Ein Beispiel dafür: Über 60 % der deutschen Ingenieurinnen und Ingenieure sind Absolventen unserer Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Mit dieser hervorragenden Ausbildungsleistung der Hochschulen wird das Feld für unsere vielfältige Wirtschaft bereitet, die von diesen Fachkräften lebt und deren Qualität weltweit anerkannt ist, so sehr anerkannt, dass ein Reifenhersteller aus meiner Heimatstadt global mit dem Slogan wirbt: „Do it with german engineering“.
Die Hochschulen verbinden also theoretische und praktische Bildung. Sie bieten einen Bachelorabschluss, der tatsächlich zum Beruf befähigt. Sie bieten aber auch einen wissenschaftsorientierten Master, und sie betreiben anwendungsorientierte Forschung, und dies auf hohem Niveau. Aus allen diesen Gründen haben wir einen Schwerpunkt auf ihre Entwicklung gelegt, die sehr positiv zu bewerten ist.
Sie helfen uns besonders bei einer Entwicklung, die da heißt, dass die junge Generation eine stärkere Studierneigung hat. Immer mehr junge Menschen streben ein Studium an. Aufgrund der vorgenannten Eigenschaften der Hochschulen haben wir uns als Koalition entschieden, die Hochschulen im Rahmen des hessischen Hochschulpakts, aber auch im Rahmen des Hochschulpakts 2020 besonders wachsen zu lassen. Das heißt: Im Zehnjahresvergleich von 2005 bis 2015 sind sie bereits um 50 % gewachsen, und sie haben sich verpflichtet, weitere Studierende aufzunehmen. Sie haben sich verpflichtet, noch mehr Bildungsgänge einzurichten, ihre Kapazitäten zu erweitern, und sie machen das mit großem Erfolg, weil wir ihnen die richtigen Rahmenbedingungen dafür eingeräumt haben.
Diese Entscheidung der schwarz-grünen Koalition fußt gerade darauf, dass die jetzt stattfindende Bildungsexpansion
Es geht hier nicht darum, die beiden Hochschultypen, die Universitäten und die Fachhochschulen, heute Hochschulen für angewandte Wissenschaften, gegeneinander auszuspielen oder Hochschulbildung auf Nützlichkeitsüberlegungen zu reduzieren; aber es ist unsere Überzeugung, dass die Hochschulen für angewandte Wissenschaften in einer langfristigen Hochschulentwicklung eine große Rolle spielen müssen. Diese stärkere Rolle umfasst eben auch ihre Forschungstätigkeit. Die Hochschulen haben bereits gezeigt, dass sie hervorragende anwendungsorientierte Forschung betreiben. Daher war es nur logisch, dass dieser Landtag in der Hochschulgesetznovelle die Möglichkeit für ein eigenständiges Promotionsrecht geschaffen hat. Gerade diese Entscheidung hat die Hochschulen elektrisiert und schenkt uns bundesweit Beachtung. Ich bin sehr glücklich, dass Hessen an dieser Stelle bundesweit Vorreiter ist.
Die Bedeutung des eigenständigen Promotionsrechts für Hochschulen für angewandte Wissenschaften kann gar nicht hoch genug bemessen werden. Zum ersten Mal wird es nämlich möglich, dass in den anwendungsorientierten Wissenschaften, beispielsweise in Sozialer Arbeit, direkt und nicht in einer sogenannten Bezugswissenschaft eigenständig wissenschaftlicher Nachwuchs ausgebildet werden kann.
Aber auch für die Wirtschaft ist das sehr wichtig. Um das zu unterstreichen, darf ich aus einem Gastbeitrag von Hans-Hennig von Grünberg aus dem „Handelsblatt“ vom 10. Juni zitieren. Er fordert das Promotionsrecht auch in anderen Bundesländern und sagt:
Eine eigenständige Forschung wiederum braucht eine angemessene Forschungsausstattung, aber vor allem eines: eigene Doktoranden. Für die Aufgaben der Zukunft braucht Deutschland und der regional orientierte Mittelstand schlagkräftige Hochschulen für angewandte Wissenschaften, also Hochschulen mit Promotionsrecht, die ihren eigenen Weg gehen und sich um ihren Nachwuchs selber kümmern dürfen.
Genau diesen Weg gehen wir in Hessen, mit eigenständigem Forschungsbudget und eigenständigem Promotionsrecht, und ich finde das sehr gut so.
