Protocol of the Session on April 24, 2018

Mir läuft ein bisschen die Zeit davon.

(Zuruf: Mikro bitte!)

Machen Sie eine Kurzintervention. Ich antworte gern darauf und gebe Ihnen gern meine Zahlen.

Allein die Förderrichtlinie zu LOEWE, die das Ministerium herausgegeben hat, umfasst 70 Seiten, auf denen niedergeschrieben ist, wie man sich um Mittel bewerben kann und was man alles dafür tun muss. Es gibt ein zweistufiges Bewerbungsverfahren mit Antragsskizze und einem Vollantrag, der nicht selten den Umfang einer Abschlussarbeit hat.

Sie beschäftigen also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tagein, tagaus damit, langwierige und komplizierte Förderantragsverfahren zu durchlaufen. Wenn man Glück hat und der Antrag nicht abgelehnt wird – sonst wäre die Arbeit vergeblich gewesen –, darf man ein paar Jahre lang befristet in einem Projekt arbeiten – ohne die Sicherheit, wie es danach weitergeht.

Sie freuen sich, dass 1.700 Beschäftigte in den LOEWEProjekten arbeiten. Ich sage Ihnen: Sie sorgen dafür, dass viele dieser Forscherinnen und Forscher mehr mit dem Schreiben von Anträgen und dem Einwerben von Drittmitteln als mit der Forschung beschäftigt sind. Aber unter den 1.700 Beschäftigten sind nur 185 Professorinnen und Pro

fessoren. Der Rest besteht größtenteils aus befristet beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich von Vertrag zu Vertrag hangeln.

In diesem Zusammenhang will ich an das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen aus dem Jahr 2014 erinnern. Ein 48-jähriger Mathematiker hatte auf Weiterbeschäftigung geklagt. Er arbeitete zwölf Jahre lang im Rahmen von 16 befristeten Verträgen an der Uni Gießen, unter anderem in LOEWE-Projekten. Er machte seit 2002 denselben Job und hatte denselben Schreibtisch, sagte sein Anwalt. Das Arbeitsgericht Gießen entschied damals zu seinen Gunsten – mit der Begründung, dass LOEWE aus Landesmitteln finanziert werde und dass es sich deswegen nicht um Drittmittel handele.

(Minister Boris Rhein: Und wie ging es dann wei- ter?)

Das Urteil hat das Landesarbeitsgericht leider wieder aufgehoben mit dem Verweis auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das solche langen Befristungen ausdrücklich vorsieht.

(Minister Boris Rhein: Ach so!)

Das kann man auch ändern, Herr Minister.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt aber, was diese Form der Finanzierung für die Beschäftigten bedeutet. Da ist jemand gut ausgebildet, und er hangelt sich zwölf Jahre lang durch 16 befristete Verträge. Er weiß nicht, ob er einen Job hat, wenn das Projekt ausläuft. Dieses Ausufern der prekären Beschäftigung stellt eine Folge der Verdrittmittelung der Hochschulen dar – gerade durch Projekte wie LOEWE, die Sie bejubeln.

Halten Sie das wirklich für richtig und für sinnvoll, Herr Minister? Verstehen Sie das unter „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“, wodurch sich LOEWE angeblich auszeichnet? Mit „LOEWEnstark“ haben Sie Ihre Regierungserklärung überschrieben. Ich würde mir einen Wissenschaftsminister wünschen, der wie ein Löwe für diese Beschäftigten kämpft. Aber Sie tun nichts. Sie haben sie nicht einmal in Ihrer Rede erwähnt, und Sie haben vier Jahre lang nichts getan, obwohl dieses Problem sogar Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat und obwohl man das als Problem anerkannt hat. Nichts haben Sie getan. Dass man die Beschäftigten und ihre Probleme völlig ignoriert, halte ich eines Wissenschaftsministers für nicht würdig.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Entwicklung hier ist Teil einer bundesweiten Entwicklung. Vor einiger Zeit gab es einen Aufruf von Wissenschaftlern: „Für gute Forschung und Lehre – Argumente gegen die Exzellenzinitiative“. Darin wurden diese Missstände kritisiert. Darin wurde ebenfalls kritisiert, dass es nur noch um Kennzahlen und Kennziffern, um die Zahlen von Publikationen und die Höhe der Drittmitteleinwerbung gehe.

