Protocol of the Session on December 17, 2015

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ganze ist zudem auch noch eine familienpolitische Bankrotterklärung; denn weit über 70 % der Einzelhandelsbeschäftigten, die zur Sonntagsarbeit gezwungen werden sollen, sind Frauen und Mütter – in vielen Fällen auch alleinerziehende Mütter –, für die der Sonntag bisher der einzige sicher arbeitsfreie Tag der Woche war.

In Hessen vollzieht sich seit Jahren eine schleichende Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes. In immer mehr Bereichen wird an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. Mit der sogenannten Liberalisierung des Ladenschlusses haben verkaufsoffene Sonntage sprunghaft zugenommen. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf der FDP ab und plädieren im Gegensatz dafür, den Sonntagsschutz wieder auszubauen und die Ladenöffnungszeiten auch an den Werktagen wieder zeitlich zu begrenzen.

(Beifall bei der LINKEN – Marcus Bocklet (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Echt?)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Bartelt, CDU-Fraktion.

Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Ladenöffnungsgesetz in Hessen findet breite Akzeptanz. Die Unternehmen mit ihren Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie die Kunden sind zufrieden. Es gibt keine gesellschaftliche Diskussion, die auf eine Änderung abzielt. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum zwischen der ersten und zweiten Lesung so viel Zeit verging. Wenn jetzt eine dritte Lesung beantragt wird, dann erkennt der Antragsteller ja auch selbst, dass noch ein Prozess des Nachdenkens und weiterer Gespräche sinnvoll wäre.

(Jürgen Lenders (FDP): Das geht aber nicht so weit, dass wir das zurückziehen!)

Sie haben, sowohl in Ihrem Gesetzentwurf als auch in den mündlichen Vorträgen zur ersten und zweiten Lesung im Ausschuss, die Differenziertheit in Abhängigkeit der legitimen Interessenslage der einzelnen Unternehmen gar nicht zum Ausdruck gebracht. Es ist schon ein Unterschied, ob man sein Geschäft im Zentrum einer großen Stadt, in einem Stadtteil oder in einer kleinen Gemeinde hat; denn vermehrte verkaufsoffene Sonntage führen zwangsläufig zu einer Zentralisierung des Einkaufs. Das hat auch entsprechende Auswirkungen auf die Struktur der Städte, die zu bedenken sind. Das bedarf einer differenzierten Darstellung, und diese ist vom Antragsteller zumindest noch nicht so sehr zum Ausdruck gebracht worden.

Der grundsätzlich arbeitsfreie Sonntag berücksichtigt, ganz allgemein gesprochen, die religiösen Bekenntnisse der Menschen, den Wunsch nach Entschleunigung und Erholung und das Bestreben, einfach einmal mit der Familie zusammen zu sein.

(Michael Siebel (SPD): Ach!)

Der freie Sonntag hat durch das Grundgesetz Verfassungsrang. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig erklärt, dass der Sonntag grundsätzlich arbeitsfrei ist. Die Gesetzgeber haben aber die Möglichkeit, Ausnahmen von dieser Regelung festzulegen, und das erfordert dann eine entsprechende Diskussion.

Es ist aber stets zu beachten: Der arbeitsfreie Sonntag ist die Regel; die erwerbstätige Arbeit am Sonntag ist die Ausnahme. Das Ziel des vorgelegten Gesetzentwurfs, den wir jetzt in zweiter Lesung beraten, ist, nun den Anlassbezug von zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntagen, neben den verkaufsoffenen Sonntagen vor dem Weihnachtsfest, abzuschaffen. Das möchten wir so nicht. Ich möchte jetzt die Argumente der Debatte zur ersten Lesung nicht wiederholen, sondern auf zwei Aspekte der Anhörung hinweisen: Die Vertreter der Kirchen haben sehr eindeutig und für viele von uns überzeugend dargelegt, dass sie einen Wegfall des Anlassbezuges für zusätzliche verkaufsoffene Sonntage als nicht verfassungskonform ansehen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn der Anlassbezug wegfällt, wird aus der Ausnahme eine Regel. Dies würde sicher beklagt werden, ganz sicher. Daran ließen die Vertreter der Kirchen mit ihren Äußerungen gar keinen Zweifel. Ein Urteil könnte den Gesetzgeber

zu Veränderungen der Ladenöffnungszeiten sowohl in die eine als auch in die andere Richtung auffordern. Jedenfalls würde der heute bestehende Konsens aufgehoben werden. Das können wir nicht für richtig halten, und dies ist der wesentliche Grund für uns, den Gesetzentwurf in dieser Form derzeit abzulehnen.

