Protocol of the Session on May 17, 2016

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, die Bedeutung des Handwerks ist unstrittig. Gerade deshalb müssen wir das Handwerk dringend vor weiterer Deregulierung schützen. Ein großer Schlag gegen das qualifizierte Handwerk geschah im Jahr 2004 durch die Handwerksnovelle der rot-grünen Bundesregierung im Zuge der HartzGesetze. Die Deregulierung war damals die Antwort auf alles gewesen. Von den seinerzeit 94 Gewerken, bei denen ein Meisterbrief als Grundvoraussetzung für die selbstständige Ausübung vorgeschrieben war, blieben nur 41 erhalten. Der überwiegende Teil der traditionsreichen Handwerksberufe, also 53, wurde vor zehn Jahren in Deutschland dereguliert, darunter Berufe wie Schuhmacher, Parkettleger, Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Modellbauer und Feinoptiker.

Ob damit das Ziel erreicht wurde, Impulse für neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu geben und die wirtschaftliche Entwicklung des Handwerks zu stärken, möchte ich zumindest bezweifeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Umgekehrt hat es aber zu Dumpingkonkurrenz für Traditionsbetriebe und zu mehr Unsicherheit bei den Verbrauchern geführt. Deshalb muss den Plänen zu einer weiteren Deregulierung, egal ob durch die Bundesregierung oder die EU, eine deutliche Absage erteilt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Handwerk leistet einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von Ausbildungsplätzen; aber auch im Handwerk gehen die Ausbildungszahlen leider zurück. Das konnten wir in der Antwort auf die Große Anfrage nachlesen; auch, dass das vielfältige Gründe hat.

Ich sage es noch einmal: Eine Ausbildungsplatzumlage, die Betriebe zahlen müssten, die nicht ausbilden, könnte gerade den kleinen Handwerksbetrieben zugutekommen. Es zeigt sich immer wieder deutlich, dass Klein- und Kleinstbetriebe überproportional ausbilden, während sich Großkonzerne aus der Verantwortung stehlen. Deshalb halten wir die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage für dringend notwendig. Wenn Großunternehmen schon zu wenig ausbilden, dann sollten sie sich doch wenigstens an der Finanzierung beteiligen, damit die kleinen Betriebe, die ausbilden wollen, auch die Möglichkeit haben, es zu tun.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

Wenn wir heute den Meister loben, was mehrfach passiert ist, sollten wir auch über die Bedeutung des MeisterBAföG reden. Das Meister-BAföG ist ein ganz wichtiges Instrument für berufliches Fortkommen und müsste von der Bundesregierung dringend in ausreichendem Maße an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Um das Handwerk auch zukünftig attraktiv zu machen, braucht es gute Arbeitsbedingungen. Es gibt eine repräsentative Umfrage „DGB-Index Gute Arbeit“, wonach nur 10 % der im Handwerk Beschäftigten ihre Arbeitsbedingungen für gut halten. Knapp die Hälfte berichtet, dass ihr Arbeitseinkommen nicht oder nur gerade so zum Leben reicht. 80 % gehen davon aus, dass ihre Rente nicht oder nur gerade so reichen wird. 52 % gehen davon aus, dass sie unter ihren derzeitigen Arbeitsbedingungen ihren Job gar nicht bis zur Rente durchhalten. Deswegen will ich an der Stelle auch noch einmal deutlich sagen: Wem das Handwerk und die Handwerker am Herzen liegen, der sollte wissen, dass der Dachdecker oder der Fliesenleger nicht bis 67 arbeiten kann. Die Rente ab 67 ist gerade für die Handwerker auch eine Rentenkürzung.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Gerade in den Berufen, in denen schwer körperlich gearbeitet wird, ist es unmöglich, noch im höheren Alter zu arbeiten. Wir wissen, dass es für diese Handwerker kaum andere Tätigkeitsfelder gibt. Ein kleiner Handwerksbetrieb kann den Fliesenleger oder den Dachdecker, den er nicht mehr auf dem Bau einsetzen kann, schwerlich in die Verwaltung stecken. In der Regel hat er dafür nur eine Person, wenn überhaupt.

