Protocol of the Session on October 1, 2015

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt.

Es sind 114 Stimmzettel abgegeben worden, die alle gültig waren. Frau Dr. Melanie Leonhard erhielt 77 Ja-Stimmen, 27 Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Bitte kommen Sie nach vorn in unsere Mitte.

(Carl-Edgar Jarchow)

Wir kommen zur Vereidigung. Nach Paragraf 38 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg haben die Mitglieder des Senats vor Antritt Ihres Amtes vor der Bürgerschaft einen Eid zu leisten. Ich lese Ihnen den Wortlaut des Eides vor.

"Ich schwöre, dass ich Deutschland, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg die Treue halten, die Gesetze beachten, die mir als Mitglied des Senats obliegenden Pflichten gewissenhaft erfüllen und das Wohl der Freien und Hansestadt Hamburg, soviel ich vermag, fördern will."

Ich bitte Sie, bei erhobener rechter Hand die Beteuerungsformel

"Ich schwöre es."

oder

"Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe."

nachzusprechen.

Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Frau Senatorin, Sie haben damit den erforderlichen Eid vor der Bürgerschaft geleistet. Im Namen des ganzen Hauses wünsche ich Ihnen für Ihre Aufgabe als Senatorin eine glückliche Hand in der Amtsführung, viel Erfolg im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, und alles, alles Gute. Sie dürfen jetzt auf der Senatsbank Platz nehmen.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich habe gerade ein Schreiben des Präsidenten des Senats erhalten. Darin wird mir mitgeteilt, dass der Senat Frau Senatorin Dr. Leonhard mit dem Amt des Präses der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration betraut hat. Nach Mitteilung des Landeswahlleiters ist für das ruhende Bürgerschaftsmandat von Frau Dr. Leonhard nun auf der Landesliste der SPD Frau Martina Friederichs nachgerückt.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN)

Liebe Frau Friederichs, ich begrüße Sie herzlich in unserer Mitte und wünsche Ihnen viel Freude bei der neuen Aufgabe. Herzlich willkommen.

Wir kommen zu unseren heutigen Debatten und beginnen mit Punkt 33 unserer Tagesordnung, Drucksache 21/1607, das ist ein Antrag der AfDFraktion: Für eine standortnahe sowie gesunde

und ausgewogene Essensausgabe bedürftiger Menschen.

[Antrag der AfD-Fraktion: Für eine standortnahe sowie gesunde und ausgewogene Essensausgabe bedürftiger Menschen – Drs 21/1607 –]

Vielleicht warten wir einen Augenblick, bis alle, die möchten, den Saal verlassen haben.

(Glocke)

Bitte verlassen Sie den Saal zügig. Alle anderen nehmen bitte wieder ihre Plätze ein und stellen auch die Gespräche ein. Dann würde ich jetzt darum bitten, dass Sie mit der Debatte beginnen. Wer wünscht das Wort? – Herr Ehlebracht, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! So funktionieren Schlüsselreize. Es fällt das Wort Essen, und der halbe Saal ist leer. Das vielleicht zur Auflockerung und zu einem tiefen Luftholen nach dieser Aktuellen Stunde. Wir alle können sicherlich etwas beruhigte Gemüter brauchen, auch wenn wir, wie Herr Trepoll eben bemerkte, doch nur zu einem AfD-Thema kommen, was im Grunde genommen nicht stimmt.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Zugrunde liegt nämlich ein Antrag der SPD, zu dem der von uns jetzt vorgelegte Antrag eigentlich eine Erweiterung ist.

Jede Minute und jede Stunde, die ein Lkw eines Unternehmens auf dem Hof steht, und jede Maschine, eines Unternehmens, die sich nicht dreht, sind verlorene Zeit, und somit steuert diese Gerätschaft keinen Umsatz für das Unternehmen bei. Das ist der Grund, weshalb betriebswirtschaftlich denkende Leute bemüht sind, ihre Gerätschaften möglichst stark und möglichst dauerhaft auszulasten. Den gleichen Ansatz verfolgen wir mit diesem Ihnen vorliegenden Antrag, Drucksache 21/1607, der im Grunde genommen den bereits genehmigten Antrag 21/737 erweitert, in dem es um Produktionsküchen ging, und zwar in Summe um 20 Stück, die im Lauf der Jahre – am liebsten im Lauf der nächsten zwei Jahre, wie wir einer Großen Anfrage entnehmen können – errichtet werden sollen. Der Antrag ist mit großer Zustimmung angenommen worden, und die uns vorliegende Erweiterung des Antrags sieht vor, dass die geplanten Produktionsküchen intensiver genutzt werden sollen als bisher angedacht.