Herr Minister, genauso klang Ihre Rede. Das war ein Vortragen von Zahlen ohne irgendwelche Inhalte. Sie machen Wissenschafts- und Forschungsförderung faktisch zu einem Teil der Wirtschaftsförderung. Das sagen Sie auch. Sie sagen: LOEWE ist gelebte Wirtschaftsförderung.

Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass in dem einen oder anderen LOEWE-Projekt gute wissenschaftliche Arbeit geleistet wird. Aber es kann doch nicht Aufgabe von Forschungsförderung sein, Unternehmen die Kosten für die Entwicklung neuer Produkte abzunehmen. Sie fördern aus LOEWE-Mitteln Unternehmen, die vegetarischen Fleischersatz aus Pilzen herstellen. Immerhin scheint die CDU ihren Widerstand gegen den Veggieday aufgegeben zu haben.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Sie fördern Brauereien, die neue Hefegetränke entwickeln. Allein dieses Projekt war Ihnen 400.000 € wert, Herr Minister. Das entspricht immerhin der Hälfte der Mittel, die die Hochschule Fulda mit knapp 9.000 Studierenden in acht Jahren bekam. Das geben Sie aus für die Unterstützung der Entwicklung eines neuen Hefegetränks. Warum? Warum?

(Zuruf von der CDU: Nicht so schreien!)

Wenn man der Meinung ist, dass man diese Produkte fördern muss, weil sie für die Zukunft des Landes unerlässlich sind – das ziehe ich in Zweifel –, soll man das bitte über die Wirtschaftsförderung machen – aber doch nicht aus dem Wissenschaftsetat. Denn diese Gelder stehen den Hochschulen zu – nicht der Wirtschaftsförderung.

(Beifall bei der LINKEN)

96 LOEWE-Förderungen für Großunternehmen: Fraport, Merck, E.ON Mitte, die Automobilindustrie? Ich bin der Meinung, dass diese Unternehmen gut genug verdienen. Sie teilen am Ende ihre Gewinne nicht und sollten daher ihre Produkte auf eigene Kosten entwickeln.

Herr Minister, mir ist noch etwas aufgefallen, was ich wirklich für einen ziemlichen Hammer halte. Ich habe mir die LOEWE-Förderung für die Unternehmen genau angeschaut. Dabei ist mir aufgefallen: Tarifbindung spielt bei der Vergabe von LOEWE-Fördermitteln offenbar gar keine Rolle.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Sie fördern z. B. ein Unternehmen aus Mittelhessen, das 2008 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist, Tarifflucht begangen hat und das einen Teil der Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagert hat. Zur Belohnung gibt es öffentliche Fördergelder aus gleich zwei LOEWE-Projekten.

Im Bericht finden sich auch andere Unternehmen ohne Tarifbindung. Herr Minister, wir diskutieren hier über das Tariftreuegesetz. Es kann doch nicht sein, dass Unternehmen, die Tarifverträge unterlaufen, mit öffentlicher Förderung dafür belohnt werden. Das darf nicht sein, und diese Praxis muss aufhören.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Natürlich geht es in diesem Zusammenhang auch um die Frage der Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Sie ist gefährdet, wenn Forschung nur auf schnelle Ergebnisse, auf Anwendungsorientierung und auf ökonomische Verwertbarkeit ausgerichtet ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich nicht komplett planen. Viele große Erfindungen der Menschheitsgeschichte haben wir Zufällen zu verdanken, weil Wissenschaftler, die etwas völlig anderes erforschen wollten, durch Fehler, Um- und Irrwege darauf gestoßen sind.

