Protocol of the Session on April 29, 2015

Bitte, Frau Löber.

Entschuldigen Sie bitte, es waren doch weit über 200 Fragen in der Großen Anfrage, und auch sehr umfangreiche Antworten. Aufgrund Ihrer Rede erschließt sich mir im Moment nicht, ob Sie sich überhaupt mit den Fragen und Antworten beschäftigt haben.

(Zurufe von der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich darf noch ein kleines bisschen um Geduld bitten. Ich komme gleich zu den Antworten und den Maßnahmen, die die Landesregierung beschreibt. Ich finde aber, das ist ein so immens wichtiges Thema, dass man sich veranschaulichen muss, von was wir hier sprechen. Das kann man gar nicht genug tun, weswegen ich das hier mache und etwa die Hälfte meiner Redezeit dafür verwende. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.

(Zuruf von der CDU)

Zurück zu meinem zweiten Beispiel. Diese App versucht also – und es gelingt ihr auch, wenn man dort zustimmt –, auf die Kontakte und Telefondaten zuzugreifen, auch auf solche, die überhaupt nicht freigegeben sind. Das wirklich Fiese dabei ist, dass wenn man sich die Lizenzvereinbarung durchsehen will, man minutenlang im Höchsttempo scrollen muss. Kein Mensch kann mir erzählen, dass das irgendjemand liest.

Genau da greift eben auch Gesetzgebung ein, weil sie dann vorschreibt, dass es verständlich und in einer angemessenen Zeit zu bewältigen sein muss, solche Datenschutzhinweise zu lesen und auch zu verstehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich möchte der zuständigen Ministerin ausdrücklich für diese sehr umfangreichen Antworten danken. Ich muss sagen, ich selbst war auch erfreut darüber, wie viele Maßnahmen da getroffen werden.

Ich möchte noch einmal besonders auf den Jugendmedienschutz eingehen. Dazu habe ich eben noch Beispiele beschrieben. Das Kultusministerium hat hier sehr viele Aktivitäten, beispielsweise ein Unterstützungssystem für Schulen durch einen Landeskoordinator, es gibt in jedem Staatlichen Schulamt Ansprechpartner. Im vergangenen Schuljahr ist ein neues Programm mit mehrtätigen Fortbildungsreihen gestartet, das die Lehrkräfte bzw. die Lehrer fortbildet, und zwar zu Jugendmedienschutzberatern und -beraterinnen. Diese sind wiederum Multiplikatoren und verbreiten das weiter in ihre Schulen.

Darüber hinaus gibt es die Medieninitiative Schule@Zukunft, in der auch noch weitere Fortbildungsangebote enthalten sind, die durch das Landesschulamt entwickelt und angeboten werden. Außerdem werden jedes Jahr Fortbildungen für die Lehrkräfte angeboten. Auf dem hessischen Bildungsserver wird eine Website gepflegt, die sich an Lehrkräfte sowie an die Schülerinnen und Schüler richtet und immer aktuelle Informationen, Links zu Beratungsstellen und zu Seiten anderen Beratungsstellen enthält. Dort gibt es ein umfassendes Angebot, mit dem man zu allen Informationen, die es gibt – nicht nur die Hilfsangebote des Kultusministeriums selbst oder der Staatlichen Schuläm

ter –, weitergeleitet wird. Das ist sehr umfangreich und gut.

Ende des vergangenen Jahres ist noch ein Informationspaket zum Jugendmedienschutz an alle hessischen Schulen verschickt worden. Darin sind auch noch einmal alle Maßnahmen und Ansprechpartner aufgeführt. Auch gibt es eine Handreichung zum Jugendmedienschutz für Lehrkräfte – diese ist gerade in Arbeit und wird noch in diesem Schuljahr erscheinen. Darin sind ganz explizit noch einmal die wichtigen Sachen aufgeführt, nämlich Umgang mit sozialen Netzwerken im schulischen Kontext, Cybermobbing, Handys an Schulen und Unterrichtsmaterialien für die Lehrkräfte.