Alles Positive, was ich über die Entwicklung der Hochschulen berichten konnte, ist aber nicht gottgegeben, sondern hart erkämpft. Gerade wenn wir uns den sogenannten Hochschulpakt 2020 und die Fragen der Forschung anschauen, bedarf es einer Weichenstellung und einer Absicherung durch einen Beschluss dieses Landtags.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Hochschulen wollen wissen, wie die Fraktionen in diesem Haus dazu stehen, dass sie sowohl hinsichtlich der Ausbildungsleistung als auch der Forschung große Fortschritte erzielt haben. Sie wollen wissen, wie die einzelnen Fraktionen dazu stehen,
dass die Hochschulen für angewandte Wissenschaften das Promotionsrecht bekommen haben. Hier sind insbesondere die SPD und die FDP gefragt, die sich in der Vergangenheit nicht eindeutig geäußert haben.
Daher haben wir diesen Antrag vorgelegt, der beschreiben soll, wie wir uns die Entwicklung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften vorstellen und wie dieser Pfad weitergegangen werden soll. Wir würden uns freuen, wenn die Opposition dem mit klaren Aussagen beitreten könnte.
Wir brauchen eine Entscheidung hinsichtlich des Hochschulpakts 2020. Um auf die noch bestehende Wand – bildlich gesprochen – vom Anfang meiner Rede zurückzukommen: Der Hochschulpakt 2020 ist nicht mit unserem hessischen Hochschulpakt zu verwechseln, sondern ein Programm, das vom Bund ausgeht und viel Geld mit sich bringt. Insbesondere für die Hochschulen für angewandte Wissenschaften ist dieser Pakt immens wichtig, denn sie bestreiten daraus bis zu 30 % ihrer Haushalte.
Es ist uns GRÜNEN schon lange klar, dass der sogenannte Studierendenberg eigentlich ein Studierenden-Hochplateau ist. Trotzdem ist der Hochschulpakt 2020 so aufgebaut, als wären die hohen Studierendenzahlen eine vorübergehende Erscheinung. Die Mittel des Paktes wachsen zunächst auf, sinken dann aber wieder und verebben nach 2020 vollständig. Wir wissen aber, dass es bei den Studierendenzahlen nicht zu dieser Entwicklung kommen wird.
Was ist die Konsequenz daraus? Sollen wir die Angebote, die wir gerade erfolgreich aufbauen, wieder einstampfen? Gewiss dürfen wir das nicht tun, denn das würde vielen jungen Menschen das Tor zu den Hochschulen verschließen. Es würde vor allen Dingen die Hochschulen für angewandte Wissenschaften treffen – und damit all die positiven Entwicklungen, sei es die Verknüpfung von beruflicher und akademischer Bildung, sei es der Wissenstransfer an kleine und mittlere Unternehmen, sei es die anwendungsorientierte Forschung. All das würde abgesägt. Das kann nicht unser Ziel sein.
Daher müssen wir heute ein starkes und hoffentlich überparteiliches Signal an den Bund senden, das lautet: Wir brauchen den Hochschulpakt 2020 unbedingt,
und wir brauchen die Mittel nicht nur für fünf Jahre, sondern auf Dauer, damit die Entwicklung bei den Hochschulen für angewandte Wissenschaften weitergehen kann. Wir als Land können die dafür notwendigen Mittel nicht alleine stemmen.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit vorhanden, unsere Bildungs- und Forschungsaktivitäten in diesem Bereich nicht zu beschneiden. Wir müssen sie vielmehr ausbauen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und der jungen Generation beste Chancen zu bieten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Ger- hard Merz (SPD))
Für uns GRÜNE und die Koalition ist klar: Unsere Hochschulen für angewandte Wissenschaften müssen in ihrer Entwicklung gefördert werden, damit den jungen Menschen weiterhin beste Chancen geboten werden. – Es würde mich freuen, wenn der Redner der SPD-Fraktion zu diesem Punkt qualifizierter sprechen würde, als es die Zwischenrufe des Herrn Merz während meiner Rede waren.
