Protocol of the Session on June 3, 2010

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde angelangt.

Ich rufe den Punkt 40 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/6131, gemeinsamer Bericht des Innenausschusses und des Rechts- und Gleichstellungsausschusses zum Thema "Erneuter Todesfall in der Abschiebehaft".

[Gemeinsamer Bericht des Innenausschusses und des Rechts- und Gleichstellungsausschusses zum Thema: Erneuter Todesfall in der Abschiebehaft (Selbstbefassungsangelegenheit) – Drs 19/6131 –]

(Jörg Hamann)

Wer wünscht zu diesem Punkt das Wort? – Frau Schneider hat das Wort, bitte schön.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Zwei Menschen in Abschiebehaft – David M., 25 Jahre, und Yeny P., 34 Jahre – sind in den letzten Wochen durch Suizid zu Tode gekommen. Wenn ein Mensch in Abschiebehaft für sich keinen anderen Weg mehr sieht, als seinem Leben ein Ende zu setzen, dann verbietet es sich, von Freitod zu sprechen.

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Dann ist es auch nicht damit getan, von einem tragischen Fall zu sprechen, wie die beiden Regierungsfraktionen in einer Pressemitteilung nach dem Tod von Yeny P. Dann stellt sich unabweisbar zumindest die Frage nach der politischen Verantwortung und – die für uns wichtigste Frage – nach den Strukturen, die diese tragischen Fälle bedingen und geändert werden müssen, um zukünftig solche Tragödien zu verhindern.

Die Debatte darüber in der Bürgerschaft und auch in der Öffentlichkeit zu führen, ist der Grund dafür, dass wir das Thema heute angemeldet haben, obwohl wir in den beiden Ausschüssen relativ ausführlich über beide Suizide gesprochen haben und die politische Aufklärung noch nicht beendet ist.

Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge hat in seiner Stellungnahme zum Tod von David M. festgehalten – ich zitiere –

"Abschiebehaft ist eine tödliche Falle."

Wir haben die Ankündigung der Regierungsfraktionen zur Kenntnis genommen, über mögliche Konsequenzen aus den beiden Suiziden zu beraten und einen Runden Tisch aus Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Behörden, des Parlaments, der Sachverständigen und Flüchtlingsorganisationen einzuberufen. Wir kritisieren, dass ein Teil der Ankündigung schon kurz darauf rückgängig gemacht worden ist und die parlamentarische Opposition ausgeladen wurde.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Wann wur- de die denn eingeladen?)

Die wurden eingeladen, weil in der Ankündigung auch von Vertreterinnen und Vertretern des Parlaments die Rede war.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das waren zum Beispiel auch die GAL- und CDU-Frak- tionen!)

Ja, aber nicht nur. Sie haben ein merkwürdiges Verständnis von Parlament, wenn Sie es ausschließlich aus den Regierungsfraktionen zusammengesetzt sehen. Sie haben die Opposition ausgeladen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es stimmt uns skeptisch, wie weit die Bereitschaft zur Überprüfung struktureller Veränderungen tatsächlich reicht. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir die erklärte Bereitschaft der Justizbehörde respektieren, die Bedingungen der Abschiebehaft zu überprüfen und zu verbessern. In diesem Zusammenhang gab es bereits eine erste Veränderung in Billwerder und der Justizsenator erteilte die konkrete Zusage, die unverantwortlich langen Einschlusszeiten für die männlichen Abschiebegefangenen zu reduzieren.

Wenn sich die Justizbehörde etwa an dem Forderungskatalog einer Konferenz der Seelsorgerinnen und Seelsorger orientiert, dann hat sie viel zu tun, um die Abschiebehaft anders auszugestalten, zum Beispiel umfassende Telekommunikationsmöglichkeiten herzustellen – dazu gehört auch der Internetzugang –, ungehinderten Zugang von Seelsorgerinnen und Seelsorgern sicherzustellen, Menschenrechtsund Nichtregierungsorganisationen zuzulassen, eine größtmögliche Bewegungsfreiheit und freie Arztwahl zu gewährleisten und – das halte ich für ganz besonders wichtig – auf die Erhebung von Haftkosten und Pfändung der Barmittel zu verzichten. Frau Yeni P. waren zum Beispiel 1 900 Euro abgenommen worden.

Es ist völlig klar, dass das die Verzweiflung von Menschen, die unverhofft zuerst in Untersuchungsund dann in Abschiebehaft genommen werden, unheimlich steigert. Aus Berlin ist ein Fall bekannt, in dem sich ein marokkanischer Abschiebegefangener aus Verzweiflung darüber, dass man ihm all sein Geld, alles was er hatte, abgenommen hatte und er mittellos abgeschoben werden sollte, Suizid begangen hat. Wenn Sie solche Maßnahmen angehen, wie ich sie eben angesprochen habe, Herr Justizsenator, dann können Sie auf jeden Fall mit unserer Unterstützung rechnen.

