Protocol of the Session on May 25, 2016

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Es gibt noch viele andere Baustellen. Genau aus dem Grund hat die Stadt ein umfassendes Konzept zum Gewaltschutz gemacht, das nun fortgeschrieben werden soll.

Mit unserem Antrag haben wir uns auch für eine stärkere öffentliche Sensibilisierung eingesetzt. Ich freue mich, dass der Senat auch dieses Jahr einen Präventionsschwerpunkt auf das Thema sexualisierte Gewalt setzt. Denn Sensibilisierung, zum Beispiel in Form von Kampagnen, ist ein wichtiger Baustein zur Prävention. Es muss öffentlich deutlich gemacht werden, dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft nicht geduldet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen eine Debatte über Geschlechterrollen, Männerbilder und sexualisierte Gewalt. Wenn wir den Gegenwind gegen "Nein heißt Nein" berücksichtigen, brauchen wir diese Debatte ziemlich dringend. Die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen muss endlich ausnahmslos geschützt werden. Dafür gilt es, sich weiterhin einzusetzen. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Nun bekommt Frau Özdemir von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Forderung nach der Reform des Sexualstrafrechts gibt es nicht erst seit den Silvestervorfällen, sondern seitens verschiedener Frauenorganisationen und Gruppen schon seit Jahren. Aber gerade nach den Silvestervorfällen wurden die Debatte und die Kritik an den Lücken im Sexualstrafrecht noch einmal laut geführt und die Reform zu Recht gefordert.

Sehen wir uns die Zahlen an – es sind schon einige genannt worden –, weil sie das Problem, vor dem wir seit Jahren stehen, verdeutlichen. Jährlich werden circa 8 000 Vergewaltigungen angezeigt. Aber der Anteil der Frauen, die eine erlebte Verge

(Mareike Engels)

waltigung nicht anzeigen, bewegt sich zwischen 85 bis 95 Prozent. Jede siebte Frau in Deutschland erlebt einmal in ihrem Leben schwere sexualisierte Gewalt. Wenn eine Frau, die ein so schreckliches Erlebnis durchlebt hat, den Mut und die Kraft aufbringt, diesen Fall zur Anzeige zu bringen, dann ist es wirklich bitter, wenn der Täter ungestraft davonkommt mit dem Argument, diese Frau habe sich nicht ausreichend gewehrt.

Aber auch die sinkende Quote der Verurteilungen ist ein sehr entmutigender Faktor für Frauen, die so etwas erlebt haben. Im Jahr 2012 erlebten 8,4 Prozent der Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigten, dass der Täter verurteilt wurde. Das ist ein großes Problem. Ich finde es sehr schade, dass wir erst heute, im Jahr 2016, darüber sprechen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Betroffene Frauen in Deutschland, Feministinnen, die seit Jahren diese Reform fordern, waren über den ersten Entwurf des Justizministers bitter enttäuscht, weil dieser Entwurf einen Teil des Problems löst, aber nicht das Problem an sich. Das Gesetz versucht das Problem der sogenannten Überraschungsfälle zu lösen, also der Fälle, in denen das Opfer zum Widerstand unfähig ist oder im Fall des Widerstands ein Übel befürchtet. Der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form – Herr Maas hat angekündigt, er sei bereit, in diesem Punkt etwas zu ändern – regelt nicht den Grundsatz "Nein heißt Nein", über den wir wochenlang gesprochen und im Ausschuss beraten haben und der der Grundsatz ist, der in Deutschland die Debatte beherrscht hat.

DIE LINKE und die GRÜNEN im Bundestag haben jeweils einen Gesetzentwurf eingebracht mit der Forderung, den Grundsatz "Nein heißt Nein" gesetzlich zu verankern, weil das Problem erkannt wurde. Aber ich glaube, Herr Maas hatte scheinbar die Debatte ziemlich falsch wahrgenommen oder falsch verstanden. Ich finde es gut, dass Herr Tabbert sagt, auch er und seine Fraktion sähen diese Lücke und wollten sich dafür weiterhin einsetzen.

Mich irritiert die Empörung von Herrn Seelmaecker, weil die CDU auf Bundesebene seit Jahren die Möglichkeit hat und hatte, diese Reform durchzuziehen, aber bis zu dieser Debatte kein Interesse gezeigt und sich dahingehend nicht bewegt hat. Diese Forderung ist seit Jahren aktuell. Ich erinnere mich gut daran, dass Sie, als wir nach den Silvestervorfällen in der Aktuellen Stunde über den Schutz der Frauen und Mädchen sprechen wollten, die Debatte nicht zustande haben kommen lassen,

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Was? – Kazim Abaci SPD: Was?)

weil Sie in der Aktuellen Stunde Ihre Show abgezogen haben.

