Protocol of the Session on April 29, 2015

Wir sind der Überzeugung – das habe ich vorhin in der Kurzintervention schon gesagt –, dass die Aufnahmefähigkeit der Kommunen und die Aufnahmebereitschaft der Kommunen und auch der Bevölkerung von zwei Dingen abhängen, zum einen davon, dass es eine anständige Form der Unterbringung gibt. Ich habe nicht bestritten, niemand von uns hat bestritten, dass bisher alle Anstrengungen unternommen werden, anständig unterzubringen. Niemand hat die Landesregierung für das kritisiert, was sie getan hat. Niemand hat die Kommunen für das kritisiert, was sie getan haben. Aber es gibt noch eine Menge mehr zu tun. Das ist der Hinweis, um den es hier geht. Deswegen sind wir der Auffassung, dass es ein Gespräch über die Standards geben muss.

Wenn Sie verständig hingeschaut haben, dann werden Sie gesehen haben, dass in dem Antrag eine Menge Dinge stehen, die die Kommunen gar nicht betreffen, z. B. zur Frage der Zuweisung von Steuern, des Zuweisungsverfahrens und manches andere mehr. Nur an zwei Stellen wird überhaupt eine Zahl genannt, und die wird auch nicht absolut gesetzt, sodass keine Rede davon sein kann, es solle hier etwas den Kommunen übergestülpt werden, sondern wir machen ein Gesprächsangebot über vernünftige Dinge.

Noch einmal zu den Kosten. Es nutzt gar nichts, darauf hinzuweisen, dass es anderswo auch nicht richtig gut ist. Dies ist der Hessische Landtag, und der Hessische Landtag verhandelt darüber, dass den hessischen Kommunen die Kosten in der notwendigen Weise erstattet werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Minister, meine Damen und Herren von der Koalition, ich will Ihnen einmal vorlesen,

(Zurufe von der CDU)

was ein grüner Kreisbeigeordneter in einem schwarz-grünen Landkreis, nämlich im Landkreis Bergstraße, gesagt hat. Der Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf sagt zu Ihren Äußerungen, Herr Minister:

Die öffentlichen Äußerungen des hessischen Sozialministers zeigen, dass diesem offenbar das Problembewusstsein für die Situation an der kommunalen Basis fehlt.

Er fährt laut „Bergsträßer Anzeiger“ respektive laut „Echo“ vom 9. April dieses Jahres fort:

Der Kreis Bergstraße verzeichnete laut Finanzdezernent Schimpf in den vergangenen drei Jahren ein Defizit von 8,5 Millionen € für die Unterbringung von Flüchtlingen. Zeitgleich weigere sich die Landesregierung, die steigenden Kosten der Unterbringung und die damit verbundenen Mehraufwendungen den Kommunen zu erstatten. Überdies weigere sich das Land, diese Defizite als „Prognosestörung“ innerhalb des „Kommunalen Schutzschirms“ anzuerkennen. Die Landesregierung erwartet, dass die Kreise die Defizite durch weitere Streichungen in ihren Haushaltsplänen auffangen. Vor diesem Hintergrund hat der Bergsträßer Kreistag einstimmig beschlossen, die Klage des Vogelsbergkreises gegen das Land … zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Herr Minister, ich sage Ihnen noch etwas anderes zu der von Ihnen vorhin wiederholten Aussage, Sie wollten die 37 Millionen € vom Bund im Interesse der Kommunen weiterleiten.

Herr Kollege Merz, Sie müssen zum Ende kommen.

Frau Präsidentin, das ist mein letzter Satz. – Sie sagten, Sie wollten dieses Geld im Interesse der Kommunen verwenden. Das zeigt nach Ansicht des Bergsträßer Kreisbeigeordneten Schimpf eine „unerträgliche Bevormundungsmentalität des Staatsministers gegenüber der kommunalen Ebene“. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Als Nächster hat sich Herr Kollege Wagner für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort, ebenfalls für fünf Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Kollegen Merz dankbar für die Passage, wo er – auch für die sozialdemokratische Fraktion – darauf hinge

wiesen hat, welche erheblichen Anstrengungen die Kommunen, die Landkreise, die kreisfreien Städte, aber eben auch das Land Hessen, der Hessische Landtag und die Hessische Landesregierung, für die Flüchtlinge bereits unternehmen. Herr Kollege Merz, ich glaube, diese Tonalität Ihrer Rede war dem Thema angemessener als mancher Überschlag, den Sie gegen Ende Ihrer Rede an den Tag gelegt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Lachen bei der SPD)

Ich finde, Frau Kollegin Öztürk hat sehr eindringlich dargestellt, über welch schwierige Fragen wir reden, über welche menschlichen Schicksale wir sprechen. Redner aller Fraktionen haben deutlich gemacht, wie groß die Aufgabe ist, vor der die Bundesrepublik, aber auch das Land Hessen steht, um Menschen Schutz zu gewähren, die aus ihren Heimatländern fliehen.

