Protocol of the Session on June 2, 2010

(Jörn Frommann CDU: Um Gottes Willen!)

Auf der Tagesordnung steht die Drucksache 19/ 6299. Sie wollen 8,5 Millionen Euro für eine Werbekampagne zur Umwelthauptstadt ausgeben

nicht für eine Umweltmaßnahme an sich, sondern für eine reine PR-Kampagne, damit ein Zug durch Europa rollt

(Michael Neumann SPD: Diesel!)

und alle Welt erfährt, dass Schwarz-Grün sich selber lobt. Solche Ausgaben sind eine Provokation für Eltern, deren Kita-Gebühren gerade erhöht worden sind.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ziehen Sie die Drucksache 19/6299 zurück und sparen Sie diese Millionen ein. Das ist ein Punkt unter vielen, die erforderlich sind, und Sie können sich darauf verlassen, dass wir weiterhin Vorschläge zur Konsolidierung des Haushalts machen werden. Aber verlassen Sie sich auch darauf, dass wir es ablehnen werden, wenn Sie Ihre Ausgabewut auf der einen Seite mit einem Abkassieren bei Familien auf der anderen Seite finanzieren wollen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kerstan.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Zeiten der Krise zu regieren ist nicht immer eine Freude, in Zeiten knapper Kassen erst recht nicht,

(Ingo Egloff SPD: Keiner zwingt Sie dazu!)

denn eine Krise zwingt dazu, ehrlich zu sein. Letztendlich geht es dann darum, was das Wünschenswerte ist und was das Machbare, ob unsere Prioritäten richtig sind und ob das, was wir fordern, mit dem übereinstimmt, was wir tun.

Herr Tschentscher, wenn die Opposition behauptet – Herr Bischoff hat es heute nicht gemacht, vielleicht kommt das noch –, diese Haushaltskrise wäre dadurch zu lösen, dass man auf ein paar Luxusoder was für Investitionen auch immer verzichtet,

(Ingo Egloff SPD: Irgendwo muss man ja an- fangen!)

dann bedeutet das, dass die Opposition immer noch nicht den Ernst der Lage begriffen hat. Wir können von heute auf morgen sämtliche Investitionen auf Null fahren, das 500-Millionen-Euro-Loch im Betriebshaushalt wird dadurch keinen Deut kleiner. Deshalb noch einmal: Diese Krise macht ehrlich. Es geht nicht darum, ob wir uns eine bestimmte Investition leisten können, sondern darum, ob wir uns die laufenden Ausgaben des Staats noch leisten können für das, von dem wir sagen, es seien seine Kernaufgaben. Nur wenn wir uns diese Frage ernsthaft stellen, können wir in dieser Krise die Weichen richtig stellen. Da kann man es sich nicht so einfach machen, Herr Tschentscher, wie Sie es eben getan haben. Das, was Sie beschrieben haben, ist kein Weg aus der Krise.

(Dr. Peter Tschentscher)

(Beifall bei der GAL und der CDU – Elke Badde SPD: Aber ein Zeichen! – Ingo Egloff SPD: Aber ein Anfang, Herr Kerstan, dass Ihnen das nicht gefällt, ist klar!)

Sie haben in Ihrer Liste wieder fröhlich ein Potpourri, eine nette Mischung aus Investitionen und Betriebsausgaben, zusammengestellt. Wir müssen aber, wenn wir diesen Haushalt konsolidieren wollen, letztendlich über die Betriebsausgaben reden und auch über die Entscheidungen, die wir gemeinsam getroffen haben: Mehr Geld für Kitas, mehr Geld für Lehrer und mehr Geld für den ASD.

(Michael Neumann SPD: Mehr Geld für Ki- tas?)

