Protocol of the Session on July 17, 2014

Gerade bei den religiösen Vereinen. die sich zum Grundgesetz bekennen, brauchen wir darum eine eindeutige und aktive kritische Haltung zum Antisemitismus.

Um also wirksam gegen radikalislamistisches Gedankengut und letztlich gegen den Salafismus zu kämpfen, müssen wir die Demokratie und die Demokratiefähigkeit in Deutschland stärken. Dabei geht es um Menschenrechte, die Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung, Frauenrechte, Minderheitenrechte, die Freiheit des Individuums und die Freiheit des Glaubens bzw. die Freiheit, nicht zu glauben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, Extremismusprävention muss Werteorientierung sein und eine Querschnittsaufgabe werden. Die Politik muss eine breite Kooperation zwischen Schulen, Sozialarbeit, Jugendhilfe, Elternbildung, aber auch der Polizei gewährleisten. Eine konsequente Isolierungsstrategie muss gegenüber allen radikalislamistischen Missionierungsversuchen durchgesetzt werden. Von zentraler Bedeutung ist eine offene Diskussionskultur in der Schule und im außerschulischen Bereich, etwa in Jugendhäusern und in Vereinen, die die Werte unserer freiheitlichen Kultur gegen radikales, intolerantes Gedankengut stellt.

Wir brauchen dazu differenzierte pädagogische Maßnahmen vor Ort. Wir unterscheiden zwischen: erstens soge

nannten normalen Jugendlichen, zweitens islamistisch-salafistisch orientierten Jugendlichen ohne feste Cliquenbildung, drittens salafistischen Cliquen und viertens Jugendlichen in islamistisch-salafistischen Organisationen. In Ostdeutschland wurde das zum Teil sehr erfolgreich im Kampf gegen den Rechtsextremismus praktiziert, und wir können einiges von dort lernen.

Die Schulen müssen eine entsprechend zugeschnittene Beratung und Unterrichtseinheiten dazu anbieten. Die Jugendhäuser sollten speziell geschulte Sozialarbeiter beschäftigen, und die Elternarbeit ist massiv und vor allem zielgruppenorientiert auszubauen. Pädagoginnen und Pädagogen brauchen dafür eine hohe Professionalität und ein hohes Maß an sozialer, interkultureller und interreligiöser Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Dies muss sich auch in der Lehrerausbildung niederschlagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtige Stützen einer solchen Präventionspolitik sind zudem gut integrierte und erfolgreiche, aber glaubhafte Vorbilder aus der zivilen Gesellschaft, die das Bild eines säkularen, demokratischen, toleranten, vielfältigen und freiheitlichen Deutschland vermitteln.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt kommt es: Für all das brauchen wir Geld. Die finanziellen Mittel folgen einer politischen Prioritätensetzung und entscheiden letztendlich darüber, ob von dem, worüber wir gerade diskutieren, irgendetwas bei denjenigen ankommt, die wir beschützen wollen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)

Danke, Herr Yüksel. – Meine Damen und Herren, zumindest für diese Legislaturperiode war das die erste Rede von Herrn Turgut Yüksel, auch dazu herzlichen Glückwunsch.

(Allgemeiner Beifall)

