Protocol of the Session on July 17, 2014

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Im Bereich des Rechtsextremismus haben wir mit dem Aussteigerprogramm gute Erfahrungen gemacht. Deshalb haben wir uns in unserer Vier-Sterne-Koalitionsvereinbarung mit der CDU für diesen Bereich viel vorgenommen. Ich zitiere:

Den Gefahren des Islamismus, insbesondere des djihadistischen Salafismus, werden wir durch konsequente Ausreiseverhinderungen und Intensivierung der Präventions- sowie Deradikalisierungsmaßnahmen begegnen. Darüber hinaus werden wir das Beratungsnetzwerk ausbauen und ein eigenes Aussteigerprogramm schaffen.

Das Hessische Kompetenzzentrum Extremismus werden wir weiter fördern und stärken. Mit einem Landesprogramm für die verstetigte und dauerhafte Präventionsarbeit werden wir Maßnahmen zur Bekämpfung von Extremismus fördern.

Ich glaube, dass wir mit diesem Passus in der Koalitionsvereinbarung zeigen, dass wir hier deutlichen Handlungsbedarf sehen.

Ich stimme den Kolleginnen und Kollegen der FDP ausdrücklich zu: Wir brauchen ein ganzheitliches Konzept. Daran wird im Innenministerium auch schon gearbeitet.

Eine Anhörung im Hessischen Landtag ist sicherlich der richtige Schritt, um die Kompetenzen aus den verschiedensten Bereichen zusammenzuführen und abzurufen. Es ist richtig, mit Institutionen wie Schulen, sozialen Einrichtungen, Jugendverbänden, aber auch Sicherheitsbehörden, dem Verfassungsschutz und den zivilgesellschaftlichen Organisationen diese Problematik zu diskutieren und das Thema damit in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Deshalb haben wir kein Problem damit, den Vorschlag der FDP aufzugreifen und die vorgeschlagene Anhörung zu beschließen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Man kann dabei nur klüger werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Auch an einem weiteren Punkt möchte ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. Wir sollten bei der Debatte um die Probleme mit radikalen Salafisten nicht vergessen, dass diese Gruppe eine Minderheit ist – brandgefährlich, ja, aber eine verschwindend kleine Minderheit. Das müssen wir immer wieder betonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die ganz und gar überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland ist fester Bestandteil unserer freien und offenen Gesellschaft. Man muss heute, 50 Jahre nach Beginn der Einwanderung, anerkennen und sagen: Muslime und der Islam gehören heute zu Hessen. Die Menschen lehnen religiösen Fundamentalismus ab und befürworten Religi

onsfreiheit. Sie befürworten Pluralität und die freiheitlichdemokratische Grundordnung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Sie sind gut integriert. – Wir reden sehr oft über Defizite, aber wir reden sehr wenig über gelungene Integration. Das kommt in solchen Debatten leider viel zu selten vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die ganz überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland sind unsere Partner im Kampf gegen Hass und Intoleranz. Deshalb müssen wir gemeinsam mit ihnen dieses Phänomen bekämpfen und gemeinsam mit ihnen unsere freie und offene Gesellschaft gegen die verteidigen, die sie bekämpfen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Danke, Herr Frömmrich. – Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Yüksel zu Wort gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die zunehmende Radikalisierung von Teilen der salafistischen Szene und deren Fähigkeit, ihr Netzwerk zu erweitern und junge Menschen unabhängig von deren Herkunft zu rekrutieren, ist von enormer sozialer und integrationspolitischer sowie auch sicherheitspolitischer Bedeutung. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute darüber debattieren, und deshalb werden wir auch den Antrag der FDP-Fraktion unterstützen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Landesregierung hat leider die Dimension dieses Problems viel zu lange unterschätzt und es oft auf Sicherheitspolitik reduziert.

(Holger Bellino (CDU): Die SPD aber auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, auch Ihr uns vorliegender Antrag ist ein Beweis dafür, dass von Allgemeinplätzen geredet wird.

Es handelt sich dabei jedoch um eine langfristige Herausforderung, der dringend mit einer langfristig angelegten, ganzheitlichen Strategie begegnet werden muss. Natürlich bedarf es zunächst einer gesamtgesellschaftlichen Debatte ohne Tabus, um überhaupt ein Problembewusstsein zu schaffen. Eine Fachanhörung kann nur ein erster Schritt dazu sein.

