Protocol of the Session on May 12, 2016

Wir von der LINKEN, die wir eher religionsfern oder religionskritisch sind, sind froh, dass Hamburg

mit der Verabschiedung der Staatsverträge seine Weltoffenheit unter Beweis gestellt hat. Und wir sind froh, dass die islamischen Gemeinschaften mit der Unterzeichnung der Staatsverträge den säkularisierten Staat anerkannt haben. Darf ich erinnern, wie konfliktreich der Prozess der Säkularisierung in Deutschland war und wie viele Jahrhunderte es gedauert hat, bis Katholiken und Protestanten in Deutschland verträglich zusammenleben konnten? Bis in das letzte Jahrhundert hat es gedauert, und es ist viel Blut geflossen.

Es wird auch in Zukunft nicht anders sein als in den letzten Jahrzehnten. Natürlich entstehen Probleme, und das ist geradezu zwangsläufig, wenn eine Gesellschaft seit Jahrzehnten so viel Einwanderung erlebt. Natürlich geht es nicht ohne Konflikte ab, wenn die Gesellschaft sich durch Einwanderung so grundlegend verändert, erst recht nicht, wenn es um die Einwanderung von Menschen geht, die aus anderen kulturellen und religiösen Kontexten kommen. Allen Beteiligten wird abverlangt, Fremdes zu ertragen und anzunehmen, wird Anpassungsbereitschaft abverlangt und die Bereitschaft, unterschiedliche und gegensätzliche Interessen auszutarieren. Das ist nicht immer leicht, aber es ist lösbar. Und da bin ich sehr froh, dass wir mit den muslimischen Gemeinden auch Strukturen haben in Hamburg, die Orientierung für die neu ankommenden Geflüchteten muslimischen Glaubens bieten. Das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger Schatz.

(Beifall bei der LINKEN und bei René Gögge und Ulrike Sparr, beide GRÜNE)

Allerdings: Die Konflikte zu lösen wird schwerer durch das Erstarken dschihadistischer Strömungen und durch den islamistischen Terrorismus auf der einen und durch die Störfeuer von rechts auf der anderen Seite. Sie von der AfD versuchen ständig, den Islam und die islamischen Gemeinschaften als Ganzes für Terrorismus in Haftung zu nehmen, indem Sie nicht müde werden, Distanzierung zu fordern. Sie könnten es wissen, aber Sie wollen es gar nicht wissen, wie sich die Gemeinschaften positionieren. Ich war allein in den letzten anderthalb Jahren hier in Hamburg auf vier von der SCHURA beziehungsweise von islamischen Gemeinden organisierten Konferenzen, in denen es genau um die Auseinandersetzung mit dem IS und Konsorten ging. Ich habe viel Ursachenforschung erlebt, viel Kritisches und auch Selbstkritisches gehört. Ich habe lebhafte Diskussionen, auch kontroverse, unter reger Beteiligung aller Anwesenden mitbekommen. Das Gerede, das es aus Ihrer Ecke über "die Muslime" gibt, hat mit der Realität wenig zu tun.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN und bei Daniel Oetzel FDP)

Die SCHURA zum Beispiel nimmt aktiv – es ist schon gesagt worden – teil am interreligiösen Dialog, der in der Akademie der Weltreligionen fest

(Dietrich Wersich)

verankert ist. In ihm geht es nicht nur um Religionsfragen, sondern um den Bezug zu gesellschaftlichen Problemfeldern und um einen praktischen Beitrag für das Zusammenleben in unserer Einwanderungsgesellschaft.

Ich möchte noch einmal betonen, dass die islamischen Religionsgemeinschaften in Hamburg mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags auch formell den säkularisierten Staat anerkannt haben. Sie erkennen den Pluralismus der Religionen an, das heißt, sie haben sich zur wechselseitigen Anerkennung der Religionen und zu Toleranz verpflichtet. Damit sind sie sehr viel weiter als die islamfeindlichen Kräfte in Deutschland, die sich des Staats bedienen wollen, um gegen den Islam zu Felde zu ziehen. Wer Muslimen das Recht auf freie Religionsausübung bestreiten will, wie es sich die AfD auf ihrem Programmparteitag auf die Fahnen geschrieben hat, der diskriminiert nicht nur eine bestimmte Glaubensgemeinschaft, schwerwiegender ist, dass die AfD damit Grundrechte zur Disposition stellt, und auch noch Grundrechte einer Minderheit. Damit sind die Grundrechte eben keine Grundrechte mehr, sondern Privilegien für eine Mehrheit. Das ist weder mit dem Grundgesetz vereinbar noch mit den Menschenrechten noch mit der europäischen Tradition der Aufklärung, zu der der Islam, ich möchte es sagen, viel beigetragen hat. Ich erinnere an Avicenna, Averroes, ich erinnere an die Adaption der griechischen Philosophie, die die erste große Aufklärungswelle in Europa maßgeblich mit eingeleitet hat, die Renaissance.

(Glocke)

Ich möchte mit einem Zitat von Goethe schließen:

"Wer sich selbst und andere kennt, Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen."

