Protocol of the Session on April 13, 2016

Vor zwei Jahren haben Sie sich dafür gefeiert, Herr Schmidt, dass wir bald flächendeckendes, kostenfreies WLAN in Hamburg haben werden. Morgen gibt es eine groß angelegte Pressekonferenz, der erste Access Point wird zwei Jahre, nachdem Sie ihn angekündigt haben, eingeweiht. Wer regelt es? Die Privatwirtschaft und nicht etwa die SPD, nicht etwa Rot-Grün. Ich habe nichts dagegen, dass die Privatwirtschaft das macht. Aber Sie feiern sich hier für etwas, was Sie selbst gar nicht gemacht haben, Herr Müller. Das ist doch das Problem.

(Beifall bei der CDU – Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das ist ja unfassbar! Das ist ja un- glaublich!)

Wir können beim E-Government weitermachen. Sie haben vor einigen Jahren gesagt, Sie digitalisierten jetzt die Verwaltung. Was ist das Ergebnis? In Kombination mit Ihrer Sparpolitik und dem Personalmangel in den öffentlichen Kundenzentren beantrage ich heute per Computer einen Termin, den ich zwei, drei Monate später bekomme, um dann trotzdem im Kundenzentrum warten zu müssen. Das ist die Art und Weise, wie Sie Digitalisierung verstehen. Es läuft gar nichts, Herr Schmidt.

(Beifall bei der CDU)

Und ein Letztes noch: das Thema Start-ups. Die SPD, allen voran der Bürgermeister, geht gern auf diese hippen, trendigen Start-up-Veranstaltungen, um zu sagen, Hamburg sei top in Sachen Digitalisierung. Demnächst wird er auch das vom Bund finanzierte Kompetenzzentrum ansprechen. Aber wenn wir uns dann einmal die letzte Anfrage ansehen, dann hat dieser Senat nicht einmal ein behördenübergreifendes Verständnis, was eigentlich ein Start-up ausmacht. Und es geht noch weiter. Wir haben nach dem internationalen Vergleich gefragt. Diskutiert man, wenn wir über Kompetenzzentren sprechen, auch mit den großen Standorten in Tel Aviv, in Silicon Valley oder auch in Europa? Tauscht man sich darüber aus, was gut läuft, was nicht gut läuft und wie man von der so viel diskutierten Kultur des Scheiterns lernen kann? Darauf antwortet Ihr Senat in der letzten uns vorliegenden Anfrage, er halte einen Austausch mit anderen Standorten nicht für zweckdienlich, weil man eh nicht vergleichbar sei. Wunderbar, wenn man sich selbst als einzige Benchmark sieht, ist man immer ganz vorn. Aber so hat Hamburg noch nie gut dagestanden unter Sozialdemokraten, und wir sind gerade wieder auf dem besten Weg, uns nur noch im eigenen Saft zu drehen. Das ist das Ergebnis Ihrer Digitalisierungspolitik, Herr Schmidt. Wir stehen hintenan.

(Beifall bei der CDU)

Man könnte jetzt darüber philosophieren, warum Sie den Vergleich scheuen. Ich weiß es nicht. Ich denke, unsere Wirtschaft in Hamburg, unsere Start-up-Szene, der Mittelstand sind in Sachen Digitalisierung schon sehr viel weiter, als Sie es ihnen zugestehen. Ich finde, es ist ein wirtschaftspolitisches Armutszeugnis für diesen Senat, für diesen Bürgermeister, dass er sich ganz offensichtlich nicht traut, sich mit anderen außerhalb Hamburgs zu vergleichen, und damit die Chance für Hamburgs Wirtschaft aufs Spiel setzt.

Wir haben einen Zusatzantrag eingebracht, der, wie ich denke, sehr viel Substanz hat und Ihren Antrag gut ergänzt. Wir werden Ihrem Antrag zustimmen und hoffen, dass der Regierungsanspruch von Rot-Grün in dieser Legislaturperiode sich nicht darauf beschränkt, dass ein wenig schon gut genug und besser als nichts ist. Stimmen Sie, bitte schön, unserem Zusatzantrag hier und heute zu, so wie wir es mit Ihrem machen werden. Dann sind wir vielleicht tatsächlich ein kleines Stückchen weiter mit der Digitalisierungskompetenz in dieser Stadt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort Dr. Anjes Tjarks von der GRÜNEN Fraktion.

