Protocol of the Session on June 2, 2010

Wir führen viele Gespräche mit interessierten Bürgern, aber es gibt auch viele Menschen, die sagen, was interessiert mich das, ich bin zu alt, Schule ist doch kein Thema mehr für mich. Oder wir hören: Meine Kinder sind aus der Schule, das geht mich doch gar nichts mehr an, meine Kinder sind da durch, das interessiert mich eigentlich nicht so. Ich appelliere an Sie alle und auch an die anwesenden Bürgerinnen und Bürger: Aus unserer Sicht ist Bildung wirklich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gerade in diesem Fall, wo ein Volksentscheid angestrebt wurde und jeder Bürger und jede Bürgerin aufgerufen ist, mit zu entscheiden.

Hier wiegt die Verantwortung ganz besonders schwer, dass wir alle und nicht nur das Parlament, sondern in dem Fall alle Bürgerinnen und Bürger, die Verantwortung tragen, die Verantwortung für eine bessere Bildung für unsere Kinder, dafür, dass mehr Kinder einen guten Abschluss machen und dafür, dass wir möglichst alle Kinder mitnehmen und ihnen die Chancen geben. Das können wir mit den sechs Jahren Primarschule erreichen und mit den vielen anderen Sachen, die eben aufgezählt worden sind: kleinere Klassen, mehr Lehrer, Stadtteilschule und dann die Zweigliedrigkeit. Es ist nicht nur die Aufgabe von Wenigen, dafür zu sorgen, sondern mit dem Volksentscheid ist es Aufgabe eines jeden Einzelnen.

Ich würde mir wünschen, dass der Appell bei allen ankommt: Gehen Sie zum Volksentscheid, wählen Sie mit, wählen Sie die bessere Schule, für die wir uns entschlossen haben, die allen Kindern eine Chance bietet, mitzukommen. Auch später zahlt es sich aus, da wir bessere Abschlüsse, weniger Arbeitslose, mehr Jugendliche, die besser qualifiziert sind, und dadurch auch mehr fachlich qualifizierte

(Dr. Joachim Bischoff)

Menschen haben. Nicht zuletzt sind das natürlich nachher die Arbeitskräfte, die die Renten der Jüngeren sichern. Deswegen ist es keinesfalls so, dass man sich der Verantwortung entziehen und sagen kann, meine Kinder sind aus der Schule oder ich bin zu alt. Ich würde mich freuen, wenn alle daran mitwirken.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ich sehe keine Wortmeldungen mehr zum ersten Thema der Aktuellen Stunde. Dann kommen wir zum zweiten Thema der Aktuellen Stunde.

Von der Fraktion DIE LINKE wurde angemeldet

Haushaltskonsolidierung ja – aber sozial gerecht und zukunftsfähig

Wer wünscht das Wort? Herr Dr. Bischoff, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Monaten neben der Schulreform auch immer wieder über die gefährliche Schieflage in den öffentlichen Finanzen debattiert und gestritten. Zuletzt forderte der Präsident des Landesrechnungshofs einen schonungslosen Kassensturz, Verzicht auf neue Milliardenschulden und Streichung von unfinanzierbaren Großprojekten. Letzte Woche hat nun der Senat diesem Drängen nach Aufklärung endlich nachgegeben und der Bürgermeister hat über die Presse der Öffentlichkeit einen Kurswechsel angekündigt. Der Finanzsenator, so Ole von Beust, habe nach der Mai-Steuerschätzung einen schonungslosen Kassensturz gemacht – vielleicht hören wir nachher etwas dazu – und die mittelfristige Finanzplanung noch einmal überprüft. Ergebnis: Hamburg habe jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, das Prinzip Hoffnung dürfe nicht länger Grundlage des politischen Handelns sein, es wäre besser gewesen, die sprudelnden Steuereinnahmen der Jahre 2006 bis 2008 zu sparen, statt sie auszugeben, die Freie und Hansestadt Hamburg stehe vor gigantischen Problemen. In den nächsten Jahren fehlen gut 500 Millionen Euro pro Jahr im Betriebshaushalt zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben und ab dem Jahr 2014 wird der Fehlbetrag bei einer unterstellten Konjunkturerhöhung sogar über eine Milliarde Euro ansteigen.