Meine Redezeit läuft ab. Ich kann gar nicht alles aufführen, was allein im Bereich des Kultusministeriums, also im Bereich der Schulen, gemacht wird. Aber gerade das ist, wie ich finde, ein besonders wichtiger Punkt; denn über die Schulen kommen wir an die Jugendlichen und an die Kinder heran und können sie frühzeitig informieren. Das ist die eine Seite, der eine wichtige Angriffspunkt. Der andere besteht nach wie vor in den gesetzlichen Vorschriften. Da haben wir nur beschränkte Gesetzgebungskompetenz. Wir werden uns aber auch weiterhin dafür einsetzen, ebenso wie unsere Ministerinnen und Minister, damit der Bund weiter an einer Rechtsprechung arbeitet, die den Datenschutz noch verbessert und vor allem – verpflichtend für die Anbieter – anwenderfreundliche Angebote vorschreibt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Goldbach. – Als nächster Redner hat sich Kollege Wilken von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Wilken, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Rede meiner Vorrednerin habe ich mich schon gefragt, warum sie mit den 30.000 Jahren angefangen hat. Aber dann habe ich verstanden, dass wir über sehr, sehr lange Zeiträume reden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir reden heute nämlich über die Beantwortung einer Großen Anfrage, die die SPD vor ziemlich genau einem Jahr gestellt hat. Frau Goldbach hat uns vor Augen geführt, dass in diesem Jahr so viel passiert ist wie zuvor in 30.000 Jahren. Das müssen wir uns noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich glaube, es wäre angebracht, zu sagen, dass in den mannigfaltigen Seiten Ihrer Beantwortung der Anfrage und in den zehn Minuten meiner Vorrednerin doch ein bisschen mehr Hilflosigkeit unsererseits gegenüber diesem Phänomenen angemessen wäre; denn alles, was Sie dort geantwortet haben, ist detailreich, aber nach Einschätzung von meiner Fraktion und mir auf keinen Fall in irgendeiner Art und Weise ausreichend, um dem Problem zu begegnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, meine Damen und Herren, das Verbraucherverhalten verändert sich, wie eine Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes vom Oktober 2014 zeigt. Onlinesuchen – leider zu häufig „Googeln“ genannt – statt einer Enzyklopädie in unserem Bücherregal, Onlineversteigerungen statt Flohmarktbesuchen, Video on Demand statt der alten VHS-Kassette, Texten statt Telegramme zu schreiben, Onlinebanking statt des Bankfilialschalters – das Medium Internet hat den Verbraucheralltag so verändert wie niemals zuvor.

(Michael Boddenberg (CDU): In den letzten 30.000 Jahren!)

Genau, in 30.000 Jahren. – Dabei wird das Internet, auch das zeigt die gerade genannte Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, mittlerweile zu vier Fünfteln aller Menschen in unserem Land genutzt. Mit dieser Digitalisierung des Verbraucheralltags entsteht jede Menge neuer und neuartiger Probleme. Ich will auf ein paar eingehen.

Zum Beispiel schließen Verbraucher per Klick Verträge ab. Die Schnelligkeit der digitalen Welt, in der per Tastendruck Informationen abgerufen, Bestellungen aufgerufen oder Transaktionen getätigt werden können, führt dann zu Problemen – entweder bei Einkäufen im Internet oder bei der Installation von Apps –, wenn damit eine Zustimmung zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen erteilt wird, die in aller Regel von den Internetnutzern und -nutzerinnen vorher nicht gelesen wurden. Das geben in dieser Umfrage zumindest 53 % der Internetnutzer an.

Diese Zahl steigt, wenn wir uns die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen anschauen. Die geben an, dass sie den Geschäftsbedingungen, ohne sie zu lesen, zu 76 % einfach zustimmen. Damit haben wir ein Problem.

