Protocol of the Session on March 1, 2018

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

So habe ich es vor einem Jahr in der Aussprache des Landtags formuliert. Deniz Yücel ist seit wenigen Tagen frei und konnte die Türkei verlassen. Ein Tag der Freude für ihn, seine Familie, seine Freunde und für fast alle im Land.

Ich will mich bei den vielen Bürgerinnen und Bürgern Flörsheims und auch bei Bürgermeister Michael Antenbrink bedanken, die sich in den letzten Wochen und Monaten mit Deniz Yücel solidarisiert, gegen seine Festnahme protestiert und Rechtsstaatlichkeit gefordert haben.

Ich will mich bei der Bundesregierung bedanken, namentlich bei Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatsminister Michael Roth, die sich tagtäglich dafür eingesetzt haben, die Freilassung von Deniz Yücel zu erreichen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deniz Yücel, auch das will ich heute wieder betonen, steht stellvertretend für rund 150 türkische Journalistinnen und Journalisten, die derzeit inhaftiert sind. Der Einsatz für Rechtsstaatlichkeit und Presse- und Meinungsfreiheit endet erst dann, wenn alle Journalistinnen und Journalisten, die unrechtmäßig inhaftiert sind, wieder frei sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Deswegen danke ich auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde, weil es gerade jetzt wichtig ist, in den öffentlichen Erklärungen zu den Verhältnissen in der Türkei nicht zu schweigen und zur Tagesordnung überzugehen. Die Gefahr ist allerdings relativ groß, wenn diejenigen, auf die die Scheinwerfer jeden Tag leuchten, eben nicht mehr in Gefahr sind, dass viele andere, denen dasselbe Schicksal ergeht, vergessen werden.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich will am heutigen Tage auch sagen: Der Einsatz für Frieden und Demokratie ist erst dann erfolgreich, wenn auch die Waffen in Afrin und anderswo schweigen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der FDP)

Die Weigerung der Türkei und der türkischen Regierung – trotz der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates zur Waffenruhe in Syrien –, ihre Militäroffensive gegen Afrin einzustellen, ist inakzeptabel, und das gilt auch und ausdrücklich in Richtung eines NATO-Partners.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Inhaftierung von Kritikerinnen und Kritikern des Militäreinsatzes ist im Übrigen ein weiterer Beleg dafür, dass in der Türkei politische Willkür über dem Rechtsstaat steht. Auch deswegen ist es richtig, dass wir in Zukunft immer und immer wieder über die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei diskutieren – auch und gerade weil wir wollen,

dass die Türkei Partner Europas und, auf den Prinzipien der europäischen Integration basierend, Teil der Europäischen Union werden kann.

Ich halte es ausdrücklich für richtig und will es auch noch einmal unterstreichen, dass jede Initiative genutzt wird, um die politischen Gespräche in der Türkei – auch und gerade in unserer Partnerregion Bursa – fortzusetzen. Es ist wichtiger denn je, dass wir im Gespräch mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Türkei bleiben, auch wenn die Gespräche in diesen Tagen außerordentlich schwierig sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei seiner Antrittsrede nicht nur über Mut gesprochen. Das vollständige Zitat lautet: „Mut ist das Lebenselixier der Demokratie – so wie die Angst der Antrieb von Diktatur und Autokratien ist.“ Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung ist es, auch nach der Freilassung von Deniz Yücel so lange öffentlich über Can Dündar, Raif Badawi und all die anderen, denen Unrecht widerfährt und Unrecht droht, zu reden, bis die Angst überwunden ist. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer-Gümbel. – Das Wort hat der Kollege Schalauske, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Journalist Deniz Yücel ist endlich frei. Ich freue mich sehr, dass er am 16. Februar nach einem Jahr willkürlicher Untersuchungshaft das Gefängnis endlich verlassen konnte. Für ihn selbst, für seine Familie, für alle Menschen, die sich für seine Freilassung und für Pressefreiheit in der Türkei eingesetzt haben, ist das mehr als eine gute Nachricht. Ihnen allen, die sich dafür eingesetzt haben, ist zu danken.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeord- neten der CDU)

Ich wünsche Deniz Yücel, dass er sich von den Folgen seiner monatelangen Haft, zum Teil in Isolation, schnell erholt und dass er bald wieder seiner Arbeit als Journalist nachgehen kann; denn wir brauchen kritische Journalisten, Menschen wie ihn, die sich für Presse- und Meinungsfreiheit einsetzen. Wir brauchen sie in der Türkei, aber zweifelsohne auch hier. Wachsame Journalistinnen und Journalisten leisten einen wichtigen Beitrag zu demokratischen Verhältnissen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Pentz (CDU): Das sagen ausgerechnet Sie!)

Ja, das sagen wir. – Deniz Yücel ist frei – aber die Gefängnisse in der Türkei sind voll. An dem Tag, an dem Deniz Yücel endlich das Gefängnis verlassen konnte, wurden die Brüder Mehmet und Ahmet Altan, zwei in der Türkei renommierte Journalisten, sowie vier weitere Medienschaffende zu lebenslanger Haft verurteilt.

