Protocol of the Session on November 16, 2006

(Wolfgang Beuß CDU: Das habe ich doch gesagt!)

und die gleichen Forschungsbedingungen wie die Naturwissenschaften und auch die gleiche Anzahl an Studienplätzen haben, Herr Beuß. Daran kommen Sie nicht vorbei.

(Beifall bei der SPD – Olaf Ohlsen CDU: Schönes Schlusswort!)

Nein, ich mache noch weiter, keine Sorge.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Ich möchte zum Schluss noch einmal für die SPDFraktion sagen, dass die SPD sich anlässlich des Jahres der Geisteswissenschaften dafür einsetzen wird, dass die Geistes-, Sprach- und Sozialwissenschaften ein unverzichtbarer Schwerpunkt der Hochschulentwicklung bleiben und – hören Sie gut zu, Herr Beuß – auch bei den Exzellenzwettbewerben nicht benachteiligt werden. Das heißt, sie müssen die gleichen Forschungsbedingungen, die gleichen finanziellen Ausstattungen bekommen wie auch die anderen Wissenschaften. Darauf zielt unser Antrag. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie den annehmen wollen, wenn Sie denn schon wollen, dass sich die Geisteswissenschaften am Jahr der Geisteswissenschaften beteiligen. Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten, weil wir der Meinung sind, dass es nicht reicht, dass sich die Geisteswissenschaften nur darstellen sollen. Wir wollen mehr Studienplätze und gute Forschungsbedingungen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Opitz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ihr Antrag, liebe CDUFraktion, entbehrt ja nicht einer gewissen Komik. Sie rufen das Jahr der Geisteswissenschaften aus und wollen sie gleichzeitig kaputt sparen. Ihr Verständnis von Geisteswissenschaften wird auch sehr deutlich daran, dass

Sie meinen, dass 50 Prozent der Geisteswissenschaftler als Hausmeister enden. Dem ist nicht so.

Wir haben noch sehr gut in Erinnerung, als Sie versucht haben, die Geisteswissenschaften zu halbieren. Das war nämlich das Resultat des hoch gelobten Dohnanyi-Gutachtens. Dabei sollten ganze Fächer abgeschafft werden, die bundesweit einmalig sind. Insofern geht es hier nicht nur um Studienplätze, sondern natürlich auch um die Forschung in den Geisteswissenschaften.

Nur das bundesweite Entsetzen und der bundesweite Protest haben damals die Katastrophe abgewendet. Die Ablehnung der Geisteswissenschaften wird auch wieder an Ihrem Redebeitrag deutlich, der den Geisteswissenschaften generell unterstellt, sie seien rückwärts gewandt und hätten keine innovativen Ideen. Es ist ganz stark damit verknüpft, dass Sie ein Wissenschaftsverständnis haben, das immer auf die reine Verwertbarkeit ausgerichtet ist. Aber dieser Verwertbarkeitsgedanke ist für jede Wissenschaft schädlich, auch für die Naturwissenschaften und gerade auch bei den Geisteswissenschaften, denn wir brauchen die Geisteswissenschaften für die ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft und da hat Frau Brüning schon einiges deutlich gemacht.

(Wolfgang Beuß CDU: Das habe ich auch gesagt!)

Ihr Antrag macht jedoch die Haltung zu den Geisteswissenschaften deutlich. Es fehlt ein positiver Bezug und Sie begrenzen die Bedeutung der Geisteswissenschaften auf ein Jahr. Sie haben selbst keine Idee formuliert, wie denn der von Ihnen geforderte Dialog zwischen Gesellschaft und Geisteswissenschaften aussehen soll und deswegen die komplette Erstellung eines Konzepts auf den Senat und die Hochschulen übertragen. Ich finde das zu wenig.

