Ich glaube schon, dass bei der Frage, wo wirklich das Problem liegt, auch die Debatte über die sicheren Herkunftsländer nur ein kleiner Mosaikstein einer Lösung ist. Wenn die GRÜNEN kritisieren, es ist nicht der große Wurf, dann haben die GRÜNEN recht. Aber ich sage an dieser Stelle auch, mir bzw. uns ist wichtig, dass – erstens – der Ministerpräsident zum Schluss bei der Frage recht behält, ob Politik noch handlungsfähig ist, dass – zweitens – wir an die Menschen aus Tunesien, Marokko und Algerien das Signal senden, der Weg lohnt sich nicht, und wir – drittens – solche Themen in Deutschland nicht zerreden, wenn sie auf der Tagesordnung sind.
Kollege Wintermeyer, doch: Menschen machen es; wenn seit Januar bekannt ist, dass dieses Thema ein wesentlicher Teil des Asylpakets II ist und wir im Juni wieder von dieser Landesregierung hören, man würde die Debatte um die Frage der sicheren Herkunftsländer noch einmal drei Wochen bis zur nächsten Sitzung des Bundesrats schieben, damit man sorgfältig entscheiden könnte, dann führen Sie die Menschen an der Nase herum und zeigen eben nicht, dass Politik handlungsfähig ist. Sie zeigen bei dieser Frage das Gegenteil.
Die Menschen aus den Maghrebstaaten, die uns hauptsächlich die negativen Bilder bei dem Thema Köln beschert haben, zeichnen sich durch eine hohe Kriminalitätsquote aus, durch eine extrem geringe Anerkennungsquote und leider auch durch eine sehr geringe Rückführungsquote. 2015 sind nur 135 Menschen aus diesen Ländern zurückgeführt worden. Ich sage das auch aus dem Grund: Ich glaube, dass unsere Solidarität in diesem Land den Menschen gelten muss, die wirklich unsere Hilfe brauchen,
ob sie aus Syrien, dem Irak oder aus Eritrea kommen. Diese brauchen unsere Hilfe. Frau Kollegin Wissler, deshalb müssen wir auch bei der Frage differenzieren, wer nicht unsere Hilfe braucht.
Ich glaube, dass es aber auch richtig ist, mit dem Modell der sicheren Herkunftsländer klarzumachen, wir schaffen damit nicht das Asylrecht ab. Die Frage von individueller Verfolgung, ob religiös, ob sexuell oder politisch, wird mit diesem Konzept nicht kaputt gemacht.
Es ist uns als Liberalen auch wichtig, dass wir an dieser Position stehen, Herr Kollege Schaus. Wissen Sie, wir wollen uns vor dieser Frage nicht drücken. Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, es kommt auf Sie und Hessen an. Es kommt auf die fünf Stimmen unseres Landes an, nachdem Herr Kretschmann anscheinend mit seinem schwarzen Koalitionspartner oder die Schwarzen mit ihrem grünen Koalitionspartner in der Lage waren, ihre Zustimmung im Bundesrat in dieser Frage zu signalisieren.
Ich sage einmal, eine Koalition wie die in Hessen, die zwar keine gemeinsamen Überzeugungen hat, sich aber gemeinsam vorgenommen hat, Macht auszuüben, tut vielleicht den beiden Parteien gut. Aber sie tut zum Schluss den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land nicht gut, und darum muss es gehen.
Politik muss sich zuerst danach richten, was Menschen wollen – nicht danach, was Parteien für richtig halten. Deshalb hat sich die CDU vor den Landtagswahlen bei dieser Frage massiv um das Thema herumgedrückt. Wir haben auch hier leider gemerkt, dass Sie versucht haben, dem Thema auszuweichen. Ich kann das verstehen. In Koalitionen – das weiß jeder – ist eine Meinungsbildung nicht immer einfach.
Meine Damen und Herren, bei dieser Kernfrage, die der Ministerpräsident selbst im Januar zu einer der wesentlichen Fragen in der deutschen Politik erklärt hat, lassen wir Sie nicht mehr aus der Verantwortung. Wir wollen gemeinsam mit den Bürgern in diesem Land wissen: Kommen die sicheren Herkunftsländer, oder war es nur ein Placebo seitens der CDU, um die Menschen vor den Wahlen ruhigzustellen? Das wäre ein fatales Signal für die Bürger in unserem Land.