Die Erweiterung soll so aussehen, dass jeweils ein öffentlich zugänglicher Speiseraum zu ergänzen wäre, um dort bedürftige Menschen außerhalb der Schulzeiten, also zum Beispiel am Wochenende

(Präsidentin Carola Veit)

oder in den Nachmittagsstunden, mit warmen und kalten Speisen zu versorgen. Die Berechtigung dazu wäre entsprechend mit Berechtigungsscheinen zu belegen. Wenn Sie diesem Ansatz folgen wollen, dann stimmen Sie dem Antrag der AfD zu, auch wenn AfD draufsteht. Oder gibt es vernünftige Gründe, die Sie davon abhalten würden, einer intensiveren Nutzung dieser hohen Investition, die dort getätigt wird, Folge zu leisten? Vielleicht verfolgen Sie aber auch eine andere Form der Betriebswirtschaftslehre, wer weiß. Ich lasse mich überraschen.

Was ist der Hintergrund dieses Antrags im Detail? In erster Linie sollen dort natürlich Erwachsene und Kinder mit geringem Einkommen, die die Unterstützung durch Transferleistungen in Anspruch nehmen, mit ausgewogenem und gesundem Essen versorgt werden. Das Wohl der Kinder sollte uns besonders am Herzen liegen. Die staatliche Fürsorgepflicht ist hier besonders gefordert. Auch wenn es in Deutschland noch keine wirklich repräsentative Erhebung über die Ernährung in Armut oder in armutsnahen Einkommenslagen gibt, ist dennoch belegt, dass ein niedriges Einkommen oder ein geringer beruflicher Status beziehungsweise Bildungsabschluss dazu führen, dass die Chance des Übergewichts deutlich zunimmt. Das bestätigen zum Beispiel leider auch die jährlichen Schuleingangsuntersuchungen.

Ebenfalls keinerlei Studie gibt es darüber, wie viele Kinder auch hier bei uns unter der Woche hungrig ins Bett oder zur Schule gehen müssen, weil die Geldmittel der Eltern schlicht und ergreifend nicht ausreichen oder vielleicht auch, weil die Genussmittel Vorrang bekommen haben. Weltfremd ist derjenige, der behaupten würde, dass es eine solche Verwahrlosung von Kindern nicht gibt. Es gibt diese Fälle von Kindesvernachlässigung, denen man mit einem wie von uns vorgeschlagenen Vorgehen begegnen kann.

Eine weitere Absicht dieses Antrags besteht darin zu gewährleisten, dass Transferleistung auch tatsächlich alle Bedürftigen zweckentsprechend erreicht und keine Zweckentfremdung von Transferleistung ermöglicht. Die Bargeldauszahlung, wie sie im Moment praktiziert wird, ist nicht in jedem Fall ein guter Weg. Ziel muss es sein, Transferleistung nicht vollständig, aber zunehmend in qualitativ hochwertige Sachleistung umzuwandeln, anstatt immer nur auf Basis von Analysen, Berechnungen oder Erhebungen zu versuchen, irgendwie das Existenzminimum zu schätzen oder zu berechnen und dann das Geld entsprechend auszugeben. Dieser Weg schafft, wie gesagt, falsche Anreize und Grauzonen und kann in Teilen im Grunde genommen als gescheitert angesehen werden. Insbesondere – hier gibt es wieder einen Berührungspunkt zu dem vorherigen Thema – unter dem Eindruck der Flut von Asylanten und Asylantragstel

lern sind hier praktikable Wege für die Zukunft aufzuzeigen, und das wäre so ein Weg.

Zu guter Letzt kann so ein Ort auch eine Stätte der Kommunikation und des Miteinanders werden. Verschiedenste Hilfsangebote könnten dort zentralisiert und zielgerichtet angeboten werden, zum Beispiel Kurse, in denen aufgezeigt wird, wie man auch mit geringen Mitteln und geringem Aufwand seiner Familie gesundes Essen anbieten kann. Im Sinne der christlichen Nächstenliebe können Schüler sich dort auf freiwilliger Basis sozial engagieren. Alle Arbeiten, von der Essensausgabe bis zur Essenszubereitung, sind dort inbegriffen. Auch die Möglichkeit, das Freiwillige Soziale Jahr zu absolvieren, würde eine solche Stätte bieten.

