Protocol of the Session on June 24, 2009

(Ingo Egloff SPD: Der Behörde!)

Liebe SPD, das lässt tief blicken, so sieht also Ihr Kulturverständnis aus. Liebe LINKE, es war mit viel Humor und komödiantischem Talent vorgetragen, aber letztlich ist mein Verdacht bestätigt worden, dass die eigentlichen Struktur-Konservativen doch hier bei Ihnen sitzen, denn die derzeitige Wirtschaftskrise macht einmal mehr deutlich: Wer nicht auf moderne Zukunftsmärkte setzt, wird Probleme haben, sich im Wettbewerb zu behaupten. Die Krise der Automobilindustrie, der Werftenindustrie, des Versandhandels und der Kaufhauskonzerne erfordert ein verändertes Denken in der Wirtschaftspolitik. Nicht die Großunternehmen alten industriellen Zuschnitts werden die Wachstumsmärkte von morgen sein, sondern die kleinen innovativen Betriebe der Kultur- und Kreativwirtschaft. Schon heute, das haben wir gehört, arbeiten mehr Menschen in diesen Branchen als in der Automobilindustrie.

(Ingo Egloff SPD: Das stimmt doch gar nicht! Jeder achte Arbeitsplatz hängt von der Auto- mobilindustrie ab!)

Doch, das stimmt. Liebe SPD, das Problem bei Ihnen ist, dass Sie die veränderte Welt nicht zur Kenntnis nehmen und das merken auch die Wähler.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Ingo Egloff SPD: Sie leben in einer Traumwirt- schaft!)

Nach Schätzungen existierten im Jahr 2008 rund 238 000 Unternehmen der Kreativwirtschaft mit insgesamt rund 1 Million Beschäftigten. In Hamburg waren im Jahr 2007 rund 64 000 Menschen sozialversicherungspflichtig in der Kreativwirtschaftsbranche beschäftigt, das entspricht 8 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg. Damit ist Hamburg nach Berlin der zweitgrößte Standort der Kreativwirtschaft. Deshalb ist es eine verstärkte Forderung der Kreativwirtschaft, ein Akt der ökonomischen Vernunft und ein zentrales Anliegen des schwarz-grünen Senats, die Förderung der Kreativwirtschaft voranzubringen. Wir machen das mit der Gründung der Kreativagentur, die Senatorin hat schon darauf hingewiesen, das wird ein wesentlicher Baustein sein, um die Kreativen in dieser Stadt zu fördern und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Die Kreativagentur soll künftig die Schnittstelle bilden zur Kreativwirtschaft und ihren einzelnen Branchenverbänden, Netzwerken und Vereinen. Sie soll ein übergreifendes und einheitliches Clustermanagement für die Kreativwirtschaft etablieren

und Ansprechpartner für die Akteure der Kreativwirtschaft sein. Dabei werden Beratungs-, Informations- und Serviceleistungen zu den wichtigsten Aufgaben gehören, durch Vernetzung soll die Zusammenarbeit aller Teilbranchen verbessert werden. Eine Hauptaufgabe der Kreativagentur wird ein Flächenmanagement sein, das sich an Kreative richtet, die Senatorin hat es eben ausgeführt, die Räume für eine Zwischennutzung suchen und auch an Unternehmen, die sich ansiedeln, erweitern oder ihren Standort verändern wollen. Die Kreativagentur hat auch die Aufgabe, städtische Flächen zur künstlerischen und kreativwirtschaftlichen Verwendung zu identifizieren und nutzbar zu machen. Das beinhaltet selbstverständlich auch, dass der Mietpreis entsprechend sein muss, dass er für die kreativen Akteure bezahlbar ist.

Die Kreativagentur hat auch die Aufgabe, über die vielfältigen Fördermöglichkeiten gezielt zu informieren und gegebenenfalls branchenspezifische Förderinstrumente weiterzuentwickeln und bei Bedarf zu initiieren. Zur besseren Profilierung Hamburgs als Kreativhochburg wird die Kreativagentur ebenfalls ihren Beitrag leisten und das Bild nach außen tragen.

Dass Hamburg eine Hochburg der Kreativität ist, zeigt die Musikbranche. Von hier aus haben Bands wie Kettcar, Tomte oder Tocotronic die berühmte Hamburger Schule begründet. Wir sind natürlich auch erfreut darüber, dass Udo Lindenberg einen Mittelpunkt für sein künstlerisches Schaffen hier in Hamburg einrichten will. Ein entsprechendes Museum für einen der profiliertesten und erfolgreichsten Musikexporte Hamburgs würde uns schmücken.