Was die Menschen im Handwerk durchhalten lässt, ist besonders oft die Hingabe an ihren Beruf. 81 % der im Handwerk Beschäftigten identifizieren sich mit ihrer Arbeit. Das allein reicht nicht zum Leben. Es braucht auch gute Löhne und gute Renten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Handwerk zu stärken, heißt auch, das Handwerk attraktiv zu machen, um neue Fachkräfte auszubilden und um bestehende Fachkräfte zu halten. Das bedeutet, dass die Politik gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen unterstützen muss, z. B. auch durch Verbesserungen im Vergabeund Tariftreuegesetz. Da kann die öffentliche Hand Macht entfalten. Dabei geht es auch um die Frage einer Ausschreibungspraxis für öffentliche Aufträge, die es kleinen Betrieben ermöglicht, sich auch an Ausschreibungen zu beteiligen. Es sollten also nicht zu große Ausschreibungspakete sein, und die Anforderungen sollten dementsprechend gestaltet sein.

Anders als die FDP bin ich der Meinung: Ja, auch der Mindestlohn hilft dem Handwerk sehr wohl. Die FDP hat gerade einmal mehr die Dokumentationspflichten zum Mindestlohn kritisiert. Das kennt man von der FDP. Ich muss allerdings auch sagen, dass mir das Verständnis dafür fehlt, dass sich auch die Handwerkskammern immer wieder über den Mindestlohn und die damit verbundenen angeblichen bürokratischen Belastungen der Dokumentationspflicht beschweren. Ich gehe davon aus, dass es gerade die qualifizierten Handwerksbetriebe sind, die durch den Mindestlohn vor einer Dumpingkonkurrenz geschützt sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen, auch noch einmal in Richtung FDP, ist doch die Arbeitszeiterfassung ein völlig alltäglicher Vorgang. Die Aufzeichnungspflicht gilt dabei gerade einmal für neun besonders schwarzarbeitsanfälligen Branchen und Minijobs. Der typische Dokumentationsaufwand eines Kleinbetriebs umfasst eine Tabelle auf einer DIN-A4-Seite

zur Erfassung von zwei Uhrzeiten täglich, einen Ordner zum Abheften und einen Taschenrechner zum Addieren am Monatsende. Das sind bürokratische Belastungen, die man zumuten kann, wenn es darum geht, den Mindestlohn durchzusetzen und zu dokumentieren, dass er gezahlt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Handwerk profitiert vom Mindestlohn auch in einer anderen Form. Es profitiert vom Mindestlohn, weil er zu höheren Gehältern führt und dadurch die Kaufkraft der Privathaushalte stärkt. Wer jeden Cent umdrehen muss, renoviert und saniert selbst oder schiebt es auf, aber er wird vermutlich keinen qualifizierten Fachbetrieb beauftragen.

Damit komme ich von den Privathaushalten zur öffentlichen Hand. Wir wissen, dass die öffentliche Hand ein ganz wichtiger Auftraggeber für das Handwerk ist. Wenn öffentliche Investitionen sinken, weil Kommunen unterfinanziert sind und die Infrastruktur im Namen der Schuldenbremse kaputtgespart wird, dann ist das auch für das Handwerk und die Beschäftigten im Handwerk ein Problem. Deswegen sagen wir: Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen auf allen Ebenen. Davon könnte auch das Handwerk profitieren. Dafür muss man aber Schluss machen mit der unseligen Politik des Festhaltens an der schwarzen Null und an der Schuldenbremse.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Thema Energiewende ist angesprochen worden. Ich glaube, auch hier hat das Handwerk eine Schlüsselrolle. Es ist die Frage, wie man die Energiewende ausgestaltet, wie sie in Angriff genommen wird, ob man wirklich schaut, wie man die Wertschöpfung vor Ort auch durch die Energiewende stärken kann. Ich glaube, auch da ist das Handwerk in einer Schlüsselrolle.