Ein weiterer für uns wichtiger Punkt ist die Prävention in Hamburg, nämlich die Frage, wie Frauen im öffentlichen Raum, in Ausgehvierteln und auf Großveranstaltungen besser geschützt werden können. Wir hatten diesbezüglich einen Antrag mit konkreten Forderungen eingereicht. Zum Beispiel forderten wir, eine Kommission, analog zur Kommission gegen Gewalt, im öffentlichen Raum als Teil des Landesaktionsplans Opferschutz zum Schutz vor sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum einzuberufen und in sie Expertinnen und Experten aus den Bereichen Jugend- und Sozialarbeit, Opferschutz, Frauenverbände, Schule und Berufsbildung, Staatsanwaltschaft, Justiz und Polizei einzubeziehen, die die Aufgabe haben, präventive Maßnahmen für den öffentlichen Raum zu erarbeiten, unter anderem Aktionen und Kampagnen, Informations- und Bildungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen, aber auch einen für uns sehr wichtigen Punkt, den wir in München gesehen haben, nämlich das Konzept "Sichere Wiesn", also die Entwicklung eines Konzepts zum Schutz vor sexuellen Übergriffen, das zum Beispiel Notfallsäulen, Security Points und Kooperationen mit Gastronominnen und Gastronomen einbezieht. Leider wurde dieser Antrag abgelehnt, was ich überhaupt nicht verstehe.

Ziemlich schräg finde ich auch, dass ich im Ausschuss erstens keinerlei Interesse an diesem Antrag habe feststellen können und die Senatorin zweitens auf die Frage hin, wie Frauen im öffentlichen Raum besser geschützt werden könnten, berichtete, wie geflüchteten Männern in Hamburg europäische Werte vermittelt werden – als sei das Problem damit gelöst. Sexuelle Übergriffe auf Großveranstaltungen im öffentlichen Raum kann es immer noch geben. Ich denke, dass dieses Thema so ernst genommen und konkretisiert werden muss wie das Thema sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz. Die Bereitschaft dazu habe ich bei Ihnen leider nicht gesehen. Wir werden uns auf Landesebene, aber auch auf Bundesebene weiterhin an der Seite der Frauenorganisationen dafür einsetzen, dass Nein auch wirklich Nein heißt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Nun bekommt Frau von Treuenfels-Frowein von der FDP-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin, gelinde gesagt, etwas erstaunt. Wir haben das im Ausschuss debattiert, und ich habe die Debatte als vorwiegend sachlich empfunden; es war übrigens nicht so, dass keiner Interes

(Cansu Özdemir)

se daran hatte. Die SPD war und ist Miturheber einer Gesetzesinitiative mit dem vielversprechenden Namen "Nein heißt Nein". Als Teil der Bundesregierung in Berlin lehnt dieselbe SPD, allerdings auf der Bundesebene, diesen Vorschlag ab beziehungsweise integriert ihn nicht in ihren eigenen Vorschlag, und wir debattieren es jetzt noch einmal, als ob wir etwas daran ändern könnten. Aber ich will mich dieser Debatte trotzdem noch einmal stellen; vielleicht kann ich dann unsere Position deutlich machen.

Noch einmal: Dass die Bundesregierung den Entwurf von SPD und GRÜNEN aus Hamburg nicht übernommen hat, ist für mich überhaupt nicht verwunderlich.

(Farid Müller GRÜNE: Aha!)

Denn selbst wenn er, was ich unterstellen möchte, Gutes will, geht er erstens in die falsche Richtung und ist zweitens handwerklich schlecht gemacht.

Aber auch bei dem Gesetz der Bundesregierung hätten wir uns eine objektiv nachprüfbarere Regelung gewünscht. Unser Vorschlag war übrigens ein anderer als der, den Sie zitiert haben, nämlich eine Ausweitung der Strafbarkeit auf Drohung mit einem empfindlichen Übel. Aber nun wird das Tatbestandsmerkmal total subjektiviert. Es soll in Zukunft genügen, dass jemand unabhängig von objektiver Bedrohung empfindet, bedroht zu werden – eine sehr fragliche Regelung. Das kritisiert übrigens auch der Deutsche Anwaltverein in seiner Stellungnahme vom Februar 2016.