Forschung muss auch scheitern dürfen. Sie muss offen sein. Sie muss andere, vielleicht völlig entgegengesetzte Erkenntnisse gegenüber dem hervorbringen dürfen, was man vorher angenommen hat. Kann sie das, wenn private Geldgeber am Ende ein neues Produkt erwarten? Kann sie das, wenn man einer neuen Erkenntnis gar nicht nachgehen kann, weil die Projektförderung ausläuft, weil es nicht in die Projektskizze passt, weil sie nicht zu den Erwartungen der Geldgeber passt oder diesen sogar zuwiderläuft?

Wo bleibt die kritische und freie Wissenschaft bei der frisch berufenen Juniorprofessorin, deren Vertrag nur entfristet wird, wenn es ihr gelingt, erhebliche Drittmittel einzuwerben? Wie frei kann sie arbeiten und forschen? – Was Sie tun, gefährdet auch die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das führt zu einer immer weiter fortschreitenden Differenzierung der Hochschullandschaft. Sie nennen das „Elite“ und „Exzellenz“; ich nenne das verantwortungslos. Wo es eine Elite gibt, gibt es auch eine Masse, von der sich die Elite abhebt und über die sie sich erhebt. Genau dieses Menschenbild und genau dieses Bildungsverständnis wollte man 1968 überwinden.

Deshalb sage ich zum Schluss: Herr Minister, Sie haben Ihre Rede mit einem Verweis auf den kürzlich verstorbenen Kapitalismuskritiker und Kriegsgegner Stephen Hawking begonnen. Zitiert haben Sie ihn leider nicht. Deshalb mache ich das jetzt. Von ihm stammt der Satz:

Jeder kann ein Leben voll luxuriösen Müßiggangs führen, wenn der von den Maschinen produzierte Wohlstand geteilt wird, oder aber die meisten Menschen könnten erbärmlich arm werden, wenn die Besitzer der Maschinen erfolgreich gegen eine Verteilung des Wohlstands vorgehen.

Meine Damen und Herren, wissenschaftlicher Fortschritt ist nur dann gesellschaftlicher Fortschritt, wenn er den Menschen insgesamt zugutekommt.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht Exzellenz- und Eliteförderung, sondern gleiche Bildungschancen und freie Wissenschaft sind von Bedeutung. Leider waren wir da in der gesellschaftlichen Debatte schon einmal weiter als heute. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Wissler. – Bevor ich Herrn Kollegen May das Wort für eine Kurzintervention erteile, begrüßen Sie bitte gemeinsam mit mir unsere ehemalige Kollegin Wiesmann auf der Besuchertribüne.

(Beifall)

Schön, dass Sie wieder einmal bei uns sind.

Herr Kollege May, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Wissler, Sie hatten vorhin keine Zeit für meine

Frage. Deshalb muss ich mein Informationsbedürfnis auf diese Art und Weise stillen. Sie haben mich ein bisschen ratlos zurückgelassen. Was wollen Sie eigentlich machen, und was ist Ihre Kritik an der LOEWE-Förderung?

(Zurufe von der LINKEN)

Sie haben mithilfe vieler Balken dargestellt, dass Sie kritisieren, dass der Anteil der LOEWE-Förderung im Stadtgebiet Frankfurt und im Stadtgebiet Darmstadt höher ist als beispielsweise im Landkreis Waldeck-Frankenberg. Was wären denn Ihrer Meinung nach die geeigneten Kriterien für ein Forschungsförderprogramm? Ist es Ihrer Meinung nach notwendig, dass das nach Fläche oder pro Kopf verteilt wird? Es ist mir nicht klar geworden, was Sie da wollen.

Habe ich Sie ferner richtig verstanden, dass Sie dagegen sind, dass es einen Programmbeirat gibt, in dem die Wissenschaft selbst organisiert und selbst bewertet, was exzellent ist und was nicht exzellent ist?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))