Die Stellungnahmen der Kommunalen Spitzenverbände seien, so haben Sie gesagt, Herr Lenders, positiv ausgefallen. Wenn man dies aber genauer nachliest, stellt man fest: Dies ist eher vordergründig. Die vorgetragene Begründung lautete doch hauptsächlich, dass es für die Kommunen schwierig und sehr aufwendig sei, den Anlassbezug zu überprüfen und zu bescheiden. Dass das so ist, kann ich sogar nachvollziehen.

Inhaltliche Fragen wie Einstellung der Bevölkerung, Auswirkungen auf das Einkaufsverhalten, Erhalt der Einzelhandelsgeschäfte, gerade in den Stadtteilen und kleinen Gemeinden, und kommunale Dienstleistungen im Rahmen des verkaufsoffenen Sonntags wie etwa der öffentliche Nahverkehr wurden aber nicht bewertet. Ich unterstelle natürlich nicht, dass dies in den kommunalen Verbänden nicht ausführlich diskutiert worden ist. Aber es gab eben kein einheitliches Meinungsbild, insbesondere kein einheitliches Meinungsbild in Richtung einer Veränderung und des Wegfalls des Anlassbezuges.

Meine Damen und Herren, das Ladenöffnungsgesetz hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt, und eine solche Weiterentwicklung ist sicherlich auch nicht abschließend. Wir werden darüber auch weiterhin immer wieder diskutieren müssen, und das wollen wir. Aber vor einer Änderung muss ein gesellschaftlicher Konsens festgestellt werden. Eine Änderung muss zweifelsfrei verfassungsgemäß sein. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf ist beides, zumindest nach unserer Auffassung, nicht der Fall. Das wurde für uns auch insbesondere beim Lesen der Protokolle zur Anhörung bestätigt. Wir werden die Diskussion in dieser Sache weiterhin mit allen Beteiligten führen. Aber ein Gesetzentwurf, wie er jetzt vorgelegt worden ist, ist für uns keine Grundlage für einen Konsens und keine Grundlage für eine Veränderung. Deshalb müssen wir den Gesetzentwurf der FDP heute leider ablehnen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Bocklet, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Aber nicht, dass du hier wieder deine alte Rede vorliest!)

Ich habe hier nicht nur meine alte Rede, sondern ich kann dir auch sagen, wann du dazwischenrufen musst; das steht hier auch drin. – Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt kann ich die FDP sowie ihre Zwischenrufe verstehen, weil die Anhörung in der Tat deutlich differenzierter war.

(Beifall bei der FDP)

Nach meiner Wahrnehmung war es in der Tat so – so viel sollte man zur Wahrheitsfindung schon zugestehen –, dass es zwei Pole gab:

Es gab in der Tat den Städte- und Gemeindebund, den Städtetag sowie den Landkreistag, die doch sehr deutlich gemacht haben, dass ihnen daran liegt, eine rechtssicherere Situation zu bekommen als bisher. Das zum Hintergrund. Aufgrund von Gesprächen mit den Industrie- und Handelskammern oder anderen Gewerbetreibenden, kann ich das auch durchaus verstehen. Die sagen: Stellen Sie sich vor, wir planen etwas über ein halbes Jahr lang; wir haben ein Traditionsfest; wir wollen einen verkaufsoffenen Sonntag zur Belebung, als Marketingeffekt oder wozu auch immer haben. Das haben wir dann ein halbes Jahr lang beworben und mehrere Hunderttausend Euro ausgegeben, und dann verlieren wir wenige Tage oder eine Woche vor diesem Termin vor Gericht, und die ganzen Kosten, die wir gehabt haben, gehen vor die Hunde. Das ist doch ärgerlich.