Meine Damen und Herren! Neu ist dies beileibe nicht, dies war letztlich alles schon im Herbst bekannt. Allerdings wird diese Erkenntnis jetzt so dargestellt, als wäre dies dem Senat gerade erst bekannt geworden. Richtig und positiv ist auch – das will ich ausdrücklich sagen –, dass die Zeit der kreativen Bilanzierung, von den Finanzsenatoren Peiner und Freytag zur Perfektion gebracht, nun endgültig vorbei sein soll. Richtig ist auch, dass Herr von Beust sagt, das neue Motto für den zwei

ten Teil der Legislaturperiode könne nur lauten: Die Akzeptanz zum Sparen bekommen wir vom Bürger nur, wenn wir die volle Wahrheit sagen. Und das ist der Punkt, Herr Frigge, die volle Wahrheit muss auf den Tisch, wenn das funktionieren soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen in der Tat weg von der kreativen Bilanzierung, wir müssen alle Schulden, alle Risiken benennen und dann beim Kürzungspaket – auch das habe ich eben schon gesagt – dem Rechnung tragen, dass wir eine soziale Schieflage, einen großen Gegensatz zwischen Arm und Reich in der Stadt haben und dass dieser Gesichtspunkt bei der Konsolidierung berücksichtigt werden muss.

Die Frage ist, woher dieses gigantische Loch kommt. Das haben wir auch schon ein paar Mal erörtert. Einerseits, das wurde lange verschwiegen, ist es den permanenten Steuersenkungsgesetzen der letzten Jahre zuzuschreiben. Der öffentliche Dienst ist gleichsam über die Einnahmenpolitik heruntergespart worden. Auf der anderen Seite, das werden wir nicht bestreiten, ist es auch eine Folge der großen Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2007.

Hamburg hat lange Zeit gesagt, wir wollen das erst einmal über Kredite auffangen und finanzieren und nicht einfach den Gesamtbetrag, der in den Haushalten fehlt, durch Kürzungen aufbringen. Das haben wir in den letzten Jahren oder letzten Monaten immer wieder gesagt, das ist auch richtig, aber jetzt rücken Sie von diesem Gesichtspunkt einfach ab und erhöhen, ohne dass das im Einzelnen ausgewiesen ist, den Kürzungsbedarf von 200 Millionen Euro auf gleichsam 500 Millionen Euro oder mehr und ab 2014 wollen Sie das sogar noch verdoppeln. Wie das im Betriebshaushalt hinkommen soll, bleibt die große Unbekannte. Die Vorstellung, man könne sich mit drastischen Gebührenerhöhungen, Beschneidung der Leistungen für Bürgerinnen und Personalabbau beziehungsweise Kürzungen der Einkommen der Beschäftigten aus der Krise herauskatapultieren, ist nach unserer Auffassung illusionär.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wenn Sie das so umsetzen wollen, wird damit nur eine weitere Beschädigung der Struktur der Hamburger Wirtschaft erreicht.

(Glocke)

Letzter Satz: Wir müssen schon ein wenig mehr überlegen, wie wir den Kurswechsel hinbekommen, und da kann ich nur sagen, denken Sie auch daran, in Berlin eine andere Steuerpolitik einzufordern.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

(Christiane Blömeke)

Das Wort bekommt Herr Goldberg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Bischoff, Sie haben an einer Stelle in der Tat recht. So, wie wir bisher gewirtschaftet haben – das gilt nicht nur für Hamburg, das gilt für alle Gebietskörperschaften und letztendlich auch für unsere europäischen Nachbarn –, ist das größte Menetekel, das wir in der Politik aufgehäuft haben, die öffentliche Verschuldung. Selbst wenn wir hier vorne immer gerne sagen, das hätten wir zu einem erheblichen Teil von Vorgängersenaten übernommen, was zwar stimmt,

