Protocol of the Session on November 24, 2016

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei muss beendet werden, und die Bundeswehrsoldaten müssen aus Incirlik abgezogen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, auch in Bursa, in Hessens Partnerregion in der Türkei, spüren Andersdenkende den repressiven Kurs des AKP-Regimes.

Gestern erreichte uns eine E-Mail des Provinzvorstandes der HDP, und ich möchte meine Rede mit einem Auszug aus diesem Brief beenden. Die HDP in Bursa schrieb:

Wie im Rest des Landes, steht unsere Partei auch in Bursa im Fadenkreuz der AKP. In den vergangenen Monaten wurden Hunderte unserer Mitglieder und Funktionsträger festgenommen, Dutzende sind immer noch in Haft. Angestachelt durch die Politik der immer autoritärer regierenden AKP, werden unsere Büros immer wieder von rassistischen Gruppierungen angegriffen. Meinungs- und Pressefreiheit sind praktisch abgeschafft. Selbst unsere Kommunikation über das Internet wird behindert. Trotz dieser Gängelungen hat unsere Partei, auch dank internationaler Unterstützung, nicht aufgehört, für Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu streiten. Wir wollen, dass das Blutvergießen in unserem Land aufhört und endlich demokratische Verhältnisse einkehren. Wir bitten die deutsche Bundesregierung und die Hessische Landesregierung, angesichts der Entwicklung

in der Türkei sich für demokratische Verhältnisse einzusetzen. Lassen Sie nicht zu, dass Menschen, die sich für Frieden und Demokratie einsetzen, zum Schweigen gebracht werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Peter Stephan (CDU))

Vielen Dank. – Das Wort hat Kollegin Öztürk. Redezeit: zweieinhalb Minuten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin doch ganz froh, dass wir, wenn auch zu später Stunde – 18:20 Uhr, am 24. November –, über die Situation in der Türkei gemeinsam debattieren, bisher auch sehr sachlich und friedlich. Ich werde mir auch Mühe geben, weiter sachlich zu argumentieren; denn in der Tat: Es geht hier um die Sache.

Es geht hier um die Solidarität mit den parlamentarisch gewählten Abgeordneten in der Türkei, mit der Zivilgesellschaft, mit den kritischen oppositionellen Stimmen, die nichts, aber auch gar nichts, mit dem Putsch zu tun haben, sondern die Türkei in ihrer Demokratie stärken wollen. Je stärker unser gemeinsames Signal nach Ankara, nach Istanbul, nach Diyarbakir wirken kann, desto wirkungsvoller ist auch das, was wir hier tun. In dem Sinne: Ich hoffe, dass wir hier weiterhin an einem Strang ziehen können.

Seit dem 21. Juli ist in der Türkei der Ausnahmezustand ausgerufen. Präsident Erdogan hat hier Notstandsverordnungen ausgerufen, indem er am Parlament vorbei per Dekret Gesetze erlassen kann. Das hat zur Folge, dass aktuell zehn Abgeordnete der HDP-Partei, der prokurdischen Partei, in Haft sind, darunter die beiden Kovorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Figen Yüksekdag ist keine Kurdin, sondern eine Türkin. Selahattin Demirtas ist kurdisch-stämmig, und beide haben versucht, mit der HDP erstmals die Multikulturalität, Multireligiosität und die Vielfalt der Türkei in dieser Partei darzustellen.

Deswegen ist sie am 1. November bei den zweiten Wahlen die drittstärkste Kraft im türkischen Parlament und die zweitstärkste Opposition geworden. Meine Damen und Herren, wenn heute die zweitstärkste Opposition ihrer Abgeordneten beraubt wird, zehn von ihnen unter angeblichem Terrorverdacht im Gefängnis sitzen, und 18 Journalistinnen und Journalisten der „Cumhuriyet“-Zeitung in Haft sind, ist das für mich faktisch die Aussetzung der parlamentarischen Demokratie in der Türkei.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Es ist nicht die Rettung der parlamentarischen Demokratie, wie Erdogan es nach dem Putsch zu verkünden versuchte. Hinzu kommt, dass 54 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der überwiegend kurdischen Region mittlerweile in Haft sind, und diese Menschen sind von über 50 % ihrer regionalen kurdischen Bevölkerung gewählt worden.

