Protocol of the Session on May 28, 2015

Herr Kollege Rudolph, ich will aber eine Ehrenrettung von Frau Nahles versuchen. Sie haben nämlich diesen Blödsinn nicht allein gemacht. Sie haben einen Koalitionspartner an Ihrer Seite. Ich habe, ehrlich gesagt, nach den heutigen Debatten den Eindruck, dass CDU und SPD in Berlin vor dem Aus stehen. Ist das so? Ihre Beziehung ist ja völlig zerrüttet. Vielleicht brauchen Sie einen Mediator – oder irgendetwas in der Richtung –, der Sie wieder ein Stück weit zusammenbringt.

Eines ist nämlich klar: Wer sich die Verordnung zur Abwandlung der Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung nach dem Mindestlohngesetz anschaut, wird feststellen, dass sie gar nicht von Frau Nahles auf den Weg gebracht worden ist, sondern vom Bundesfinanzministerium, und das Bundesfinanzministerium scheint irgendwie gar nicht in der Hand der SPD, sondern in der Hand der CDU zu sein. Mei

ne Damen und Herren, Sie können sich an der Stelle nicht aus der Verantwortung stehlen.

(Beifall bei der FDP – Günter Rudolph (SPD): Doch, doch! Gefühlt SPD!)

Das ist es, was hier passiert: bewaffnete Zollkontrollen, bei denen z. B. Bäckereien und Metzgereien umstellt werden und es die abstrusesten Situationen gibt. Ich habe hier ein schönes Beispiel aus einer Zeitung: Bei einer morgendlichen Kontrolle nutzt ein uniformierter Zollbeamter zusammen mit 18 bewaffneten Zöllnern eine Besenkammer dazu, zu verhindern, dass sich die Mitarbeiter miteinander unterhalten. Dort wurden die Mitarbeiter quasi verwahrt, damit man Einzelgespräche führen konnte. In welchem Land leben wir denn, dass so etwas möglich ist?

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Kollege Schaus, machen Sie nur so weiter. Stehen Sie nur für eine solche Politik, bei der der Staat alle bespitzelt und kontrolliert. Das glaube ich Ihnen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Der Zoll bespitzelt? Ich glaube es nicht!)

Aber ich muss Ihnen sagen: Dagegen, dass Situationen entstehen, in denen sich Mittelständler nicht mehr sicher sein können, wie sie behandelt werden, sollte das Parlament aufstehen; da sollte es Gegenreaktionen zeigen. Das wäre die richtige Reaktion.

(Beifall bei der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Gegen den Zoll! Genau!)

Wir stehen auf der Seite derjenigen, die nicht unter einen Generalverdacht gestellt werden dürfen, die seit Jahren legal handeln. Dieser Generalverdacht, der aufgrund des Gesetzes von CDU, CSU und SPD mittlerweile entstanden ist, ist ein Skandal.

Wir erwarten, dass sich die Hessische Landesregierung für ihre Mittelständler einsetzt und für die 18.000 Minijobs, die in Hessen weggefallen sind. Sie haben Verantwortung für dieses Land. Ducken Sie sich nicht weg, stehlen Sie sich nicht aus der Verantwortung, sondern machen Sie etwas aus diesen Erfahrungen der letzten Monate.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Es folgt eine weitere Sendung des Abg. Decker, SPD-Fraktion. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das ist jetzt nicht Staffel 2 von DSDS. Wir wollen ernsthaft über das Thema sprechen, auch wenn der Titel dieser Aktuellen Stunde Anlass geben würde, das eine oder andere Bonmot zu erzählen. Aber die FDP – das muss ich ihr anrechnen – hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie ein grundsätzlicher Gegner des gesetzlichen Mindestlohns ist. Insofern ist auf sie immer noch Verlass, und deswegen haben wir heute auch mit dieser Aktuellen Stunde gerechnet.