(Beifall bei der GAL und bei Dr. Barbara Brüning und Dr. Mathias Petersen, beide SPD)

Zudem fehlt ein ganz wesentlicher Punkt, der nämlich die nächste Gefährdung der Geisteswissenschaften darstellt, und zwar der Umgang mit den doppelten Abiturjahrgängen, der ab dem nächsten Jahr auf uns zukommt. Diesen Punkt greift der SPD-Antrag zu Recht auf, während Sie sich der Debatte noch nicht gestellt haben.

Senator Dräger verhandelt zwar heute über den Hochschulpakt, aber wir wissen noch überhaupt nicht, was das für Hamburg bedeutet. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es überhaupt noch keine Idee, wie die zusätzlichen Mittel aufgebracht werden sollen, die nötig sind. Es gibt aber auch jetzt schon richtig negative Beispiele, wo wir fürchten müssen, dass das auch in Hamburg kommt. Ich möchte hier das Beispiel aus Baden-Württemberg zitieren, die zwar immerhin erkannt haben, dass es diese doppelten Abiturjahrgänge gibt und wir deswegen eine Steigerung der Studienplätze brauchen, die das aber nur auf die technischen Fächer begrenzt haben. Das ist ein riesiges Problem und das darf uns in Hamburg nicht passieren.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Wir stimmen daher dem SPD-Antrag zu und enthalten uns bei dem CDU-Antrag. Der SPD-Antrag hat diesen wesentlichen Punkt erkannt, der CDU-Antrag schadet nicht, hilft aber auch nicht weiter. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Das Wort bekommt Frau Koop.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Diskussion läuft genau darauf hinaus, was ich für ausgesprochen kontraproduktiv halte. Wir wollen eine Chance eröffnen und das Jahr der Geisteswissenschaften nutzen, um auch wirklich etwas zu etablieren im Allgemeinen, in der Gesellschaft. Was Sie sagen sehe ich aber nicht in dem Sinne, dass die Geisteswissenschaften so präsent sind wie ich es mir wünsche. Wenn dieses Jahr der Geisteswissenschaften irgendwo zwischen dem Jahr des Rotkehlchens und der Förderung des Breitensports angesiedelt wird, dann ist das natürlich verfehlt. Das ist ganz klar.

(Gerhard Lein SPD: Dann können Sie ja unserem Antrag zustimmen!)

Die Möglichkeiten, die Geisteswissenschaften zu fördern, können sich nicht darin erschöpfen, dass wir da solch ein universitäres Biotop einrichten.

(Dr. Barbara Brüning SPD: Das will keiner!)

Das ist es nicht. Wenn auch von kompetenterer Seite immer wieder gesagt wird, wir brauchen die Geisteswissenschaften, sie sind wichtig und lasst uns sie nutzen, dann hört man leise im Hintergrund immer die Frage, wozu eigentlich?

(Dr. Heike Opitz GAL: Das habe ich Ihnen gesagt!)

Ja, das weiß ich. Sie haben es aufgezählt, aber es muss sehr viel deutlicher in der Öffentlichkeit werden.

Die Frage nach dem Nutzen der Geisteswissenschaften kann nicht von außen beantwortet werden, sondern sie muss wirklich von den Geisteswissenschaften selber offensiv in die Gesellschaft hineingetragen werden. Es ist interessant, dass der Wissenschaftsrat Anfang des Jahres festgestellt hat, dass es keine Krise der Geisteswissenschaften gibt, es gibt nur eine Wahrnehmungskrise.

(Dr. Barbara Brüning SPD: Geldmangel!)

Ich glaube, dazu kann unser Antrag nutzen, dass wir hier wirklich darauf hinweisen, welche Bedeutung die Geisteswissenschaften haben.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben es gesagt, ich brauche es jetzt nicht mehr aufzuzählen. In vielen Fächern, zum Beispiel in der Medienwirtschaft, in der Geschichtswissenschaft, in der Altertumswissenschaft ist die deutsche Forschung international führend und da kommen auch die Kapazitäten von anderen Ländern hierher, um sich das anzugucken. Unsere Geschichtswissenschaft – das ist nun mein Bereich – ist wirklich eine ausgezeichnete Angelegenheit. Kybernetik in künstliche Intelligenz ist ohne geisteswissenschaftlichen Beitrag überhaupt nicht denkbar.

