aus.

Der Gesetzentwurf erfasst erstmals die überraschende Tatbegehung. Wehrt sich aber das Opfer aufgrund seiner vermeintlich aussichtslosen Lage nicht, bleibt der Missbrauch weiterhin straflos. Das gilt auch für Fälle wie etwa der Schockstarre oder aber auch für Situationen, in denen das Opfer eine Gegenwehr für aussichtlos hält. Das ist insbesondere denkbar bei Übergriffen aus Menschenmengen heraus, wo der erste Übergriff vielleicht noch mit Gegenwehr beantwortet wird, aber der dritte, vierte und fünfte Übergriff irgendwann nicht mehr. Das Nein ist klar zu erkennen aus den vorherigen Handlungen, aber es fehlt dann an der Strafbarkeit. Das wäre auch nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung so und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir müssen uns davon lösen, die Strafbarkeit an abschließend beschriebene Umstände zu knüpfen. Das ist auch die ganz klare Erkenntnis aus den Gesprächen, die ich regelmäßig führe mit Organisationen wie zum Beispiel NOTRUF für vergewaltigte Frauen und Mädchen, eine Organisation, die in Hamburg sehr wertvolle Dienste leistet und die die Stadt deswegen mit regelmäßigen Zuwendungen unterstützt. Aus diesen Gesprächen kenne ich die Hemmnisse in den Strafverfahren, die dazu führen, dass es nicht zu einer Verurteilung kommt. Und aus diesen Hemmnissen ergeben sich genau die Gründe, aus denen viele Opfer dieser Straftaten davor zurückschrecken, Anzeige zu erstatten. Genau dem wollen wir Rechnung tragen.

Es ist häufig so, dass im Strafprozess der Nachweis der Gewalt scheitert, dass die Gegenwehr nicht bewiesen werden kann. Es wird dann gar nicht bestritten, dass ein Nein geäußert wurde oder dass aus den Umständen klar erkennbar war, dass kein Einverständnis besteht, aber es wird bestritten, dass eine Gegenwehr der Frau tatsächlich zu erkennen gewesen sei, und daran scheitert dann die Strafbarkeit. Das kann es nicht sein. Es bleibt – das ist der entscheidende Punkt – auch nach unserem Entwurf dabei, dass das Nein bewiesen werden müsste. Aber in der bisherigen Situation ist es so, dass man das Nein so sehr beweisen kann, wie man will, es muss darüber hinaus auch noch die Gegenwehr bewiesen werden können. Aus diesem Grund scheitert die Verurteilung sehr häufig in diesen Prozessen. Darauf kommt es an.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Im März 2016, nachdem die Bürgerschaft uns dazu aufgefordert hatte, entsprechend tätig zu werden, haben wir einen Entschließungsantrag zum Thema "Nein heißt Nein" im Bundesrat eingebracht. Im letzten Bundesratsplenum lag uns der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stellungnahme vor, und wir haben dann eine Prüfbitte mit einem konkreten Formulierungsvorschlag für eine gesetzliche Regelung eingebracht und in dieser Stellungnah

(Senator Dr. Till Steffen)

me eine umfassende Neustrukturierung des Sexualstrafrechts nach dem Grundsatz "Nein heißt Nein" gefordert. Die notwendige Regelung wird in unserem Formulierungsvorschlag sehr klar benannt.

Dieser Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht wäre aber nicht nur eine Erleichterung für konkrete Strafprozesse, sondern auch ein klares gesellschaftliches Signal. Das wirkt also nicht nur im Strafverfahren, weil klargestellt wird, dass die eigene sexuelle Integrität geschützt wird und dass das die gesellschaftliche Aussage ist, der das Strafrecht Ausdruck verleiht. Diese wichtige und deutliche Botschaft müssen wir senden.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Diese Initiativen gründen auf einer guten und langen Tradition Hamburgs, weil Hamburg schon immer Vorreiter in Sachen Frauenrechte und Gleichberechtigung war. Dazu können wir auf viele Vorgängerinnen und Vorgänger verweisen. Hamburg hat sich stets in diesen Fragen engagiert und deswegen auch im eigenen Zuständigkeitsbereich vieles sehr früh eingeführt, was andere dann nachvollzogen oder eben auch noch nicht nachvollzogen haben.

(Beifall bei Regina-Elisabeth Jäck SPD)

Das gilt zum Beispiel für die Möglichkeit, sich bei der Gerichtsmedizin anonym untersuchen zu lassen, um festzustellen, ob ein Missbrauch nachweisbar ist. Es ist ganz wichtig für viele Opfer von Straftaten, dass sie erst einmal feststellen können, ob sie überhaupt einen Ansatzpunkt für eine Strafverfolgung haben, bevor sie ihre Identität offenlegen müssen.

Wir haben sehr gut geschulte Abteilungen bei der Polizei, wo den Opfern dieser Straftaten mit sehr viel Verständnis und Empathie begegnet wird, wo sehr genau hingeschaut wird, wo sehr professionell daran gearbeitet wird, die Beweismittel zu sichern. Und wir haben mit langer Tradition die Zeugenbetreuung am Gericht, eine hervorragende Einrichtung, die ein Beispiel für das gewesen ist, was der Bund jetzt mit der psychosozialen Prozessbegleitung auf breiterer Ebene regelt. Hamburg war auch hier vorangegangen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Deswegen ist es gut und konsequent, dass Hamburg sich jetzt wiederholt im Bundesrat für "Nein heißt Nein" eingesetzt hat. Es freut mich sehr und stimmt mich optimistisch, dass unsere Initiativen jeweils eine parteiübergreifende Mehrheit gefunden haben. Es hat sich jetzt gezeigt, dass auch die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition im Bund sich deutlich in diese Richtung geäußert haben. Ich finde, dass die Zeit für eine wirkliche Reform des Sexualstrafrechts reif ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Angesichts dieses Erkenntnisprozesses auf Bundesebene kann ich die Vorbehalte, die jetzt CDU und FDP hier äußern, nicht ganz verstehen. Aber ich glaube, es kann uns gelingen, Sie im weiteren Verlauf der Debatte zu überzeugen. Es geht schließlich ganz konkret um Frauen, natürlich auch um Männer, aber insbesondere um Frauen, die wir hier schützten wollen, und es geht um die gesellschaftlichen Werte, für die wir in Hamburg stehen. Deswegen ist es wichtig, dass wir handeln. Natürlich zeigen auch die Vorfälle in der Silvesternacht, welche Relevanz das hat. Aber auch die alltäglichen Erfahrungen derjenigen, die jeden Tag gegen sexuellen Missbrauch arbeiten, zeigen dies sehr deutlich. Ich finde, wir sollten dabei bleiben, dass Hamburg dieses klare Signal setzt und beharrlich an der Forderung dranbleibt. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)