Protocol of the Session on October 1, 2015

(Beifall bei der CDU und bei Barbara Duden, Ekkehard Wysocki, beide SPD, und Michael Kruse FDP)

Bevor ich Herrn Gözay das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, dass Telefonieren im Plenarsaal nicht zulässig ist. Danke schön.

(Jörg Hamann CDU: Hat der Bürgermeister gestern auch gemacht! – Glocke)

Herr Kollege Hamann, das macht es nicht besser. Es wurde vielleicht übersehen. – Herr Gözay von der GRÜNEN Fraktion, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen, Herr Kollege Dolzer, wir sehen CETA auch kritisch. Aber wir sind heute nicht hier, um über CETA mit Ihrem vorliegenden Antrag zu diskutieren. Wir können Ihren hauptsächlich im Konjunktiv – das hat unsere SPD-Kollegin bereits gesagt – gehaltenen Antrag in der Form nicht abstimmen. Es geht doch um den Antrag.

Sie erwähnen, dass das Handelsabkommen der EU mit Kanada schon seit September 2014 vorliegt. Sie schreiben in Ihrem Antrag von Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeiten sind aber keine Gewissheiten, denn die Fragen der Zuständigkeiten sind noch nicht abschließend geklärt. Gewiss dagegen ist, dass die Bundesregierung und die EU-Kommission entgegengesetzte Positionen vertreten. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sagt bei seiner Antwort auf die Frage, ob er die Ansicht der Bundesregierung hinsichtlich einer Mitwirkung des Bundesrats bei CETA teile, es werde sich – ich zitiere –:

"[…] voraussichtlich um gemischte Abkommen handeln."

Gewiss ist auch, dass sich das Europäische Parlament mittlerweile für ein demokratisches, transparentes System ausgesprochen hat. Mit anderen Worten, Herr Dolzer, die privaten Schiedsstellen werden beerdigt. Aus Schiedsstellen, die zum Missbrauch einladen, werden unabhängige Gerichte gemacht. Das können Sie nachlesen.

Wenn Sie also einen Antrag zu CETA – ich komme zum Inhalt Ihres Antrags – formulieren, hätte er sich vielleicht auf das Unumkehrbare, das heißt die Unkündbarkeit, beziehen müssen. Das haben Sie nicht erwähnt. Darüber wurde noch nicht allzu oft debattiert. Doch unabhängig von diesen Gedanken ist eine Debatte über eine mögliche Haltung im Bundesrat genauso wenig zielführend wie der Versuch zur Überzeugung der Bundestagsabgeordneten. Deshalb können wir diesem Antrag in dieser Form nicht zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Nun bekommt Herr Kruse von der FDP-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gezeter über CETA – das ist meine frei erfundene Überschrift zu Ihrer Debattenanmeldung. So ziemlich alles in Ihrem Antrag rutscht durcheinander. Da werden Behauptungen in den Raum gestellt, die Ihnen sicher bei Ihrer alerten Antiglobalisierungs-Community Punkte bringen, hier jedoch nicht, denn für einen sachlichen Diskurs sind sie ungeeignet.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Vorrednerinnen und Vorredner von CDU und SPD haben schon vieles Richtige gesagt, und deshalb möchte ich nur noch auf weniges eingehen.

Erstens: Das sogenannte Investor-Staat-Schiedsverfahren ist allein in Deutschland in rund 130 Handelsverträgen enthalten, teilweise schon seit Jahrzehnten.

(Deniz Celik DIE LINKE: Schlimm genug!)

Und jetzt kommt es. Der deutsche Staat, und zwar von der Bundesregierung bis zur kleinsten Kommune, wurde bislang nicht ein einziges Mal erfolgreich verklagt, ganz im Gegenteil. Zurzeit klagen beispielsweise die Stadtwerke München, die zu 100 Prozent im Eigentum der bayrischen Landeshauptstadt sind, gegen den spanischen Staat, da dieser die Ökostromförderung gekippt hat. Wichtig ist allein: faire Wettbewerbsbedingungen für inländische und ausländische Unternehmen schaffen, dann gibt es hier auch keine Probleme.

Zweitens: öffentliche Auftragsvergabe, ich erwähnte es schon. Maßgeblich ist hierbei im geltenden EU-Vergabeverfahren Diskriminierungsfreiheit. Eine europäische Harmonisierung haben wir ohnehin schon lange. Es heißt, jetzt kommen noch weitere hinzu. Voraussetzung ist, dass ausländische Anbieter zu gleichen Bedingungen wie inländische Anbieter am Verfahren teilnehmen können. Das ist doch eigentlich gar nicht so schlecht.