Was ich damit sagen möchte: Wenn Menschen, die sich sehr für Demokratie und Vielfalt eingesetzt haben, wie Ahmet Türk, der Bürgermeister von Mardin, jetzt inhaftiert sind, wenn Journalistinnen und Jornalisten wie Asli Erdogan, Ahmet Altan und Mehmet Altan inhaftiert sind, wenn Necmiye Alpay, eine namhafte Wissenschaftlerin in der Türkei, heute ihren 60. Geburtstag im Gefängnis feiern muss, dann sind das keine rechtsstaatlichen Zustände mehr, sondern dann ist das ein Land, das nichts mehr mit Demokratie zu tun hat.

Trotzdem wünsche ich mir, dass wir von Hessen aus – ich weiß, meine Zeit ist überschritten – nach Initiativen suchen, wie wir den Faden in die parlamentarische Demokratie zur Türkei aufrechterhalten. Ich wünsche mir, dass wir vielleicht eine Art Patenschaften von Parlamentariern zu Parlamentariern begründen können, wie es der Bundestag gemacht hat.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, das gab es im Bundestag auch!)

Ich wünsche mir, dass wir die Beitrittsverhandlungen nicht aussetzen, sondern mit der Zivilgesellschaft ganz eng zusammenarbeiten können, und ich wünsche und fordere die Entlassung der inhaftierten Abgeordneten aus dem türkischen Parlament. Eine parlamentarische Demokratie – ich komme zum Ende – funktioniert nur mit Oppositionsparteien. In dem Sinne bitte ich darum, dass auch unser Antrag angenommen wird oder zumindest eine Enthaltung der Regierungskoalition zustande kommt. – Ich danke für Ihr Interesse. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Beer, FDPFraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in tiefer Sorge um Demokratie und Menschenrechte in der Türkei. Diese Sorge gilt im Besonderen den mutigen Vertretern einer lebendigen und kritischen Zivilgesellschaft. Sie soll meines Erachtens aber auch den Türken gelten, die in Deutschland leben, und den türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land. Ich finde es beängstigend, wie man in Gesprächen mitbekommt, welche Angst und Sorge, ja, welche Selbstzensur hier mittlerweile herrscht. Das zeigt auch, mit welchem Druck der türkische Staat momentan auch außerhalb seines Staatsgebietes vorgeht. Da sollten wir entgegensteuern.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und der FDP sowie bei Abge- ordneten der CDU)

Dabei gilt für uns Freie Demokraten zweierlei: Wir brauchen gerade in diesen Zeiten weiterhin einen Gesprächsfaden zwischen Europäern und der Türkei. Thorsten SchäferGümbel, da bin ich völlig bei dir: Wir müssen diese Brücke aufrechterhalten. Dabei kann gerade unsere Partnerschaft Hessens mit der Region Bursa ein wichtiger Weg sein. Die dort geknüpften Kontakte können eine wichtige

Brückenfunktion haben, um diesen Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.

Wir haben über alle Fraktionsgrenzen hinweg aus dem Gedanken der Verständigung, der Vertiefung der Integration und der Heranführung der Türkei auch an die Europäische Union diese Partnerschaft begründet. Auch wenn wir merken, welche negativen Auswirkungen auf diese Partnerschaft, sowohl auf staatliche als auch auf zivilgesellschaftliche Kontakte, jetzt durch die Situation in der Türkei zustande kommen, ist es aller Mühe und Kraft wert, diese Partnerschaft weiter voranzutreiben.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in der Türkei stellt für uns auch eindeutig die Frage nach der Zukunft der Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei. Diese Verschlechterung der Menschenrechtssituation, der Eingriff in Presse- und Meinungsfreiheit, der Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz, in die Unabhängigkeit der Wissenschaft – diese Eingriffe, diese Verschlechterung begannen nicht erst mit dem Putschversuch. Sie haben aber durch den Putschversuch mit den anschließenden Säuberungen an Fahrt gewonnen. Meines Erachtens ist damit eine neue Qualität aufgetreten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!)