(Gerhard Merz (SPD): Vor allen Dingen weniger Phrasen dreschen! – Gegenruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Merz ist heute schlecht gelaunt!)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich den Antrag gelesen habe, war ich hin- und hergerissen; denn das Erste, was mir einfiel war: „Na endlich!“ Der Antrag beachtet nämlich die Kontinuität in der Regierungsarbeit. Mein zweiter Gedanke war: Haben die GRÜNEN vielleicht doch mehr durchgesetzt, als ich gedacht habe? – Das beträfe sozusagen die Diskontinuität zwischen der früheren und der jetzigen Koalition.
Warum ich „Na endlich!“ gedacht habe, will ich an einem simplen Beispiel darstellen. Mein Kollege Michael Siebel war vor mir hochschulpolitischer Sprecher unserer Fraktion und hat die Anfänge des LOEWE-Programms begleitet. Er hat damals vehement eine eigene Förderungslinie für die damaligen Fachhochschulen, also für die heutigen Hochschulen für angewandte Wissenschaften, gefordert. Insofern: Na endlich, seit einiger Zeit ist es gut.
Es gibt da aber noch ein paar kleine Probleme, denn Sonntagsreden sind tückisch: Die Aussagen verblassen manchmal im Alltag. Wer Forschung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften haben will, der sollte nicht nur darüber reden, der sollte keine kleinen Budgets zur Verfügung stellen, sondern überlegen, wie das funktioniert. Dabei reicht es nicht, das Promotionsrecht zu gewähren oder ein kooperatives Promotionsrecht einzuführen. Die Frage ist vielmehr: Gibt es dort überhaupt einen forschungsgemäßen Mittelbau? Forschung ist nämlich kein Einpersonenunternehmen, bei dem ein genialer Professor mit seinen Studierenden etwas erforscht, sondern sie bedarf einer ziemlichen komplexen Struktur. All das haben die Fachhochschulen nicht.
Eine weitere Frage: Wir muten den an den Fachhochschulen Lehrenden sehr hohe Stundendeputate zu. Was bedeutet das für die Forschung? Auch das ist eine unbeantwortete Frage. Wir geben im Hessischen Landtag zwar schöne Erklärungen ab, aber die Detailfragen, wie die Hochschulen das organisieren sollen, werden hier nicht debattiert. Mit den Problemen müssen die Hochschulen im Rahmen ihrer Autonomie fertig werden. Aber: Geld allein reicht hier nicht.
Damit mein Beitrag nicht zu bissig wird: Es ist wirklich ein Fortschritt erzielt worden, aber er kommt aus einem ganz zentralen Grund zu spät. Das Land Hessen hat, wie wir alle wissen, bei den Ausgaben pro Studierenden einen Platz im Mittelfeld der deutschen Hochschullandschaft. Wir haben es zum Teil verpennt, bei den Studienplätzen, die wir in Hessen haben, eine vernünftige Steuerung zu betreiben. Lieber Herr Kollege May, das will ich gar nicht den GRÜNEN zum Vorwurf machen; das haben vergangene Landesregierungen versäumt. Die Landesregierungen anderer Länder haben sich darüber Gedanken gemacht, wie das Hochschulsystem, das tertiäre System insgesamt aussehen soll, und haben, als sich große Studierendenzahlen aufbauten, sehr bewusst einen Schwerpunkt auf die damaligen Fachhochschulen, die heutigen Hochschulen für angewandte Wissenschaften, gelegt. Hessen hat das den Universitäten und Hochschulen überlassen – mit dem Ergebnis, dass es nun ein etwas teureres System hat, weil der Zuwachs an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften zwar groß, an den Universitäten aber ein deutliches Stück größer ist. Das ist bekanntermaßen die teurere Variante.
Die zweite Frage, wie sich die Studierenden über das Land verteilen, wird ebenfalls eher dem Zufall überlassen. An die spannende Frage, welche Verantwortung wir als Hessischer Landtag haben, welche Verantwortung die Landesregierung hat, möchte ich wiederholt eine weitere Frage anschließen: Ist die Hochschulentwicklung, ist die Entwicklung von Bildung nicht ein Teil der Landesentwicklung, sodass die Beteiligung der Regionen und die Auswirkungen auf die Regionen etwas genauer betrachtet werden müssten? Auch da haben wir, glaube ich, eine ganze Menge an Defiziten; denn im Moment wird die Hochschulentwicklungsplanung von den Hochschulen selbst gemacht. Das ist nichts, was das Land macht. Wir warten ja noch immer auf eine vernünftige Vorlage, in der das alles zusammengefasst wird, damit wir darüber auch im Landtag diskutieren können.