Natürlich, mehr Geld für Kitas. Herr Neumann, auch Sie sollten wissen, dass wir in diesem Jahr deutlich mehr als im letzten für Kitas ausgeben,

(Michael Neumann SPD: Das haben wir nicht gemeinsam beschlossen!)

und das ist auch gut und richtig so. Wenn Herr Tschentscher hier immer wieder die verantwortungslose Ausweitung des Betriebshaushalts anspricht, dann hoffe ich doch, dass er diese Investitionen nicht meint. Wir haben das übrigens in weiten Teilen gemeinsam gemacht, Herr Tschentscher,

(Michael Neumann SPD: Das Einzige, was Sie erhöht haben, ist die Abzocke der Fami- lien!)

und wenn die SPD dagegen gestimmt hat, dann teilweise deshalb, weil Sie sagten, das sei alles nicht genug. Auch das kann in der Krise nicht weitergehen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Diese Krise zwingt auch die Bürgerinnen und Bürger zur Ehrlichkeit. Es gibt den Ansatz, immer weniger Steuern und immer weniger Beiträge für staatliche Leistungen zahlen zu wollen, gleichzeitig aber immer mehr Ansprüche an den Staat zu stellen. Das zeigt sich deutlich bei der Wahl der Bundesregierung im letzten Herbst. Eine Bundesregierung zu wählen, die die Steuern senken will und dann nicht in Kauf zu nehmen, dass der Staat weniger Leistungen für den Bürger erbringen kann, das ist aufseiten der Bürgerinnen und Bürger nicht ehrlich. Auch eine solche Debatte müssen wir in der Krise, in der wir jetzt sind, offen und ehrlich führen, denn sonst machen wir uns etwas vor.

(Ingo Egloff SPD: Das haben wir ja immer gesagt!)

Insofern ist die Lage viel schwieriger, als Sie sie geschildert haben, Herr Tschentscher. Natürlich kann man die eine oder andere Investition streichen, nur wird dadurch das Problem leider nicht kleiner. Wir werden deswegen eine schwierige Debatte darüber führen müssen, was der Staat lei

sten kann und ob er das, was er leisten soll, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln leisten kann und was zu tun ist, wenn die Mittel nicht da sind. Wir sind da sicherlich innerhalb der Koalition noch nicht am Ende der Diskussion.

Man muss sich auch die Frage stellen, ob die Schuldenbremse so, wie sie verabschiedet wurde, den Ländern, die keinerlei Hoheit über ihre Einnahmen haben, ein Schuldenverbot aufzuerlegen und gleichzeitig dem Bund, der Einfluss auf die Steuererhebung hat, Schulden zu erlauben, eine Regelung ist, die nachhaltig und dauerhaft ist.

(Wolfgang Rose SPD: Bisschen spät ge- merkt!)

Aber das kann erst am Ende einer Debatte darüber stehen, ob wir die jetzt notwendigen Einsparungen erbringen können, ohne wichtige Leistungen des Staates abzubauen. Das ist ein Punkt, über den wir reden müssen, und das wird nicht einfach, egal, welche Partei wir betrachten.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Genau darum wird es in den nächsten Wochen gehen und ich hoffe, wir werden eine vernünftige, inhaltliche und sachliche Debatte führen. Wir alle sollten die Debatten der Vergangenheit zu den Akten legen, sonst kommen wir in diesem Bereich nicht weiter. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat Herr Senator Frigge.

(Carola Veit SPD: Was sagt der denn zu un- seren Vorschlägen?)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bischoff, Sie haben den Rechnungshof und sein Verlangen nach einem deutlichen Kassensturz angesprochen. Ein solches Verlangen ist das gute Recht des Rechnungshofs, aber wir hätten diese Initiative sicherlich nicht gebraucht. Es ist nämlich unser ureigenstes Interesse, zu bestimmten Zeiten innezuhalten und uns zu fragen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind

(Carola Veit SPD: Das wäre aber ganz neu!)

und ob wir diesen Weg in der richtigen Geschwindigkeit gehen. Das haben wir getan. Sie wissen, dass wir vor etwa sechs Wochen damit begonnen haben, uns sehr genau damit zu beschäftigen, was eigentlich die wichtigsten Projekte sind, die wir in dieser Stadt vor uns haben, und ob wir sie uns unter den veränderten Rahmenbedingungen, die natürlich schon eine Weile, aber eben noch nicht so sehr lange klar sind, noch leisten können.