Zusammengefasst will dieser Antrag im Wesentlichen vier Sachen sicherstellen: Bedürftige sollen mit ausgewogenem, qualitativ gutem Essen versorgt werden und insbesondere deren Kinder nicht unentdeckt unterversorgt bleiben. Dann kann dieser Antrag der Anfang sein, um eine geldliche Transferleistung in einem Teilbereich auf Sachleistung umzustellen und eine Zweckentfremdung dieser Leistung zu unterbinden. Zum Dritten will der Antrag erreichen, dass eine größere Investition der öffentlichen Hand im zweistelligen Millionenbereich möglichst effizient genutzt wird. Last, but not least würde der Antrag im wahrsten Sinne des Wortes einen Raum der Begegnung schaffen für Menschen, die leider viel zu oft am Rand der Gesellschaft stehen. Er soll der Vereinsamung von Menschen entgegenwirken und kann Zentrum von Kommunikation und Hilfsangeboten sein.

Jetzt bin ich gespannt, wie Ihre Gründe, die Sie sicherlich gleich anführen werden, oder wie Ihre Gegenvorschläge aussehen werden, um diesen Antrag wieder einmal abzulehnen. Ich hoffe nur nicht, dass Sie jetzt verbale Lorbeeren ausbreiten, um sich auf denen dann wieder für die Zukunft auszuruhen. Ich hoffe, dass Sie die Einrichtung dieser Produktionsküchen samt diesem angeschlossenen Raum, den wir beantragen, als Chance begreifen, um einen Grundstein für einen neuen Weg der Versorgung bedürftiger Menschen zu legen, insbesondere unter dem Eindruck der jüngsten Entwicklungen und zum Wohle aller Beteiligten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Das Wort bekommt Frau Schulz von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag der AfD ist nicht durchdacht.

(Beifall bei der SPD)

Er ist rechtlich nicht haltbar, wirtschaftlich nicht tragbar und organisatorisch nicht umsetzbar. Es

(Detlef Ehlebracht)

wird ein Bild gezeichnet, als ob es in Hamburg bald Suppenküchen und Armenspeisung geben wird – ein Bild von armen Menschen, die in langen Schlangen vor den Türen der Schulküchen stehen, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Es stimmt, es gibt in Hamburg Rentnerinnen und Rentner, die nicht mit ihrer Rente auskommen, und bedürftige Menschen, die einen berechtigten Anspruch auf Grundsicherung haben. Doch diesen Mitbürgerinnen und Mitbürgern wird mit diesem Vorschlag nicht geholfen.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GRÜNE)

Stattdessen müssen wir prekäre Beschäftigungsverhältnisse angehen – das haben wir mit dem Mindestlohngesetz bereits getan – und für ein bezahlbares und lebenswertes Wohnen sorgen. Auch das haben wir mit der Mietpreisbremse und dem Wohnungsbauprogramm bereits erfolgreich umgesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Doch nun zu Ihrem Antrag. Er ist rechtlich nicht haltbar, da in Paragraf 10 Absatz 3 SGB XII ausdrücklich der Vorrang von Geld- vor Sachleistungen geregelt ist. Der Träger der Sozialhilfe ist also gesetzlich gebunden, den Vorrang von Geldleistungen vor Gutscheinen oder Sachleistungen zu beachten. Die Gewährung von Sachleistungen für Ernährung würde also eine Gesetzesänderung erfordern, die aus fachlichen und finanziellen Gründen nicht sinnvoll ist. Eine Umstellung auf Sachleistungen führt im Regelfall zu Mehrkosten. Im Regelsatz ist ein rechnerischer Betrag für die Beschaffung und Zubereitung von Nahrungsmitteln enthalten. Folglich würden die Empfänger ihre tägliche warme Mahlzeit damit bezahlen, dass sie diese aus den Leistungen für Kleidung, Kultur, Mobilität und anderem kompensieren müssten. Böten wir jetzt ein Essen in den Produktionsküchen an, würde ein Anteil vom Regelsatz gezahlt werden. Das bedeutet weniger Geld für die betroffenen Menschen. Das wollen wir nicht. Wir wollen mehr gesellschaftliche Teilhabe und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD und bei Anna Gallina und René Gögge, beide GRÜNE)

Es gibt Großküchen, die davon leben, ein leckeres, möglichst gesundes Essen für ältere Menschen zu produzieren, die nicht mehr selbst kochen wollen oder können. Es ist gut, dass wir so ein Angebot in der Stadt haben. Bei einer staatlichen Subventionierung von Produktionsküchen könnte es möglicherweise zu einem unfairen Wettbewerb von Großküchenanbietern kommen.