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Herr Jarchow von der FDP-Fraktion bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch mir ging es ähnlich bei der Betrachtung des Themas der GRÜNEN, dass ich mich nämlich gefragt habe, worum es eigentlich wirklich geht. Dass dort "Dialog zwischen den Religionen" steht, werden wir alle unterschreiben; auch wir tun das, auch wir unterschreiben. Sie, Frau von Berg, haben den Schwerpunkt auf den interreligiösen Dialog gelegt. Das unterstützen wir ausdrücklich; für uns eine Selbstverständlichkeit.

Überdies steht in der Überschrift "Gemeinsam gestalten wir unser Hamburg". Da frage ich mich, auf wen sich das "Wir" bezieht. Bezieht es sich auf die Bürgerschaft, bezieht es sich auf ganz Hamburg?

Selbstverständlich ist es in einem säkularen Staat unserer Meinung nach auch die Aufgabe von Parlamenten, einen Dialog der Religionen zu gewährleisten, ganz ausdrücklich. Aber aus meiner Sicht sollte sich das "Wir" auf ganz Hamburg beziehen. Es ist nämlich nicht die Aufgabe des Staats beziehungsweise der Parlamente, aktiver Teilnehmer an diesem Dialog zu sein. Denn wir gewählte Parlamentarier, das sollten wir nicht vergessen, haben alle Hamburger zu vertreten, dazu zählen auch die Konfessionslosen, die Heiden, Agnostiker und Ähnliches.

Oder geht es einmal mehr um die Frage, die – es wurde schon erwähnt – wirklich überstrapaziert worden ist, ob der Islam oder welche Religion auch immer nun zu Deutschland gehört? Um es ganz klar zu sagen: Diese derart undifferenzierten Aussagen bringen uns alle nicht weiter. Es gibt nicht "den" Islam, es gibt nicht "das" Christentum; wir wissen das alles. Wir sollten das differenzieren, und das tun wir hier auch, da kann ich mich vielem, was meine Vorredner gesagt haben, nur anschließen.

Was meiner Meinung nach wirklich zu Deutschland gehört und was wir immer in den Vordergrund stellen sollten, ist schlicht und einfach die Religionsfreiheit.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und der AfD)

Mit dieser Religionsfreiheit verbunden ist die klare Trennung zwischen Staat und Kirche. Es wurde schon gesagt, wir sind ein säkularer Staat. Bei uns steht der Staat über jeder Religion, und das sollten wir als Maßstab auch nicht vergessen. Dies ist eine grundsätzliche Position der FDP und war der Grund, weswegen wir im Unterschied zu allen anderen Fraktionen der damaligen Bürgerschaft dem Abschluss eines Staatsvertrags mit den muslimischen Verbänden nicht zugestimmt haben.

(Beifall bei der FDP)

Wobei wir, das sei ausdrücklich gesagt, inhaltlich durchaus mit vielem einverstanden sind und unterstützen, was darin steht. Wir sind einfach der Meinung: Ein säkularer Staat schließt keine Staatsverträge mit Religionen ab, ganz grundsätzlich, gleichgültig, welche Religion.

Wir haben uns nichtsdestotrotz natürlich für die Beibehaltung des Hamburger Modells ausgesprochen, zum Beispiel bei der Organisation des Religionsunterrichts, das heißt, des gemeinsamen Unterrichts von Schülern, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit, wobei die Religionsgemeinschaften in die Ausgestaltung des Unterrichts ein

(Christiane Schneider)

gebunden werden. Das soll so bleiben und wird auch von uns unterstützt.

Ich freue mich sehr darüber, dass alle meine Vorredner – ich hoffe, auch meine Nachredner –

(Heike Sudmann DIE LINKE: Vorrednerin- nen!)

es ziemlich unisono so gesehen haben, dass der interreligiöse Dialog von uns allen weiterhin gefördert werden sollte und wir uns daran beteiligen, aber auch die nicht vergessen, die nicht in irgendwelchen Religionen organisiert sind. Mein Wunsch zum Abschluss wäre, dass wir uns bei den Dialogen, die wir mit den anderen Religionen führen, nicht nur darauf beschränken, uns mit den organisierten Vertretern dieser Religionsgemeinschaften in Deutschland uns zu unterhalten – die vertreten nämlich nur einen relativ kleinen Prozentsatz der Gläubigen –, sondern uns darum bemühen, uns auch mit den wirklich in den Gemeinden tätigen Leuten der verschiedensten Religionen auseinanderzusetzen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Professor Kruse von der AfD-Fraktion bekommt das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Formulierung der GRÜNEN wörtlich nehme, dann frage ich mich, was dieses Thema in der Bürgerschaft eigentlich zu suchen hat. Religion ist Privatsache und sollte es auch bleiben; das geht den Staat überhaupt nichts an. Die Trennung von Kirche und Staat hat in Europa weit mehr als 1000 Jahre gebraucht, und es waren viele Einzelschritte erforderlich, ohne dass man jemals das Ergebnis wirklich voraussagen konnte. Ich spreche von Scholastik und Reformation, von Aufklärung und Demokratieentwicklung bis zum mehr oder minder säkularen Staat unserer Tage.

