Protocol of the Session on May 28, 2015

Die Zahl der Minijobs ist in deutlichem Maß zurückgegangen. Aber nicht zuletzt die Bundesagentur für Arbeit sieht in diesem Zusammenhang gerade bei der Gastronomie, dem Einzelhandel und im Taxigewerbe, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auffällig gestiegen sind. Das ist es, wofür wir kämpfen: mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – oder machen Sie das nicht mehr?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Klar ist aber auch: Die Zahlung des Mindestlohns darf von Arbeitgebern nicht umgangen werden. Die Einhaltung und die Zahlung sind wichtig, und gegebenenfalls vorliegendem Missbrauch muss durch Kontrollen vorgebeugt werden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, Sie wollen uns heute weismachen, der Mindestlohn sei „bürokratischer Wahnsinn“.

(Florian Rentsch (FDP): So sagt es die CSU, und so ist es! So sagt es der Wirtschaftsrat! – Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Herr Rentsch, der „bürokratische Wahnsinn“ ist: Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit müssen erfasst werden.

(Florian Rentsch (FDP): Es ist noch ein bisschen mehr, Frau Kollegin!)

Das war doch schon vorher so. Wie werden sonst Überstunden ermittelt? Das ist kein bürokratischer Wahnsinn, das ist keine Zauberei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Auch wir sind dafür, dass unnötiger bürokratischer Aufwand vermieden werden soll, und wie bei jedem Gesetz sind die Erkenntnisse, die sich aus der praktischen Anwendung ergeben, zu berücksichtigen. Eventuell ist nachzubessern und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Dies gilt für die Belange der Arbeitnehmer genauso wie für die Belange der Arbeitgeber. Bei diesem Punkt denke ich insbesondere an die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Hier sind auch aus unserer Sicht bürokratische Anforderungen entsprechend zu überprüfen und gegebenenfalls auf ein verhältnismäßiges Niveau anzupassen.

Zum Thema Dokumentationspflicht. Wir können uns vorstellen, den Schwellenwert für die Nicht-Anwendung der Dokumentationspflicht abzusenken. Denkbar ist auch eine Einschränkung der Dokumentationspflicht für Arbeitsverhältnisse mit geringer Beschäftigung.

(Jürgen Lenders (FDP): Dann macht es doch, ihr seid doch in der Bundesregierung! – Weitere Zurufe von der FDP)

Warten wir es einmal ab. Wir sind in guten Gesprächen. Das ist der kleine Unterschied. – Wir haben sogar noch mehr Ideen.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen der Präsiden- tin)

Weiteren Änderungsbedarf sehen wir ebenfalls beim Ehrenamt. Ohne diesbezügliche Korrekturen sehen wir die Gefahr eines Rückgangs im ehrenamtlichen Engagement. Die Menschen dürfen nicht die Lust darauf verlieren, in der Kirche oder im Verein mitzuarbeiten. Jedoch betone ich auch, dass in diesem Bereich ohnehin nicht die Erwerbstätigkeit im Vordergrund steht.

Ich möchte noch einmal betonen, dass es aus unserer Sicht unabdingbar ist, die praktischen Erfahrungen nun zunächst sorgfältig und ergebnisoffen auszuwerten. Der Mindestlohn ist aus unserer Sicht ein lernendes System. Das erfordert ein gewisses Maß an Zeit. Alles in allem fasse ich zusammen: Hessen ist nicht „in der Mindestlohnfalle“, wie es uns Ihr Titel der Aktuellen Stunde glauben lassen soll. Wenn hier einer in der Falle sitzt, dann ist es die FDP.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Lachen des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