Als Nächster hat sich Herr Staatsminister Beuth zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde, nach dem Verlauf der Debatte können wir froh darüber sein, dass der Anstoß so gemacht worden ist. Ich finde, die Rednerinnen und Redner der meisten Fraktionen – bis auf eine Fraktion – haben bei diesem Thema das Verbindende und nicht das Trennende gesucht. Das, was uns im Hause gemeinsam verbindet, ist unsere gemeinsame Sorge, die Sorge um die freiheitlich demokratische Grundordnung, um die Regeln, die in unserem Land gelten, um die Werte, um die Kultur, die von Salafisten angegriffen werden. Ich finde, das allein ist schon ein gutes Ergebnis der Debatte, die wir hier miteinander führen. Wenn ich sage: „bis auf eine Fraktion“, dann muss man schon sehen, dass sich die Fraktion DIE LINKE sehr weit von dem verabschiedet, was alle anderen Fraktionen in diesem Hause eint.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Seit geraumer Zeit stehen die Aktivitäten der salafistischen Szene im Fokus der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit. Dabei wurde unmissverständlich klar, dass die Gesellschaft bei dieser Thematik nicht wegschauen darf. Wir arbeiten intensiv daran, dass sich junge Menschen nicht durch die extremistische Szene verführen lassen. Das ist aber – das will ich deutlich sagen – keine Aufgabe, die wir irgendwo, bei irgendwelchen polizeilichen oder Verfassungsschutzorganisationen, abladen können. Nein, das ist eine Frage, die mitten in der Gesellschaft steht, die wir als Gesellschaft beantworten müssen. Das müssen sich alle zivilgesellschaftlichen Kräfte zur Aufgabe nehmen. Wir werden es nicht allein mit den staatlichen Organisationen bekämpfen können.

Der Anstieg der Anhängerzahlen in Hessen – 2011 auf bis zu 500, 2012 waren es 900, und 2013 war es eine Größenordnung von 1.200 – macht deutlich, dass die salafistische Szene mit ihren einfachen und leicht verständlichen extremistischen Ansichten insbesondere auf Jugendliche eine nicht zu unterschätzende Anziehungskraft ausübt. Der Salafismus ist gegenwärtig bundesweit die dynamischste und am schnellsten wachsende islamistische Bewegung. Das gilt leider auch für Hessen. Die Anhörung, die die FDP hier angestoßen hat, dieses Vorhaben, trägt die Hessische Landesregierung ausdrücklich mit. Es ist eine prima Ergänzung zu vielfältigen Maßnahmen, die wir schon ergriffen haben. Wenn wir das in einer Anhörung in der Mitte des Landtags miteinander besprechen, wird sie uns wahrscheinlich dabei unterstützen, die Problematik in die Mitte der Gesellschaft zu holen.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Lassen Sie mich noch ein paar Aspekte ansprechen, die auch im Antrag der FDP eine Rolle gespielt haben. Da heißt es: „Die Entwicklung des Salafismus … hat in Hessen ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen“. Die salafistischen Akteure im Rhein-Main-Gebiet seien ständig präsent. Die Szene schrecke nicht davor zurück, öffentliche Einrichtungen zu attackieren, und die Szene stehe in enger Verbindung zu radikalislamischen Terrororganisationen wie der ISIS.

Wie bereits eingangs erwähnt ist der Salafismus aktuell tatsächlich die am dynamischsten und schnellsten wachsende Form des Islamismus in einer seiner radikalsten Ausprägungen. Dies erfüllt uns gemeinsam mit großer Sorge. Für Hessen stellt das Rhein-Main-Gebiet derzeit das Zentrum der salafistischen Szene dar. Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass das RheinMain-Gebiet im Vergleich zu anderen deutschen Ballungsgebieten, die eine ähnliche Bevölkerungsdichte und Bevölkerungsstruktur aufweisen, nicht überdurchschnittlich von dem Phänomen des Salafismus betroffen ist.

In den Jahren 2012 und 2013 und im ersten Quartal des Jahres 2014 sind der hessischen Polizei insgesamt acht als öffentlichkeitswirksam einzustufende Aktionen islamistischer bzw. salafistischer Vereine oder Organisationen in Hessen bekannt geworden. Hinzu kommt eine Vielzahl von Aktionen im Rahmen der im Oktober 2011 begonnenen bundesweiten Koranverteilungsaktion „Lies“. Hierbei wurden in zahlreichen hessischen Städten „Lies“-Infostände eingerichtet, an denen kostenlos deutschsprachige Koranausgaben verteilt wurden. Zudem kam es auch zu mobilen Koranverteilungen, bei denen Salafisten Koranexemplare in Umhängetaschen mit einem Aufdruck des

„Lies“-Emblems oder in Rucksäcken mit sich führten und Korane an Passanten verteilten.

