Protocol of the Session on June 29, 2006

Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Die vom Senat ausgehandelten Ergebnisse stellen nicht alle Mitglieder meiner Fraktion zufrieden. So haben beispielsweise die Fragen der ewigen Laufzeit und der finanziellen Auswirkungen insbesondere im Bereich der Kindertagesstätten oder auch die Frage nach der Zukunft des Religionsunterrichts für alle zu intensiven Diskussionen geführt. Das spiegeln auch die Protokolle des Verfassungsausschusses wider.

Bei dem Thema der Sonntagsöffnung stehen wir ausdrücklich an der Seite der Kirchen. Wir halten nichts davon, den Sonntag beliebig dem Kommerz zu öffnen.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Aber auch die Festschreibung des Anspruchs auf katholischen Religionsunterricht treibt viele in meiner Fraktion um. Natürlich wissen wir, dass dieses Recht der katholischen Kirche unabhängig von diesem Staatsvertrag existiert. Trotzdem fällt es vielen in meiner Fraktion schwer, dies ausdrücklich nochmals in Hamburg zu beschließen, denn wir haben in Hamburg einen seit Jahrzehnten hoch anerkannten Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung, der, wie ich weiß und wovon ich mich überzeugt habe, von den verschiedensten Religionsgemeinschaften aus voller Überzeugung gemeinsam getragen wird. Natürlich weiß ich als Katholik, welche grundsätzlichen Probleme diese Konstruktion für meine Kirche birgt. Aber dieser Religionsunterricht für alle ist ein Hamburger Erfolgsmodell und deshalb möchte ich meine Kirche an dieser Stelle inständig bitten, dieses Erfolgsmodell nicht zu gefährden.

(Beifall bei der SPD und bei Wolfgang Beuß CDU)

Diesen Appell richte ich auch in Richtung des Senats, denn manch ein Vorschlag des Bürgermeisters in diesem Themenfeld drohte, zwischenzeitlich mehr zu zerstören als zu helfen. Der Vorschlag des Bürgermeisters, einen selbstständigen Islamunterricht einzuführen, würde zur Zerstörung des Religionsunterrichts für alle führen. Dieses und andere Themen haben in meiner Fraktion und wie ich weiß auch in anderen Fraktionen zu langen, intensiven Diskussionen geführt. Es wäre – gerade was die römisch-katholische Kirche angeht – unehrlich zu verschweigen, dass manche ihrer Grundsätze – ich nenne hier nur die Stichworte Lesben und Schwulen oder Schwangerschaftskonfliktberatung – in meiner Fraktion auf strikte Ablehnung treffen und deshalb manchem in meiner Fraktion heute leider eine Zustimmung grundsätzlich unmöglich macht.

Wir Sozialdemokraten haben uns entschlossen, die Abstimmung über beide Staatsverträge freizugeben. Bei allem Verständnis für die Kritikpunkte, die wir in der Fraktion diskutiert haben, möchte ich an dieser Stelle trotzdem für die Zustimmung zu beiden Staatsverträgen werben.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die beiden christlichen Kirchen leisten gemeinsam mit vielen anderen Institutionen für unsere Stadtgesellschaft unendlich viel. Damit es aufgrund der Rede von Herrn Beuß kein Missverständnis gibt, möchte ich sehr deutlich sagen, dass sich nicht jeder, der heute diesen Staatsverträgen nicht zustimmt, gegen die Arbeit wendet, die in den Kirchen geleistet wird. Diesen Konnex will ich ausdrücklich nicht zulassen, das hat nichts mit der Würdigung der wichtigen und richtigen Arbeit in den Kirchen zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle im Namen meiner gesamten Fraktion, den Kirchen, vor allem aber den zahllosen Menschen, die unter dem Dach der Kirchen ehrenamtlich engagiert für unsere Stadt arbeiten, danken. Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen dieses Engagement zeigen. Im Gegenteil. Die christlichen Kirchen tragen neben vielen anderen entscheidend dazu bei, dass unsere Stadt ihr soziales Gesicht nicht verliert. Nicht zuletzt aus diesem Grunde werde ich beiden Staatsverträgen zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Goetsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben uns in der GAL-Fraktion sehr, sehr intensiv mit den Kirchenstaatsverträgen, mit deren Hintergründen, Inhalten und Auswirkungen auseinander gesetzt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die meisten Abgeordneten die Kirchenstaatsverträge ablehnen werden; es gibt auch Zustimmungen und einige Enthaltungen. Da es um eine Gewissensentscheidung geht, ist die Abstimmung selbstverständlich freigegeben. Die Gründe für die jeweiligen Positionen sind unterschiedlich und ich werde sie im Folgenden aufgreifen.