(Zurufe von der SPD: Ah! – Frank Schira CDU: Das stimmt ja auch!)

will ich das bewusst hier nicht als Vorwurf formulieren. Warum? In allen Gebietskörperschaften, unabhängig davon, wer regiert hat, wurde diese Art von Politik gemacht. Es ist kein SPD-Phänomen, den öffentlichen Haushalt zu verschulden, und es ist kein CDU-Phänomen, es nicht zu tun, um das ganz klar zu sagen.

(Präsident Dr. Lutz Mohaupt übernimmt den Vorsitz.)

Das ändert aber nichts daran, dass wir in der Tat, und zwar in allen Gebietskörperschaften inklusive Hamburg, vor einem notwendigen Paradigmenwechsel stehen. Dieser Paradigmenwechsel kann nichts anderes heißen, als dass wir so schnell wie möglich dahin kommen müssen, dass die laufenden Einnahmen ausreichen, um laufende Ausgaben zu decken.

(Beifall bei der CDU)

Sie können natürlich die Einnahmen verbessern, das ist eine tolle Idee, aber wie wollen Sie das machen? Das können Sie vor allen Dingen über Steuereinnahmen, das ist eine gute Idee. Nur wissen wir, dass irgendwann wahrscheinlich wieder das Thema Vermögensteuer kommt. Sie wissen, dass wir da die Auffassung vertreten, Leistungsfähigkeit aus Einnahmen, aus Gewinnen zu besteuern und nicht, die Substanz zu besteuern. Da werden wir sicherlich so schnell keine Einigkeit haben. Ansonsten sind wir bei einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent – zuzüglich Soli – kurz vor dem, was das Bundesverfassungsgericht als Maximalbesteuerung zugelassen hat.

Was aber viel entscheidender ist: Wir haben besonders in den letzten zwei Jahren insbesondere von den Steuereinnahmen aus hohen Unternehmensgewinnen gelebt. Als großes Menetekel können wir heute erkennen, dass ein erheblicher Teil der Steuermindereinnahmen aufgrund der Finanzund Wirtschaftskrise nachhaltig sein wird, weil die stark rückläufigen Unternehmensgewinne dauerhaft sein werden. Wir werden das nicht in der glei

chen Form aufholen und Unternehmensgewinne, die nicht stattfinden, können wir nicht besteuern. Das führt zwangsläufig dazu, dass wir auf der Ausgabenseite erheblich mehr tun müssen, als wir es in den ersten Jahren nach dem Regierungswechsel getan haben.

Natürlich haben wir auch eine ganze Menge Mehrausgaben in den letzten Jahren gehabt, im Bereich Kita 200 Millionen Euro

(Michael Neumann SPD: Elbphilharmonie, U4, Messebau, HafenCity Universität!)

und erheblich mehr Transferzahlungen im Sozialbereich: 350 Millionen Euro, davon 250 Millionen Euro zulasten Hamburgs.

Sie, lieber Herr Neumann, zitieren immer gern Investitionen, wenn Sie überhaupt einmal fachlich etwas dazu sagen. Investitionen sind aber nicht laufende Ausgaben, das ist etwas völlig anderes. Die Zinsen für die Schulden machen seit ungefähr 20 Jahren eine Zinslast von über 10 Prozent der laufenden Einnahmen aus, da hat sich nicht viel verändert. Sie haben recht: Wir hätten da vielleicht mehr tun sollen. Es ist aber richtig, dass wir das Thema jetzt adressieren und jetzt etwas tun. An dieser Stelle übrigens ein großes Lob an Herrn Tschentscher, der dieses Thema immer mehr und, wie ich finde, auch mittlerweile sehr konstruktiv angeht. Das finde ich gut.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Hey, ist da was im Gange?)