Deshalb sage ich zum Schluss: Herr Ministerpräsident, dieser Landtag hat eine klare Mehrheit für Ihre Position. Kollegen der CDU, Kollegen der Sozialdemokratie und die Freien Demokraten – das kann man an den Anträgen sehen – sind für das Konzept der sicheren Herkunftsländer. Diese sind nicht das Allheilmittel, aber sie sind eine Antwort in einer schwierigen Debatte. Ich glaube, dass das Land Hessen sich auch an einer solchen breiten Landtagsmehrheit orientieren sollte, wenn es in die Abstimmung im Bundesrat geht. Wir werden in dieser Position weiter zum Ministerpräsidenten stehen. Ich hoffe, die Union und seine eigene Partei stehen genauso zu seiner Position wie die Freien Demokraten. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Als Nächster spricht der Fraktionsvorsitzende des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, Herr Abg. Wagner. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rentsch, Sie haben recht. Politik muss Handlungsfähigkeit in Fragen der Flüchtlingspolitik zeigen.
Deshalb war ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie im ersten Teil Ihrer Rede durchaus zur Sache gesprochen haben und durchaus über die schwierigen Abwägungen gesprochen haben, um die es bei diesem Thema geht. Leider haben Sie es im zweiten Teil Ihrer Rede dann wieder auf irgendwelche Koalitionsarithmetik reduziert. Herr Kollege Rentsch, darum geht es nicht, sondern es geht um die Menschen, die hier Schutz haben wollen. Es geht um schnelle Asylverfahren – nicht um die billige parteipolitische Münze, die Sie hier heute bieten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
Herr Kollege Rentsch, es war eine verantwortliche Entscheidung, dass die Ministerpräsidenten aller Bundesländer letzte Woche gesagt haben: Lasst uns bei dem Thema noch einmal inhaltlich in die Tiefe gehen, lasst uns dieses Thema vertagen, lasst uns dieses Gesetz, das auf dem Tisch liegt, nicht beschließen. – Das war eine verantwortliche und richtige Entscheidung.
Natürlich beklage ich mit Ihnen, dass die Bundesregierung nicht vorher das Gespräch mit den Bundesländern gesucht hat und man sich nicht vorher um eine Einigung bemüht hat. Herr Kollege Rentsch, das kann doch jetzt nicht der Grund dafür sein, dass wir eine suboptimale oder aus grüner Sicht eine falsche Lösung beschließen. Das kann doch nicht wirklich die Antwort sein.
Worum geht es in der Sache? – Wenn wir über die Sache sprechen, geht es um das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer. Meine Damen und Herren, dieses Konstrukt der sicheren Herkunftsländer ist in der Konzeption falsch. Warum ist es falsch? – Weil das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer eine Aussage über die Sicherheitslage in den Herkunftsländern macht, nämlich dass sie angeblich sicher sind. Worum es aber eigentlich gehen müsste, ist nicht ein Urteil über die Lage in den Herkunftsländern, sondern es muss um eine Aussage über das Verwaltungsverfahren in Deutschland gehen. Dass das Konstrukt der sicheren Herkunftsländer diese beiden Fragen so falsch verknüpft, ist der Grund, warum wir vertiefend über die Sache reden müssen, meine Damen und Herren.
Es muss doch im Interesse von uns allen sein, dass jeder Mensch, der in seinem Heimatland verfolgt wird, bei uns Schutz genießt. So steht das bei uns im Grundgesetz: „Po
litisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Wir müssen alles daransetzen, dass uns niemand durch die Lappen geht und keiner durch den Rost fällt. Da helfen pauschale Einteilungen von Ländern eben nichts. Meine Damen und Herren, deshalb ist dieses Konstrukt falsch.
Auf der anderen Seite müssen wir natürlich sehen, dass wir schnelle Verfahren in Deutschland brauchen – für die Menschen, die anerkannt werden und schnell Klarheit brauchen, aber natürlich auch für die Menschen, die aus durchaus nachvollziehbaren Gründen zu uns gekommen sind, aber dann kein Anrecht auf Asyl haben. Darum geht es in der Debatte. Das ist der Kern.
Die einen sorgen sich darum – das ist keine parteipolitische Debatte; es ist eine gesellschaftliche Debatte –, wie für jeden einzelnen Menschen sichergestellt sein kann, dass er, wenn er verfolgt wird, Asyl bekommt. Das ist die eine Seite der Medaille. Die anderen in unserer Gesellschaft sorgen sich ebenfalls zu Recht, wie wir die Verfahren so gestalten können, dass sie schnell genug sind und wir tatsächlich auch Kapazitäten haben, um uns um die wirklich Schutzbedürftigen zu kümmern. Das sind die zwei Pole der Debatte. Wenn es um die Sache geht – nicht um Symbolpolitik, nicht um Populismus –, dann kann man diese beiden Pole der Debatte zusammenführen. Genau das haben die Ministerpräsidenten jetzt beschlossen, nämlich dass wir uns ein paar Wochen Zeit geben, um diese beiden Pole zusammenzuführen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Florian Rentsch (FDP): Seit Jahren ist nichts geschehen!)