Unser Ziel ist die Entwicklung eines Präventionskonzepts, das insbesondere die jungen Menschen in unserem Land vor islamistischen Rattenfängern schützt. Wir wollen und dürfen kein Kind und keinen Jugendlichen alleinlassen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es muss uns vor allem gelingen, eine klare Trennlinie zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als politischem Programm zu ziehen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

auch um die Mehrheit der Muslime zu schützen, die gut integriert und friedlich in Hessen und in ganz Deutschland leben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zentral ist die in dem Antrag formulierte Forderung, wonach muslimische Verbände ermutigt werden sollen, sich in einer breiten Allianz aller Glaubensrichtungen gegen jegliche verfassungsfeindlichen Tendenzen und gegen jeden politischen Missbrauch von Religion zu stellen. Daran muss die Landesregierung federführend mitwirken. Am Ende dieses Prozesses sollte eine gemeinsame Erklärung gegen religiösen Fanatismus und Extremismus und für ein tolerantes und weltoffenes Hessen stehen, um die politische Entschlossenheit zu dokumentieren und zu demonstrieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP sowie des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Vor Ort erscheint es jedoch dringend erforderlich, zentrale Begrifflichkeiten zu klären, mit denen auch im Antrag der FDP-Fraktion allzu sorglos umgegangen wird.

Zwei Beispiele: Einen demokratischen Islam gibt es ebenso wenig wie ein demokratisches Christentum. Ich maße mir nicht an, eine Religion als demokratisch oder als nicht demokratisch zu bezeichnen. Die Demokratie ist ein System, und die Religion ist ein theologisches Gebilde. Deshalb sollte man differenziert damit umgehen. Man kann von einem liberalen Islam oder von einem liberalen Christentum reden; aber man kann nicht von einem demokratischen Islam sprechen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Islamismus und Salafismus sind darüber hinaus nicht per se gewaltbereite Bewegungen: sie aber sind stets politisch. Es bedarf einer gewissen politischen Erfahrung und Expertise, um zu verstehen, worüber wir überhaupt reden, um die richtige Strategie zu entwickeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit gehört auch, dass die salafistischen Jugendlichen nur die Spitze eines Eisbergs darstellen. Der religiöse Extremismus hat eine Wurzel in einer weit verbreiteten religiösen Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden. Diese islamistischen Grundhaltungen wiederum entspringen einem komplexen Zusammenwirken kultureller, gesellschaftlicher, individueller, familiärer und situativer Einflüsse. Sie können ebenso wenig auf Perspektivlosigkeit – lieber Herr Schaus – wie auf theologische Fehlinterpretationen verkürzt werden.

(Beifall bei der SPD – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Man soll nichts verkürzen!)

Wir müssen eine gesellschaftliche Kultur schaffen, in der salafistische Rattenfänger mit ihren simplen Parolen keinen Nährboden finden, und darum jedweder Form von Rassismus und Antisemitismus entgegentreten.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Michael Bodden- berg (CDU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Antisemitismus stellt nämlich eine wichtige Indoktrinationsquelle der Islamisten bei der Anwerbung von Jugendlichen dar. Das sehen wir bei Facebook und auch bei anderen Netzwerken.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Erlauben Sie mir an dieser Stelle, als Angehöriger einer Minderheit eine Bemerkung zu machen. Es ist schlichtweg nicht zu akzeptieren, dass in Deutschland zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, wie es bei Antiisrael-Demonstrationen regelmäßig der Fall ist. Wir alle in Deutschland – da beziehe ich die Migrantinnen und Migranten ein – müssen wissen, dass die Gründung des Staates Israel auch eine Folge der barbarischen Vernichtung der Juden durch den Nationalsozialismus war.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Das verpflichtet alle in Deutschland lebenden Menschen – ich betone: alle, auch die Muslime – zu einer besonderen Verantwortung und zu Achtsamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Es ist nicht hinnehmbar, dass sich die Kinder auf den Schulhöfen gegenseitig als „Jude“ beschimpfen. Das passiert in den letzten Jahren zunehmend, auch bei den muslimischen Jugendlichen. Wir dürfen solche Entwicklungen nicht stillschweigend zur Kenntnis nehmen.

(Allgemeiner Beifall)

Das sind sehr viele junge Menschen – Schüler und Schülerinnen. Ich appelliere an euch alle: Wenn ihr solche Äußerungen auf euren Schulhöfen hört, müsst ihr Zivilcourage zeigen und so etwas unterbinden.

(Allgemeiner Beifall)

Gerade bei den religiösen Vereinen. die sich zum Grundgesetz bekennen, brauchen wir darum eine eindeutige und aktive kritische Haltung zum Antisemitismus.