Die Bürokratie, die Sie mit dem Mindestlohn und weiteren Reglementierungen auf dem Arbeitsmarkt noch schaffen wollen, ist schädlich für Deutschland. Sie beeinträchtigt die Lebenschancen und die Möglichkeiten von Menschen, die sich um ihren Arbeitsplatz sorgen. Beenden Sie diese Politik, und kehren Sie zu der Politik von Herrn Schröder und seiner Koalition zurück. Beseitigen Sie das Bürokratiemonster, das Sie geschaffen haben. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit über einem Jahr gilt endlich ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland. Ich stelle fest, dass sich bisher kein einziges der vielen Horrorszenarien, die vorher als Argumente gegen den Mindestlohn angeführt wurden, bestätigt hat.
Ja, viele Menschen profitieren heute vom Mindestlohn. Allerdings könnten noch viel mehr von ihm profitieren, wenn der Mindestlohn besser ausgestaltet wäre und ohne diese unseligen Ausnahmen auskäme. Dass Langzeiterwerbslose zu einem Lohn unterhalb des Mindestlohns eingestellt werden können, macht diese praktisch zu Arbeitnehmern zweiter Klasse, und es werden damit die Bemühungen unterlaufen, das gesamte Lohnniveau anzuheben.
Ich denke, dem ständigen Druck aus der Wirtschaft, neue Ausnahmen zu schaffen, z. B. für Geflüchtete, muss deutlich widersprochen werden. DIE LINKE lehnt jegliche Ausnahme vom Mindestlohn strikt ab. Der Mindestlohn muss für alle Menschen gelten.
Aber der Mindestlohn ist nicht nur löchrig wie ein Schweizer Käse, sondern er wird auch unzureichend kontrolliert. Der Zoll als zuständige Kontrollbehörde ist unzureichend ausgestattet, und die überfällige Personalaufstockung wird von der Bundesregierung immer wieder aufgeschoben. Laut DGB sind die Kontrollen sogar rückläufig. Ich finde, das grenzt schon an eine mutwillige Sabotage des Mindestlohns. Dass Stimmen aus der Union, aber auch aus der FDP immer wieder die weitere Aufweichung der Dokumentationspflichten seitens der Arbeitgeber fordern, passt genau dazu.
Aber auch über die Höhe des Mindestlohns müssen wir reden. Es macht die Umgehungsversuche besonders dreist, dass der Mindestlohn als absolute Untergrenze immer noch ein Niedriglohn ist. Wer von denen, die den Mindestlohn ablehnen – das frage ich speziell auch an die FDP gerichtet –, wäre bereit, für 8,50 € pro Stunde zu arbeiten? Wer wäre bereit, jeden Morgen für ein Leben auf Sozialhilfeniveau aufzustehen? Wer wäre bereit, den Kindern zu erklären, dass ein Kinobesuch, Eis essen oder gar ein Urlaub ein Luxus ist, den man sich nicht leisten kann?
Ich finde, wir sollten uns einmal in die Lage von jemandem versetzen, der Vollzeit arbeitet und trotzdem aufstocken muss. Wenn Arbeit so wenig wert ist wie Dreck, nimmt das den Menschen nicht nur die materielle Grundlage, sondern auch die Würde.
Eine sinnvolle Untergrenze wäre ein Mindestlohn von 10 €; denn diese 10 € pro Stunde braucht man mindestens, um nach 45 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu erhalten. Das setzt eine Erwerbsbiografie voraus, die viele Menschen überhaupt nicht mehr haben. Die Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Bundestagsfraktion hat gerade ergeben, dass heute nahezu jeder
Niedriglöhne stehen in direktem Zusammenhang mit der zunehmenden Altersarmut. Schon heute liegen die gesetzlichen Renten in Hessen im Durchschnitt nur bei etwas über 750 €; bei Frauen sind es noch deutlich weniger. Viele Menschen können nicht mehr von ihrer Rente leben. Sie sind oft gezwungen, bis ins hohe Alter zu arbeiten, um nicht völlig in die Armut abzurutschen.
Die SPD versucht jetzt natürlich, die Symptome zu lindern, und gebiert Konzepte wie die „Lebensleistungsrente“, von der aber nur einige wenige Jahrgänge unter ganz bestimmten Umständen profitieren. Dabei haben Sie – das muss man deutlich machen – die Probleme mit der Altersarmut selbst mit verursacht. Es waren die Demontage der gesetzlichen Rente zugunsten der Privatversicherungswirtschaft und die Absenkung des Rentenniveaus, die seinerzeit eine rot-grüne Bundesregierung beschlossen hat. Erst wurde die Riester-Rente eingeführt, und dann kam das sogenannte Nachhaltigkeitsgesetz – was für ein absurder Name –, mit dem das Rentenniveau schrittweise sinkt. Dann hat die Große Koalition zusätzlich die Rente ab 67 durchgesetzt, also eine weitere Rentenkürzung.
