Protocol of the Session on April 28, 2015

Das recht rückständige Gesetz geht mit der Aufnahme der Besuchskommission im Änderungsantrag wenigstens einen

kleinen Schritt in die richtige Richtung. Einige Kritikpunkte wurden nach der Anhörung auch bereinigt. Wir werden uns, wie im Ausschuss schon verkündet, enthalten, da wir dies für eine nicht innovative Lösung zum Umgang mit psychisch kranken Patienten halten. Aber das Gesetz geht schon einmal in die richtige Richtung, bzw. der Stein kommt ins Rollen. Wir wünschen uns eine Lösung, die über die Mindeststandards hinausgeht

(Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

und klar die Hilfe für psychisch Kranke fokussiert. Die Hilfe und der Hilfeauftrag für den Patienten kommen in diesem Gesetz immer noch zu kurz.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie sich schon einmal persönlich mit Menschen aus der Forensik unterhalten bzw. sich mit ihnen auseinander gesetzt haben. Ich habe Ihnen ein paar Zitate mitgebracht:

Der Maßregelvollzug funktioniert nach dem Prinzip der Ausgrenzung der Betroffenen, im zwischenmenschlichen Bereich durch die Wegsperrung des Betroffenen und durch seine Isolation von Menschen, die ihn stützen. Im täglichen Leben des Maßregelvollzuges wird jede Form von Lebendigkeit pathologisiert. Bei mir z. B. ist es sogar das Lachen. Ich mache Musik und habe eine voluminöse Stimme, was besonders auffällt, wenn ich lache. Es gibt kein Gutachten, in welchem mein Lachen nicht als inadäquater Effekt oder Parathymie, also Störung der Affektivität, bezeichnet wird.

Der Patient fühlt sich lächerlich gemacht, verachtet, verhöhnt, kommandiert und erniedrigt. Er sagt schließlich:

Ich bin unbefristet untergebracht. Eine Zukunft habe ich nicht. Ohne hoch dosierte Neuroleptika werde ich nicht entlassen. Mit hoch dosierten Neuroleptika werde ich mich vergiften, weil mein Körper sie nicht abbauen kann.

Menschen, bei denen wegen der kontinuierlichen Einnahme von Neuroleptika das Dopamin, der wohl wichtigste Neurotransmitter im menschlichen Gehirn, behindert oder blockiert ist, leiden unter psychisch-geistiger Abstumpfung und Einengung. Das äußert sich beispielsweise in der Depression, durch Selbstmordgefahr, Angstzustände, neurologische Erkrankungen wie z. B. das Parkinson-Syndrom, vegetative Veränderung wie Herz-Kreislauf-Störung, um nur einige zu nennen. Der Patient selbst sagt dazu:

Diese Medikamente treffen den Kern der Persönlichkeit. Der Strafkammer ist meine gesundheitliche Schädigung gleichgültig. Neuroleptika verursachen kardiovaskuläre Erkrankung. Im Maßregelvollzug habe ich kein Recht auf freie Arztwahl. Meine behandelnden Ärzte verlangen im Gegenteil die Hochdosierung der Neuroleptika und machen hiervon auch die Zuerkennung von Lockerungsstufen abhängig.

Nach Josef Zehentbauer, Arzt und Psychotherapeut, werden die höchsten Dosierungen von Dopamin-Killern in der Psychiatrie verabreicht. Er schreibt in seinem Buch:

Auf diese Dopamin-Blocker könnte – auch im psychiatrischen Bereich – sofort verzichtet werden; es gibt zahlreiche durch Studien belegte medikamentöse und nicht medikamentöse Alternativen. Doch

dieser Prozess des Umdenkens vollzieht sich in der Schulmedizin und der Psychiatrie nur sehr langsam, obwohl seit einigen Jahren die Kritik an dieser Medikamentengruppe zunimmt.

Hieraus wird ersichtlich, dass eine zeitgemäße medikamentöse oder auch nicht medikamentöse Behandlung individuell und bedarfsgerecht angepasst werden muss. Dies möchte ich auch in grausamer Weise in Bezug auf „Einer flog übers Kuckucksnest“ in Erinnerung bringen.