(Vizepräsidentin Bettina Bliebenich übernimmt den Vorsitz.)

Nun hat sich die Universitätslandschaft verändert. Das wissen wir. Die Studiengänge sind berufsbezogener und auch zweckorientierter geworden. Die Forschung orientiert sich am schnellen Erfolg und ist eher ergebnis- als wegorientiert. Bei den Finanzen haben wir natürlich die Schwierigkeiten, dass über den dritten Weg eher Spektakuläres als Bewährtes gefördert wird.

Nun kann man – und da haben Sie recht – die Geisteswissenschaften nicht mit dem gleichen Maß messen. Das kann man absolut nicht. Aber, ich glaube, darauf hinzuweisen und das deutlicher zu machen, daran müssen wir uns im Jahr der Geisteswissenschaften beteiligen. Sie haben zu Recht auf den marginalen Umstand des Jahres der Informatik hingewiesen. Wer hat sich danach umgeguckt? Das darf mit dem Jahr der Geisteswissenschaften nicht passieren.

(Beifall bei der CDU)

Nun lebt die geistige Betätigung vom Denken und für das Denken braucht man Zeit und Muße. Wenn ich etwas Nachdenkliches von mir gebe, muss ich es erst einmal vorgedacht haben. Meinen Schülern sage ich immer Denken tut weh, deswegen vermeiden die meisten Leute es. Aber wir brauchen den Raum und die Möglichkeit, uns überhaupt über die gesellschaftlichen Probleme Gedanken zu machen. Wir beklagen die Infantilisierung und Verrohung unserer Gesellschaft und therapieren uns zu Tode mit allem Möglichen, um das aufzuarbeiten. Aber auf die eigentlichen Gründe dafür wird in der Gesellschaft wenig eingegangen. Es fehlt nämlich ein geistiges Rüstzeug, um dem begegnen zu können. Darauf wird zu wenig Wert gelegt. Wir sehen das im Schulalltag, wo der Religionsunterricht marginalisiert wird, wo lieber eine Stunde mehr Mathematik oder Englisch gegeben wird, weil es den Eltern eher auffällt, wenn diese Fächer ausfallen als wenn Religion ausfällt. Aber dazu können wir noch an anderer Stelle sprechen.

Wenn hier ein Kulturkampf zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften inszeniert wird, dann ist das nicht das, worauf wir hinauswollen.

Geistes- und Naturwissenschaften sind immer zwei Bereiche gewesen, die nebeneinander existiert und die sich gegenseitig befruchtet haben. Das ist richtig. Aber von den Anfängen der Geisteswissenschaften ist diesen eine ganz besondere Bedeutung zugemessen worden. Man erwartete von ihnen im Mittelalter, dass man aus dem rohen Umgang miteinander eine Friedfertigkeit in der Gesellschaft befruchten würde. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. Darüber ist natürlich Kritik aus den eigenen Reihen entstanden. Man hat sich als Geisteswissenschaftler unverstanden gefühlt. Dieser Unverstand hat dazu geführt, dass man auch unverständlich geworden ist.

Ich habe das Gefühl, hier wird im Augenblick auch nicht mehr zugehört.