Deshalb: Wer die Altersarmut bekämpfen und dafür sorgen will, dass Menschen im Alter in Würde leben können, muss sich erstens für höhere Löhne einsetzen und zweitens dafür, dass die unseligen Rentenreformen der letzten Jahre zurückgenommen werden.
Da die SPD-Fraktion diesen Antrag nun einmal eingebracht hat: Leider war es eine rot-grüne Bundesregierung, die die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, die Sie mit Ihrem Antrag wiederherstellen wollen, beseitigt hat.
Herr Decker, Sie haben vorhin von einer „gut gemeinten Deregulierung“ gesprochen, die quasi schiefgegangen sei. Aber prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne waren doch kein Versehen und kein Kollateralschaden der Agenda 2010, sondern ihr integraler Bestandteil. Gerhard Schröder hat damals in seiner Agenda-2010-Rede gesagt: „Wir wollen einen Niedriglohnsektor schaffen.“ Es war also das erklärte Ziel, einen solchen Niedriglohnsektor zu schaffen.
Deshalb: Wer über Armut und Niedriglöhne spricht, darf über die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze nicht schweigen; denn sie haben das Lohnniveau massiv gedrückt.
Das war eben auch genau das Ziel dieser sogenannten Reformen. So ist der Mindestlohn jetzt vor allem eine Linderung der Folgen der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Hartz I bis IV waren Angriffe auf das sogenannte Normalarbeitsverhältnis, von dem man einigermaßen vernünftig leben konnte: die Liberalisierung der Leiharbeit durch Hartz I, die Einführung der Minijobs durch Hartz II und natürlich Hartz IV, das niedrige Regelsätze bedeutet, von denen die Menschen nicht leben können, und wegen der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln den Zwang, quasi jeden Job annehmen zu müssen.
Wir haben hier die Situation, dass, wer in Hartz IV rutscht und in einem eigenen Haus oder in einer eigenen Wohnung lebt, nur dann Arbeitslosengeld II bekommt, wenn der Wohnraum nicht zu groß ist. Sonst muss das Eigenheim in der Regel verkauft werden. Das ist so absurd, wenn den
Menschen zuerst erzählt wird, sie sollten privat für das Alter vorsorgen – und dann, wenn sie arbeitslos werden, müssen sie ihre gesamte Altersversorgung erst wieder auflösen, um überhaupt Arbeitslosengeld II zu bekommen. Das, was dort gemacht wird, ist doch ein Irrsinn. Das muss man doch auch einmal so deutlich sagen.
Die Angst der Beschäftigten vor Hartz IV wirkt sich natürlich auch auf die Kampfkraft der Gewerkschaften aus. Das hat mit dafür gesorgt, dass die Reallöhne in Deutschland in den letzten Jahren gesunken sind. Und es ist eben nicht so, dass man das alles nicht hätte wissen und absehen können, was dort passiert ist. Genau vor den Folgen, die heute beklagt werden, haben damals die Gewerkschaften, aber auch die LINKEN schon gewarnt. Genau vor dem, was Sie, Herr Decker, jetzt, als ungeahnte Folgen darstellen, die man nicht hätte kennen können, wurde ausdrücklich gewarnt. Der DGB warnte angesichts der Hartz-Gesetze vor „erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen“. Zur Bundestagsanhörung zu Hartz IV warnte der DGB unter anderem: „Arbeit um jeden Preis führt zu Dequalifizierungsund Verdrängungseffekten, nicht jedoch zum Aufbau zusätzlicher Beschäftigung“.
Das alles war absehbar. Deswegen bin ich der Meinung, dass die hessische SPD glaubwürdiger wäre in ihrem Kampf für gute Arbeit, wenn sie einräumen würde, dass die Hartz-Reformen einfach ein schwerer Fehler waren, statt letztlich kleine, aber mit großem Aufheben beworbene Symptomkorrekturen zu betreiben.
Wenn Sie jetzt versuchen, ein Gesetz zur Herstellung der Ordnung bei Leiharbeit und Werkverträgen gegen den Willen der CSU durchzusetzen, dann ist das auch nur ein kleiner Schritt zurück im Vergleich zur vorherigen Deregulierung im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Aber allein der Name ist schon vielsagend: Ordnung bei der Leiharbeit. Leiharbeit verdammt Betroffene zu einem Leben auf niedrigstem Einkommensniveau, zu ständiger Unsicherheit, ist gleichbedeutend mit Prekarisierung, völliger Unsicherheit der Arbeits- und Lebensverhältnisse. Deshalb muss sie dringend zurückgedrängt werden.