Drittens: internationales Expertengremium. Das kürze ich jetzt ab, es wurde schon gesagt. Es hat eine rein beratende Funktion, Sie müssten es eigentlich wissen, zumindest an der Stelle hätten Sie den Antrag nachbessern können. Internationale Konsultationen gibt es seit Jahrzehnten, SPS und TBT gemäß WTO, auch darauf sind Sie mit keiner Silbe eingegangen. Sie schüren Angst vor Stillstands- und Sperrklinkenklauseln, aber die wirken sich gar nicht auf die Kommunen aus. Auch das hätten Sie eigentlich besser wissen müssen. Für sensible Dienstleistungen ist diese Anwendung oh

(Michael Westenberger)

nehin ausgeschlossen. All das wird mit keiner Silbe erwähnt, stattdessen blanke Panikmache.

Auch wenn das Ihr Weltbild erschüttern mag: Mittelständische und kleine Unternehmen profitieren in besonderer Weise von CETA. Keine andere Wirtschaftsnation hat wie Deutschland "Hidden Champions", also mittelständische Weltmarktführer. Für diese Mittelständler ergeben sich durch Freihandelsabkommen wie CETA besondere Vorteile, weil sich gerade die kleinen Mittelständler nicht wie Großunternehmen Dependancen im Ausland, zum Beispiel in Kanada, leisten können. Sie sind vielmehr darauf angewiesen, dass sie keine Mehrkosten durch Doppelzertifizierungen haben, dass sie also nur einmal auf der Basis von einheitlichen Standards zertifizieren müssen, um auf dem transatlantischen Markt erfolgreich zu sein.

Lassen Sie mich das mit den nichttarifären Handelshemmnissen noch einmal erklären. Da geht es nicht um Nivellierung der Qualität, sondern darum, dass es nur einmal Bürokratie gibt, dass es nur einmal den Zulassungsprozess gibt, dass es nur einmal die Prüfung gibt, dass es gegenseitiges Vertrauen auf die Befähigung der Behörden gibt.

Sie reden gleich noch, Herr Dolzer, Sie brauchen keine Zwischenfrage zu stellen.

(Glocke)

(unterbrechend) : Herr Kruse, im Prinzip unterbreche ich kurz und frage Sie, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. Das haben Sie nun schon vorab verneint. Herr Dolzer, Sie müssen also abwarten. – Herr Kruse, fahren Sie fort bitte.

Unsere deutschen Unternehmen sind besonders in dem Bereich aktiv, und sie sind vor allem in dem Bereich auch exportstark. Nehmen wir einmal die maßgeblich Betroffenen. Fahrzeugproduktion, Maschinenbau, Pharmaindustrie, Elektroindustrie – Produkte all dieser Branchen haben 2014 rund 70 Prozent der deutschen Exporte nach Kanada ausgemacht. Hier sehen wir die enormen Chancen, die sich für den Mittelstand bei uns in Deutschland durch CETA ergeben.

Meine geschätzten Kollegen von der LINKEN: Panikmache ist die Basis Ihrer Politik, egal ob CETA, Olympia oder HSH Nordbank.

(Sabine Boeddinghaus DIE LINKE: Das ist doch Schwachsinn!)

Aber lassen Sie sich gesagt sein: Wer jede Entwicklung ablehnt, der verpasst auch alle Chancen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort bekommt nun Herr Professor Kruse von der AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! CETA ist ein Beitrag zum Freihandel, und deshalb sind wir grundsätzlich dafür. Freihandel schafft Wohlstand überall auf der Welt. Und es wundert mich nicht, dass DIE LINKE, die mit Freihandel, Unternehmertum et cetera ein Problem hat, einen solchen Antrag stellt. Das passt eigentlich sehr gut zu Ihnen.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten, insbesondere in den westlichen Ländern, aber nicht nur in ihnen, einen langen Prozess des Abbaus von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen erlebt. Das hat sich seit Jahrzehnten zuerst im GATT-Prozess und dann im WTO-Prozess entwickelt. Es sind große Fortschritte gemacht worden, insbesondere im tarifären Bereich.

Tarifäre Bereiche sind vergleichsweise einfach, sage ich einmal etwas simplifizierend, weil man sich nur über bestimmte Zollsätze in bestimmten Produktgruppen unterhalten muss. Da muss man immer noch sehen, welche Länder man mitnimmt, aber es ist vergleichsweise simpel.