Meine Damen und Herren, was ist das Ziel dieser Kirchenstaatsverträge? Die Kirchenstaatsverträge sollen die

Beziehungen der Freien und Hansestadt Hamburg mit den christlichen Kirchen regeln. Wenn wir uns noch einmal die Mitteilung des Senats angucken, dann lesen wir, dass das Ziel sein soll, das Verhältnis zueinander im Geiste einer freundschaftlichen Partnerschaft zu festigen und ihm eine rechtliche Ordnung zu geben.

Die GAL-Fraktion hat 2003 die Zustimmung gegeben, Staatsverträge mit den Kirchen auszuhandeln. Im Laufe des Verfahrens haben wir allerdings dazugelernt und sagen mit Mehrheit, die bessere Lösung wäre, berechtigte Anliegen der Religionsgemeinschaften und der Kirchen an den Staat – wie zum Beispiel der Denkmalschutz – durch gesetzliche Regelungen und nicht durch Kirchenstaatsverträge zu regeln.

(Beifall bei der GAL)

Ihr damaliger Innensenator, Ronald Schill, hatte es damals abgelehnt, mit der Nordelbischen Kirche in Verhandlungen über einen Staatsvertrag zu treten. Seinen unsäglichen Satz "Ein Hamburger kniet nicht vor der Kirche" habe ich noch sehr gut in Erinnerung. Es geht hier aber nicht um einen Kniefall. Die Kirchen erfüllen Aufgaben für alle Hamburgerinnen und Hamburger, angefangen bei den Kitas, den Schulen, den Heimen, bei der Seelsorge, bei der Altenpflege. Das steht außer Zweifel, Herr Neumann hat es eben deutlich angeführt. Die Kirchen sind eine gesellschaftliche Kraft, sie sind nicht wegzudenken. Gerade in Fragen der Flüchtlingspolitik, in Fragen der Gleichstellungspolitik – die Nordelbische Kirche im Besonderen –, in anderen wichtigen sozialen Konflikten sind sie Bündnispartner. Auf dieses Engagement können und wollen wir nicht verzichten.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Was regeln die vorliegenden Staatsverträge? Die Bestimmungen betreffen zum Beispiel den Schutz von Sonn- und Feiertagen, die Ermäßigung bestimmter Steuern, Gebühren, die Zusicherung der Erteilung des katholischen Religionsunterrichts, natürlich auch die staatlich unterstützte konfessionelle Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern.

Man muss sich allerdings auch fragen, welche Neuerungen diese Verträge bringen. Im Wesentlichen sichern die Verträge den Kirchen Rechte zu, die sie qua Verfassungsrecht sowieso schon innehaben: Glaubensfreiheit, Selbstverwaltungsrecht, Religionsunterricht sind in Artikel 7 Absatz 3 festgelegt. Die Stadt Hamburg sichert den Kirchen in diesen Angelegenheiten zu, die Verfassung zu achten. Aber niemand käme auf die Idee, der Presse vertraglich die Pressefreiheit zuzusichern.