Ich möchte für die Orientierung am individuellen Hilfebedarf psychisch Kranker plädieren. Dies heißt aber nicht, das eine zu tun und das andere zu lassen. Es geht immer um die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

aber auch um die Individualität der Patienten und um eine angemessene Verhältnismäßigkeit. Meine Damen und Herren, die Verhältnismäßigkeit sollte immer gelten, und auch das hinreichende Abwägen der Interessen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Sommer. – Als nächster Redner hat Herr Kollege Rock für die Freien Demokraten das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben uns heute mit einem schwierigen Thema zu beschäftigen, wo man verschiedene Blickwinkel einnehmen kann. Man kann den Blickwinkel eines Hessischen Landtags haben, man kann den Blickwinkel eines Gerichtssaals haben, man kann den Blickwinkel eines Betroffenen, eines Psychiatrieerfahrenen haben, und man kann den Blickwinkel eines in der Psychiatrie Tätigen haben. Alle die kommen nicht zu gleichartigen Aussagen zu diesem Thema. Dennoch sind wir als Gesetzgeber gezwungen, heute eine Entscheidung zu treffen. Warum sind wir dazu gezwungen? Weil uns ein Gericht gesagt hat, dass die gesetzlichen Grundlagen, die wir angewandt haben, seit 2012 nicht mehr tragen und dass wir den Menschen, die in der Psychiatrie tätig sind, in ihrem Handeln ein Stück weit Sicherheit geben müssen.

Nachdem ich den einen oder anderen Wortbeitrag heute gehört habe, kann ich die Übereinstimmung zwischen diesem Wortbeitrag und der Anhörung nicht ganz oder nur in kleinen Teilen feststellen. In der großen Mehrheit der Anhörungsunterlagen war schon festzustellen, dass die Regelungen, die dem Gesetz zugrunde liegen, eine breite Akzeptanz haben. Ich maße mir nicht an, bewerten zu können, inwieweit ärztliche Verfahren oder die ärztliche Verordnung von Medikamenten richtig oder falsch sind. Aber es ist wichtig, ein gesundes Misstrauen mitzubringen. Dieses gesunde Misstrauen haben wir auch dadurch dokumentiert, dass derjenige, der im Maßregelvollzug untergebracht ist,

Möglichkeiten hat, sich zu wehren und Dinge zu uns zu tragen.

Ich bin Mitglied im Petitionsausschuss. Alle, die im Petitionsausschuss länger waren oder noch sind, haben auch solche Petitionen gehabt und konnten an einem direkten Beispiel sehen, was tatsächlich in Einrichtungen im Land Hessen passiert. Da muss ich sagen, da gibt es Probleme, aber da gibt es manchmal auch einen subjektiven Eindruck, den man als Betroffener haben kann.

Von daher ist es wichtig, dass wir heute Regelungen finden, a) um den Betroffenen Sicherheit zu geben und b) um die Möglichkeiten zu stärken, wie der Maßregelvollzug überwacht wird. Warum sage ich das? Ich sage das deshalb, weil dort massiv in die Rechte von Menschen eingegriffen wird. Die Zwangsbehandlung von Menschen ist ein höchst sensibler Bereich. Er betrifft vor allem die Menschen, die dem ausgesetzt sind, aber er betrifft auch die diejenigen, die diese Maßnahmen anwenden müssen. Ich kann wirklich nur sagen, ich habe Vertrauen in die Menschen, die dort arbeiten.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Ich habe Vertrauen in die Ärzte, die Pfleger und die Therapeuten, die dort arbeiten. Ich glaube aber auch, dass in der besonderen Situation, in der die Menschen dort arbeiten müssen, nicht immer alles richtig ist, was da passiert. Darum müssen die Menschen, die dort untergebracht sind, die Möglichkeit haben, die Beschwernisse, die sie verspüren, zu artikulieren und ihnen entgegenzuwirken.

(Beifall bei der FDP)

Dem ist, glaube ich, in diesem Gesetzentwurf ausreichend Rechnung getragen worden.

