Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich sind wir uns einig, dass Hasskommentaren im Netz entschieden entgegengetreten werden muss. Lassen Sie mich das vorab sagen. Schwarz-Grün spricht mit diesem Antrag in der Tat ein gesellschaftspolitisches Problem an, betrachtet aber, wie ich finde, leider den wachsenden Hass und die Verleumdungen, die im Internet und in sozialen Netzwerken stattfinden, ausschließlich aus einer innenpolitischen Sicht.
Herr Frömmrich, Sie nehmen damit leider nur die Auswirkungen ins Auge, blenden aber bedauerlicherweise die Ursachen, also genau diese gesellschaftspolitische Frage, warum sich das alles so schlimm entwickelt, völlig aus. Deshalb kommen Sie auch, wie ich finde, bedauerlicherweise über flache Vorschläge nicht hinaus, und das ist sehr schade.
Meine Damen und Herren, es gehört auch dazu, auf den Hintergrund dieses Antrags zu verweisen. Das ist die Kandidatur des grünen Landtagsabgeordneten Jürgen Frömmrich zum Bundestag.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für die Ehre!)
Am kommenden Samstag steht die Bewerbung auf der Landesmitgliederversammlung der GRÜNEN an. Da gilt es, den Gegenkandidaten, den amtierenden Bundestagsabgeordneten vom sogenannten linken Flügel, zu überflügeln. Deshalb erschien schon am Dienstag, also passgenau, in der „Frankfurter Rundschau“ ein Gastbeitrag des Herrn Frömmrich exakt zum vorliegenden Antragsthema, und im Landtag unterstützt ihn nun seine Fraktion mit diesem Setzpunkt.
Das ist echt gutes Timing, echt gute Lobbyarbeit, also richtig gute Realopolitik. Denn mit der Rolle der GRÜNEN im NSU-Untersuchungsausschuss hätten Sie, Herr Frömmrich, sich schlecht erfolgreich auf der Landesmitgliederversammlung bewerben können.
(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reden Sie zum Thema? – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): GRÜNEN-Versteher!)
Verstehen Sie mich richtig: Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich finde es legitim, sich für diese Vorgehensweise zu entscheiden, und das gewählte Thema ist in der Tat interessant. Aber es trägt zum Verständnis des vor
Ich will durchaus zugestehen, dass im Antrag gravierende Phänomene und Probleme angesprochen werden. Es lohnt sehr, darüber zu diskutieren. Wer sich die Zeit nimmt, um einen Abend lang Profile von Pegida- oder AfD-Anhängern zu lesen, der kommt aus dem Entsetzen kaum heraus.
Statt aber hier nur zu lamentieren, will ich das zu ergänzen versuchen, was dem Antrag leider eindeutig fehlt, nämlich die Frage, warum und woher diese Stimmung kommt.
Während das Internet vor 15 Jahren überwiegend Hoffnung und Verheißung war, stehen wir heute an einem Punkt, der uns das Netz sehr viel kritischer erscheinen lässt. Stichworte wie NSA-Skandal, Cyberangriffe, Netzkriminalität und die anhaltende Welle von Hasspropaganda und Fake-Informationen drängen sich in den Vordergrund. Inzwischen drängt sich verstärkt die Frage auf: Was ist privat, und was ist gesteuerte Meinung? Was ist beständiges Wissen, und was ist bloße Meinung oder gar gezielte Falschinformation oder Verleumdung? Woher kommen diese Hassstimmung und Verleumdungen, und wer trägt sie ins Netz? Wer sind die Akteure, und was sind ihre Interessen? – Das sind, meiner Ansicht nach, die wichtigen Fragen.
Da reicht es nicht, so zu tun, als wäre das Internet irgendwie ferne Welt und hätte nichts mit der Gesellschaft und den bestehenden Machtverhältnissen zu tun – im Gegenteil. Deshalb sage ich auch, Herr Frömmrich: Der Hass kommt nicht aus dem Netz in die reale Welt, wie Sie gesagt haben, sondern es ist genau umgekehrt. Der Hass kommt aus der realen Welt ins Netz und verstärkt dort die Verleumdungen und die Machtkämpfe und vergiftet große Teile unserer Gesellschaft.
Propaganda statt Diskussion, Angst statt Fortschritt, Abgrenzung statt Offenheit und Hass statt Verständnis. Wenn Wahlen wie jüngst in den USA von Informationsrobotern und Scheinidentitäten massiv beeinflusst werden, um die öffentliche Meinung zu drehen, und gezielt Falschinformationen gestreut werden, dann hat das mit einem idealistischen Informationszeitalter und mit Debattenkultur nichts mehr zu tun. Dann reden wir über gezielte Manipulationen und Machtmissbrauch.
Das Internet ist nicht Ursache, sondern Plattform und Verstärker dieser Stimmung und Interessen. Es sind doch die Donald Trumps, die Frauke Petrys, die Marine Le Pens, die Horst Seehofers und die Hans-Jürgen Irmers, die wie Pegida-Anhänger bewusst Falschinformationen in diese Welt treiben und zu spalten versuchen.