Der Referentenentwurf, über den wir hier reden, liegt seit Monaten auf Eis. Er wurde auch jetzt schon von den Gewerkschaften als absolut unzureichend kritisiert. Nun reden wir jetzt hier in erster Linie über Bundesregelungen. Aber ich will natürlich auch sagen, dass auch diese Landesregierung mehr für gute Arbeit tun könnte. Dazu gehört vor allem, dass wir ein Vergabe- und Tariftreuegesetz brauchen, das den Namen verdient, und vor allem wirksame Kontrollen, damit das nicht unterlaufen werden kann.
Meine Damen und Herren, um prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse zu bekämpfen, brauchen wir einen stärker regulierten Arbeitsmarkt. Sachgrundlose Befristungen müssen ebenso verboten werden wie die Leiharbeit. Das unbefristete Arbeitsverhältnis muss wieder die Regel werden – mit einem Lohn, von dem man heute und im Alter gut leben kann. Deshalb, das will ich an dieser Stelle auch sagen, unterstützen wir die Forderungen der Gewerkschaften in den anstehenden Tarifrunden.
Die IG Metall fordert 5 % mehr Lohn. Ich finde, angesichts der hohen Gewinne vieler Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie ist das Angebot der Arbeitgeber von nicht einmal 1 % eine Frechheit. Deshalb unterstützen wir auch die IG Metall und ihre Forderungen in dieser Tarifrunde.
Ver.di und GEW fordern für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen 6 % mehr Lohn. Da geht es auch um die Frage der Wertschätzung des öffentlichen Dienstes, insbesondere im Sozial- und Erziehungsdienst, in der Pflege, in den Krankenhäusern, wo ver.di demnächst zu Warnstreiks aufruft. Ich finde, das Argument, es sei kein Geld da, kann an dieser Stelle einfach nicht gelten. Denn wir haben gerade einen Haushaltsüberschuss von 12 Milliarden € im Bund. Bei den klammen Kommunen ist das Geld auch nicht weg. Es ist woanders. Das ist systematisch umverteilt worden. Deshalb finde ich, dass endlich Reiche und Vermögende zur Kasse gebeten werden müssen, damit die Krankenschwester oder der Erzieher einen vernünftigen Lohn hat und keine Angst vor Altersarmut haben muss.
Frau Kollegin Wissler, es ist keine Zeit mehr. Die Zeit ist weg. Ich würde Sie bitten, langsam zum Schluss zu kommen.
Vielen Dank, das mache ich. – Ein letzter Satz: Ich denke, gute Löhne für solche Menschen, die so einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten, müssen drin sein. Wenn die höchsten Vermögen in diesem Land jährlich um 8 bis 10 % steigen, dann kann man nicht sagen, dass die berechtigten Forderungen der Gewerkschaften maßlos sind. Deshalb wünschen wir den Gewerkschaften viel Erfolg in den anstehenden Tarifrunden. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Schon mal etwas von Tarifautonomie gehört? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))
Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat der Wirtschaftsminister, Staatsminister Al-Wazir.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint so zu sein, als sei aus einer ursprünglich vor allem über die Frage, was wir mit unseren hessischen Gesetzen erreicht haben, angekündigten Debatte hier eine allgemeine Debatte über Grundsätze des Mindestlohns, der Wirtschaftspolitik, der Hartz-Gesetze usw. entstanden.
Doch, ich habe den Antrag gelesen. Aber ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen und vielleicht einmal verbindend feststellen: Seien wir doch froh, dass die Einführung des Mindestlohns die befürchteten negativen Auswirkungen, die manche vorher befürchtet hatten, nicht hatte. Seien wir doch froh.
Nehmen wir das auch zur Kenntnis. Ich finde, dass es eine gute Nachricht ist, dass wir einen Mindestlohn in Deutschland seit 1. Januar 2015 haben und dass wir da keine negativen Auswirkungen hatten, sondern unterm Strich so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie, weniger Minijobs, aber eben keinen Verlust an Arbeit, sondern unter dem Strich auch ein Plus an geleisteten Arbeitsstunden. Freuen wir uns doch einfach einmal auch über diese Tatsache.
Ich will zweitens Folgendes hinzufügen: Ganz so einfach ist es natürlich nicht, Frau Kollegin Wissler, wenn man zurückschaut. Zur Wahrheit gehört auch, dass es auch Leute gab, die sich schon bei der Erarbeitung der Agenda 2010 Gedanken gemacht haben, ob man nicht gleichzeitig einen Mindestlohn einführen muss. Damals waren es mit die Gewerkschaften, die das verhindert haben. Ver.di war immer dafür.