Die Vertragsbestimmungen bringen den Kirchen keine Rechtssicherheit, die sie nicht ohnehin schon ohne die Verträge hätten. Die Festschreibung bestehender Regelungen hat keinen juristischen, sondern einen politischen Zweck. Der Senat hätte lieber dem Leitsatz folgen sollen: So viele Regelungen wie nötig, so wenige wie möglich. Die Beispiele zeigen auch, die Rechte liegen bei den Kirchen, die Pflichten bei der Stadt Hamburg. Zweck einer vertraglichen Abmachung ist es aber, die Rechte und Pflichten beider Vertragspartner verbindlich festzuschreiben. Dieses Ziel hat der Senat unseres Erachtens nicht erreichen können.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Welche Auswirkungen haben die Verträge für Hamburg? Die politische Bindungswirkung ist enorm. Die Verträge enthalten keine Kündigungsklausel und gemäß ihrer Normativkompetenz hat die Bürgerschaft natürlich theoretisch das Recht, von den Verträgen abzuweichen. Praktisch wird das jedoch, denke ich, schwer umsetzbar sein.

Wir sollten auch bedenken – das ist ein sehr wichtiger Punkt in meiner gesamten Fraktion –, dass die Exklusivverträge für die christlichen Kirchen kein Integrationssignal an die anderen Glaubensgemeinschaften in Hamburg senden. Wenn wir vertragliche Regelungen wollen, warum stellen wir dann nicht zum Beispiel Hamburgs islamischer Communitiy einen Vertrag in Aussicht? Die Bevorzugung der christlichen Konfessionen widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot nach Gleichbehandlung des Bekenntnisses und sie wird dadurch den Realitäten einer pluralistischen Gesellschaft nicht gerecht.

(Beifall bei der GAL)

Schließlich – das ist natürlich ein sehr großes Problem – gefährdet die Einführung konfessionellen Unterrichts das Hamburger Modell, den Religionsunterricht für alle. Das wurde auch schon von Herrn Neumann angeführt. Diesen Punkt möchte ich ausführlicher behandeln, um auf die Konsequenzen hinzuweisen, die ich für Hamburgs bewährtes Modell des Religionsunterrichts befürchte.

Bürgermeister Ole von Beust hat am 21. Februar dieses Jahres – fälschlicherweise mit dem Wort "interkonfessionell" – das Ende des interreligiösen Unterrichts in Hamburg angekündigt. Die Einführung katholischen Religionsunterrichts stellt tatsächlich den Konsens über das so genannte Hamburger Modell infrage, nachdem Kinder aller Glaubensrichtungen einen gemeinsamen interreligiösen Religionsunterricht besuchen.

Die katholische Kirche hat sich zwar ausdrücklich für die Beibehaltung dieses Modells ausgesprochen, gleichzeitig aber den Bedarf nach Erteilung katholischen Unterrichts angemeldet. Dieser Bedarf könnte Begehrlichkeiten wecken. Auch die Schura, die Aleviten, die Buddhisten haben ihre Unterstützung für den interreligiösen Unterricht bekräftigt. Die Schura sowieso, der Dachverband der Muslime. Aber warum sollten zukünftig nicht auch die Muslime Anspruch auf islamischen Religionsunterricht erheben? Wenn einzelne Glaubensgemeinschaften parallel konfessionellen Unterricht einführen, dann steht das Hamburger Modell infrage. Das wollen wir auf keinen Fall.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Es gibt natürlich auch einige ehemalige Hauptpastoren, die gern ausbüxen würden. Der Dialog der Religionen, meine Damen und Herren, ist in unserer Einwanderungsmetropole ein Baustein, um das friedliche Zusammenleben zu fördern. Interreligiöse Verständigung und interkulturelle Kompetenz können am besten frühzeitig in der Schule erlernt und geübt werden. Der interreligiöse Unterricht spricht auch diejenigen Schüler an, die wir nicht mit konfessionellem Unterricht erreichen würden. In Hamburg hat jeder vierte Schüler einen Migrationshintergrund. An den Gymnasien wählen in den Klassen 9 und 10 mehr als doppelt so viele Schüler das Fach Ethik statt Religionsunterricht. Rund 40 Prozent aller Hamburger sind konfessionslos und wir haben lange um den Konsens Religionsunterricht für alle gerungen, um den uns viele andere Bundesländer beneiden. Deshalb sollten wir ihn nicht leichtfertig verspielen. Wir wollen ihn stattdessen eher optimieren und die Ausbildung muslimischer

Lehrkräfte in islamischer Theologie und Religionspädagogik an der Universität Hamburg fördern.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Eine Akademie der Weltreligionen wäre ein großer Schritt dorthin. Ein erster Schritt kann das interdisziplinäre Zentrum Weltreligion im Dialog sein, das am 30. März dieses Jahres an der Universität seine Gründung gefeiert hat.