Sie sind in einer Themenarmutsfalle, und das konnten wir heute auf jeden Fall ganz einfach und ganz unbürokratisch dokumentieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Klose, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit Januar gibt es nach jahrelanger Auseinandersetzung endlich auch in Deutschland einen bundesweiten Mindestlohn. Der Einsatz und die Hartnäckigkeit, insbesondere der Gewerkschaften an diesem Punkt, zahlen sich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus, und zwar in Euro und Cent. Das dient der Gerechtigkeit. Es ist ein echter Fortschritt im Kampf gegen Lohndumping, und es ist volkswirtschaftlich grundsätzlich richtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Diesen Mindestlohn gibt es jetzt gerade einmal knapp fünf Monate lang. Die Hessen-Agentur hat in ihrer kürzlich vorgelegten Studie darauf hingewiesen, dass in Hessen mehr als 130.000 Beschäftigte von der Einführung dieses Mindestlohns profitieren. Das ist die Zahl derer, die vor dem Jahreswechsel selbst in unserem wohlhabenden Bundesland weniger als 8,50 € die Stunde verdient haben. Es sind 130.000 Menschen mehr, die endlich von ihrer Arbeit leben können. Da frage ich mich: Was haben Sie, meine Damen und meine Herren von der FDP, eigentlich dagegen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- ruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Auch wenn aufgrund der kurzen Frist seit dem Inkrafttreten des Mindestlohns noch nicht ausreichend empirische Daten für eine vertiefte Analyse vorliegen – darauf weist die Hessen-Agentur ausdrücklich hin –, sind für Hessen durch das vergleichsweise hohe Lohnniveau keine fundamentalen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung zu erwarten. Im Gegenteil, im April gab es sogar weniger Arbeitslose als noch vor einem Jahr. Was aber zurückgegangen ist – das wurde schon mehrfach angesprochen –, ist die Zahl der Minijobs. Wenn es aber gelingt, Minijobs in nennenswertem Umfang in sozialversicherte Beschäftigung umzuwandeln und Arbeitsplätze zu erhalten, und das stellt sogar die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände in ihrer Pressemitteilung fest, dann ist das doch genau der richtige Weg.

Meine Damen und Herren, genau im Blick behalten müssen wir gleichzeitig, ob es Nachsteuerungsbedarf, ob es Fehlentwicklungen gibt, denen zu begegnen ist. Wir müssen insbesondere Beschäftigte im Blick behalten, z. B. Beschäftigte der Gastronomie, die überdurchschnittlich vom Mindestlohn betroffen sind und damit ein durchaus höheres Risiko des Arbeitsplatzverlustes tragen. Zur Ehrlichkeit gehört aber eben auch, zu sagen, dass die Problematik gerade in diesem Bereich gar nicht unbedingt in der Lohnhöhe besteht, sondern vielmehr, sagen wir einmal, in der zuvor etwas großzügigeren Auslegung schon lange bestehender Arbeitszeitgesetze, die durch die neuen Dokumentationspflichten offenbar wird. Herr Kollege Decker hat darauf schon hingewiesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Rentsch, dann zu Ihren „bewaffneten Zollkontrollen“. Es ist doch völlig klar, dass der Mindestlohn ohne Kontrol

len seine Wirkung nicht entfalten kann. – Ja, diese Kontrollen macht der Zoll. Ja, auch Zollbeamte, übrigens nicht alle in diesem Land, tragen Waffen. Statt aber solch einen Popanz zu veranstalten, wie Sie das hier eben getan haben, hätte ich Ihnen empfohlen, einmal mit Ihrem Mitarbeiter zu sprechen, der vor wenigen Wochen gemeinsam mit mir einer Besuchergruppe der Gewerkschaft der Zoll- und Finanzbeamten begegnet ist, die uns von ihren Sorgen und Nöten genau in diesem Bereich berichtet haben. Ich finde, da sind Sie meilenweit über das Ziel hinausgeschossen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

So sind die Fakten. Wie man daraus dann eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „18.000 Minijobs weg, bewaffnete Zollkontrollen und bürokratischer Wahnsinn“ machen kann, bleibt Ihr Geheimnis. Es ist aber nicht das erste Mal, dass Sie inhaltliche Substanz durch allzu markige Überschriften ersetzen. Das hat bei der FDP System. Heute Morgen haben wir es wieder erlebt. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Danke schön. – Das Wort hat Kollegin Wissler, DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Deutschland hat seit einigen Monaten endlich zum europäischen Standard aufgeschlossen und einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Der ist zugegebenermaßen noch sehr verbesserungsfähig in seiner Ausgestaltung, aber er bringt Hessen nicht an den Rand des Zusammenbruchs, wie es der Titel dieser Aktuellen Stunde der FDP „18.000 Minijobs weg, bewaffnete Zollkontrollen und bürokratischer Wahnsinn“ unterstellt.