Heute wissen wir, dass ein säkularer Staat ein wichtiger Faktor ist für unseren Wohlstand, für Freiheit, für Toleranz, Sicherheit und für ein friedliches Neben- und Miteinander verschiedener Religionen im gleichen Gebiet, in der gleichen Stadt und in der gleichen Straße.

(Beifall bei der AfD)

Aber die GRÜNEN haben hoffentlich etwas anderes gemeint, nämlich den gesellschaftlichen Dialog zwischen Menschen, die privat unterschiedliche Religionen haben und die unterschiedlich stark verschieden religiös sozialisiert worden sind. Das ist in der Tat notwendig und wünschenswert, in Hamburg und anderswo. Insofern gefällt mir die Intention unserer grünen Regierungspartei. Allerdings verschleiert die Formulierung wiederum Din

ge, die man klar benennen sollte, nämlich dass es vor allem um Muslime geht. Zwischen allen anderen Religionen gibt es in aller Regel keine Probleme in unserem Lande. Keine andere weltanschaulich identifizierbare Gruppe von Mitbürgern fällt so häufig durch Intoleranz, übergriffige Ansprüche und gelegentlich leider auch durch Gewalt auf, wie die, die sich auf den Islam berufen, egal ob zu Recht oder zu Unrecht. Dies wirft natürlich Fragen auf, denen wir uns stellen müssen und die wir nicht verdrängen dürfen.

Ja, wir sollen und müssen den Dialog mit den Muslimen führen. Das erfordert von uns, also der deutschen Mehrheitsgesellschaft – ja, Frau von Berg, es gibt sie noch, die deutsche Mehrheitsgesellschaft –, die Bereitschaft zu einem Lernprozess. Und das meine ich wirklich, wie ich es gesagt habe. Wir müssen etwas über die anderen Religionen und über die Sozialisation lernen, die diejenigen, die sich dazu bekennen, erfahren haben, und darüber, welche Schlüsse sie daraus ziehen und welche Verhaltensweisen möglicherweise daraus resultieren, um Missverständnisse zu reduzieren. Daran müssen wir arbeiten, ganz explizit.

(Beifall bei der AfD)

Es erfordert auf der anderen Seite aber auch die Bereitschaft der Muslime zu solchen Lernprozessen. Sie müssen zunächst einmal lernen, dass wir eine säkulare Gesellschaft sind und bleiben wollen. Ich hoffe, dass es stimmt, was einige meiner Vorredner gesagt haben, nämlich dass sie das in der Tat tun und akzeptieren. Es würde mich sehr freuen, wenn es so wäre. Ich bin davon noch nicht ganz überzeugt, aber wir lernen ja, wie gesagt, noch.

Die Vorteile der säkularen Gesellschaft, also Wohlstand, Freiheit, Toleranz und Sicherheit, sind nicht selten genau die Gründe, warum diese Menschen jetzt hier und nicht in ihren Heimatländern sind,

(Nebahat Güçlü fraktionslos: Das ist ja unse- re Heimat!)

wo man von diesen Dingen entweder weniger oder gar nichts hat, warum sie also zu uns geflüchtet sind, sei es nun aufgrund eines Krieges oder aus Gründen von Wohlstandsunterschieden zwischen den Ländern. Dieser Zusammenhang ist nicht für alle leicht zu verstehen. Es ist aber unvermeidlich, dass wir das alle verstehen, und zwar von beiden Seiten. Es kann bei dem Dialog nicht darum gehen, uns gegenseitig religiös zu verändern oder uns gar etwas abzuhandeln. Ich würde auch nie von der Entwicklung eines reformierten oder modernen Islam sprechen; das ist nicht unsere Sache, sondern die der Muslime selbst, wenn sie das denn wollen. Aber die hiesige Rechts- und Gesellschaftsordnung ist nicht verhandelbar,

(Beifall bei der AfD)

(Carl-Edgar Jarchow)

und ich behaupte auch nicht, dass alle Muslime das wollen. Aber man sollte unbedingt einen konstruktiven Dialog darüber führen, wie man es erreichen kann, dass alle Muslime ihren Glauben bestmöglich praktizieren können, ohne mit der deutschen Gesellschaftsordnung in Konflikt zu geraten oder vielleicht diesen Eindruck zu erwecken.

Für den Dialog wäre es zweifellos hilfreich, wenn alle führenden Muslimen-Vertreter und insbesondere alle, die in der muslimischen Community meinungsbildend wirken, also auch die religiösen Führer, die deutsche Sprache beherrschen würden. Davon sind wir leider noch ziemlich weit entfernt. Wünschenswert wäre es auch, wenn alle Gesprächspartner und Meinungsbildner auf der muslimischen Seite

(Glocke)

bereits mindestens einige Jahre in Deutschland gelebt hätten und die Lebenswirklichkeit der deutschen Muslime aus eigener Erfahrung kennen würden.

(Glocke)