Aber nun zum Gesetz von Herrn Steffen; ich sage es einmal so, weil ich glaube, dass Sie der Initiator waren: Er hat sich plötzlich vom, wie wir ihn immer nennen, Unterlassungstäter zum Feministen gemausert. Aber wieder ohne Erfolg, denn die Regelung "Nein heißt Nein" ist ein Fehler, und ich werde Ihnen auch begründen, warum. "Nein heißt Nein" hört sich sehr eingängig an und kommt sehr einfach daher. Selbstverständlich muss zwischenmenschlich gelten, dass ein Nein ein Nein heißt; ich will nicht falsch verstanden werden. Aber was so einfach daherkommt, ist als gesetzliche Regel genau deswegen keine Lösung. Ein furchtbares traumatisches Erlebnis – ich glaube, darin sind wir uns alle einig –, nämlich die Vergewaltigung einer Frau – übrigens natürlich auch die eines Mannes, das wird immer ein wenig verkannt, als ob die Männer alle nur die Täter und die Frauen alle nur die Opfer wären; ich finde das ein bisschen schwierig in der Diskussion und will mich auch einmal für die Männer stark machen …

(Dirk Nockemann AfD: Das hätte ich schon gleich gemacht!)

Herr Nockemann, wenn Sie das jetzt nicht gesagt hätten, muss ich es fast wieder zurücknehmen.

Ich fange noch einmal von vorn an: Es ist ein furchtbares Erlebnis, ob nun eine Frau oder ein Mann es erlebt; das wissen wir alle. Aber gerade deswegen muss man sich ein Gesetz ausdenken, das nicht so fatale Folgen haben kann wie das Ihrige, zum Beispiel das Ende der Unschuldsvermutung. Denn wie soll ein Mann – bleiben wir einmal im Rollenverständnis – später ein Ja noch beweisen können? Muss er sich dazu jetzt als Absicherung ein schriftliches Einverständnis geben lassen, damit ihm geglaubt wird? Ein Beispiel: A und B haben eine Beziehung. A trennt sich jetzt aber von B, und B ärgert sich darüber und will sich rächen. Das kann in einem Scheidungsverfahren durchaus einmal so kommen; das wissen wir. Dann hat A relativ schnell ein Problem und findet sich plötzlich als Straftäter wieder, weil B sagt: Der Sex mit mir war nicht einvernehmlich; ich habe Nein gesagt. Das kann gar nicht bewiesen werden. Sind Sie sich eigentlich im Klaren darüber, dass so etwas passieren kann? Ich glaube, das drücken Sie alle weg, weil Sie nämlich ein Klima schaffen, wenn man nicht zu dem steht, was Sie sagen, dann würde man nicht gerade diese Strafrechtslücke damit aufmachen. Ich habe das im Ausschuss schon gesagt, wo Sie dafür noch Verständnis hatten.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Urs Tabbert SPD: Ein Nein muss doch be- wiesen werden!)

Das ist doch noch schwerer zu beweisen. Herr Tabbert, ich will einmal auf Ihren Einwurf eingehen. Sie haben gerade gesagt, ein Nein müsse bewiesen werden, was mindestens genauso schwierig ist. Wie soll der Mann das denn sagen? Die Frau hat Nein gesagt, die Frau sagt, sie habe Nein gesagt, der Mann sagt Nein, und dann? Ganz ehrlich, das kann doch gar nicht gewollt sein, und ich glaube auch nicht, dass das von Ihnen so gewollt ist. Das ist eine Willkür, der Tür und Tor geöffnet wird. Deswegen lehnen wir diese Art Paradigmenwechsel ganz einfach ab.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage Ihnen noch etwas: Nie können Strafrechtsverschärfungen dieser Art alles Unrecht verhindern. Was wir brauchen, und das ist das, worauf es wirklich ankommt, ist eine Gesellschaft, die ihre Werte kennt, lebt und verteidigt. Das einzig Positive an diesem rot-grünen Entwurf finde ich daher den Vorschlag für mehr Prävention. Denn wir brauchen Prävention, die schon im Kindergarten, in der Schule anfangen muss. Sie muss aber nicht dahin gehend ausgerichtet sein, wie schrecklich sexualisierte Gewalt sei – dazu darf es gar nicht kommen –, sondern sie muss die Gleichberechtigung von Mann und Frau als Kernelement unserer Gesellschaft vermitteln. Dahin müssen wir, nicht hin zu mehr Gesetzen. Das ist die richtige Antwort.