Ich stimme den Kollegen in der Frage zu, dass wir eine Debatte mit dem Bund über die Verstetigung der Mittel im Hochschulpakt 2020 haben werden. Ich würde an der Stelle das Problem bestimmter Förderungsstrukturen aber gerne einmal genau beschreiben. Die Idee, Anstoßprogramme mit einem großen Volumen aufzulegen und sich darauf zu verlassen, dass nach dem Auslaufen der Programme irgendwer schon dafür sorgen wird, dass es nicht wieder in den Keller geht, ist tendenziell gescheitert. Sowohl für den Hochschulpakt 2020 als auch für die Exzellenzinitiative gilt, dass zwar Geld mobilisiert wird, das eine im Prinzip wohltätige Wirkung hat, dass die Hochschulen die Programme aber nach ihrem Auslaufen, wenn sie quasi in den Normalbetrieb der Hochschulen integriert werden müssten, weil die Hochschulen auf das Geld angewiesen sind, an die Wand fahren lassen, wie Sie es präzise beschrieben haben. Das heißt, wir haben in Deutschland immer noch das Problem der Unterfinanzierung des Bildungssektors und des Hochschulsektors. Ich glaube, es ist gemeinsamer Anstrengungen wert, über diese Unterfinanzierung weiter zu streiten.
Ich komme zum nächsten Punkt, der die Gewichte ein kleines bisschen kritischer setzt. Das ist überhaupt nicht auf eine Partei oder auf die Auseinandersetzung „Landesregie
rung versus Opposition“ zugespitzt. Die Frage ist vielmehr: Nehmen wir unsere Reden wirklich ernst? Wir haben zwar die große Zahl an Studierenden „bewältigt“, aber wenn Sie sich einmal anschauen, wie viele Leute die Last der Ausbildung tragen, wie gering die Professorinnen- und Professorendichte an Hochschulen und Universitäten ist, dann wissen Sie, dass die Qualität der Ausbildung auf Überlast gefahren wird. Das verlangt strukturell eigentlich danach, dass alle Bundesländer etwas dafür tun, dass wir mehr Menschen gewinnen, die als Professorinnen und Professoren an Hochschulen arbeiten. Das ist eine Auseinandersetzung, in der wir in Prioritätendebatten oder in Schuldenbremsendebatten geraten – was auch immer.
Aber wenn wir unsere Beiträge in den Sonntagsreden ernst nehmen, nämlich dass Bildung eines der zentralen Ziele deutscher Politik ist, stellen wir fest, dass wir mit diesem Punkt noch nicht fertig sind. Es reicht nicht, die Ruhmestaten der Vergangenheit immer wieder vorzutragen, sondern es ist nötig, darüber zu reden, wie wir es hinbekommen, gemeinsam so viel zu mobilisieren, dass wir in Deutschland eine Hochschulbildung auf der Qualitätsstufe zumindest einer mittleren ausländischen Universität erreichen. Die Spitzenuniversitäten sind nicht mein Punkt, weil diese Sonderfinanzierungsregeln haben, die mit unseren Regelungen nicht vergleichbar sind.
Dazu gehört auch, zu fragen: Wie sieht das Ausbildungssystem insgesamt aus? Wie wird das Gleichgewicht zwischen dualer Ausbildung, Ausbildung an Fachhochschulen bzw. Hochschule für angewandte Wissenschaften und Universitäten gewahrt? Auch dort gibt es eine Reihe von Debatten, um die wir uns herumdrücken.
Die Frage ist: Was gehört eigentlich in die Ausbildung? Wo übernehmen Hochschulen für angewandte Wissenschaften bereits Aufgaben, die eigentlich in die duale Ausbildung gehören, die aber von den Unternehmen längst nicht mehr wahrgenommen werden? Das ist einer politischen Debatte wert; davon gibt es eine ganze Reihe.
Andersherum stellt sich die Frage, welche heutigen Ausbildungsberufe aus Gründen der Qualifikation an Hochschulen für angewandte Wissenschaften gehören. Sie kennen das Problem, das wir bei bestimmten Pflege- und Betreuungsberufen haben: Es geht um die Frage der Diagnostik. Ich sage es einmal ganz flapsig: Das Bildungssystem in einem Land, das es schafft, 7 Millionen funktionale Analphabeten zu produzieren, ist gescheitert.