Dennoch werden wir aufmerksam bleiben und die weiteren Entwicklungen im gesamten Bereich der Psychiatrie begleiten müssen. Wir müssen alle Maßnahmen der Heilung der betroffenen Menschen – eine Heilung ist manchmal gar nicht möglich – oder des Bemühens, sie wieder zu befähigen, Teil der Gesellschaft zu werden, im Auge behalten und zusehen, dass man stets die neuesten Standards zugrunde legt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unter diesen Prämissen kann man diesem Gesetzentwurf zustimmen. Man kann für eine Zustimmung vielleicht auch andere Begründungen finden. Für meine Fraktion ist dieser Gesetzentwurf jedenfalls ausreichend, um unsere Zustimmung geben zu können. Ich glaube, es wird ein gutes Gesetz werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Grüttner. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich ausdrücklich für die engagierte Diskussion zu diesem Gesetzentwurf, weil er einen Regelungsbereich zum Thema hat, der sich an der Schwelle zwischen

Strafvollzug und Behandlungsfähigkeit bewegt, und es hier um Menschen geht, die auf der einen Seite aufgrund einer Straftat eine besondere Charakterisierung erfahren – egal, ob diese Charakterisierung stimmt oder nicht stimmt – und auf der anderen Seite aufgrund ihrer Erkrankung einer besonderen Behandlung bedürfen.

Wir haben uns in Hessen auf den Weg begeben, zu versuchen, die Kompetenzen zu bündeln. Wir sind einen etwas anderen Weg gegangen als andere Bundesländer, indem wir gesagt haben: Wenn wir uns schon eine Dezentralisierung in der Psychiatrie vorgenommen haben, wenn wir den Versuch unternehmen, Somatik mit Psychiatrie zu verbinden, dann wollen wir die Kompetenzen der in der psychiatrischen Behandlung Tätigen auch für die Forensik nutzen. – Das war der Weg dahin, die Vitos GmbH, ausgegliedert aus dem Landeswohlfahrtsverband, zu beauftragen, Forensik in Hessen monopolistisch durchzuführen – nicht wie in anderen Bundesländern zu schauen: wer macht es vielleicht günstiger, wer macht es an dem einen oder anderen Standort? –, damit wir ein einheitliches Konzept in der Forensik und einen Austausch von Erfahrungen unter den einzelnen Standorten haben, weil die Behandlung unter der gleichen Trägerschaft erfolgt.

Diese Entscheidung wurde durch ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht infrage gestellt, dessen Ausgang wir alle mit Spannung erwartet haben. Die Frage war, inwiefern hoheitliche Aufgaben in der Forensik von Privaten wahrgenommen werden können. Wenn wir uns ein bisschen zurückerinnern: Vor fast drei Jahren, also Ende 2012, als die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gefallen ist, waren wir uns gar nicht so sicher, ob sie den hessischen Weg bestätigen würde. Er ist zwar bestätigt worden, aber daraus folgt auch ein Regelungstatbestand, und es ist sicherlich auch dem Übergang von der 18. zur 19. Legislaturperiode geschuldet, dass er erst jetzt in der Form eines Gesetzentwurfs vorliegt.

Diese Genese muss man an der Stelle berücksichtigen, wenn sich Verbandsvertreter – die Frau Schott eben zitiert hat – oder Menschen artikulieren, die eine psychische Erkrankung haben und aufgrund dieser psychischen Erkrankung eine Straftat begangen haben und in der Forensik sind.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

An dieser Stelle müssen wir doch sehen, dass die Strafgesetze von UN-Mitgliedsländern und ihre Wirkungen nicht gleich sind und wir uns deshalb auf die deutsche Gesetzeslage beziehen müssen. Deswegen finde ich die Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf wichtig.

Ich danke ausdrücklich dafür, dass man auch gesagt hat, dass wir nach wie vor unser Augenmerk auf diese Entwicklung richten müssen, dass wir aufmerksam bleiben müssen.