(Beifall bei Katja Suding FDP)

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, war dieses "Nein heißt Nein"-Gesetz eine Reaktion – das haben Sie, Herr Tabbert, glaube ich, auch gesagt – der GRÜNEN und der SPD auf die Vorfälle der Silvesternacht. Ich habe damals schon in der Bürgerschaft gesagt, das sei genau die falsche Reaktion. Und was habe ich herausgefunden? Ich befinde mich in unverhoffter und eher seltener Eintracht mit Alice Schwarzer. Für sie ist nämlich das Hauptproblem von Silvester, wie sie neulich geschrieben hat, die falsche Toleranz der GRÜNEN und eine übertriebene Political Correctness. Das kann ich unterstreichen. Recht hat sie.

(Beifall bei der FDP und der AfD)

Wie auch immer. – Die ersten Prozesse zu dieser Tatnacht zeigen, dass es mitnichten in erster Linie an Regeln im Strafgesetz gemangelt hat, sondern dass das Hauptproblem in der Aufklärung und der eindeutigen Zuordnung der Täter besteht. Hier müssen wir ansetzen. Wir brauchen ein anderes Bewusstsein in unserer Gesellschaft für diese Themen und wir brauchen eine bessere Aufklärung. Was wir nicht brauchen, ist die typisch grüne Forderung nach mehr Gesetzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Richard Seel- maecker CDU)

Nun bekommt Herr Nockemann von der AfD-Fraktion das Wort.

Verehrtes Präsidium, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gerade darauf hingewiesen worden, dass die Strafbarkeitslücken des Sexualstrafrechts bereits seit Jahren bekannt sind. Nein, sie sind bereits seit sehr vielen Jahrzehnten bekannt.

(Michael Kruse FDP: Schon seit Sie Innen- senator waren!)

Das Sexualstrafrecht ist in den Siebziger-, den Achtzigerund den Neunzigerjahren reformiert worden. Leider gibt es immer noch eine ganze Reihe von Strafbarkeitslücken, und leider ist es immer noch so, dass nicht alle strafwürdigen Handlungen, die gegen die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers verstoßen, von den Paragrafen 177 ff. entsprechend sanktioniert werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Frau – oder ein Mann, wie Frau von Treuenfels gerade richtigerweise erwähnt hat – infolge überraschender Handlung oder eines überraschenden Angriffs keinen Widerstand leistet. Das gilt insbesondere auch dann, wenn aus Furcht vor weiteren Sanktionen oder weiteren empfindlichen Übeln keine Widerstandshandlung stattfindet.

Passiert ist in all den Jahren nichts. Das ist ein Skandal. Opferschutz scheint bei allen Parteien, die hier im Hause vertreten sind und die vor allem auch die Bundesregierungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte gestellt haben, ein Fremd

wort zu sein. Das ist insbesondere deswegen ein Skandal, weil sich Legionen staatlich besoldeter Juristen mit überflüssiger und überbordender Bürokratie, aber nicht mit dem Schutz vor Straftätern beschäftigen müssen.

In Hamburg beziehungsweise in Deutschland, das kennen wir bereits, wird immer nur dann reagiert, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Anlass für diese hektische Betriebsamkeit im Bereich der Reform des Sexualstrafrechts war dieser sogenannte Zivilisationsbruch auf der Kölner Domplatte Silvester 2015/2016. Der Begriff "Zivilisationsbruch" stammt nicht von mir, sondern, soweit ich weiß, vom Bundesjustizminister. Das hat uns wieder einmal bewiesen, dass Zuwanderung nicht nur schön und bunt ist, sondern zuweilen auch sehr dunkle und sehr schäbige und unangenehme Seiten haben kann.

Infolge des Versäumnisses vieler Bundesregierungen oder auch vielleicht des bewussten Nichthandelns droht nun nach den Silvesterereignissen ein Prozess nach dem anderen zu scheitern. Da wundert man sich, dass Frauen überhaupt noch den Mut finden, derartige Dinge zur Anzeige zu bringen. Grundsätzlich halten wir von der AfD es für erforderlich, dass jede nicht einvernehmlich ausgeübte sexuelle Handlung unter Strafe gestellt wird, unabhängig davon, ob es zu einer Gegenwehr des Opfers gekommen ist oder nicht.

(Beifall bei der AfD)