Der Vertrag von Lissabon enthält eine neue Definition des Subsidiaritätsprinzips – ich will sie Ihnen doch geben – und danach wird die Union nur noch in den Bereichen tätig, die nicht ihrer ausschließlichen Zuständigkeit unterliegen, sofern und soweit die damit verfolgten Ziele von den Mitgliedsstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr auf Unionsebene besser zu ver
Hieraus wird bereits deutlich, dass die Anwendung dieser Gedanken auf den Einzelfall notwendigerweise eine Mitwirkung und Meinungsbildung der betroffenen Parlamente voraussetzt. Diese Beteiligung kann aber nur funktionieren, wenn die jeweiligen Parlamente rechtzeitig informiert sind.
Meine Fraktion hat bereits in der vorletzten Wahlperiode, nämlich im August 2002, einen Entwurf zur Änderung der hamburgischen Verfassung eingebracht, der die Anwendung und Handhabung des Subsidiaritätsprinzips entscheidend verbessern sollte. Wir hatten vorgeschlagen, nach dem Vorbild der entsprechenden Regelung in der baden-württembergischen Verfassung den Senat dazu zu verpflichten, die Bürgerschaft über Gesetzesvorhaben, welche die Gesetzgebungszuständigkeit Hamburgs wesentlich berühren, zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die in Artikel 31 der hamburgischen Verfassung bereits enthaltene Unterrichtungspflicht des Senats sollte auf diese Weise konkretisiert werden und die Rolle der Bürgerschaft wäre gestärkt worden.
Der Zeitpunkt der Information, nämlich frühestmöglich, spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn schon die Ausgestaltung unseres Landesparlaments als sogenanntes Teilzeitparlament bedeutet angesichts der komplexen Regelungsmaterie der Gesetzesvorhaben eine erhebliche Herausforderung bei der Bewältigung der anfallenden Arbeiten.
Unser damaliger Antrag ist von der Schwarz-Schill-Mehrheit nach kurzer Debatte in der Bürgerschaft abgelehnt worden. Man hat es noch nicht einmal als notwendig angesehen, den Antrag im Europaausschuss weiter zu beraten. Es komme nicht auf eine schön formulierte Unterrichtungspflicht an, sondern immer auf den Willen des Senats, dieser Pflicht auch nachzukommen, ist vonseiten der CDU in der Debatte gesagt worden. Wie wahr! Offenbar hat die heutige Regierungskoalition erkannt, dass man auf die Freiwilligkeit des Senats nicht unbedingt vertrauen kann.
Aber wie kleinmütig kommt der Antrag in der Drucksache 19/4405 daher. Der Senat wird gebeten, er möge der Bürgerschaft doch bitte sagen, wie sie am besten ihre Rechte aus dem Subsidiaritätskontrollmechanismus ausüben könne. Dabei hatte der Senat im Europaausschuss im April 2009 erklärt, er habe noch keine Vorstellung, hatte aber etwas zynisch, wenngleich in der Sache nicht ganz falsch, den Rat gegeben, auch die Bürgerschaft könne initiativ werden. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von CDU und GAL, ob Sie einfach nur zu feige waren, unseren alten Antrag noch einmal herauszuholen, oder ob irgendeine höhere Erkenntnis hinter Ihrem Antrag steht. Ich habe eher den Eindruck, dass auf Ihrer Seite nicht die Bereit
schaft besteht, sich mit diesem Thema einmal ausführlich und angemessen zu beschäftigen, zum Beispiel in Form einer Expertenanhörung, wie es die SPD in der Julisitzung des Europaausschusses gefordert hatte.
Wir müssen insbesondere über eine Zuspitzung und Schärfung der Informationspflicht des Senats in Artikel 31 der hamburgischen Verfassung sprechen. Weitere Regelungen und Abkommen mit anderen Bundesländern könnten herangezogen werden. Eine solche Initiative muss aber von der Bürgerschaft selbst als dem zu informierenden Organ ausgehen und kann uns doch nicht vom Senat als auskunfterteilendem Organ mundgerecht vorgelegt werden. Der Europaausschuss ist der richtige Ort, eine Diskussion zwischen den Fraktionen und mit dem Senat zu führen, um dann einen gemeinsamen Weg zu finden, wie und wann die Bürgerschaft zu informieren ist.
Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen haben im Übrigen bereits gezeigt, dass die Informationsverfahren einen erheblichen personellen Aufwand nach sich ziehen. Das bedeutet, die personelle und sachliche Ausstattung muss entsprechend angepasst werden. Das kostet Geld, das sollte allen klar sein. Indes ist dieses Geld gut angelegt. Die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips ist wesentlich, will man die Europäische Union nah an den Menschen halten und den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass die EU kein Bürokratiemonstrum ist, auf dessen Entscheidungen sie keinen Einfluss haben.
Frau Machaczek, seien Sie unbesorgt, uns geht es gewiss nicht darum, einer Bürokratisierung das Wort zu reden oder Nörgeleien zu fördern. Ich erinnere aber einmal daran, dass das Bundesland Bayern bestrebt war, eine Regionalisierung dieses Themas herbeizuführen. Das ist aber gottlob von den großen Fraktionen verhindert worden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch einmal an das anknüpfen, was Frau Machaczek einleitend gesagt hat. Es ist ein gutes Timing, dass wir zufälligerweise heute über die Umsetzung des Subsidiaritätskontrollmechanismus reden, einen Tag, nachdem der Präsident der Tschechischen Republik, Václav Klaus, als Letzter seinen Widerstand gegen den Vertrag von Lissabon aufgegeben hat. Es ist allerdings auch wichtig zu wis
sen, dass wir eben jetzt die Beratungen beginnen und nicht vorher schon einen Subsidiaritätskontrollmechanismus und seine Umsetzung für Hamburg erarbeitet haben, zu einem Zeitpunkt, als wir noch gar nicht wussten, ob das Drama um die Verfassung Europas und um die neuen Verträge noch weiter geht und sich länger hinzieht und eventuell auch der Vertrag von Lissabon scheitert und wir deswegen hier Arbeit gemacht hätten, die möglicherweise obsolet geworden wäre.
Aber jetzt haben wir endlich wieder eine Situation, in der die lange Hängepartie, wie es mit Europa und seinen Institutionen weitergeht, beendet ist und in der wir auf europäischer Ebene und damit auch bei uns in Hamburg bei der Bearbeitung europäischer Themen voranblicken und hoffen können, dass wir eine neue Dynamik bekommen. Die Subsidiaritätskontrolle ist ein neues, großes Recht, das den nationalen und auch den regionalen Parlamenten gegeben worden ist, und es nimmt uns in die Pflicht, verantwortungsvoll damit umzugehen.
Die Frage ist nur, wie. Wenn man sich anguckt, wie andere Landtage in Deutschland momentan europäische Themen behandeln und sich mit europäischen Dokumenten befassen, stellt sich, wie bereits ausgeführt wurde, erst einmal die Frage, welcher Mechanismus für uns und unsere Strukturen der ratsame und der geeignete ist. Wir könnten uns beispielsweise auch dafür entscheiden, uns jedes Dokument anzusehen, das von der Europäischen Union aus Brüssel kommt.
Ich hatte einmal im Rahmen eines Forschungsprojekts das Vergnügen, eine Zeitlang wirklich jedes Dokument der Europäischen Union auf seinen Umgang mit Umweltbelangen hin betrachten zu dürfen. Würden wir jetzt bei jedem Dokument darauf achten, wie es mit Subsidiaritätskontrolle umgeht, würde sich die Flut an Vorlagen und Drucksachen, die wir dann alle bekommen würden, schnell verdoppeln oder verdreifachen. Insofern stellt sich die Frage, ob dies für uns als Teilzeitparlament ohne Wissenschaftlichen Dienst angemessen wäre.
Dass wir aus dem Subsidiaritätskontrollmechanismus eine reine Kenntnisnahmeflut machen, möchte ich nicht. Letztendlich hätten wir dann alle Drucksachen irgendwo in unseren berühmten Sammelübersichten und würden sie formal zur Kenntnis nehmen, wobei viele wahrscheinlich gar nicht reingucken würden. Dies wäre ein weiterer Beitrag zu einem nicht gerade verantwortungsvollen Umgang mit dem Thema Europa und seinen Auswirkungen auf Hamburg mit der Konsequenz, dass letzten Endes die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Europamüdigkeit belassen werden.