Wenn Sie sagen, es sei Zeit, die volle Wahrheit zu sagen, dann kann ich Ihnen da nur zustimmen.

(Jens Kerstan)

Genau das haben wir getan: Wir haben die volle Wahrheit auf den Tisch gelegt und deutlich gemacht, dass wir nicht ein Problem haben, das wir dadurch lösen können, dass wir uns mit den Investitionen beschäftigen und einmalige Ausgaben reduzieren. Wir haben ein Problem, das weit darüber hinausgeht, das nämlich im Betriebshaushalt liegt und eine Größenordnung von 500 Millionen Euro bis zu 1 Milliarde Euro hat.

Zur vollen Wahrheit gehört auch zu sagen, warum wir diesen Richtungswechsel jetzt vornehmen müssen, nämlich nicht nur, weil wir diese deutliche Lücke sehen, sondern auch, weil die Einnahmesituation der Stadt sich auf Dauer und grundsätzlich geändert hat. Die letzte Bestätigung für diese Erkenntnis war die Mai-Steuerschätzung, die uns erneut verdeutlicht hat, dass die außerordentlich düstere Aussicht im Hinblick auf die Einnahmen sich noch einmal verschlechtert, und zwar um bis zu jeweils 100 Millionen Euro in den kommenden Jahren. Auch diese Wahrheit muss man sich ansehen und man muss fragen: Ist das ein konjunktureller Effekt, geht das wieder vorbei? Ist das etwas, was wir aussitzen können,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Aussitzen hat ja schon einmal super funktioniert!)

weil wir sagen können, die Situation wird besser? Das Ergebnis ist: Nein, das können wir nicht und das wollen wir auch nicht. Wir haben eine Situation veränderter Steuereinahmen, die zum einen konjunkturell bedingt ist, zum anderen aber auch darauf zurückzuführen ist, dass es eine ganze Reihe neuer Steuergesetzgebungen des Bundes und Bundesverfassungsgerichtsurteile gibt. Allein die sechs wesentlichen neuen Gesetze und Urteile führen dazu, dass Hamburg Jahr für Jahr rund 600 Millionen Euro weniger einnehmen wird. Das ist eine dauerhafte Veränderung unserer Einnahmesituation. Dieser Veränderung werden wir uns stellen müssen und wir können, wollen und werden nicht die Augen vor ihr verschließen.

(Michael Neumann SPD: Und wieso hat die CDU das mitgemacht in Berlin?)

Trotzdem sehen wir natürlich auch, dass wir uns nicht nur die strukturellen Defizite ansehen müssen, sondern auch nicht an allen Investitionen festhalten können, denn eine Investition, die wir heute tätigen, führt in der Regel in den Folgejahren zu Kosten und Belastungen im Betriebshaushalt. Wir werden also auch das selbstverständlich machen.

Wenn wir uns unsere Situation vor Augen führen, die dadurch geprägt ist, dass die Stadt schon erheblich verschuldet ist, dann sollten wir uns nichts vormachen: Alle Parteien, die in Hamburg regiert haben, haben erheblichen Anlass zur Selbstkritik.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL – Michael Neumann SPD: Sie regieren seit zehn Jahren und nach zehn Jahren merken Sie, dass Sie Mist gebaut haben! Wer soll das denn noch glauben!)

Wir haben die volle Wahrheit, wie wir sie in aller Deutlichkeit gesehen haben, auf den Tisch gelegt. Wir werden die Suche nach Lösungen in den Haushaltsberatungen vom 14. bis zum 16. dieses Monats aufnehmen und der Bürgermeister wird sich dazu – das hat er bereits in den Medien erklärt – am 16. Juni mit einer Regierungserklärung an das Parlament wenden. Der Blick nach vorn ist auch der richtige Weg.