(Beifall bei der SPD)

Aber, verehrte Kollegin und verehrte Kollegen von der FDP, auch Ihnen soll heute Morgen geholfen werden. Des

wegen schauen wir uns die Dinge einmal etwas näher an. Hessen ist also „in der Mindestlohnfalle“. Aha, dann schauen wir uns das einmal an: 18.000 Minijobs – Ihre Aussage – sollen in Hessen weggefallen sein. Ich vermute, das haben Sie, über den großen Daumen gepeilt, von der Zahl von 270.000 Minijobs heruntergebrochen, die bundesweit weggefallen sein sollen.

Dazu will ich Ihnen folgenden Ratschlag geben – der ist wirklich gut gemeint –: Sie sollten nicht aus Daffke mit den Zahlen jonglieren. Die Minijobzentrale, die dafür zuständig ist, hat nämlich bei der Bekanntgabe der Zahl 270.000 gleich vorsorglich darauf hingewiesen, dass es keine genauen Erkenntnisse darüber gibt, ob diese Jobs weggefallen sind oder ob Teile davon in die Schwarzarbeit abgewandert sind. Sie hat aber auf jeden Fall festgestellt, dass ein ganz erheblicher Teil davon in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer gut gemeinter Ratschlag: Sie sollten als wirtschaftsliberale Partei die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes nicht an der Zahl der Minijobs messen. Da springen Ihnen doch selbst Ihre eigenen Wirtschaftsexperten aus der Hose.

Vielleicht ist das ein neues Geschäftsmodell – ich weiß es nicht –, oder vielleicht ist es das letzte Zucken gegen den Mindestlohn. Aber wir messen die Entwicklung immer noch an Wachstum, Nachfrage und vor allem an der Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

(Beifall bei der SPD)

Diese Zahlen sind gut, ob Sie es hören wollen oder nicht. Die IHK Arbeitsgemeinschaft Hessen hat vorgestern in ihrer Pressemitteilung mitgeteilt: „Die Stimmung der hessischen Unternehmer hat sich im Frühsommer deutlich verbessert“. – Ich dachte, wir säßen hier in einer Falle. Aber da ist nicht von Minijobs die Rede, da ist nicht vom Mindestlohn die Rede, dazu gar nichts.

Noch besser: Vom Mindestlohn profitieren nicht nur 3,7 Millionen Beschäftigte – in Hessen sind es 133.000 Beschäftigte –, obendrein steigt bundesweit und auch in Hessen die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in einem positiven Trend immer weiter. Das Gespenst, das auch Sie uns heute wieder an die Wand gemalt haben, spukt wahrscheinlich nur in Ihrem eigenen Kopf; denn allen Kassandrarufen zum Trotz: Die massiven Beschäftigungsverluste sind nicht eingetreten.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch die CDU-Fraktion in Hessen erkennt den Erfolg des Mindestlohngesetzes in Punkt 1 ihres Antrags, Drucks. 19/1985, insoweit an. Ich denke, wir sind in dieser Richtung auf einem guten Weg. Herr Kollege Rentsch, ich weiß auch, dass es nicht jedem gefällt, dass der Zoll die Umsetzung des Gesetzes kontrolliert. Es macht aber aus meiner Sicht Sinn, da er auch für die Kontrolle und Ahndung der Schwarzarbeit zuständig ist. Dass der Zoll Waffen trägt, ist seit jeher so. Das wissen unsere Innenexperten am besten.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD) – Zurufe von der LINKEN)

Wir sagen aber auch: Die Kontrollen müssen nicht nur mit der gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt durchgeführt werden, sondern auch mit der nötigen Umsicht unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel.

(Beifall bei der SPD)

Auch das ist selbstverständlich. Wenn dies in manchen Fällen nicht beachtet worden ist, sieht unser Rechtsstaat Mittel vor, damit man sich dagegen wehren kann. Das ist das gute Recht eines jeden Einzelnen.