Das Ziel des Mechanismus, den wir – das Parlament und der Senat – gemeinsam entwickeln müssen, ist die Stärkung der Europamündigkeit der Bürgerschaft. Aus diesem Grund, lieber Kollege Klooß, finde ich es richtig und wichtig, den Senat in die Ausarbeitung dieses Mechanismus mit einzubeziehen und ihn darum zu bitten, uns einen Vorschlag zu unterbreiten. Letzten Endes wird es auch der Senat sein, der im Bundesrat die nationale Aufgabe der Subsidiaritätskontrolle stellvertretend für uns wahrnimmt, und deswegen müssen wir diesen Punkt gemeinsam umsetzen. Natürlich müssen Bürgerschaft und Senat auch gemeinsam einen Weg entwickeln, der praktikabel für uns ist und dazu führt, dass wir uns gegenseitig vertrauen können und nicht plötzlich eine Misstrauenskultur haben dahingehend, dass der Senat eventuell bestimmte Vorlagen nicht weiterleiten würde.
Der Landtag in Baden-Württemberg hat meiner Meinung nach ein ganz gutes System. Allerdings ist auch bekannt, dass seit 2006 aufgrund des dortigen Systems nur 32 ausgewählte Vorhaben der Europäischen Union in den baden-württembergischen Landtag eingegangen sind. Man kann sich fragen, ob dies nicht eine zu geringe Anzahl ist und ob einem nicht das eine oder andere Vorhaben, das man vielleicht gerne auf regionaler Ebene begutachtet hätte, durch die Lappen gegangen ist. Die entscheidende Frage, über die wir auch im Europaausschuss weiterberaten werden, lautet also: Was kommt wie ins Plenum? Wie Frau Machaczek gesagt hat, wollen wir uns der Diskussion darüber nicht verweigern, aber wir brauchen erst einmal eine Vorlage, auf deren Grundlage wir im Europaausschuss weiterdiskutieren können.
Mir persönlich gefällt zum Beispiel auch der Mechanismus in Bayern ganz gut, demzufolge ein Dokument der Europäischen Union nur dann auf die Tagesordnung des Landtags kommt, wenn es dazu auch eine parlamentarische Initiative gibt. Europäische Themen werden im Bayerischen Landtag also nicht automatisch behandelt, aber wenn, dann werden die Abgeordneten in die Pflicht genommen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das könnte vielleicht auch für uns ein ganz interessanter Weg sein.
Wir in Hamburg haben gemeinsam mit dem Senat ein Interesse an der Subsidiaritätskontrolle. Daher binden wir den Senat bei der Entwicklung eines Mechanismus ein, den wir dann gemeinsam beraten, gemeinsam beschließen und erst einmal auch gemeinsam anwenden. Wichtig ist, dass wir diesen Subsidiaritätskontrollmechanismus in einer ersten Anwendungsphase überprüfen, und zwar auf zwei Kriterien hin. Zum einen, ob er zu unserer Arbeitsweise als Hamburgische Bürgerschaft passt und uns nicht überfordert und zum anderen, ob er tatsächlich eine wirksame Subsidiaritätskontrolle ermöglicht und ob wir es uns mit diesem Mechanismus und aufgrund unseres Status als Teilzeit
parlament nicht doch zu einfach machen und zu viele europäische Themen nicht behandeln und somit der großen Verantwortung, die uns der Vertrag von Lissabon gibt, nicht gerecht werden. Insofern wird dieser Mechanismus interessante Fragen aufwerfen, nicht nur in Bezug auf den Umgang mit europäischen Themen, sondern auch hinsichtlich der Arbeitsweise unserer Bürgerschaft. Vielleicht wird sie sich, ähnlich wie Europa hoffentlich durch den Vertrag von Lissabon, zum Besseren verändern. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Klooß, ich kann Ihre Kritik und Ihre Bedenken verstehen, aber um es gleich vorweg zu sagen, wir werden dem Antrag zustimmen.
