Protocol of the Session on June 23, 2016

Ich will auch noch einmal sagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, denn das ist bis jetzt in dieser Debatte kaum vorgekommen: Die Bundesregierung ist per Gesetz verpflichtet, das ist in § 29a Asylgesetz geregelt, alle zwei

Jahre über den Status in diesen Ländern zu berichten. Insofern wird es im Oktober 2017, das steht konkret als Datum im Gesetz, einen solchen Bericht geben. Ich will versuchen, ansatzweise zwischen diesen beiden Positionen Brücken zu bauen, indem ich ausdrücklich sage: Ich habe sehr viel Verständnis für diese grüne Position, und es gibt viele gute Gründe, sie zu haben. Aber es gibt eben auch viele gute Gründe dafür, dass wir den Menschen sagen müssen, dass wir aus diesen beiden Positionen am Ende etwas vernünftiges Gemeinsames herstellen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu braucht es viel Zeit; dazu braucht es viel Kraft, aber auch den Mut, den Menschen einmal zu sagen, dass manche Dinge eben auch Zeit brauchen.

(Florian Rentsch (FDP): Seit Januar!)

Lieber Herr Kollege Rentsch, ich will auch noch darauf hinweisen – ich habe dieses Geschäft ein paar Jahre lang in Berlin im Bundesrat gemacht, wie Sie wissen –: Es ist ja nicht so untypisch, dass sich Koalitionen enthalten. Das ist zwischen uns hin und wieder auch der Fall gewesen. Ich erspare Ihnen Einzelheiten. Diese kann ich Ihnen in einem Privatissimum gern noch einmal sagen.

(Florian Rentsch (FDP): Damals war es die Ausnahme, jetzt ist es die Regel!)

Liebe Kollegen, ich kann Ihnen sagen: Es gibt Landesregierungen, die mittlerweile wieder mit Beteiligung der FDP in diesen Prozess eingebunden sind. Ich habe jedenfalls bis heute keine Zeile gelesen, dass Herr Wissing mit der Beendigung der Koalition in Rheinland-Pfalz gedroht hätte, falls die Ministerpräsidentin im Bundesrat nicht zustimmt.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, also bitte lassen Sie uns darüber noch ein paar Wochen lang intensiv reden. Aber lassen Sie uns den Menschen in diesen Tagen – das ist mein letzter Punkt – auch einmal sagen, denn das ist dringend erforderlich, dass wir viel erreicht haben, sowohl im Bund als auch in Hessen mit dem Aktionsplan. Ich finde, es ist in einem föderalen System beispielsweise nicht so ganz selbstverständlich, dass der Gesetzgeber in wenigen Wochen nach den Ereignissen in Köln das Aufenthaltsrecht verändert hat. Das können und sollten wir den Menschen hin und wieder sagen – apropos funktionstüchtiger und konsequenter Staat.

Wir müssen den Menschen auch sagen, dass die Wege lang sind, aber dass wir schrittweise vorankommen. Das beginnt mit der Schließung der Balkanroute. Ich weiß, dass es auch dazu unterschiedliche Auffassungen gibt, sogar innerhalb der Union. Aber auch die Bundeskanzlerin sagt: Es hat zumindest einmal dazu geführt, dass wir ein bisschen Atem holen konnten, um an anderer Stelle, beispielsweise mit der Türkei und anderen in Nordafrika, weiterhin in Verhandlungen zu treten, um am Ende in diese schwierige Situation eine Struktur und Ordnung zu bekommen. – Ich füge hinzu: Wir müssen den Menschen sagen, dass wir diese Ordnung herstellen, dass wir große Schritte vorangekommen sind, auch wenn es in dem einen oder anderen Punkt einmal Streit gibt. Lieber Herr Kollege Rentsch, das muss die Botschaft in diesen Tagen sein, statt zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, zugunsten derer, die schon seit Monaten

davon profitieren, dass sie glauben, dass es besser ist, Ängste zu schüren. Wir müssen den Menschen sagen, dass sie in einem sicheren Land leben, in dem Ordnungsprinzipien gelten, in dem Staatsbürgerrechte sehr klar definiert sind,

Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kommen.

in dem aber auch Mitmenschlichkeit und Humanität ihren Platz haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Als Nächste hat sich Frau Abg. Wissler, Fraktion DIE LINKE, gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Innerhalb weniger Monate hat das deutsche Asylrecht die größten Verschärfungen seit über 20 Jahren erlebt. Mit beschleunigten Asylverfahren, verschärfter Residenzpflicht und Abschiebungen trotz Traumata setzte die Bundesregierung im Anti-Asylpaket II rechtspopulistische Forderungen in geltendes Recht um.

(Beifall bei der LINKEN)

Die geplante erneute Erweiterung der Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer ist ein weiterer Frontalangriff auf das Asylrecht. Deshalb fordern wir die GRÜNEN auf, dieses Vorhaben im Bundesrat zu stoppen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Blick in den Jahresbericht von Amnesty International reicht aus, um zu erkennen, dass es ein Hohn ist, Algerien, Marokko und Tunesien als „sicher“ einzustufen, angesichts der zahlreichen dokumentierten Menschenrechtsverletzungen. Über Marokko schreibt Amnesty International:

Schläge, … Sauerstoffentzug, simuliertes Ertrinken, psychische und sexuelle Gewalt: Dies sind nur einige der Foltermethoden, die marokkanische Sicherheitskräfte einsetzen, um „Geständnisse“ zu erzwingen oder um … Aktivisten und Andersdenkende zum Schweigen zu bringen.

Dahin wollen Sie Flüchtlinge allen Ernstes zurückschicken? In allen drei Ländern wird gefoltert. In allen drei Ländern werden Homosexuelle strafrechtlich verfolgt und inhaftiert sowie Frauenrechte missachtet. Wer solche Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, der legitimiert doch solche Menschenrechtsverletzungen geradezu, der ermutigt diese Regime und fällt der Opposition in diesen Ländern in den Rücken.

(Beifall bei der LINKEN)

Pro Asyl, die Evangelische Kirche und das Kommissariat der deutschen Bischöfe sind der Überzeugung, dass die

Maghrebstaaten keine sicheren Herkunftsstaaten sind. Sie fordern den Bundesrat auf, den Gesetzentwurf abzulehnen, weil er rechtswidrig ist und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts widerspricht. Pro Asyl stellt fest:

Die Bundesregierung gefährdet das Leben von Schutzbedürftigen.

Wir müssen uns doch die Frage stellen: Was bedeutet das denn, wenn diese drei Staaten als sichere Herkunftsstaaten anerkannt sind? Es hätte verheerende Folgen für Asylsuchende: Statt einer fairen und gründlichen Prüfung ihrer Fluchtgründe würde ihr Antrag in einem Schnellverfahren abgewiesen. Es bedeutet, dass sie in Sondereinrichtungen untergebracht werden und dass sie komplett von Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen sind. Das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ widerspricht dem Grundprinzip des Asylrechts, nämlich der individuellen Prüfung. Flüchtlingen wird eine kaum zu bewältigende Beweislast aufgebürdet – nach dem Prinzip: „im Zweifel gegen den Schutzsuchenden“.

Wie soll denn, bitte schön, jemand, der vor Folter geflüchtet ist, der monatelang unterwegs war, der über das Mittelmeer geflüchtet ist, nachweisen können, dass er gefoltert wurde – als ob Folterungen amtlich bescheinigt würden.

Was kommt als Nächstes? Die CSU fordert jetzt schon, Mali als sicheres Herkunftsland zu bezeichnen.

Meine Damen und Herren, wir setzen uns ein für sichere Fluchtwege, für menschenwürdige Aufnahme und für faire Asylverfahren. Herr Boddenberg, es kann nicht sein, dass eine reiche Volkswirtschaft wie Deutschland mit der Aufnahme der Flüchtlinge überfordert ist, wenn andere, viel ärmere Länder viel mehr Flüchtlinge aufnehmen.