Für prominente Persönlichkeiten des kulturellen Lebens ist es natürlich einfacher, einen so mühsamen Weg zu gehen; die Kreativagentur soll allen Talenten den Weg ebnen, innovative und kulturelle Projekte umzusetzen. Gerade abweichende Lebensstile und Subkulturen, das haben wir eben in der Rede von der SPD auch schon gehört, bieten den Humus, in dem Kreativität sich entwickeln kann und das ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Hamburg. – Danke.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Frau Martens.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Damen und Herren! Wir beklagen doch alle in Hamburg, dass die Künstler und Kreativen nach Berlin abwandern, dass die Medien nach Berlin abwandern. Ich beklage es auch, aber ich wundere mich über Ihren Beitrag von der SPD, der Kreativität, Hafen und Wirtschaft gegeneinander ausspielt, anstatt dies als Symbiose und als Chance zu sehen.

(Arno Münster SPD: Das war Kerstan!)

Ich habe mich doch sehr wundern müssen. Wir sollten doch alle hier versuchen, die kreativen Köpfe in Hamburg zu halten. Man kann es natürlich nicht so wie damals in Venedig in Murano zu Zeiten der Handwerker machen, denen man einen sehr hohen gesellschaftlichen Stand eingeräumt hat. Sie durften sogar in den Adel einheiraten. Das sind keine Maßnahmen, die wir anregen sollten.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Auf der anderen Seite war es sogar so, dass die Kreativen, die ihren Ort verließen, ihre sämtlichen Bürgerrechte verloren haben. Keine Sorge, das ist nicht unser Weg, aber das zeigt doch einmal auf,

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich darf um etwas mehr Ruhe bitten, damit Frau Martens hier ungestört ihre Rede vortragen kann.

Herr Präsident! Vielen Dank. Es zeigt doch ganz klar, dass der Wettbewerb mit anderen Städten immer etwas bieten muss und auch in der heutigen Zeit eine wirtschaftliche Unterstützung und die Wertschätzung in der Politik für die Kreativszene von großer Bedeutung ist. Das vermisse ich bei Ihnen. Die Kreativen leben doch nicht von Brot allein, sie wollen doch auch von uns in der Politik wahrgenommen und wertgeschätzt werden.

(Andy Grote SPD: Freunde der Subkultur!)

Deshalb lässt sich daran im Vergleich zu Berlin noch sehr viel tun. Kreativität ist nicht per se ein Wirtschaftsfaktor. Sie wird erst dann ein Wirtschaftsfaktor, wenn es uns gelingt, die Ideen der kreativen Szene mit Gewerbe, Industrie und Dienstleistungen zu vernetzen. "Innovation serienmäßig" lautet daher das Motto für eine Wirtschaftsstrategie.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Egloff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben nun schon zum wiederholten Male gehört, dass ein Gegensatz konstruiert werden soll zwischen dem, was Herr Kerstan gemeinhin alte Wirtschaft nennt, und dem, was neu ist, nämlich der Kreativwirtschaft. Ich halte diese Unterscheidung für völlig unsinnig, weil wir beides brauchen, und darauf hat Herr Schwinke hingewiesen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und bei Jens Kerstan GAL)

Herr Kerstan, ich kenne diese Diskussion auch aus der SPD. Sie wird meistens von Bürgermeistern geführt, die keine industrielle Basis mehr in ihrer Stadt haben. Aber wir haben in dieser Stadt noch eine industrielle Basis, wir haben 100 000 Arbeitsplätze in der Industrie direkt und 200 000 Dienstleistungsarbeitsplätze, die davon abhängen. Und wir haben 160 000 Arbeitsplätze, die vom Hafen abhängen. Sich nun hinzustellen und zu erklären, dass es aufgrund der Wirtschaftskrise im Hafen im Moment nicht so laufe und dass es mit den Industriearbeitsplätzen in Zukunft auch nicht mehr so laufen werde und wir deswegen nur auf Kreativwirtschaft setzen sollten, weil alles andere alt und überholt sei, das halte ich für hanebüchenen Unsinn.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es ist ein sozialdemokratischer Bürgermeister gewesen, nämlich Klaus von Dohnanyi, der 1984 mit der Politik "Standort Hamburg" ein weiteres Spektrum in der Wirtschaftspolitik eröffnet hat, indem er bewusst auf Medienpolitik und Medienkompetenz in dieser Stadt gesetzt hat, und es war Wirtschaftssenator Mirow,

(Farid Müller GAL: Das wissen wir doch al- les!)

der seinerzeit dafür gesorgt hat, dass wir im Bereich Internetwirtschaft vornean waren, und das, was Sie aus diesem Mediendialog gemacht haben, ist nur noch ein trauriger Rest.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich ist es so, dass man kreative Köpfe braucht. Aber das alleine reicht nicht aus, sondern wir brauchen in dieser Stadt eine industrielle Basis, wir brauchen eine Basis für das, was normale alte Wirtschaft genannt wird, wir brauchen Grundstoffindustrie, wir brauchen den Hafen und das alles zusammen macht die 870 000 Arbeitsplätze in dieser Stadt aus. Wenn Sie meinen, Sie können bestimmte Dinge einfach abschreiben, weil wir im Moment eine Wirtschaftskrise haben, dann werden Sie sich noch wundern.