Nichttarifäre Handelshemmnisse sind von der Natur der Sache her äußerst kompliziert, weil sie sich auf Details einzelner Regelungen, häufig qualitativer Regelungen, in bestimmten Produktbereichen, zum Teil nur für einzelne Produkte, beziehen. Es geht sowohl um Mindeststandards als auch um Kompatibilitätsstandards. Das Problem dabei ist, dass sehr viele vernünftige Regelungen, die wir in verschiedenen Bereichen eingeführt haben, weil sie beispielsweise Verbraucherschutzstandards sind oder weil sie für eine Kompatibilität von verschiedenen Elementen sorgen, beispielsweise im Telekommunikationsbereich, unter bestimmten Bedingungen handelsverzerrend oder diskriminierend sein können. Und diese Problematik lässt sich grundsätzlich nicht beseitigen. Es kommt immer darauf an, dass man im Einzelfall abwägt zwischen dem handelsdiskriminierenden Effekt und dem Wohlstandseffekt von Regulierungen.

Deshalb ist es auch nicht gelungen, solche nichttarifären Handelshemmnisse im Weltmaßstab multilateral zu entwickeln, weil es eben sehr unterschiedliche Interessen und Gegebenheiten und natürlich auch Entwicklungsstandards gibt, die sehr unterschiedliche Regelungen erfordern, beziehungsweise die Länder können sich nur sehr unterschiedliche Regulierungen leisten.

Es ist also kompliziert, und ich kann hier nicht auf Details eingehen, weil es so viele Märkte sind. Ich müsste wiederum bei den meisten Märkten Ingenieur sein, um zu verstehen, was dort überhaupt steht. Es lohnt sich also nicht, im Detail darüber zu reden.

(Michael Kruse)

Wir müssen uns jedoch eines vor Augen halten: Wir leben in einem Land, das außerordentlich exportstark und erfolgreich auf den Weltmärkten ist. Und jeder Fortschritt zu mehr Liberalisierung des Welthandels ist im Prinzip ein Vorteil für Deutschland und deutsche Arbeitsplätze.

(Beifall bei der AfD)

Ich kann meinen Vorrednern häufig zustimmen, insbesondere den Kollegen von der CDU und der FDP, aber das will ich nicht im Detail ausführen. Ich glaube, die meisten Ihrer Ausführungen, Herr Dolzer, sind Panikmache und in der Realität nicht sehr substanziiert. Weil es um sehr viele Details geht, kann man nicht bei jedem der vielen Tausenden von Details sagen, dass Sie nicht bei einigen auch recht haben könnten. Das liegt in der Natur der Sache, weil es extrem kompliziert ist, anders als bei tarifären Handelshemmnissen.

Ich sage Ihnen am Ende etwas, das ich erst gelernt habe, seit ich in der Bürgerschaft bin. Sie stimmen normalerweise geschlossen ab. Bei diesem Thema hat unsere Fraktion die Abstimmung freigegeben, Sie werden also eine unterschiedliche Abstimmung erleben. Aber Sie können sicher sein, dass ich für Freihandel bin und deshalb gegen den Antrag der LINKEN. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt nun Herr Jersch von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Eigentlich ist CETA ein Winzling.

(André Trepoll CDU: Wie DIE LINKE!)

Schaut man in die Daten des Statistikamts Hamburg-Nord und betrachtet den Außenhandel Hamburgs mit Kanada, dann hat er ungefähr das Volumen des Außenhandels mit Nigeria. Insofern könnte man nun denken, CETA lassen wir einmal links liegen. Aber mit CETA werden tatsächlich – Herr Dolzer hat es schon an der einen oder anderen Stelle gesagt – Folgekosten generiert, die an den Wertpapierderivatehandel erinnern. Man kann am Anfang die nachträglichen Kosten gar nicht übersehen. Wenn die FDP, wenn Herr Kruse die Fahne des Mittelstands hochhält, dann sage ich, ja, 99,5 Prozent unserer Betriebe sind kleine und mittelständische Unternehmen mit 62 Prozent der Beschäftigten. Aber nur 7 Prozent dieser Betriebe sind im Export tätig.

(Michael Kruse FDP: Das sollten wir stei- gern, nicht?)

Das, was in Verbindung mit CETA beschlossen wird, birgt viel zu viel Risiko.

Wenn wir dann die Ausschreibungsgrenzen sehen, nämlich 200 000 Euro für Güter und Dienstleistungen, dann fragt man sich, welcher kleine mittelständische Betrieb sich dafür in Kanada engagieren wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist etwas, das ausschließlich großen Konzernen und Unternehmensgruppen zugutekommt. Aber für die kleinen und mittelständischen Unternehmen unserer Hansestadt wird es keinerlei positive Auswirkungen geben. Im Gegenteil, Freihandel heißt Verlagerung von Handelsströmen und nicht Steigerung der Produktivität. Alles andere ist ein Gerücht, das von interessierter Seite gesät wird, und hier käme dann die Glaskugel von Frau Duden ins Gespräch.