76 % der Bundesbürgerinnen und -bürger sehen Verbesserungsbedarf beim Datenschutz und 73 % bei der Datensicherheit. Auffällig ist, dass es Verbrauchern und Verbraucherinnen sehr wohl noch an Wissen, aber auch an Transparenz darüber fehlt, dass, in welchem Umfang und wozu ihre Daten gesammelt werden. So sind sich weit über die Hälfte der Befragten nicht darüber im Klaren, dass bereits heute in modernen Fahrzeugen von Steuergeräten Daten gesammelt werden, und sie geben an: Selbst wenn diese Datensammlung der Sicherheit dienen würde, wird sie in der Bevölkerung abgelehnt.

Meine Damen und Herren, das nächste Problem ist, dass viele Verstöße gegen die Datenschutzvorschriften, die die Rechte von Verbrauchern betreffen, bislang ohne Konsequenzen bleiben. Außerdem sind die Möglichkeiten von Verbänden wie des Verbraucherzentrale Bundesverbandes begrenzt. Ihre Klagebefugnis umfasst noch nicht die Entwicklungen im digitalen Markt.

Das Recht auf den Schutz persönlicher Daten bleibt aber ein zahnloser Tiger, wenn es keine wirksamen Möglichkeiten gibt, dieses Recht durchzusetzen. Deswegen müssen Verbände stellvertretend für Verbraucherinnen und Verbraucher gegen Verstöße vorgehen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen. Es geht beim Verbraucherschutz in der digitalen Welt immer um Datenschutz. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist für uns LINKE Leitfaden zur Gestaltung aller kommunikativen Beziehungen in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft. Die große Gefahr dabei ist und bleibt: Privatsphäre wird im

Netz zur Ware. Wir setzen dem einen freien und selbstbestimmten Umgang mit Daten entgegen. Die Rahmenbedingungen dafür sollten nicht von kommerziellen, sondern von gesellschaftlichen Interessen bestimmt werden.

Die allgegenwärtige Datenverarbeitung hat dazu geführt, dass wir bei fast allem, was wir tun, Datenspuren hinterlassen. Die Möglichkeit zur Nutzung von Diensten im Internet sollte deshalb nicht an eine Einwilligung in die Datenerhebung oder -weitergabe gekoppelt werden.

Wir LINKE treten für eine Stärkung der Informations- und Widerspruchsrechte der Nutzerinnen und Nutzer ein und fordern zudem ein klares gesetzliches Verbot der Profilbildung. Wir treten für datenschutzfreundliche Technik ein, für datensparsame Grundeinstellungen bei Web-Diensten. Wir wollen einen Löschungsanspruch gegenüber Unternehmen, etwa für persönliche Daten in einem nicht mehr genutzten Account, sowie das Recht, bei einem Anbieterwechsel die eigenen Daten mitzunehmen.

Selbstverständlich müssen für öffentliche und nicht öffentliche Stellen dieselben Datenschutzregeln gelten, wie schon heute im europäischen Recht. Außerdem müssen Betroffene von Datenskandalen einen pauschalisierten Schadenersatzanspruch bekommen. Wir finden den Ansatz gut, Unternehmen mit einem prozentualen Anteil ihres weltweiten Umsatzes in die Haftung zu nehmen. Selbstregulierungsverpflichtungen der Wirtschaft sehen wir im Moment allerdings nicht als einen Ersatz für klare gesetzliche Vorgaben an.

In diesem Sinne müssen wir uns gemeinsam weiter dafür einsetzen, dass nicht nur – sicherlich auch – Medienkompetenz in unserem Land gestärkt wird, sondern dass wir klare gesellschaftliche und damit gesetzliche Vorgaben für das Verhalten und insbesondere für Transaktionen, also für Verbraucherinnen und Verbraucher, im Internet schaffen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Kollege Wilken. – Als nächster Redner spricht Kollege Heinz von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege Heinz, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein Kompliment an die Fraktion, die die Große Anfrage eingebracht hat. Kaum einer hat es bisher so wörtlich genommen wie Sie, Frau Löber. 227 Fragen, das ist beachtlich.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Sie wissen gar nicht, was noch in der Pipeline ist!)