(Zuruf des Abg. Dirk Landau (CDU))

Ich finde es auch zynisch, zu sagen, Deutschland könne Luft holen, weil die Westbalkanroute geschlossen ist. Wenn man die Bilder sieht, wie Schwangere dort im Dreck leben, finde ich es eine zynische Aussage, dass Deutschland Luft holen könnte.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Was Sie sagen, ist zynisch!)

Die Große Koalition hechelt durch dauernde Asylrechtsverschärfungen der AfD hinterher. Ich sage Ihnen aber: Damit gräbt man AfD und Pegida nicht das Wasser ab, damit macht man sie erst stark und ermutigt sie.

Ein Bundesinnenminister, der Ärzten vorwirft, falsche Atteste auszustellen, um Abschiebungen zu verhindern, der mit ausgedachten Statistiken argumentiert, der unangekündigte Abschiebungen fordert und allen Ernstes Menschen kritisiert, die sich dafür einsetzen, dass Mitschüler und Nachbarn nicht abgeschoben werden, meine Damen und Herren, ein solcher Innenminister vergiftet das gesellschaftliche Klima. Deswegen finde ich Herrn de Maizière überhaupt nicht mehr tragbar als Bundesinnenminister.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Die Große Koalition hat keine Mehrheit im Bundesrat. Deswegen wird es darauf ankommen, dass mindestens drei Länder, in denen die GRÜNEN mitregieren, zustimmen, wie bereits leider bei den letzten Asylrechtsverschärfungen. Ministerpräsident Kretschmann hat bereits Zustimmung signalisiert.

Es geht schon lange nicht mehr nur um Flüchtlinge, es geht um die Substanz des Rechtsstaats. Koalitionsräson darf niemals so weit gehen, dass Grundrechte ausgehebelt werden. Das gilt für die SPD auf Bundesebene genauso wie für die hessischen GRÜNEN.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb fordern wir die GRÜNEN auf, im Bundesrat nicht zuzustimmen.

Wer Fluchtrouten schließt und den Familiennachzug beschränkt, der nimmt in Kauf, dass noch mehr Frauen und Kinder auf unsichere Boote steigen und sich auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer machen und noch mehr Menschen dabei ertrinken.

Meine Damen und Herren, es waren die Aufnahmen des dreijährigen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi, dessen lebloser Körper an die türkische Küste gespült wurde, die symbolhaft für die Unmenschlichkeit des europäischen Abschottungssystems stehen. Mittlerweile wird an den Grenzen auf Flüchtlinge geschossen. Das kann doch nicht die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union sein.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Wer sich an Kriegseinsätzen beteiligt und Waffen in alle Welt liefert, darf sich nicht wundern, wenn Menschen auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben für sich und ihre Kinder ihre Heimatländer verlassen. Für uns gilt: Wer vor Hunger flieht, hat genauso ein Recht auf Unversehrtheit wie jemand, der vor Bomben flieht. – Willy Brandt sagte einst: „Auch Hunger ist Krieg.“

Die Antwort auf die Fluchtbewegungen sind keine hohen Zäune, es sind keine Asylrechtsverschärfungen, sondern friedliche Konfliktlösungen, ein Stopp von Waffenexporten und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Sie können schön erzählen, Sie müssen nicht die Verantwortung tragen!)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn mich jemand vor der Debatte gefragt hätte, wie ich erwarte, dass sie abläuft, dann hätte ich ungefähr das beschrieben, was jetzt stattgefunden hat. Zwei sehr zugespitzte Erklärungen: Auf der einen Seite von der FDP, bezogen auf den Punkt, dass es ein System der Dauerenthaltungen von Schwarz-Grün im Bundesrat gibt. Auf der anderen Seite eine Zuspitzung der Linkspartei mit Blick dar

auf, dass das Asylrecht geschliffen wird. Daneben zwei Regierungsfraktionen, die versuchen, in wechselseitiger Anerkennung der jeweils unterschiedlichen Sachpunkte ihre Position zu verdeutlichen. Das war die Aufstellung für diese Aktuelle Stunde.