Meine Damen und Herren, ich denke, das Handwerk und seine Belange brauchen unsere Aufmerksamkeit, die selbstständigen Handwerker ebenso wie die im Handwerk Beschäftigten. Deswegen ist es richtig, heute Morgen darüber zu diskutieren. Das heißt aber natürlich auch, dass man die Probleme benennen muss. Das hat die Landesregierung zum Teil in der Antwort auf die Große Anfrage gemacht. Ich glaube, Landesregierung und Bundesregierung könnten hier noch einiges besser machen, um gute Bedingungen für das Handwerk zu schaffen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Staatsminister Al-Wazir.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftliche Situation des Handwerks in Hessen ist gut. Wir haben im letzten Jahr die Situation gehabt, dass in über 75.000 Betrieben rund 338.000 Beschäftigte gearbeitet haben, darunter mehr als 25.000 Auszubildende. Die Handwerksbetriebe in Hessen haben im letzten Jahr einen Umsatz von rund 33 Milliarden € erwirtschaftet, und gut 85 % der hessischen Handwerksunternehmen haben eine

insgesamt mindestens zufriedenstellende Geschäftslage gemeldet. Das sind gute Nachrichten für das Handwerk und damit auch gute Nachrichten für unser Bundesland.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Barth, bis September 2015 konnten 10.080 neue Lehrverträge bei den drei hessischen Kammern eingetragen werden. Wenn ich es recht gesehen habe, sind das mehr als 2014. In aller Regel kommen noch ein paar hinterher, die dann noch gemeldet werden. Das heißt, wir haben auch in diesem Bereich eine positive Bilanz. Das ist gerade in diesen Zeiten, in denen wir uns mit der Frage des Fachkräftemangels auseinandersetzen, ebenfalls eine gute Nachricht für die Zukunftsfähigkeit sowohl des Handwerks als auch unserer Gesellschaft.

Für die erste Hälfte dieses Jahres rechnen die Unternehmer aller Handwerksgruppen mit einer ähnlich guten Geschäftslage wie 2015. Ich will ausdrücklich hinzufügen, weil es angesprochen wurde: Dazu trägt auch bei, dass wir mit dem Haushalt ein Kommunalinvestitionsprogramm beschlossen haben, wo wir die Pi mal Daumen 300 Millionen € des Bundes um 700 Millionen € aufgestockt haben. Damit haben wir ein 1 Milliarde € schweres Kommunalinvestitionsprogramm aufgelegt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei haben wir die Kriterien so festgelegt, dass gerade die Schutzschirmstädte – Frau Kollegin Barth, wenn ich es recht im Kopf habe, ist in absoluten Zahlen der Gewinner die Stadt Kassel mit rund 40 Millionen €, und ich glaube, auf den zweiten Platz kommt die Stadt Offenbach mit gut 30 Millionen € –, die in der Vergangenheit aufgrund ihrer schwierigen Finanzlage weniger investiert haben, in die Lage versetzt werden. Ich bin sicher, das wird gerade dem örtlichen Handwerk helfen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind überzeugt davon, dass das Handwerk eine unverzichtbare Stütze unserer Wirtschaft ist. Ich will ausdrücklich sagen – es ist schon angesprochen worden –, dass dazu auch der Meisterbrief gehört. Die besonders qualifizierte Vorbildung der Meisterinnen und Meister im Handwerk bürgt für diese hohe Qualität, schafft qualifizierte Ausbildungsplätze und macht meistergeführte Betriebe krisenfest. Natürlich hilft da auch ein Blick zurück.