Genauso beachtlich, wenn nicht noch beachtlicher ist die Qualität der Antwort auf die 227 Fragen durch die Landesregierung. Deshalb ein ausdrückliches Kompliment an Verbraucherschutzministerin Hinz, die uns mit ihren ausführlichen, detaillierten und qualitativ sehr guten Antworten vieles für unsere weitere parlamentarische Arbeit auf den Weg gegeben hat.

Wenn man gegen Ende spricht, ist vieles gesagt worden. Von den 30.000 Jahren will ich nur die letzten 20 kurz anreißen. Als in den frühen Neunzigerjahren das Internet eine

zivile und nach und nach breite Nutzung erfahren hat, haben wir alle hier im Raum vielleicht die größte Neuerung der letzten 100 Jahre miterlebt, die das praktische Alltagsleben so verändert hat wie keine Innovation zuvor.

Das Internet – dazu ist schon viel gesagt worden – ist unter anderem einer der wesentlichen Katalysatoren der gesamten Globalisierung. Möglichkeiten von Informationsbeschaffung und -verbreitung sind inzwischen nahezu unendlich. Wir verbinden mit dieser Entwicklung sicherlich die eine oder andere negative Empfindung, aber auch sehr viele positive globale Entwicklungen sind mit der Einführung des Internets verbunden, nicht zuletzt die beginnende Demokratisierung ganzer Gesellschaften.

Was wir früher noch erlebt haben – ich selbst noch als Jugendlicher auf Verwandtenbesuchen in der DDR –, wo noch ein Auto durchsucht werden konnte, damit keine Zeitung oder Zeitschrift aus der freien Welt hereintransportiert wurde, ist heute nicht mehr möglich. Ein Ägypter oder ein Bürger irgendwo auf der Welt kann auf seinem Smartphone Informationen lesen, die ihm ein Diktator vorenthalten will.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wie ist das mit Internetzensur?)

Wir alle merken diese Veränderungen auch im Kleinen in unserem Alltag, jenseits der großen Politik.

Aber jetzt zur Großen Anfrage. Wir nutzen E-Shopping, Onlinebanking, Onlineversteigerungen. Wer es nicht will, der muss in seinem Alltag kaum noch vor die Tür gehen, bekommt alles binnen kürzester Zeit an die Haustür geliefert. Das ist eine große Erleichterung des Lebens für Menschen, die in ihrer Mobilität oder in ihrem Zeitbudget eingeschränkt sind. Ich denke gerade an Familien, die heute häufig eine doppelte Belastung mit Kindererziehung und Beruf haben oder eine Dreifachbelastung, wenn sie sich auch noch um Eltern und andere Angehörige kümmern müssen.

Für den Verbraucher ist die Welt heute so attraktiv wie nie zuvor. Es gibt Möglichkeiten zu weltweiten Preisvergleichen. Das Internet hat letztendlich zu einem funktionierenden, auch weltweiten Markt geführt. Auch das muss man positiv herausheben.

Wo Licht ist, da ist aber auch Schatten. Darüber sind wir uns einig. Es gibt auch negative soziale Folgen und Folgen für den Einzelhandel. Es gibt aber auch ganz neue Formen von Kriminalität, über die wir hier schon hinreichend gesprochen haben: Abofallen, Phishing, Identitätsdiebstähle sind die häufigsten Erscheinungsformen. Immer, wo Nutzer unbewusst oder bewusst private Daten preisgeben, droht ein Missbrauch durch Kriminelle.

Der gute Verbraucherschutz, mit dem wir uns hier breit befassen, fängt auf jeden Fall erst einmal bei uns selbst an. Zunächst muss jeder gewissenhaft – Sie selbst, ich selbst – am Anfang immer prüfen, ob er seine privaten Daten ins Internet gibt. Diese Entscheidung können wir niemandem abgeben. Die liegt zuerst einmal bei uns selbst. Darauf gibt es keinen staatlichen Einfluss.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)