Noch ein weiterer Aspekt: Die Stadt verpflichtet sich zur vollen Übernahme der Kosten für den katholischen Unterricht und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Sie verzichtet aber auf das Recht, diese Zuwendungen, die den Charakter von Subventionen haben, an Bedingungen wie die finanzielle Leistungsfähigkeit je nach Haushaltslage zu koppeln.

In der Frage der kirchlich betriebenen Kitas verpflichtet sich die Stadt zur vollen Übernahme der Betriebskosten. Bislang lag der Eigenanteil bei 10 Prozent, die restlichen 90 Prozent bringt die Stadt auf. Für die Freien Träger übernimmt die Stadt die Betriebskosten zu 100 Prozent. Die Kirchen argumentieren nun, diese Praxis benachteilige die Kirchen gegenüber den Freien Trägern. In dem nachfrageorientierten Wettbewerbssystem sei diese Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Die Kirchen seien Träger wie alle anderen auch. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist der religionspädagogische Ansatz. Schließlich sollen sich die Kitas im Wettbewerb ein Profil geben. Allerdings ist vertraglich nicht festgelegt, dass die Kirchen das Geld vom Staat in die Qualitätsentwicklung ihrer Kitas stecken. Sie können es genauso gut nutzen, um Haushaltslöcher zu stopfen. Genau das hat die katholische Kirche bereits angekündigt. Finanziell bleiben die Kirchen gegenüber den Freien Trägern besser gestellt. Sie profitieren von Steuerbegünstigungen und von der Regelung, dass ihnen der Staat mit dem Einbehalten der Kirchensteuer die Aufgabe abnimmt, ihre Mitgliedsbeiträge einzuziehen. Die Höhe der finanziellen Entschädigung durch die Kirchen wird einvernehmlich und nicht etwa entsprechend dem staatlichen Verwaltungsaufwand festgesetzt.

Meine Damen und Herren, die Verträge gehen zulasten der Stadt Hamburg. Sie verpflichten die Stadt einseitig zu Zahlungen und Unterstützungsleistungen. Die Kirchen verpflichten sich zu nichts. Dem vertraglichen Prinzip des Gebens und Nehmens folgen Sie nicht.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Stattdessen festigen Sie ein Vorrecht, das nicht mehr zeitgemäß ist. Es ist ein Relikt aus alten Zeiten, in denen Papst und Kaiser um die Macht rangen. Die hart erkämpfte Entflechtung von Religion und staatlicher Macht brachte der Kirche die Unabhängigkeit vom Zugriff staatlicher Autoritäten. Dem Staat brachte sie die Freiheit von der Einmischung kirchlicher Oberhäupter. Die Aufklärung setzte die Vernunft geleitete Entscheidung an die Stelle religiöser Dogmen. Der individuellen Religionsfreiheit entspricht die Trennung von Staat und Kirche.

Die staatsferne Kirche ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Neuzeit für Staat und Kirche.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Uwe Grund SPD: Ja, und?)

In den USA waren es im 19. Jahrhundert gerade die staatsferneren Kirchen, die die Nichtduldung der Sklave

rei vorangetrieben haben. Das ist nur ein Beispiel, ich könnte die Liste ohne Ende fortsetzen.

Wenn also Staat und Kirche Aufgaben, Rechte und Pflichten in ihrem Verhältnis klären wollen oder müssen, dann müssen sie es gesetzlich regeln. Die vom Senat ausgehandelten Staatsverträge mit den beiden Kirchen sind jedoch einseitig und exklusiv. Sie werden den Anforderungen an eine pluralistische Gesellschaft nicht gerecht.

Das sind unsere Bedenken und darum wird die Mehrheit unserer Fraktion dagegen stimmen und ich persönlich auch. – Danke.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD – Wolfgang Beuß CDU: Sie hat nichts verstanden!)