Meine Damen und Herren, diese Koranverteilungen sind ein wichtiger Bestandteil der systematischen Missionierungsarbeit politischer Salafisten. Mit dieser sogenannten Werbearbeit wird versucht, die extremistische Propaganda sowie das salafistische Gedankengut zu verbreiten. Das dürfen wir nicht unterschätzen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Die Hessische Landesregierung nimmt diese Gefahr daher äußerst ernst. Wichtig ist mir allerdings, dass wir an diesem Problem konzentriert und lösungsorientiert arbeiten. Dramatisierungen bringen uns auch nicht weiter. Zutreffend ist, dass es Kontakte seitens hessischer Akteure zu salafistischen Terrororganisationen gibt. Eine enge Verbindung konnte aber zumindest bisher nicht belegt werden.

In dem Antrag der FDP heißt es, dass seit Monaten junge Männer „teilweise quasi direkt von hessischen Schulhöfen in den ‚heiligen Krieg‘“ ziehen. Das ist im politischen Wettstreit zulässig, aber es ist natürlich übertrieben.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Hört, hört!)

Die FDP hat allerdings recht, dass die zurückkehrenden radikalisierten Gotteskrieger kampferprobt, militärisch gut ausgebildet, zu terroristischen Straftaten in Deutschland fähig und möglicherweise bereit sind. Das muss uns große Sorge bereiten. Deswegen arbeiten wir daran, dass wir möglichst wenige junge Leute verlieren und dass wir möglichst wenige dieser Gotteskrieger überhaupt nach Syrien oder in den Irak entlassen werden.

Hierzu ist anzumerken, dass den deutschen Sicherheitsbehörden derzeit Erkenntnisse zu mehr als 320 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vorliegen. In Hessen sind es ca. 30, die in Richtung Syrien ausgereist sind, um dort den Widerstand gegen das Assad-Regime zu unterstützen. Es liegen jedoch nicht in allen Fällen gesicherte Erkenntnisse dazu vor, ob sich diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten bzw. aufgehalten haben oder sich aktiv an Kampfhandlungen beteiligt haben. Grundsätzlich stellen islamistische Personen, die in Syrien oder in angrenzenden Regionen aktiv an Kampfhandlungen beteiligt waren und dort den Umgang mit Waffen und Sprengstoffen erlernt haben, nach ihrer Rückkehr eine besondere Gefahr, ein besonderes Sicherheitsrisiko, dar.

Aber neben einer potentiellen Anschlagsgefahr durch Rückkehrer ergeben sich noch weitere Gesichtspunkte, die ich in meine Überlegungen mit einbeziehen möchte. Die Rückkehrer können in der salafistischen Szene eine Vorbildfunktion wahrnehmen, aus der heraus sie versuchen könnten, insbesondere junge Muslime für den Dschihad in Syrien zu werben. Auch das müssen wir im Blick haben. Wir dürfen nicht zulassen, dass es dieses Heldentum in Hessen oder überhaupt in Deutschland gibt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der FDP-Antrag beschreibt, dass die Motive der Radikalisierung umfassend ergründet werden müssten und dass „dieser Herausforderung für Demokratie und politische Bildung wirkungsvoll und entschieden zu begegnen“ ist. Die hessischen Muslime müssen aktiv in die Debatten mit eingebunden werden, und „im breiten Dialog mit gesell

schaftlichen Gruppierungen, Religionsgemeinschaften und Experten [ist] eine umfassende Situationsanalyse vorzunehmen.“