(Carsten Ovens)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ovens, ich fand Ihre Rede bemerkenswert

(Carsten Ovens CDU: Danke! – Dr. Monika Schaal SPD: Vom Tempo her!)

emotional und engagiert dafür, dass Sie unserem Antrag am Ende einfach zustimmen.

Bemerkenswert finde ich auch, dass die große und die nicht mehr ganz so große Partei, die in Berlin die Regierung bilden, immer ihre Unterschiede betonen. Wir haben zwar eine CDU-geführte Bundesregierung, aber es ist dann doch das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium, das das Projekt, das Sie in Ihrem Zusatzantrag besonders betonen, auch in Hamburg implementieren möchte. Insofern sehe ich jetzt nicht so ganz, wo Sie gehandelt haben.

Drittens: Sie haben eher einen Änderungsantrag als einen Zusatzantrag geschrieben. Eigentlich haben Sie den Antrag von Rot-Grün genommen, ihn an zwei, drei Stellen ergänzt und gefordert, das Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0, das wir sowieso in Hamburg machen, solle ein wenig schneller gemacht werden. Sie haben bemerkenswert viele Differenzen aufgemacht dafür, dass es eigentlich ziemlich wenige Differenzen gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich konnte nicht mit Zitaten von Wirtschaftsgrößen wie Elon Musk aufwarten.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Eigentlich war mein ursprünglicher Plan, mit Angela Merkel zu starten – das würde Ihnen dann ja auch zupasskommen –, denn Angela Merkel hat dazu nur ein Wort gesagt: Industrie 4.0 sei Neuland. Jetzt wollte ich Sie eigentlich loben, und nach Ihrer engagierten Rede mache ich das auch, denn ich hatte das Gefühl, die CDU Hamburg sei schon ein bisschen weiter, als das einfach als Neuland zu betrachten. Sie haben durchaus auch brauchbare Ansätze und Ideen vorgetragen. Alternativlos ist ein doofes Wort, aber es wird dahin gehen, dass sich die gesamte industrialisierte Welt zunehmend mit lernenden Fabriken, selbstgesteuerten Autos et cetera pp. auseinandersetzen muss und die Produktionsprozesse, die man unter diesem, wie der Kollege sagte, Buzzword Industrie 4.0 zusammenfasst, weltweit auf dem Vormarsch sind. Aber gleichzeitig haben wir eine Situation, in der die Kanzlerin nicht ganz unrecht hat. Industrie 4.0 ist in gewisser Weise noch Forschungsagenda und muss erst einmal begangen werden. Deswegen haben wir in unseren Antrag geschrieben, dass wir den Austausch von Best-Practice-Beispielen fördern wollen. Es gibt eben keine Blueprints, die man einfach so übertragen kann, sondern man

muss sich auf diesem Pfad gemeinsam vorwärtsbewegen.

Die Digitalisierung in der Produktion und in der Logistik birgt – ich glaube, das ist allen klar – auch große Risiken. Denn in einer selbstlernenden Fabrik werden wahrscheinlich weniger Arbeiter beschäftigt sein. Gleichzeitig werden wir nur profitieren können, wenn wir uns an die Spitze der Bewegung setzen. Industrie 4.0 hat aus unserer Sicht den Vorteil Ressourceneffizienz und Kosteneinsparung, trägt also zu einer Versöhnung von Ökonomie und Ökologie bei. Sie ermöglicht eine Flexibilität in der Produktion. Sie ermöglicht mehr Individualität in der Produktion. Und, das ist uns sehr wichtig, sie ermöglicht die Erschließung neuer Geschäftsmodelle.