Natürlich ist es so, dass die Aufhebung des Meisterzwangs für bestimmte Bereiche im Handwerk, wenn man jetzt, zwölf Jahre später, zurückblickt, keine besonders positiven Auswirkungen hatte. Wir haben in diesem Bereich zwar einen Gründungsboom erlebt. Aber die Überlebensrate dieser neuen Handwerksbetriebe, die jetzt B1-Betriebe genannt werden, ist drastisch verringert. Das heißt, diese Betriebe sind nach fünf Jahren zu fast 60 % wieder vom Markt verschwunden.

Was ganz besonders negativ ist: Von ehemals 20 Auszubildenden auf 100 Betriebe im Jahr 2004 sank die Anzahl der Auszubildenden bis zum Jahr 2014 auf fünf Auszubildende pro 100 Betriebe, also ein Rückgang von 75 %. Das muss man an dieser Stelle sagen. Ich sage das auch als jemand, der einer Partei angehört, die 2004 im Bund an der Regie

rung beteiligt war und dies mit auf den Weg gebracht hat. Im Gegensatz dazu blieb die Überlebensrate der nach wie vor meisterpflichtigen A-Handwerke konstant hoch, ebenso die Ausbildungsleistung.

Um vielleicht den Unterschied klarzumachen: Wir haben beim nächsten Tagesordnungspunkt eine Debatte über die Vergabe. Gestern war in der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview mit dem Geschäftsführer des Zentralverbands des Baugewerbes zu lesen, der darauf hinweist, dass es vorher 17.000 Fliesenleger in Deutschland gab und jetzt 72.000. Das ist übrigens ein Teil des Problems bei der Durchsetzung der Bekämpfung von Schwarzarbeit. Wir haben es da sicherlich oft mit Scheinselbstständigkeit zu tun, und das macht manches komplizierter, als es vorher war.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen setzt sich die Landesregierung nach wie vor uneingeschränkt für den Erhalt des großen Befähigungsnachweises in den verbliebenen, so will ich sie einmal nennen, Berufen ein. Es ist für die Zukunft des Handwerks ganz besonders wichtig.

Meine Damen und Herren, wir reden auch über Gründen und Nachfolgen. Für eine vitale und stabile Wirtschaft sind gerade Existenzgründungen unerlässlich. Das unterstützen wir auf vielfältige Weise, nicht nur bei Neugründungen, sondern auch bei der Nachfolge bestehender Betriebe. Das wird in den nächsten Jahren eine ganz besonders große Rolle spielen.

Es gibt Zuschüsse, es gibt Beratung, es gibt Förderdarlehen, es gibt Bürgschaften, es gibt Beteiligungen. Es gibt sozusagen nichts, was es nicht gibt, wo wir darum kämpfen, dass wir neue Betriebe bekommen und bestehende erhalten bleiben.

Ganz besonders wichtig ist uns die Frage, wie wir die große Herausforderung der Integration von jungen Flüchtlingen in die Arbeitswelt bewerkstelligen. Da haben wir im Handwerk einen starken Partner; denn auch an diesem Punkt ist Baustein für gelingende Integration eine gelingende berufliche Erstausbildung.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon heute haben Schätzungen zufolge über 20 % aller Auszubildenden im Handwerk einen Migrationshintergrund, 11 % einen ausländischen Pass. Das heißt, das Handwerk ist auch ein Motor für die Integration und für die Frage, wie wir Integration zu einer gelingenden Sache machen.

Ich will ausdrücklich sagen, dass auch wir als Landesregierung verstärkt auf den Faktor Ausbildung für gelingende Integration setzen. Wir richten die Förderprogramme auch auf die Gruppe junger Flüchtlinge aus. Wir stocken die finanziellen Mittel in diesem Bereich um über 11 Millionen € in zwei Jahren auf und initiieren konkrete Projekte, wie z. B. „Wirtschaft integriert“, wo das Handwerk ein unverzichtbarer Partner ist. An dieser Stelle sage ich ausdrücklich vielen Dank dafür, dass wir da Menschen haben, die nicht fragen, was alles nicht funktioniert, sondern die sagen: Wir haben ein Problem, wir lösen es, wir machen einfach. – Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)