Jetzt kommen wir zu Ihrem „bürokratischen Wahnsinn“: zunächst die Feststellung, dass kontrolliert und aufgezeichnet werden muss. Andernfalls ist das Gesetz nämlich umsonst; denn es gibt leider immer noch zu viele schwarze Schafe. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD)

Es stimmt: Ein wenig mehr Arbeit ist das. Das muss man konzedieren. Aber schon nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist man zur Aufzeichnung verpflichtet, und jeder Gastwirt hat sich übrigens auch in der Vergangenheit irgendwo aufgeschrieben, wie viel Lohn er seiner Bedienung für wie viele Stunden zahlen musste. Auch das ist nicht neu.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber Sie wissen genau, wo in diesem Fall der Hase im Pfeffer liegt. Er liegt in diesem Fall nämlich bei den Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz im Pfeffer. Früher ist es nicht aufgefallen, wenn die Regelungen verletzt worden sind. Durch die Aufzeichnungspflicht nach dem Mindestlohngesetz kommt das jetzt heraus. Wir sind sehr gespannt, auf welcher Seite Ihre liberale Rechtsstaatspartei in dieser Frage steht. Das ist eine Gretchenfrage. Ich meine das sehr ernst.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Frau Präsidentin, da wir gerade bei dem Thema sind, noch drei kurze Sätze zu Branchen, die sich im Moment am stärksten beklagen: Hotel, Gaststätten, Landwirtschaft und Schausteller. Dazu der Hinweis: Das Arbeitszeitgesetz bietet Möglichkeiten der flexiblen Handhabung. Die Aufsichtsbehörde kann für solche Saison- und Kampagnenbetriebe längere Arbeitszeiten bewilligen, bis zu zwölf Stunden. Die Betriebe fallen teilweise auch im großen Stil darunter. Hierzu gibt es eine Vereinbarung zwischen der Bundesarbeitsministerin und den Länderministern, und da besteht auch die Zuständigkeit der Länderbehörden.

(Florian Rentsch (FDP): Das ist Arbeitsbeschaffung für den Staat!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich glaube, das ist heute Morgen die zweite Aktuelle Stunde, die hier versenkt worden ist. Aber ich kann nichts dafür. Ich wollte das nicht so. Beim nächsten Mal fragen Sie mich vorher, ob es Sinn macht. Ich stehe gern stets mit guten Ratschlägen zu Diensten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zu- ruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Arnoldt, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Liebe FDP, lassen Sie mich zu Beginn meines Redebeitrags ein klitzekleines Zugeständnis machen: Nicht für alle Teile der Christlich Demokratischen Union war die Einführung eines allgemeinen Mindestlohnes eine absolute Herzensangelegenheit. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in Deutschland Branchen gab, in denen die Tarifpartnerschaft nicht mehr funktioniert hat.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Allerdings!)

Oftmals war es in den tariflosen Branchen so, dass die Arbeitnehmer nur wenig verdient haben und mit ihrer Arbeit kein auskömmliches Gehalt erwirtschaften konnten. Nicht nur aus diesem Grund befürwortet auch der Mittelstand das Gesetz laut einer aktuellen Umfrage mit einer klaren Mehrheit. 67 % der Unternehmen, die im März für den IT-Mittelstandsindex befragt wurden, sind dafür: Der Mindestlohn sei schon lange überfällig und der richtige Weg hin zu sozialer Gerechtigkeit und Gleichbehandlung gewesen – so das Fazit der Umfrage. Deshalb sage ich für meine Fraktion sehr deutlich: Der zum 1. Januar in Kraft getretene allgemeine Mindestlohn von 8,50 € hat Deutschland ein kleines bisschen gerechter gemacht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Nach den aktuellen Berechnungen der Hessen-Agentur bekommen nur 4,4 % der Beschäftigten dank Mindestlohn mehr Geld.

(Florian Rentsch (FDP): Eben – nur!)

Aber gerade diese Beschäftigten werden das sehr gut brauchen können. Herr Rentsch, in Hessen sind es rund 133.000 Beschäftigte, die davon profitieren. Nicht auszudenken, wenn das alles FDP-Wähler wären.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Die Zahl der Minijobs ist in deutlichem Maß zurückgegangen. Aber nicht zuletzt die Bundesagentur für Arbeit sieht in diesem Zusammenhang gerade bei der Gastronomie, dem Einzelhandel und im Taxigewerbe, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auffällig gestiegen sind. Das ist es, wofür wir kämpfen: mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – oder machen Sie das nicht mehr?