Sie, Herr Dr. Bischoff, werfen uns latent vor, wir würden die Haushaltsentwicklung nicht sozial ausgewogen machen. Das stimmt nicht, das können Sie allein an der Entwicklung des Sozialhaushalts und mit einem Blick auf den Schulbereich feststellen und deshalb geht der von Ihnen erhobene Vorwurf an der Stelle fehl. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort hat Herr Dr. Tschentscher.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Goldberg, das hört sich nun schon ganz anders an. Über die Vermögensteuer und die Einnahmeverbesserungen reden wir sicherlich morgen, heute geht es ums Sparen.

Eines ist klar: Wenn es drei Leute gibt, die für die Hamburger Finanzpolitik der letzten zehn Jahre verantwortlich waren, dann sind das Bürgermeister von Beust und seine zurückgetretenen Finanzsenatoren Peiner und Freytag. Genau diese drei Herren streiten sich jetzt in aller Öffentlichkeit, wer wem welche Verantwortung, Bilanzfälschung oder Täuschung vorwerfen kann. Tatsache ist, dass der Senat die Stadt mit seiner Kassenführung in eine

schwere Haushaltskrise geführt hat. Tatsache ist auch, dass uns der Streit der dafür verantwortlichen CDU-Senatsmitglieder jetzt nicht weiterhilft.

Das Problem ist auch nicht, Herr Frigge, dass Sie am vergangenen Donnerstag verkündet haben, dass Sie jetzt dramatisch sparen wollen. Das Problem ist, dass der Senat seit Jahren und noch bis Mittwoch letzter Woche behauptet hat, man müsse überhaupt nicht sparen, sondern könne die laufenden Ausgaben in vier Jahren um über 1 Milliarde Euro erhöhen. Damit wird der Haushalt sehenden Auges komplett gegen die Wand gefahren. Wir haben Ihnen das schon vor zwei Jahren gesagt, als Sie Ihre Finanzplanung vorgelegt haben. Wir haben Ihnen auch eine Reihe von Sparvorschlägen gemacht, die alle abgelehnt wurden: Reiterstaffel und Polizei-Orchester, Neubau der HafenCity Universität, Anmietung teuerster Büroflächen, überhöhte Rückstellungen für Mehraufwendungen, Wissenschaftsstiftung auf Kredit, Luxusanbindung der HafenCity, Neubau der BSU in Wilhelmsburg, Sonderbehörde Schulbau mit über 40 neuen Stellen, unnötige Millionenplanungen in der Justizbehörde,

(Farid Müller GAL: Das ist ja interessant mit der Justizbehörde!)

Haus des Waldes, neue Bürokratie in der Kulturbehörde, unterirdische Schießstände der Polizei – diese Liste kann man fortführen; viele kleine und große Positionen, die wir abgelehnt haben, weil die Haushaltslage kritisch ist. Sie, meine Damen und Herren von CDU und GAL, haben alles durchgewinkt und applaudiert, wenn Herr Freytag von einem ausgeglichenen Haushalt gesprochen hat.

Wie auch immer, seit Donnerstag ist klar: Wir müssen sparen. Ich will Ihnen sagen, welche Maßstäbe wir weiterhin anlegen werden. Erstens dürfen wir Zukunftsinvestitionen nicht gefährden – dazu gehört auch Bildung, das haben wir gerade gehört – und zweitens müssen wir beim Sparen darauf achten, dass die soziale Schere nicht weiter auseinander geht.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff DIE LINKE)

Unsere Sparvorschläge zeigen, dass man mit sozialer und wirtschaftlicher Vernunft sparen kann, ohne die Situation von Familien und Menschen mit geringem Einkommen weiter zu belasten. Damit Sie wissen, worüber wir reden, und damit Sie auch gleich in die Tat umsetzen können, was Finanzsenator Frigge am Donnerstag angekündigt hat, heute gleich ein weiterer Sparvorschlag der SPD-Fraktion.

(Jörn Frommann CDU: Um Gottes Willen!)