Auch ist der Hinweis richtig, dass der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu dem Beitrag, den andere Staaten leisten, noch vergleichsweise gering ist. Wir sollten in der ganzen Debatte aber nicht der Versuchung erliegen, aus einem großen Thema, das uns alle parteiübergreifend herausfordert, eine kleine parteipolitische Münze zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir können in unserem Land – nicht nur in Hessen, sondern auch in anderen Bundesländern – bei dem, was wir für die Flüchtlinge leisten, immer noch besser werden. Wir sollten aber anerkennen – und das als Erstes sagen –, dass wir alle froh darüber sind, nicht mehr Situationen wie in den Neunzigerjahren zu erleben, sondern jetzt eine Situation zu haben, in der die Zivilgesellschaft zu ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge steht, in der die kommunale Ebene, die Landes- und die Bundesebene jeden Tag dafür arbeiten, dass wir es noch ein Stückchen besser machen. Das sollte bei allem Bedürfnis für parteipolitische Auseinandersetzungen nicht völlig aus dem Blick geraten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn wir über die Erhöhung der Bundesmittel reden – über die 1 Milliarde €, wovon 37 Millionen € nach Hessen fließen – und wieder der Versuchung erliegen, das zu einem parteipolitischen Thema zu machen, dann darf ich doch einmal daran erinnern, wie es überhaupt zu diesen zusätzlichen Bundesmitteln kam, zu diesen 37 Millionen € für Hessen, die wir jetzt im Interesse der Kommunen verwenden können. Das kam deshalb, weil der Sozialminister Hessens als Erster gesagt hat: Lasst uns auf der Bundesebene eine Konferenz machen und das Mit-dem-Fingerauf-andere-Zeigen beenden; Bund, Länder und Kommunen sollen gemeinsam nach Lösungen suchen. – Ein Ergebnis dieser Bemühungen waren diese 1 Milliarde €, von denen Hessen und die hessischen Kommunen mit 37 Millionen € profitieren. Lassen Sie es doch sein, eine kleine parteipolitische Münze daraus zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir reden über Standards. Herr Kollege Merz, diese Debatte ist sehr berechtigt. Natürlich müssen wir über Standards reden. Wir müssen darüber reden, wie wir die Flüchtlingsunterbringung in unserem Land organisieren.

Jetzt haben Kolleginnen und Kollegen der SPD gesagt, Ihr Antrag sei dafür ein „Diskussionsmodell“.

(Gerhard Merz (SPD): So steht es auch im Antrag!)

Herr Kollege Merz, ich frage Sie bei aller Notwendigkeit der Debatte über die Standards in der Flüchtlingsunterbringung: Ist die Debatte über Standards angesichts der Zahl der Menschen, die nach Hessen kommen, angesichts der menschlichen Schicksale, angesichts der Probleme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunen und in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung derzeit wirklich das drängendste Problem in der Unterbringung von Flüchtlingen? Herr Kollege Merz, ich sage Ihnen: Nein, das ist zurzeit nicht das drängendste Problem bei der Flüchtlingsunterbringung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Billige Rhetorik! – Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Ich glaube, den Menschen in den Kommunen, die sich ehrenamtlich oder hauptamtlich um Flüchtlinge kümmern – die das z. B. in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes mit großem Engagement machen –, erweisen wir einen Bärendienst, wenn die einzige Antwort des Hessischen Landtags auf dieses großartige Engagement ist: Jetzt wollen wir mit euch auch noch eine Debatte über Mindeststandards führen. – Meine Damen und Herren, alles zu seiner Zeit.

(Zurufe von der SPD)

Erst einmal müssen wir das ganz große Problem lösen, Flüchtlinge in unserem Land unterzubringen und zu unterstützen, und dann müssen wir eine Debatte über Standards führen. Aber lassen Sie uns auf das großartige Engagement, das Menschen in unserem Land an den Tag legen, nicht dadurch antworten, dass wir sagen: Jetzt müsst ihr auch noch eine Debatte über Standards führen. – Das würde bei diesen Menschen völlig falsch ankommen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Wagner, vielen Dank. – Als nächster Redner hat sich Kollege Bartelt von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD)

Bitte ein wenig mehr Ruhe, damit man dem Redner besser zuhören kann. – Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass Herr Merz in der zweiten Runde dieser Debatte erheblich zurückrudern musste – auch wenn Sie das vielleicht gar nicht so gemerkt haben.

(Beifall bei der CDU)

Im Anschluss an die Ausführungen unseres Sozialministers haben Sie gesagt: Hessen hat viel getan, und wir kritisieren gar nicht, was an Gutem getan wurde.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist mehrfach von uns gesagt worden!)

Wir müssten aber noch mehr tun, haben Sie dann gesagt.

Ja! – (Gerhard Merz (SPD): Ja! Das habe ich schon immer gesagt!)

Das ist richtig. Wir müssen mehr machen, weil immer mehr Flüchtlinge kommen. Wir haben den Mut, eine Priorität zu setzen und zu sagen: Für uns ist es wichtig, dass alle Menschen, die hierherkommen, anständig von uns behandelt, willkommen geheißen, untergebracht und integriert werden. – Zu dieser Prioritätensetzung haben wir den Mut, während Sie sich verstecken wollen und sagen: Wir wollen jetzt über Standards reden. – Aber Sie verschweigen, dass Sie dann auch sagen müssten, dass wir weniger Flüchtlinge aufnehmen können.

Das wollen wir nicht. Deshalb wollen wir, so, wie es Herr Kollege Wagner eben ausgeführt hat, zu diesem Zeitpunkt keine Diskussion über Standards führen.

Bei dem zweiten Punkt, an dem Sie zurückrudern, haben Sie gesagt: Na ja, wir haben vom Gesetzgeber eigentlich gar keine Standards gefordert, sondern wir wollten nur – –

(Gerhard Merz (SPD): Das ist falsch!)

So habe ich Sie verstanden.

(Gerhard Merz (SPD): Sie hören mir einfach nie zu! Das ist das Problem!)

Doch, ich höre Ihnen zu. Es ist manchmal schwierig, Sie zu verstehen. Aber ich höre Ihnen zu.