Anders als die Justizbehörde hat die Innenbehörde reagiert. Sie hat zwar nach dem Suizid von David M., der sein Alter mit 17 Jahren angegeben hatte und den sie deshalb erst einmal als Minderjährigen ansehen und behandeln musste, zugesagt, auf die Abschiebehaft für Minderjährige zu verzichten. Aber dass bis dato überhaupt Minderjährige in Abschiebehaft genommen wurden, ist unter allen denkbaren Gesichtspunkten ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN und bei Ksenija Be- keris SPD)

Hätte die Ausländerbehörde schon vorher darauf verzichtet, Minderjährige in Abschiebebeziehungsweise Rückschiebungshaft zu schicken, hätte sie gegenüber David M. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, hätte man ihn also in die Obhut des Jugendamts übergeben, wozu sie laut Paragraf 42 SGB VIII verpflichtet war, dann könnte David M. noch leben. Diese Schlussfolgerung je

(Präsident Dr. Lutz Mohaupt)

denfalls ziehen wir aus den bisherigen Erkenntnissen.

Umso schlimmer ist für uns, dass Innensenator Ahlhaus in der Sitzung des Innenausschusses noch keine greifbare Bereitschaft hat erkennen lassen, die bisherige Praxis der Abschiebehaft weiter auf den Prüfstand zu stellen. Herr Yildiz wird noch darauf eingehen, warum nach dem bisherigen Stand der Aufklärung der Ausländerbehörde unserer Auffassung nach auch eine Verantwortung für den Tod von Yeni P. zukommt.

Unabhängig davon fordern wir angesichts des Todes dieser beiden Menschen als nächsten Schritt – ich betone, als nächsten Schritt –, Abschiebehaft nur noch als Ultima Ratio zu verhängen. Insbesondere dürfen besonders schutzbedürftige Gruppen – Minderjährige, Schwangere, Eltern von kleinen Kindern, psychisch und körperlich Kranke sowie alte Menschen – nicht in Abschiebehaft genommen werden. Darüber hinaus fordern wir die Ausländerbehörde auf, generell auf die Abschiebehaft für Frauen zu verzichten. Das gebietet allein schon die Tatsache, dass es bei der Abschiebehaft für Frauen nur um die Alternative geht, entweder zusammen mit Strafgefangenen eingesperrt zu werden – was sich verbietet – oder in totaler Isolation inhaftiert zu sein, was sich erst recht verbietet.

Des Weiteren gibt es bei der Auslegung der Gesetzeslage auch für die Ausländerbehörde einigen Spielraum, den sie nicht länger zulasten der Flüchtlinge missachten darf, sondern allein aus humanitären Gründen zum Wohle der Flüchtlinge nutzen muss.

Abschiebehaft ist jedoch eine tödliche Falle. Alle Maßnahmen zur besseren Ausgestaltung der Abschiebehaft oder auch zu restriktiver Verhängung von Abschiebehaft ändern daran nichts. David M. war nicht mehr minderjährig, aber er war ein junger Mann, über dessen Fluchtgründe man nichts weiß, dessen Fluchtgründe auch niemanden interessiert haben, obwohl er doch Zuflucht in Deutschland gesucht hat, aus einem Land geflohen ist, in dem Krieg herrscht und Menschenrechte wenig gelten. Wissen wir, welche Strapazen er auf der Flucht überstanden hat? Wissen wir, ob er traumatisiert war und ärztlicher Behandlung bedurfte? Nein, wir wissen es nicht. Aber wir können wissen, dass Flüchtlinge, die es geschafft haben, hierher zu kommen, in der Regel unwahrscheinliche Strapazen auf sich genommen haben und dass viele von ihnen traumatisiert sind. Hatte er die Möglichkeit, in seiner Muttersprache irgendeiner Stelle zu kommunizieren, warum er nach Deutschland gekommen ist und ob er in rechtlicher Hinsicht eine Perspektive hat? Nein, diese Möglichkeit hatte er nicht. Er wollte einen Asylantrag stellen und wurde stattdessen entkleidet, durchsucht, erkennungsdienstlich behandelt, in U-Haft genommen, dem Haftrichter vorgeführt und dann in die Abschiebehaft verfrach

tet. Sein Hilferuf, ein mehrwöchiger Hungerstreik, wurde nicht verstanden.