Uns scheint – und das haben Sie mit Ihrer Rede bestätigt –, als wäre mit der Stärkung des Subsidiaritätsprinzips nicht nur ein neuer Anlass zu Beratungen geboten, sondern als würde Hamburg in gewisser Weise ein Versäumnis nachholen. Das Subsidiaritätsprinzip ist im EU-Recht schon lange verankert, praktisch schon in den Römischen Verträgen impliziert und 1993 zur Rechtsnorm geworden, wie bereits mehrfach gesagt wurde. Trotzdem bieten jetzt die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und die Einrichtung eines Frühwarnsystems einen geeigneten Anlass, uns zu beraten. Wir sollten diesen Anlass aber auch dazu nutzen, um über den Kontrollmechanismus auch den Einfluss der Bürgerschaft und der Stadt Hamburg auf den Willensbildungsprozess auf EU-Ebene zu stärken.
Wie auch Sie, Herr Klooß, gesagt haben, gibt es das Subsidiaritätsprinzip schon lange und wir kritisieren, dass bisher seine praktische Anwendung allgemein weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist und dass es zu oft missachtet wurde, und zwar nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch auf nationaler Ebene.
Sie sprechen in Ihrem Antrag die Belange Hamburgs als Hafenstadt an. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die unsägliche EU-Hafenrichtlinie, die buchstäblich von unten, nämlich im Wesentlichen von den Hamburger Hafenarbeitern, aber auch in einer länderübergreifenden Aktion zu Fall gebracht wurde.
Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk (unterbrechend) : Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, Ihre Gespräche einzustellen beziehungsweise nach draußen zu verlagern. Der Lärmpegel ist doch etwas sehr hoch. – Vielen Dank.
Andererseits ist das Subsidiaritätsprinzip nicht zuletzt auch von nationalen Regierungen missachtet worden, die auf EU-Ebene durchzusetzen versucht haben, was sie auf nationaler Ebene nicht durchsetzen konnten. Umgekehrt haben nationale Regierungen das Subsidiaritätsprinzip so manches Mal vorgeschoben, wenn sie bestimmte Regelungen auf EU-Ebene nicht wollten, zum Beispiel Regelungen sozialer Mindeststandards, wohl wissend, dass nur eine europäische Regelung wirksamen Schutz für soziale Mindeststandards bieten kann.
Wir halten die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips für eine der existenziellen Grundlagen des europäischen Integrationsprozesses. Die europäische Integration wird in ihrem weiteren Verlauf nur dann erfolgreich, weil bürgernah, gestaltet werden können, wenn sie dem Grundsatz der Einheit in Vielfalt folgt. Deshalb begrüßen wir die Verstärkung dieses Rechtsprinzips in den europäischen Verträgen und die Einführung eines Interventionsmechanismus. Dazu gehört unverzichtbar die ständige und rechtzeitige Unterrichtung nicht nur des Bundestages, sondern auch der Länderparlamente, also auch der Hamburgischen Bürgerschaft, über europäische Rechtssetzungsprojekte. Hier wird der Senat in die Pflicht genommen, aber hier wird auch die Bürgerschaft – darauf hat Herr Klooß hingewiesen – gefordert sein, das Subsidiaritätsprinzip als ein Recht aktiv wahrzunehmen.
Meiner Meinung nach kommt es jetzt ganz wesentlich darauf an, wie diese Arbeitsaufträge umgesetzt werden und zu welchen Resultaten die Beratungen im Europaausschuss führen, sodass wir uns mit der Umsetzung der Arbeitsaufträge an dieser Stelle kritisch auseinandersetzen können. – Danke schön.
Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.
Wer stimmt einer Überweisung der Drucksache 19/4405 an den Europaausschuss zu? – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.
Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Wer möchte den gemeinsamen Antrag der Fraktion der CDU und GAL aus der Drucksache 19/4405 beschließen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist dann mit Mehrheit und einigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 46, Drucksache 19/4278, in der Neufassung auf. Antrag der SPDFraktion: Hamburg setzt ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen.
Hierzu liegen Ihnen als Drucksache 19/4490 ein Antrag der Fraktion DIE LINKE und als Drucksache 19/4504 ein Antrag der GAL-Fraktion vor.
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Wanderausstellung "Tatmotiv Ehre" erweitern – Gewalt gegen Frauen in Deutschland sichtbar machen – Drs 19/4490 –]
[Antrag der Fraktion der GAL: Internationaler Tag "NEIN zu Gewalt an Frauen" 2009 – zehn Jahre UN-Gedenktag – Drs 19/4504 –]