Deswegen wirkt dieser vorliegende Antrag geradezu komisch; denn wenn Sie verlangen, dass strafbare Handlungen tatsächlich bestraft werden müssen, dann frage ich: Was denn sonst? – Aber dazu, Herr Frömmrich, braucht es doch keinen Antrag und keine Abstimmung. Sie fordern, „geeignete Lösungsvorschläge zu entwickeln“, und regen einen Ordnungswidrigkeitstatbestand an. Das dokumentiert nur die komplette Ratlosigkeit. Ich sage Ihnen: Sie werden weder Angst, Hass noch Verleumdung beseitigen, weder
die neue Rechte noch Dschihadisten mit einem Ordnungswidrigkeitstatbestand beeindrucken können. Da gehe ich jede Wette ein.
Um zu verstehen, welch tiefgreifendes Problem wir gesellschaftlich haben, empfehle ich sehr den Artikel aus dem österreichischen Magazin „Falter“ Nr. 45/16 mit dem Titel „Boris wollte mich verbrennen“. Der Journalist Florian Klenk beschreibt darin die Begegnung mit einem Facebook-Nutzer, der mit vielen anderen beiläufig zu seiner Tötung aufgerufen hat. Florian Klenk hat mit seinem interessanten Artikel den Einblick in die Psyche unserer Gesellschaft verfasst, einer Gesellschaft, die Menschen, die persönlich nichts voneinander trennt, die sich nicht einmal kennen, zu vermeintlichen Todfeinden erklärt. Ich darf zitieren:
Weil mir langweilig war, twitterte ich einen schnellen Gedanken: „Der ORF sollte die Nachrichten optional mit türkischen Untertiteln senden.“ Die Männer hier, so meine Idee, könnten dann auch hiesige Erdogan-kritische Nachrichten verstehen. Und vielleicht, so meine Hoffnung, lernen sie dabei auch ein bisschen Deutsch. Die BBC hat ähnliche Dienste im Angebot. …
Als ich ein paar Stunden später meine Facebook-Timeline checkte, staunte ich. Linke Sau! Dreckskerl! Bolschewik! Schwein! Größtes Arschloch von Österreich! So nannten mich Menschen, die ich nicht kannte und die ihre Identität nicht anonymisierten.
… Den Grund für ihren Zorn fand ich schnell heraus. Nicht „Bürgerkanzler“ Strache [FPÖ], sondern Johann Gudenus, sein Wiener Stadtrat, stellte meinen Tweet in seine Auslage. … Gudenus hatte meine Aussage inhaltlich ins Gegenteil verkehrt. Der Gabelstaplerfahrer Helmut A. schrieb nun: „Den Klenk könnte man ja mal in ein arabisches Strafgefangenenlager stecken und dort optional von psychisch gestörten Einzelfällen, Einzeltätern vergewaltigen lassen. Und den Rest geb ich ihm dann.“
… Es war spät und in meinem Kopf tauchten Bilder jener Menschen auf, die andere anzünden. Der KuKlux-Klan, der Mob von Mölln, die IS-Kämpfer. …
Ich tauchte am Abend der Bedrohung in Boris’ Facebook-Profil ein und staunte. … Da ist das Einfamilienhaus mit Wintergarten, das er selbst renoviert hat. Davor liegt der gepflegte Pool, dahinter das Abendrot. Ein schwarzer VW mit Ledersitzen parkt vor dem Idyll.
… Und auf einem Bild sieht man ihn mit seinem Baby. Er hält es hoch, er scheint ein liebevoller Vater zu sein, seine Frau sieht sympathisch aus, sie trägt Dirndl. …
Boris, so kann ich seinem öffentlichen FacebookProfil entnehmen, ist keiner dieser „Modernisierungsverlierer“, die wir Journalisten uns manchmal als FPÖ-Wähler herbeifantasieren. Im Gegenteil: Er repräsentiert die ländliche Oberschicht, die vieles erreicht hat. …
Dann entdecke ich noch ein Posting. Diesmal mit einem Video. „Scheiß Bimbos! Sollten sich lieber gegenseitig im Urwald totknüppeln!“ …
Die Darstellung der Begegnung, die zwischen dem Journalisten Klenk und seinem Facebook-Rufmörder schließlich persönlich stattfand, ist es wert, von Ihnen selbst nachgelesen zu werden. Sie geht über das hinaus, was in Landtagsanträge zu pressen ist. Sie beschreibt unsere Gesellschaft und das Problem bewusst gegeneinander aufgewiegelter Menschen sehr treffend – Menschen, die sich eigentlich alle keine Konfrontation wünschen, sondern aus Furcht genau davor handeln. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon viele Beispiele genannt; eines will ich noch hinzufügen, um deutlich zu machen, dass wir uns heute aus verschiedenen Richtungen hier im Parlament mit einem Thema beschäftigen, das so wichtig ist, dass man diese Beispiele vor Augen haben muss, um Entscheidungen zu treffen.