An einer Stelle, Herr Ovens, unterscheiden wir uns dann aber doch ein wenig, und zwar in der Frage, wie wir mit dem Datenschutz umgehen. Datensicherheit hat nicht nur etwas mit der Frage zu tun, was passiert, wenn die Datensicherheit bei den Panama Papers nicht mehr gewährleistet ist. Wenn es möglich ist, ein Auto zu hacken und es gegen den Willen des Fahrers fernzusteuern – was sehr wohl der Fall ist –,

(Michael Kruse FDP: Das hat Herr Schmidt doch gerade gepriesen!)

ist es dann auch möglich, dass man dasselbe auch mit einer Fabrik macht, um Produktionsprozesse durcheinanderzubringen? So etwas tun nicht nur die CIA und der Mossad mit ihrem Wurm Stuxnet beim iranischen Atomprogramm.

Die gleiche Frage: Ist eigentlich alles, was man im Leben tut, beispielsweise wenn sich ein Auto an einer intelligenten Ampel anmeldet, 100 Prozent nachvollziehbar, oder bekommt man es so hin, dass das Auto quasi innerhalb einer Sekunde einhundertmal seine Identität wechselt, damit man genau das nicht mehr nachvollziehen kann?

Wir haben in Hamburg große Unternehmen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie man Datensicherheit herstellen kann, und zwar nicht softwarebasiert, sondern hardwarebasiert. Das ist ein anderer Ansatz als der klassische und aus unserer Sicht sehr viel zielführender, weil er sehr viel weniger manipulativ ist. Deswegen glaube ich, dass Hamburg in der Frage Datensicherheit, Industrie 4.0 und Digitalisierung den Unterschied machen kann in einer Welt, in der das immer mehr auf dem Vormarsch ist. Man wird am Ende nicht darum herumkommen, vernünftig und anders über Datenschutz nachzudenken, weil Daten das Öl des 21. Jahrhunderts sind. Wir müssen erreichen, dass jeder und jede weiterhin Herr und Frau über seine und ihre Daten ist. Wir haben das Ziel, mit diesem Antrag den Masterplan Industrie und die anderen Masterpläne weiterzuentwickeln, um Hamburg weitere Impulse zu geben.

Der Zusatzantrag ist mit großem Engagement und Akribie geschrieben, aber im Wesentlichen liegt ihm unser Antrag zugrunde. Er wurde rechts und links ein wenig erweitert und zusätzlich das Kompetenzzentrum Mittelstand eingeführt, das wir aber ohnehin machen. Deswegen brauchen wir diesen Zusatzantrag nicht zu beschließen. Ich hoffe, dass wir diesen Weg gemeinsam weitergehen. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Wort bekommt Herr Jersch von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hier humpelt ein Antrag durch das Plenum, und er humpelt ziemlich einbeinig. Ich kann die Bedenken des Kollegen Ovens über die digitale Realität in der Freien und Hansestadt durchaus nachvollziehen angesichts der großen Töne, die in diesem Antrag geschwungen werden. "Große Chancen", "besondere Stärke unseres Standorts", "Hamburg als führender Logistikstandort", "weltweit drittgrößter Luftfahrtstandort" – das muss zur Herleitung der Forderungen in diesem Antrag herhalten. Es fehlt aber eine Menge; es ist wieder einmal einseitig. Das ganze andere Bein der gesellschaftlichen Wahrheit fehlt an dieser Stelle. Das gute Zusammenspiel von Industrie, Forschung und Dienstleistungen bedingt auch das Zusammenspiel mit den arbeitenden Menschen in dieser Stadt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der führende Logistikstandort Hamburg muss sich darüber im Klaren sein, dass er keine Flächen mehr für Logistik hat und es sich bald auslogistikt hat an dieser Stelle. Der weltweit drittgrößte Luftfahrtstandort wird heute schon dafür genutzt, den Schutz der Menschen in Hamburg hintanzustellen, weil Arbeitsplätze bedroht sind. Das gehört zur ganzen Wahrheit dazu und zeigt die Einseitigkeit dieses Antrags.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber zurück zu Industrie 4.0. Wenn man die Reden so hört, hat man das Gefühl, alles, was einem neu an Elektronik in die Hand fällt, sei Industrie 4.0. Man sollte vielleicht erst einmal die Begrifflichkeiten definieren; ich glaube nicht, dass wir eine gemeinsame Begrifflichkeit haben. Was aber Effizienzsteigerung, Gewinnmaximierung und den Nutzen neuer Instrumente dazu angeht, ist klar – das ist zwangsläufig –, dass die Wirtschaft das natürlich so machen wird, und das ist auch gut so. Aber letztlich heißt das, dass die dadurch zustande kommende Veränderung in der Gesellschaft durchschlagen wird. Effizienzsteigerung heißt Arbeitsplatzverlust, heißt eine neue Arbeitswelt gestalten. Wie die IG Metall sagt: Industrie 4.0 braucht Ar