Der Realitätsbezug, den Sie beschworen haben, Frau Dr. Brüning, ist natürlich wichtig. Den müssen wir auch in unsere Maßnahmen hinübernehmen. Was ich an den Geisteswissenschaften beobachte, ist diese Larmoyanz, diese Untergangsrhetorik, dass man sie nicht ernst genug nehme oder sie sich missachtet fühlten. Was sie brauchen, ist ein offensives Selbstbewusstsein, und genau das soll in diesem Jahr erreicht werden. Dafür sind wir als Politiker nicht verantwortlich, aber wir können es natürlich befördern. Eine positive Präsenz in der Gesellschaft kann den Geisteswissenschaften einen enormen Auftrieb verleihen. Unser Antrag kann dazu beitragen. Allein kann die Politik es nicht, aber allein können die Geisteswissenschaften ihre Bedeutung ebenfalls nicht erhöhen. Also tun wir es zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Maier.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Mich hat ein Satz des Kollegen Beuß provoziert, hier etwas zu sagen. Herr Beuß sagte, "Humboldt war gestern", und das in einer Rede zur Verteidigung der Geisteswissenschaften. Man verteidigt die Geisteswissenschaften, indem man ihnen kräftig einen Hammer auf den Kopf haut. Sie müssen sich überlegen, was das heißt. Es ist richtig banausig: Herr Humboldt hat in Bezug auf die höhere Bildung zwei wichtige Gesichtspunkte vertreten, einerseits die Einheit von Forschung und Lehre. Wir sind immer noch daran interessiert, dass dies möglichst gut funktioniert. Wir wissen, dass es im Eingangsstudium nicht so gut geht.

Andererseits hat er den Gedanken vertreten, dass menschliche Bildung am besten gelingt, wenn man sich in eine entfaltete Kultur versenkt, deren Gesamtheit man studiert. Er hatte damals die Vorstellung, dass dies die griechische Antike sei. Man kann darüber streiten, ob es ausschließlich die griechische Antike sein soll. Dass aber diese Versenkung in den Gesamtumfang eines menschlichen Lebenskreises, auch und gerade eines vergangenen, zur Selbsterweiterung führt, ist ein zentraler Humboldtscher Gedanke und einer der Begründungsgedanken der Geisteswissenschaft überhaupt.

Insofern ist es falsch zu sagen, Geisteswissenschaften seien dazu da, Probleme wie Jugendkriminalität zu lösen, darum müssten die Geisteswissenschaften nach vorn blicken und nicht nach hinten. Die meisten Studierenden, die heute Geisteswissenschaften studieren wollen, schreiben sich für die Geschichtswissenschaft ein. Sie wollen nach hinten schauen. Es ist auch etwas Sinnvolles daran, dies zu tun. Man muss sich den zentralen Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften klar machen. Naturwissenschaften haben es mit Fakten und kausalen Verknüpfungen zwischen Fakten zu tun. Geisteswissenschaften haben es mit Bedeutungen und Sinnhorizonten zu tun. Wenn die Welt – Marquard hat das einmal gesagt – immer mehr in einen bloßen, kausal verknüpften Tatsachenzusammenhang entzaubert wird, steigt das Sinnbedürfnis der Menschen fast exponentiell. Man setzt sich mit der eigenen Geschichte auseinander, man lernt aus der Geschichte anderer, man vertieft sich in etwas, das längst vergangen ist und gewinnt dadurch eine Urteilsfähigkeit für Heutiges, aber nicht, indem man das Heutige unmittelbar thematisieren würde.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Weil das heute in unserer Gesellschaft nicht mehr richtig verstanden wird, gibt es diese falsche Zweckorientierung. Wenn man dann sagt, dies alles müsse sich an den Arbeitsplätzen orientieren – man kann ja sagen, einer der ersten bedeutenden Geisteswissenschaftler europäischer Geschichte war der alte Sokrates. Was hat der Mann den ganzen Tag getan? Er hat herumgelungert, hat nie mehr eine vernünftige Arbeit gemacht, seine Frau hat ihn später verprügelt. Er war eigentlich Schuhmacher. Oder was hat Aristoteles gemacht? Der hat eine Akademie betrieben, wo sich lauter Herumlungerer den ganzen Tag unterhalten haben. Oder Epikur in seinem Garten. Oder nehmen Sie Jesus von Nazareth: Der hat auch nicht richtig doll gearbeitet. Davon liest man nicht viel. Er hat Tote zum Leben erweckt, aber deswegen hat er nicht Medizin studiert.