Yeni P. hatte seit Mitte der Neunzigerjahre hartnäckig versucht, ihr Leben in Deutschland zu führen. Manches, was ihre Verzweiflung über ihre Abschiebung und die Art ihrer Abschiebung ins Unerträgliche gesteigert haben muss, liegt bisher noch im Dunkeln und wird vielleicht auch nicht völlig aufgeklärt werden können. Es gibt aber Anhaltspunkte dafür, dass sie – zumindest zeitweilig – in der sehr schwierigen Situation von Zwangsprostitution war. Ihr bot man keine anderen Alternativen als U-Haft, Abschiebehaft und begleitete Abschiebung. Unserer Auffassung nach muss unbedingt geklärt werden, warum die Ausländerbehörde ihren Antrag auf freiwillige Ausreise abgelehnt hat. Ihrem Abschiedsbrief ist zu entnehmen, dass sie besonders darunter gelitten hat, dass sie mit polizeilicher Begleitung zurück nach Indonesien gebracht werden sollte, und sie hatte Angst davor, dort womöglich ins Gefängnis zu kommen.

Beide Menschen haben sich nichts anderes zuschulden kommen lassen, als nach Deutschland gekommen zu sein. Ihr Tod sollte uns mahnen: Abschiebehaft gehört abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN)

Was in der Verantwortung Hamburgs liegt, die Abschiebehaft zurückzubauen und über Initiativen auf Bundesebene abzuschaffen, das muss Hamburg auch tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Seelmaecker.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Schneider, ich habe noch einmal nachgelesen. In der letzten Bürgerschaftsdebatte zu diesem Thema, am 16. September, sagten Sie, Abschiebehaft sei das abschreckende Symbol einer restriktiven Flüchtlingspolitik, die Tod und Traumatisierung von Menschen in Kauf nimmt.

(Wolfgang Beuß CDU: In der Tat!)

Die Überschrift Ihrer Großen Anfrage lautet: Dieses Land hat nicht das Recht, Menschen in den sicheren Tod abzuschieben. Frau Schneider, das insinuiert, Hamburg würde Menschen in den sicheren Tod abschieben. Diese Unterstellung ist durch nichts, aber wirklich auch gar nichts gerechtfertigt.

(Beifall bei der CDU)

Sie zeugt von Ihrem völlig verfehlten Verhältnis zum Rechtsstaat und ist im Übrigen ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Hansestadt, die an solchen Fällen arbeiten und beteiligt sind.

(Christiane Schneider)

(Beifall bei der CDU)

Erstens schiebt Hamburg niemand in den sicheren Tod ab. Unsere Freie und Hansestadt Hamburg macht genau das Gegenteil, sie schützt nämlich das Leben und die Würde eines jeden Menschen.

Zweitens wird in Hamburg nach Recht und Gesetz gehandelt. Wie Sie inzwischen anerkannt haben, gibt es eine im Bundesrecht verortete Rechtsgrundlage für die Abschiebehaft, sodass Sie, selbst wenn Sie jemanden abschieben wollten, es jedenfalls in der Bürgerschaft gar nicht könnten.

Drittens: Die Unterstellung der Inkaufnahme des Todes von Häftlingen ist deswegen ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil – wie Sie sich vorstellen können – keiner der Beteiligten, die sich um diese Fälle gekümmert haben, auch nur ansatzweise daran gedacht haben könnte, dass sich ein Häftling umbringt, denn sonst hätten sie es mit aller Macht versucht zu verhindern. Da gibt es viele Beteiligte, zum Beispiel die Mitarbeiter im Einwohner-Zentralamt oder der Richter, der den entsprechenden Haftbefehl erlassen hat, und insbesondere auch die Bediensteten in der Justizvollzugsanstalt.

Sie haben gesagt – und das haben Sie heute auch am Ende wiederholt –, Abschiebehaft sei überflüssig und Sie würden ihre Abschaffung fordern. Das halte ich für völlig verfehlt. Die CDU sagt, Abschiebehaft ist erforderlich. Sie ist Ultima Ratio, aber sie ist erforderlich. Abschiebung soll auch nicht, wie Sie sagen, durch die Haft erleichtert, sondern sichergestellt werden. Damit sie sichergestellt wird, müssen konkrete gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein, damit überhaupt ein solcher Haftbefehl ergehen kann, nämlich die unerlaubte Einreise

(Jörn Frommann CDU: Richtig!)

oder, wenn der Ausländer seiner Ausreisepflicht nicht nachkommt, eine Haftdauer, die grundsätzlich nicht länger als sechs Monate andauern darf – das ist auf der Rechtsfolgenseite verortet – und schließlich gilt natürlich immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der Fall, den wir jetzt zu beklagen haben, ist in der Tat tragisch und es ist jedes Mal furchtbar, wenn ein Mensch stirbt, egal aus welchem Grund. Die Dame im vorliegenden Fall war eine verurteilte Straftäterin, das steht objektiv fest. Sie hatte sich ihre früheren Aufenthaltstitel erschlichen, lebte hier unter verschiedenen falschen Identitäten, war schließlich vollziehbar ausreisepflichtig und war untergetaucht; auch das steht fest. Sämtliche gesetzliche Voraussetzungen für die Abschiebehaft lagen also in diesem Fall eindeutig vor.