Es geht an dieser Stelle also nicht um die Ausweitung, sondern es geht darum, dass es bei dem Konsens der vier Sonntage im Jahr bleiben könnte. Es geht in der Tat aber auch um die Frage: Könnte es so geregelt werden, dass man sein Geld auch tatsächlich planungssicher investiert und diesen verkaufsoffenen Sonntag durchführen könnte? Das ist die Problemlage, auf die Ihr Gesetzentwurf eigentlich abzielt. Ich bin mir sicher, es gab bei dieser Anhörung einen überwiegenden, einen ganz großen Block, der Ihren Gesetzentwurf abgelehnt hat. So viel sollten Sie ehrlicherweise auch zur Kenntnis nehmen. Wir hatten einige Redner von den Kirchen, und ganz viele haben gesagt, sie wünschten sich dies nicht. In der Tat gab es aber auch einen Block von Institutionen – Herr Lenders, Sie haben die Spitzenverbände erwähnt –, die gesagt haben: Lassen Sie uns noch einmal darüber nachdenken, wie wir diese Crux wegbekommen, dass wir eigentlich viermal im Jahr etwas planen und es dann kurz vorher weggeschossen bekommen.

Wenn man diese Diskussion jetzt fortführt, dann stellt man aber fest, dass auch die Vertreter des Städtetages zugegeben haben, dass Art. 140 GG und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besagen, dass der Wegfall des Anlassbezugs leider keine Lösung ist. Sie sehen, ich versuche, mich Ihnen sehr differenziert zuzuwenden und zu sagen: Eigentlich könnte der Wegfall des Anlassbezugs eine Lösung sein, wenn wir sagen, für vier Sonntage im Jahr gäbe es unter uns einen Konsens, und eigentlich wollen wir diese doch zulassen, damit man sie stattfinden lassen kann und nicht kurz vorher weggeklagt bekommt. – Aber, ich finde, die Anhörung hat auch ergeben, dass das eben gerade keine Lösung und nicht zielführend ist.

Die Ausnahme von der Regel muss nach wie vor dokumentiert werden. Insofern bedarf es einer klaren Definition einer Ausnahme, und diese bedarf – wir haben gerade das Beispiel Rheinland-Pfalz gehört – auch einer umfangreichen Prüfung.

Herr Lenders, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, am Ende wird der Wegfall des Anlassbezugs keine Lösung sein. Deswegen wird meine Fraktion Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.

Herr Lenders, ich bin gespannt auf Ihren Änderungsantrag zur dritten Lesung. Was einhellig abgelehnt wurde, war, dass zu diesen vier Tagen noch zusätzliche Möglichkeiten für Bezirke oder Stadtteile hinzukommen. Ich komme aus einer Stadt, die 43 Stadtteile hat, manche sagen sogar, dass

sie 46 Stadtteile hat. Da wäre es praktisch möglich, an jedem Sonntag so etwas durchzuführen. Auch die anderen Großstädte wie Kassel und Darmstadt hätten die Möglichkeit, an weit mehr als nur vier Sonntagen verkaufsoffene Sonntage durchzuführen.

Es kann doch nicht unser Interesse sein, wenn wir alle beteuern, dass der Sonntag ein Tag der Erholung und Ruhe ist, an dem nicht gearbeitet wird und die Familien zusammengeführt werden sollen, anstatt sie zu spalten, noch mehr als diese vier Sonntage haben zu wollen. Das hat Ihr Gesetzentwurf leider implizit auch enthalten.

(Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- sitz.)

Sollten Sie das in Ihrem Änderungsantrag, den Sie zur dritten Lesung vorlegen, ändern, wird die Diskussion noch einmal spannend. Rein differenziert betrachtet, hätte es eine Lösung sein können, den Anlassbezug zu streichen. Ich wiederhole es: Dann muss man es mit einer Rechtsverordnung lösen. Dann muss aber auch angehört werden, dann muss auch geprüft und eine sorgfältige Abwägung durchgeführt werden. Es muss mit den Betroffenen gesprochen werden, es muss ein öffentliches Interesse bestehen, es muss auch eine Rechtsverordnung mit einem hohen Aufwand erarbeitet werden. Insofern ist es auch keine Lösung, die es etwas einfacher macht, sondern sie verkompliziert es auch.