(Florian Rentsch (FDP): Danke, dass Sie den Antrag vorlesen, das hilft!)

Ja, die Zahl der Minijobs im gewerblichen Sektor ging deutlich zurück; und das ist ein Erfolg des Mindestlohns.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht um jeden Job ist es schade, insbesondere wenn es sich um schlecht bezahlte und prekäre Beschäftigung handelt, von der man nicht leben kann. Minijobs wurden offenbar auch in reguläre Stellen umgewandelt, denn deren Zahl steigt. Besonders auffällig stiegen sie in der Gastronomie, im Einzelhandel und im Taxigewerbe. Gerade im Handel gingen parallel die Minijobs zurück. Das heißt, wir haben es mit einer echten Aufwertung dieser Beschäftigungsverhältnisse zu tun. Das ist ein Grund zur Freude und sicherlich kein Grund, zu klagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, nicht alle Minijobber sind Studenten oder Rentner, wie Sie es gern unterstellen. Oft waren das Zweitjobs, die Menschen gemacht haben, weil sie von ihrem Erstjob einfach nicht leben konnten. Da ist der Mindestlohn natürlich eine Verbesserung, auch wenn er noch zu niedrig ist. Statt über die vermeintlichen Risiken des Mindestlohns zu reden, sollten Sie sich einmal mit den

Auswirkungen des Niedriglohns befassen. Denn Niedriglöhne bedeuten ein Leben in Armut und Unsicherheit. Der Niedriglohnsektor hat sich in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet, vor allem durch die Agenda 2010. Es ist ein Märchen, dass es die „Unqualifizierten“ seien, die den Niedriglohnsektor bräuchten. Mehr als drei Viertel aller Beschäftigten, die zu Stundenlöhnen unter 8,50 € gearbeitet haben, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen akademischen Abschluss. Und die tatsächlich jungen unqualifizierten oder niedrig qualifizierten Menschen brauchen keine Billigjobs, sondern Ausbildungsplätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann redet die FDP von „bewaffneten Kontrollen“. Dass die FDP dagegen ist, dass Vollzugsbeamte von Polizei, Justiz und Zoll bewaffnet sind, wäre zumindest mir neu. Natürlich sollten sie immer mit Augenmaß vorgehen, gerade bei verdachtsunabhängigen Kontrollen. Aber klar ist auch: Bei der Kontrolle des Mindestlohns geht es um die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Verstöße gegen das Mindestlohngesetz sind keine Bagatellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann zur Bürokratie. Arbeitszeiterfassung ist ein völlig alltäglicher Vorgang. Die Aufzeichnungspflicht gilt auch nur für einige Branchen und für Minijobs. Der Dokumentationsaufwand eines Kleinbetriebs umfasst dabei eine Tabelle auf einer DIN-A4-Seite zur Erfassung von zwei Uhrzeiten täglich, einen Ordner zum Abheften und einen Taschenrechner zum Addieren am Monatsende. Wo es schon eine Stechuhr in einem Betrieb gibt, gibt es quasi gar keinen Mehraufwand. Überstunden müssen nach dem Arbeitszeitgesetz schon jetzt erfasst werden. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt. Wenn es ums Einsparen von Steuerzahlungen geht, scheuen viele Unternehmer doch auch keinen bürokratischen Aufwand. Aber bei der Arbeitszeiterfassung soll er zu groß sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Um es zusammenzufassen: Es gibt Probleme mit dem Mindestlohn, aber es sind eben nicht die, die Sie anführen. Problematisch sind vielmehr die Schlupflöcher und dreisten Umgehungsversuche der Arbeitgeber – wenn für das gleiche Arbeitspensum plötzlich die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verkürzt wird, wenn Arbeitgeber versuchen, ihre Mitarbeiter in „Naturalien“ auszuzahlen, wie ein Sonnenstudiobetreiber in Form von „Bräunungsgutscheinen“.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ja, meine Damen und Herren, solche Praktiken müssen unterbunden werden.