Frau Dr. Sommer, ich kann auch verstehen, wenn Sie sagen, Ihnen fehle eigentlich der Behandlungsansatz; der Gesetzentwurf sei zu sehr aus dem Strafvollzug abgeleitet. Andererseits gibt es sicherlich noch Gelegenheiten, sich damit auseinanderzusetzen. Alle Zitate, die Sie am Ende Ihrer Rede gebracht haben, hatten eigentlich nur Behandlungen zum Gegenstand. Die Frage ist: Ist es eine Behandlung, oder ist es keine Behandlung? Zumindest ist es aber kein aus dem Strafvollzug abgeleiteter Ansatz. Die Frage

ist: Kann man ein Maßregelvollzugsgesetz machen, in dem die Formen der Behandlung noch mehr in den Vordergrund gestellt werden? Dann müssten wir uns aber über die Inhalte der Behandlung auseinandersetzen. Haben wir hierfür die Kompetenz? Ich glaube eher, dass Kollege Rock recht hat. Das dürfen wir uns nicht zumuten, sondern wir müssen aufmerksam sein und bleiben, damit es zu keinen Fehlentwicklungen kommt.

Mit diesem Gesetzentwurf zum Maßregelvollzug haben wir versucht, diese Aufmerksamkeit zu normieren. Daher haben wir das Institut der Besuchskommission in den Entwurf aufgenommen. Damit ist zumindest sichergestellt, dass die Untergebrachten ihre Wünsche und Beschwerden vortragen können. Die Besuchskommission ist keine irgendwie zusammengewürfelte Gruppe, sondern setzt sich wie folgt zusammen: ein Facharzt, eine Pflegekraft, ein Psychologischer Psychotherapeut, ein Sozialarbeiter mit Erfahrungen auf dem Gebiet des Maßregelvollzugs, ein Richter der Strafvollstreckungskammer, ein Vertreter aus dem Kreis der Psychiatrie-Erfahrenen und ein Vertreter aus dem Kreis der Angehörigen. Die Mitglieder dürfen aktuell weder in einer Einrichtung beschäftigt noch mit Unterbringungssachen befasst sein. Damit haben wir den Versuch unternommen, durch die Zusammensetzung der Besuchskommission eine größtmögliche Neutralität herzustellen.

Auch die Regelungen zur Behandlung gegen ihren Willen untergebrachter Personen werden noch detaillierter beschrieben. Somit besteht nicht nur für die forensischen Kliniken Rechtssicherheit, sondern es ist auch gewährleistet, dass diese Maßnahmen ganz klaren rechtlichen Vorgaben unterliegen, die es auch den Patienten ermöglichen, Rechtsmittel einzulegen; denn Grundrechtseingriffe müssen nicht nur klar geregelt sein, sondern auch dokumentiert werden. Hier kommt der Fachaufsicht eine große Bedeutung zu. Grundrechtseingriffe dürfen sich nicht in Grauzonen abspielen. Sie müssen zu jedem Zeitpunkt ärztlich, rechtlich und ethisch begründet sein. Das ist ein rechtsstaatliches Gebot, und an das wollen wir uns halten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen an der Stelle nicht vergessen, dass das auch zum Nutzen des Patienten ist. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Praxis: Wenn ein in der Forensik Untergebrachter, der an Diabetes erkrankt ist, über Wochen und Monate hinweg versucht, die Medikamente zu verweigern, die für sein Überleben notwendig sind, dann brauchen wir einen rechtlichen Rahmen, damit diesem Untergebrachten geholfen werden kann. Auch das wird mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, damit Rechtssicherheit für die in der Forensik Beschäftigten besteht, die eine unglaublich schwierige Arbeit zu leisten haben und täglich mit großen Herausforderungen konfrontiert sind. Wir alle haben nur ein Mindestmaß an Vorstellungen davon, was das tatsäch

lich bedeutet. Deswegen ist es notwendig, dass die Beschäftigten Rechtssicherheit bekommen.

Ein weiterer wichtiger Baustein der Qualitätssicherung im hessischen Maßregelvollzug sind die forensisch-psychiatrischen Ambulanzen, weil letztendlich sie den Behandlungserfolg sichern. Damit sind wir wieder bei der Frage der Behandlung – und zwar nicht unter dem Ansatz des Strafvollzugs.

Ich denke, die Zustimmung in der mündlichen Anhörung und die Nachsteuerungen, die wir durch den Änderungsantrag vorgenommen haben, machen unsere Vorlage zu einem guten Gesetzentwurf. Richtig ist aber: Wir müssen den Maßregelvollzug und seine Entwicklungen weiterhin beobachten. Deswegen gilt es auch in Zukunft, Aufmerksamkeit walten zu lassen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)