Wie ich bereits am Anfang erwähnt habe, hat die Hessische Landesregierung Maßnahmen der Prävention und der Intervention initiiert. So wurde im Jahre 2013 im hessischen Innenministerium das hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus eingerichtet. Dort wirken Fachleute mit polizeilichem und wissenschaftlichem Hintergrund zusammen. Sie entwickeln neue Strategien für ressortübergreifende Abstimmungen. Das HKE hat unter anderem auf Basis umfangreicher Vorgespräche mit Vertretern muslimischer Organisationen, erfahrenen Islamwissenschaftlern, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um nur einige wenige zu nennen, das Konzept für ein Präventionsnetzwerk gegen Salafismus erarbeitet. Dieses Netzwerk soll sowohl Prävention und Sensibilisierungsmaßnahmen ermöglichen als auch Interventionsmaßnahmen im Sinne von Beratungsangeboten. Das bezieht sich sowohl auf das Umfeld von Radikalisierten als auch auf die aufsuchende Arbeit mit Radikalisierten und sogar ein Ausstiegsprogramm, das wir dort vorsehen.

Damit wird deutlich, dass wir diese Frage seitens des Landes und seitens des Innenministeriums sehr ernst nehmen und versuchen, die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um am Ende den salafistischen Bestrebungen Einhalt zu gebieten.

Herr Minister, ich darf Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern.

Ich komme gleich zum Schluss. – Meine Damen und Herren, das Präventionsnetzwerk gegen Salafismus entsteht nicht im luftleeren Raum. Das Präventionsangebot des Landesamts für Verfassungsschutz hat bereits in den letzten Monaten insbesondere auf Multiplikatoren der Jugendbildung eingewirkt. Wir haben – Herr Kollege Greilich, Sie haben das vorhin mit dem Lehrer angesprochen – rund 250 Lehrkräfte im Rahmen von Informations- und Fortbildungsveranstaltungen an Staatlichen Schulämtern über die Gefahren des Salafismus informiert und für den Umgang mit diesem Phänomen sensibilisiert.

Hessen arbeitet bereits eng mit der Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen. Als Vor-Ort-Partner haben wir in Hessen eine Organisation gefunden, die in dem Bereich des sozialen Umfelds von Islamisten und Salafisten erfahren ist.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich geworden, dass vier Fraktionen in diesem Haus sich sehr engagiert mit dieser Problematik auseinandersetzen. Deswegen ist es gut, dass wir eine Anhörung durchführen. Wir können auf die Vorarbeit der Landesregierung und des Innenministeriums setzen, um die Anhörung gut vorzubereiten. Wir sind sehr engagiert dabei, gemeinsam die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch gegen Salafisten zu verteidigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Beuth. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesen Tagesordnungspunkten vor. Es ist der Wunsch geäußert worden, beide Anträge an den Innenausschuss, federführend, und an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss und den Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, zu überweisen. – Herr Schaus, zur Geschäftsordnung.

Herr Präsident, ich beantrage, dass beide Anträge dem Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss, federführend, und dem Innenausschuss und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, überwiesen werden.

Zur Geschäftsordnung, Herr Bellino.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind der Überzeugung, dass die Zuordnung richtig ist: Der Innenausschuss ist federführend. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass er sich auch mit präventiven und informativen Maßnahmen und nicht nur mit der Repression befasst. Der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss und der Kulturpolitische Ausschuss sollen mitberatend tätig sein. Das halten wir für die richtige Vorgehensweise. Wir sollten dabei bleiben.

Danke, Herr Bellino. – Herr Schaus, halten Sie Ihren Geschäftsordnungsantrag aufrecht?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja!)

Gibt es weitere Wortmeldungen zu dem Geschäftsordnungsantrag?

Dann lasse ich jetzt über den Geschäftsordnungsantrag abstimmen. Wer dafür ist, dass die beiden Anträge an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss, federführend, und mitberatend an den Innenausschuss und den Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen werden, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer ist dagegen? – Das ist das restliche Haus. Damit ist dieser Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.

Somit überweisen wir den Antrag der Fraktion der FDP, Drucks. 19/634, und den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 19/696 an den Innenausschuss, federführend, und an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss und den Kulturpolitischen Ausschuss, jeweils beteiligt.

Damit sind wir am Ende der Vormittagssitzung angelangt. Wir gehen nun in eine einstündige Mittagspause und treffen uns um 14:15 Uhr hier wieder.