(Beifall bei der SPD)

Die Engländer, insbesondere auch unser sozialdemokratischer Parteifreund Gordon Brown, haben deutschen Sozialdemokraten immer gesagt: Ihr mit eurer Industriepolitik, setzt doch auf Finanzwirtschaft. Das Ergebnis sehen wir im Moment. Wir können froh sein, dass wir noch diese industriellen Kerne in Deutschland haben, denn das ist unsere Zukunft. Das ist auch Kreativität, die da gelebt wird, wenn man technologisch fortschrittliche Lösungen für die Welt produziert und dann noch exportieren kann. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

(Brigitta Martens)

Das Wort erhält Herr Dr. Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss noch einmal bekräftigen, was Herr Egloff gesagt hat. Wir kämen ein ganzes Stück voran, wenn wir mit dieser Entgegensetzung

(Frank Schira CDU: Das hat doch keiner ge- macht!)

von traditioneller und Ihrer neuen wissensbasierten Ökonomie aufhören würden.

Ich möchte noch einmal einige Punkte dazu anmerken. Es ist doch – auch für die SPD –unstrittig, dass wir regional gesehen ein Defizit haben, was die Entwicklung wissensbasierter Ökonomie angeht. Natürlich ist klar, dass man in Berlin oder in München ein Stück weiter ist. Die Gründe, warum das so ist, müssten wir im Einzelnen diskutieren, aber dass es so ist, kann man nicht ernsthaft bestreiten.

Strittig, Frau Gümbel und Herr Kerstan, ist allerdings, ob wir in der augenblicklichen Situation mit der Hypothese arbeiten können, dass die Kulturund Kreativökonomie ungeschoren durch die Krise kommt. Dazu haben Sie ein paar Zahlen angeführt. Wenn ich es auf die Schnelle richtig zugeordnet habe, waren es Zahlen von 2007 und 2008. Ich bin zwar überzeugt davon, dass unsere Krise 2007 angefangen hat, aber große Teile, der Senat vorneweg, haben es erst Ende 2008 gemerkt. Deshalb lassen Sie uns in einem halben Jahr noch einmal darüber reden, ob es wirklich stimmt, dass die Kreativökonomie so ungeschoren davonkommt. Ich bin anderer Auffassung und mein Kollege Hackbusch hat darauf hingewiesen, dass bei näherer Betrachtung in vielen Punkten doch Prekarisierungstendenzen zu sehen sind, und die können wir nur in den Zusammenhang der Krise einordnen.

Ein weiterer Punkt, durch den diese Diskussion noch ein bisschen unangenehm wird, ist folgender: In dieser Situation, in der Sie jetzt das fünfte Mal dieses Thema aufwerfen, legt uns das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut die Zahlen vor, dass wir in dieser Stadt mit einer Schrumpfung der Ökonomie von 7 Prozent und mehr rechnen müssen und dass wir keine Chance haben, uns 2010 an einen Exportaufschwung andocken zu können. Das ist sicherlich keine Perspektive in den nächsten 12, 14 Monaten. Dann ist die Frage, wie gehen wir mit der Situation um, das war ja auch vorhin die Diskussion, das heißt, wir schieben auf einmal ein Finanzierungsdefizit von knapp 2 Milliarden Euro vor uns her. Dazu kommt eine ganze Reihe von anderen Sachen aus den Investitionsprojekten und in diesen Zusammenhang müssten Sie jetzt Ihre Antikrisenpolitik oder Ihre Förderung der Kreativwirtschaft

einordnen. Aber das tun Sie nicht, das ist meine Kritik. Wenn ich Frau von Welck richtig verstanden habe, schaffen wir eine Agentur, geben eine Studie in Auftrag und betreiben Flächenmanagement. Na, gute Nacht. Glauben Sie im Ernst, das wären wirksame Maßnahmen?

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde angekommen.

Ich rufe den Punkt 34 der Tagesordnung auf, Antrag der SPD-Fraktion: Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

[Antrag der Fraktion der SPD: Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – Drs 19/3282 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss überweisen. Wird das Wort gewünscht? Frau Dobusch bitte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Allem Engagement für die Rechte von Frauen zum Trotz ist Gewalt gegen Frauen die häufigste Menschenrechtsverletzung weltweit. Wer letzten Sonntag das Privileg hatte, an dem Festakt zum 25-jährigen Jubiläum des MarieSchlei-Vereins im Ernst Deutsch Theater teilzunehmen, hat bestimmt noch die eindrucksvolle Gestalt der Botschafterin von Mali vor Augen, die in ihrem Land seit Jahren leidenschaftlich für die Abschaffung weiblicher Genitalverstümmelung kämpft, sicherlich eine zumindest aus unserer westlichen Sicht der grauenvollsten Formen von Gewalt gegen Frauen.