Das ist doch eine verantwortliche Entscheidung, die hier getroffen wurde. Herr Kollege Rentsch, ich sage Ihnen, ich finde es ausdrücklich gut, dass es diese Hessische Landesregierung war, dass es diese Koalition war, die gesagt hat: „Lasst uns endlich über die Sache reden“, wobei ganz wesentlich der Ministerpräsident seinen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir in dieser Frage jetzt über die Sache reden. Das ist Handlungsfähigkeit, Herr Kollege Rentsch.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Florian Rentsch (FDP): Gar nicht! Seit Jahren reden wir über dieses Thema!)
Also lassen Sie das ganze Parteipolitische weg, nach dem Motto: Der Ministerpräsident müsste sich gegenüber dem Koalitionspartner durchsetzen. – Herr Kollege Rentsch, das mag bei Ihnen so gewesen sein, dass man nicht über die Sache geredet hat, sondern dass Sie sich immer haben überstimmen lassen. Das sagt mehr über Sie als über uns aus. Der Weg dieser Koalition lautet: Wir wollen eine sachgerechte Lösung finden, die den Menschen, die Schutz brauchen, Schutz gewährt und gleichzeitig dafür sorgt, schnelle Verfahren zu bekommen. Das geht ohne das Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten.
Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Als Nächster hat sich der Fraktionsvorsitzende der CDU gemeldet. Herr Kollege Boddenberg, bitte sehr, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige der Kollegen Abgeordneten des Hessischen Landtags waren gestern Abend bei dem St.-Thomas-MorusEmpfang. Ich finde, wir haben dort zwei sehr bemerkenswerte Reden gehört. Die eine war das Grußwort des Kultusministers, das etwas ausführlicher geraten ist;
aber, ich glaube, das war sehr geboten, weil der Kultusminister über Barmherzigkeit, über Gewissensfragen gesprochen hat, sowohl aus theologischer als auch aus rechtlicher Sicht. Die zweite war der Vortrag von Herrn Prof. Bude aus Kassel, dem man inhaltlich nicht in jedem Punkt zustimmen muss, der aber darüber gesprochen hat, was in dieser Gesellschaft in diesen Tagen los ist. Er hat über einen Teil unserer Gesellschaft gesprochen, die er die „Verbitterten“ genannt hat.
Warum spreche ich das zu Beginn an? Ich glaube, dass dies ein bisschen die Dimension des Problems zeigt, über das wir heute zu reden haben. Es muss einerseits selbstverständlich so sein, dass wir Menschen helfen müssen, und dies nicht nur, weil es in der Verfassung oder der Flüchtlingskonvention steht. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch wissen, dass es Teile unserer Gesellschaft gibt, die damit Sorgen verbinden, dass viele dem Bundespräsidenten zugestimmt haben, der am 3. Oktober 2015 gesagt hat: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Ich glaube, das ist genau die richtige Beschreibung dessen, was dieses Land und die Menschen in unserem Land umtreibt.
In diesem Spagat bewegen wir uns. Ich finde, Herr Kollege Wagner hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass es in der Frage der Deklaration sicherer Herkunftsländer unterschiedliche Grundauffassungen gibt. Diese sind ausführlich beschrieben worden; das will ich nicht wiederholen. Aber es gibt eben auch die Chance, diese beiden Pole zueinanderzuführen. Zu dem gehört auch – Herr Rentsch hat das teilweise angesprochen –, dass man sich doch noch einmal vergegenwärtigen muss, was denn im Falle einer solchen Deklaration rein rechtlich eigentlich passiert.
Wir haben schon seit 1996 das Karlsruher Urteil, das grundsätzlich sagt, dass das, was im Asylgesetz und im Grundgesetz verankert ist, verfassungskonform ist. Aber wir müssen den Menschen heute doch viel mehr sagen. Wir müssen ihnen sagen: Das setzt das Asylverfahren nicht aus. Es beschleunigt das Asylverfahren. Es führt dazu, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge innerhalb einer Woche prüfen soll. Auch soll eine Abschiebeandrohung erfolgen, die wiederum in einer Woche vollzogen werden kann. Das ist es, was die Menschen erwarten, nicht nur die Menschen in unserem Land, sondern auch die Menschen, die zu uns kommen und doch die Gewissheit brauchen, ob sie eine Bleibeperspektive haben oder nicht. Deswegen gibt es aus meiner Sicht gar keinen Widerspruch.
Ich will auch noch einmal sagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, denn das ist bis jetzt in dieser Debatte kaum vorgekommen: Die Bundesregierung ist per Gesetz verpflichtet, das ist in § 29a Asylgesetz geregelt, alle zwei