Insofern bleiben wir bei unserer Meinung, dass die momentane gesetzliche Situation in Hessen, so, wie es Herr Dr. Bartelt eben auch angesprochen hat, eine richtige Lösung ist. Man kann mit ihr nicht richtig glücklich sein, aber sie ist für alle Beteiligten zufriedenstellend. Es ist wichtig, mit der Sonntagsöffnung sehr restriktiv umzugehen, weil es nicht nur das Gesetz und die Gerichte so sehen, sondern weil wir als Gesellschaft auch verhindern wollen, dass es eine weitere Liberalisierung gibt, dass an immer mehr Sonntagen gearbeitet werden soll. Das sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern, unseren Familien und auch unseren nachfolgenden Generationen schuldig, dass wir heute entscheiden, so restriktiv wie möglich zu bleiben. Sonntags wollen und sollen wir grundsätzlich nicht arbeiten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das Wort hat Sozialminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass eine dritte Lesung beantragt worden ist, nur einige wenige stichwortartige Ausführungen. Die vorgeschlagene Streichung des Anlassbezuges widerspricht den Vorgaben von Verfassung und Rechtsprechung. Nach Art. 140 GG ist die Sonn- und Feiertagsruhe verfassungsrechtlich geschützt, und das Bundesverfassungsgericht fordert gerade in seiner Entscheidung zum Berliner Ladenschlussgesetz für die sonntägliche Ladenöffnung einen Sachgrund. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof, immerhin die erste Normenkontrollinstanz, hält den Anlassbezug für unverzichtbar.

Der Verweis auf Rheinland-Pfalz – Herr Bocklet hat es eben ausgeführt – führt an dieser Stelle auch nicht in die richtige Richtung. Das Ladenöffnungsgesetz RheinlandPfalz fordert zwar keinen Anlassbezug, jedoch stattdessen eine Anhörung, die sehr viel detaillierter und umfangreicher ist. In einer Anhörung muss der Anlassbezug sehr umfangreich dargestellt werden, damit eine Genehmigung erteilt werden kann.

Die Sonn- und Feiertagsruhe dient insbesondere der Erholung und der Möglichkeit des familiären und sozialen Zusammenseins, deren Bedeutung mit der vollständigen Freigabe der werktäglichen Öffnungszeiten zunimmt.

Um ein Aussterben des stationären Einzelhandels und eine Verödung der Innenstädte zu verhindern, ist die Ausweitung der Regelung für die verkaufsoffenen Sonntage nicht der richtige Weg. Dafür müssen andere Konzepte entwickelt werden. Herr Lenders, im Übrigen haben wirtschaftliche Gründe noch nie bei der Frage der Ladenöffnungszeiten eine Rolle gespielt. Sie waren aber im Wesentlichen Gegenstand Ihrer Argumentation. Das ist eine ganz gefährliche Richtung, die Sie an dieser Stelle einschlagen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Diese Argumentation widerspricht an jeder Stelle den verfassungsrechtlichen Vorgaben und der Gewerbeverordnung.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Die Rechtsunsicherheit bezüglich des Anlassbegriffs erfordert allerdings, das gebe ich zu, bei differenzierter Rechtsprechung keine Gesetzesänderung. Die Landesregierung bietet gerne Hilfestellungen an, wenn es darum geht, wie der Anlassbezug zu definieren ist. Erfundene Feste sind kein Anlassbezug für eine sonntägliche Ladenöffnung.

Der Vorschlag bezirksbezogener verkaufsoffener Sonnund Feiertage ist im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutz problematisch. Die Beispiele Kassel und Frankfurt zeigen deutlich, wohin das führen würde.

Änderungsvorschläge müssen deshalb im Hinblick auf den Sonn- und Feiertagsschutz genau geprüft werden. Das wird im Rahmen des Evaluierungsverfahrens geschehen, das im Jahr 2018 erfolgen wird. Bis dahin sieht die Landesregierung keine Notwendigkeit einer Gesetzesänderung.

Art. 53 der Hessischen Verfassung lautet:

Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.

(Zuruf des Ministers Axel Wintermeyer)

Vielen Dank, Herr Chef der Staatskanzlei, sicherlich wird das im Verfassungskonvent eine Rolle spielen. Insofern haben wir genügend Ansatzpunkte für die Diskussion zur Frage der verkaufsoffenen Sonntage. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.