Als sich die Schauspielerin Jennifer Ulrich im Frühjahr über Facebook kritisch zu fremdenfeindlichen Demonstrationen geäußert hatte, wurde sie im sozialen Netzwerk zum Ziel menschenverachtender verbaler Angriffe. So drohte man ihr in völlig verrohter Sprache an, sie mit Messer und Kettensäge zu töten und sie „in möglichst blutiger Weise hinzumetzeln“. Als Frau Ulrich das bei Facebook meldete, erhielt sie zwei Tage später die Nachricht, dass die entsprechenden Kommentare nicht gegen Regeln von Facebook verstießen.
Dieser Fall zeigt: Darüber kann man nicht diskutieren, hier ist strafrechtliche Relevanz vorhanden. Das fällt nicht in den Bereich von Meinungsäußerung, die man aushalten muss, sondern ist ganz klar strafrechtlich relevant.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Florian Rentsch (FDP))
Wenn Facebook bei solchen Geschehnissen – und Ähnliches haben meine Vorredner auch schon berichtet – erst nach zwei Tagen reagiert und dann noch mit einer derartigen Aussage, muss man am Ende sagen: Das kann in unserem Rechtsstaat nicht wahr sein. So etwas lassen wir weder als Staat zu, noch können wir akzeptieren, dass ein großer Anbieter in Deutschland so agieren kann, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Dieser Fall ist nur einer von vielen aus der jüngsten Berichterstattung. Deshalb will ich noch einmal die Zahlen nennen. Jeden Tag teilen Millionen Menschen auf sozialen Netzwerken mit, was sie bewegt, erfreut oder auch ärgert. Allein in Deutschland hat Facebook rund 29 Millionen Nutzer. Das Recht der freien Meinungsäußerung wird durch unsere Verfassung geschützt. Herr Kollege Rentsch, Sie haben zu Recht gesagt, auf dieses Spannungsfeld müss
ten wir achten und müssten es bewahren. Dabei müssen wir auch Äußerungen hinnehmen, die wir nicht teilen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, darum geht es im Kern dieser Debatte. Es geht keineswegs nur um die Opfer von Hasskommentaren im Netz, sondern hier geht es im Wesentlichen darum, unsere Werte, unsere Freiheit und unsere Offenheit im Netz zu verteidigen, und zwar gegenüber jenen, die unsere Art zu leben, unsere Vielfalt und Toleranz ablehnen und sogar zum Kampf dagegen aufrufen.
Sie greifen uns dort an, wo wir als demokratische und offene Gesellschaft besonders empfindlich sind, nämlich im Bereich der Meinungsfreiheit. Tatsache ist, dass Hasskommentare und Hetze im Netz hierzulande derart zugenommen haben, dass beispielsweise selbst große deutsche Nachrichtenportale unter Beiträgen zum Thema Flüchtlinge keine Diskussionsforen mehr zulassen. Frau Kollegin Wolff hat darauf hingewiesen, dass Onlineforen bei vielen Medien inzwischen ein echtes Problem darstellen.
Wenn Onlineforen herausgenommen werden müssen, dann wurde der freien Gesellschaft durch die Extremisten bereits ein Stück Raum abgenommen: ein Kommunikationsraum, den sich der Rechtsstaat und die demokratische Gesellschaft schleunigst zurückerobern müssen. Denn es kann nicht wahr sein, dass aufgrund dieses Drucks – Herr Kollege Rentsch hat es ausgeführt – kritische Kommentare nicht mehr möglich sind.
Zu Meinungsäußerungen haben wir im Rechtsstaat ganz klare Regeln. Sie finden ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre – das wurde erwähnt. Klar ist: Andere zu beleidigen steht unter Strafe, und zwar auch im Netz – das ist kein Unterschied.
Wenn wir Meinungsvielfalt und freien Diskurs erhalten wollen, dürfen wir keine Hetze dulden, gleich gegen wen sie gerichtet ist. Hass gegen einzelne gesellschaftliche Gruppen, gegen Schutzsuchende und Migranten, Andersdenkende, Journalisten, Medien oder gegen die Polizei und Sicherheitsbehörden, das Verächtlichmachen des Staates und seiner Repräsentanten dürfen wir nicht widerspruchslos hinnehmen. Wir alle müssen unsere Wertegesellschaft schützen. Dabei ist Respekt das zentrale Wort. Alle diese Personen und Gruppen verdienen Respekt.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Im Internet und mithilfe des Internets begangene Äußerungsdelikte sind ebenso strafbar wie Straftaten in der realen Welt. Bedrohungen und das Auffordern zu Straftaten – z. B. dem Anzünden von Flüchtlingsunterkünften, zu Gewalt gegen Politiker oder ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, zu Volksverhetzung und anderen Straftaten – sind im Rechtsstaat verboten. Der Eindruck, der mittlerweile in der Öffentlichkeit entstanden ist – dass sich beispielsweise Facebook als