beit 4.0. Liebe Kolleginnen und Kollegen, davon lese ich hier an keiner Stelle – stattdessen von Erweiterung des Masterplans Industrie, Erweiterung des Masterplans Handwerk. Das ist okay. Diese Bereiche müssen sicherlich auf die neue technische Revolution vorbereitet sein. Aber was mir fehlt, ist der Masterplan Beschäftigung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wirtschaft funktioniert nur als Zusammenspiel aller, des Unternehmertums genauso wie der Beschäftigten, ohne die die Unternehmer mit Sicherheit ihre Ziele nicht verwirklichen werden können. Das heißt, dass wir gemeinsam eine moderne Gesellschaft gestalten müssen. Wir müssen alle Aspekte dieser industriellen Revolution, dieser Industrie 4.0, bedenken und daran arbeiten, Menschen nicht nur zu Objekten, sondern zu Subjekten in diesem Prozess zu machen. Lassen Sie uns das im Sinne einer humanen Wirtschaftsrevolution gestalten und nicht im Sinne einer rein profitorientierten, wie es in diesem Antrag letztendlich herauskommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie betonen die Epizentren der Innovationsentwicklung in Hamburg. Epizentren führen immer zu Erschütterungen. Ich sehe letztendlich daraus keine Konsequenzen. Es fehlen die Stärkung sozialer Netzwerke und die Beteiligungsprozesse. Mit Letzterem hatte Rot-Grün in letzter Zeit ein Problem; es wäre an der Zeit, Beteiligungsprozesse vielleicht schon einmal frühzeitig anzugehen.

Was die Anträge angeht, so sind sie sehr einseitig orientiert. Bei dem Antrag der SPD und der GRÜNEN können wir auf gar keinen Fall der Fokussierung auf den Flughafen zustimmen. Das ist eine völlig falsche Schwerpunktsetzung, die Sie in diesem Antrag vornehmen. Und in dem Antrag der CDU-Fraktion, das wurde eben schon gesagt, ist der Datenschutz ein ganz erhebliches Problem; da wird weichgespült.

(Dr. Jens Wolf CDU: Wir führen ihn ein!)

Insofern werden wir uns bei beiden Anträgen enthalten. Das Thema ist wichtig, aber es ist zu wichtig, als dass in SPD-Kernkompetenz hinterher wieder nachjustiert wird, weil man die Hälfte von dem vergessen hat, was an gesellschaftlichen Aufgaben bei so einem wichtigen Thema wirklich ansteht. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Kruse von der FDP-Fraktion.

Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion ist in tiefer Sorge.

(Zurufe: Oh!)

(Dr. Anjes Tjarks)

Wir sind in tiefer Sorge, weil der rot-grüne Senat seit nunmehr einem Jahr offenbar an schwerer Worthülseritis erkrankt ist – an Worthülseritis, einer bis dato in der Politik nicht gänzlich unbekannten Krankheit.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Ja, einfach, nied- rig und gerecht!)

Und doch hat uns die Dauer und Schwere der Erkrankung in den letzten Wochen schlaflose Nächte bereitet, wie Sie sich vorstellen können. Wir befürchten, dass der Senat mittlerweile an einer chronischen Worthülseritis leidet.