Dies erfordert in unseren Augen auch einen Kurswechsel der Europäischen Union in ihren Beziehungen zur Türkei.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die jüngsten Verhaftungen von Oppositionsführern der kurdischen HDP und die vorangetriebene Wiedereinführung der Todesstrafe durch Präsident Erdogan sind in unseren Augen eine rote Linie, die der türkische Staat überschritten hat. Mit diesen Schritten verlässt die türkische Regierung den Boden gemeinsamer europäischer Werte, wie sie z. B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention rechtlich bindend niedergelegt sind, und das muss Konsequenzen haben, auch im Verhältnis zur EU.

Eine von Präsident Erdogan zunehmend in dieser Form autoritär regierte Türkei kann kein Kandidat für eine Vollmitgliedschaft in der EU mehr sein; denn Grundlage für die Mitgliedschaft in der EU sind und bleiben die Kopenhagener Kriterien. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, darauf kann es doch keinen Rabatt geben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Natürlich nicht!)

Nein, die Türkei muss diese Kriterien endlich einhalten.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insbesondere die darin geforderten Bedingungen für einen funktionierenden Rechtsstaat erfüllt die Türkei zurzeit nicht, und sie will sie offenbar auch in absehbarer Zukunft nicht erfüllen.

Präsident Erdogan wird einen Grund dafür haben, warum er bislang die Beobachter der OSZE nicht zur Beobachtung der Situation der Inhaftierten oder auch zur Beobachtung der Prozesse zulässt. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, bei allem Verständnis für die Besorgnis, die Sie haben, dass sich zwischen der Europäischen Union und der Türkei als ganzem Land keine Spaltung ergeben soll, finde ich, dass der

Beschluss des Europäischen Parlaments heute ein richtiger Schritt war.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, dass man der so agierenden türkischen Regierung an dieser Stelle die Rote Karte zeigen muss. Ich fände es wichtig und richtig, dass nun auch die EU-Kommission, die Staats- und Regierungschefs inklusive Kanzlerin Merkel an dieser Stelle dem Signal des Europäischen Parlaments folgen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Kollegin Beer, ich habe schon Zeit zugegeben. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss und möchte trotzdem noch einmal darauf hinweisen, dass das für uns ausdrücklich keine Kritik an der Türkei als Land oder gar dem türkischen Volk ist.

(Beifall des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich finde, gerade die Wahlen 2014 und 2015 haben gezeigt, wie die türkischen Bürgerinnen und Bürger für eine starke parlamentarische und zivilgesellschaftliche Opposition, für eine starke Demokratie eingetreten sind. Genau deswegen müssen wir an der Seite derer stehen, die für Bürger- und Menschenrechte, für Rechtsstaat und Demokratie kämpfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe allerdings doch sehr, dass wir dies das nächste Mal wieder mit einem gemeinsamen Antrag tun. Wir jedenfalls können beiden Anträgen zustimmen, und ich hoffe sehr, dass sich SchwarzGrün hier einen Ruck gibt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN so- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatssekretär Weinmeister.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass wir in diesem Hause sehr einhellig der Meinung sind, dass die Situation, wie sie sich jetzt in der Türkei darstellt, uns alle mit Sorge erfüllt. Ich glaube, alle Rednerinnen und Redner haben darauf hingewiesen, mit welchen Repressalien, mit welchen willkürlichen Verhaftungen und mit welchen Suspendierungen Menschen plötzlich zu rechnen haben, ohne dass ihnen konkret etwas vorgeworfen werden kann.