Wer in der heutigen Türkei kritisch über das Regime des Staatschefs Erdogan berichtet, steht schon mit einem Bein im Gefängnis und riskiert, über viele Jahre hinweg weggesperrt zu werden. 155 inhaftierte Medienvertreterinnen und Medienvertreter zählt die türkische Plattform für unabhängigen Journalismus. Sie wurden weggesperrt, nur weil sie ihrer Arbeit nachgegangen sind – ganz zu schweigen von den vielen Tausenden Menschen, die im Gefängnis sitzen und deren einziges Verbrechen darin bestand, eine andere Meinung als der Staatschef zu haben. Deswegen fordern wir die Freilassung von allen Menschen, die in der Türkei aus politischen Gründen im Gefängnis sitzen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Deswegen darf es, solange so viele Menschen aus politischen Gründen in den Gefängnissen der Türkei sitzen, auch keine normalen Beziehungen zum Regime in Ankara geben, zu einem Regime, das Menschen aus politischen Gründen wegsperren lässt.

Aber auch in Bursa, in Hessens Partnerprovinz in der Türkei, sitzen Dutzende Personen wegen ihrer oppositionellen Haltung zur Regierung in Haft. Ömer Gül, der Pressereferent unserer Partner- und Schwesterpartei HDP in Bursa, wurde vergangenes Jahr wegen seiner journalistischen Tätigkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Yüksel Akgün, Vorsitzender der HDP in Bursa, sitzt wegen seiner politischen Äußerungen seit vier Monaten in Untersuchungshaft. Am 6. März beginnt der Prozess gegen ihn. Es gibt Hinweise, dass Yüksel Akgün und andere aus politischen Gründen inhaftierte Kolleginnen und Kollegen in Bursa gefoltert werden. Deswegen haben wir die Europaministerin, Frau Lucia Puttrich, gebeten, sich im Hinblick auf den baldigen Prozessauftakt für eine Freilassung des HDP-Vorsitzenden Yüksel Akgün einzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Puttrich hat uns gestern geantwortet. Sie bestätigt uns den Gerichtstermin und weist im Übrigen auf die Zuständigkeiten des Auswärtigen Amtes hin. – Meine Damen und Herren, um es ganz deutlich zu sagen: Dieser Hinweis ist mehr als zutiefst unbefriedigend.

(Manfred Pentz (CDU): Das sagen genau die Richtigen! Heuchlerischer geht es nicht mehr, als dass die LINKE über Menschenrechte redet! – Gegenruf von der LINKEN – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Diese Phase in der Türkei lässt sich nämlich nicht aussitzen, wie es die Frau Ministerin tut; denn wenn eine Regierungsfraktion in diesem Hause eine Aktuelle Stunde veranstaltet, in der suggeriert wird, dass sich Hessen in besonderem Maße für Presse- und Meinungsfreiheit einsetzt,

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

dann erwarte ich auch deutlich mehr Engagement von der Landesregierung für die oppositionellen Kräfte in der Türkei. Das ist dringend notwendig, Herr Pentz.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Ihr diskreditiert euch selbst! Das glauben euch nicht einmal mehr die Wähler der LINKEN! – Gegenruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Das Regime von Herrn Erdogan führt Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden im Osten des Landes und gegen die Kurdinnen und Kurden in Syrien. Es führt diesen Krieg mit Waffen, die nicht zuletzt aus deutschen Waffenschmieden stammen, von denen sich auch nicht wenige in Hessen befinden.

Deniz Yücel hat seinerseits wenige Wochen vor seiner Haftentlassung erklärt, dass er nicht als Verhandlungsmasse für irgendwelche Waffendeals zur Verfügung stehe. Obwohl die Äußerungen des türkischen Regierungschefs nur kurz nach der Freilassung von Yücel und eine Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der LINKEN im Bundestag eine andere Sichtweise nahelegen, können Demokratinnen und Demokraten nur hoffen, dass die Freiheit von Deniz Yücel nicht mit schmutzigen Waffengeschäften erkauft worden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Es darf nicht sein, dass deutsche Staatsbürger von Erdogan als Geisel gehalten werden, um sich eine wohlgefällige Politik von der Bundesregierung zu erpressen.

(Manfred Pentz (CDU): Das müssen wir uns von euch nicht sagen lassen!)

Das Regime in Ankara tritt die Menschenrechte mit Füßen, auch die Pressefreiheit. Es führt einen Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden in Afrin. Mit einem solchen Regime darf es keine Rüstungsgeschäfte und keine militärische Zusammenarbeit geben.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vielen Dank, Herr Kollege Schalauske. – Das Wort hat der Abg. René Rock, Fraktionsvorsitzender der FDP, Seligenstadt.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Deniz Yücel ist frei. Wer die Bilder im Fernsehen gesehen hat – der eine oder andere war auch in Flörsheim – und wer ihm in die Augen und seine Haltung gesehen hat, der weiß, was dieser Mann erdulden musste, oder kann sich vielleicht vorstellen, was er erdulden musste. Es ist traurig und macht einen nachdenklich. Er war nicht in Haft, sondern er war eine Geisel. Er diente der Abschreckung. Er ist von einem Regime instrumentalisiert worden, das sich weit von der Demokratie entfernt hat, wie wir sie kennen.

Es macht einen nachdenklich, wie schnell das in der Türkei passieren konnte. Viele Dinge machen einen heutzutage in Europa nachdenklich. Alles, was wir für uns als Wahrheit und als Sicherheit begriffen haben – Rechtsstaat, Pressefreiheit, Demokratie –, all das sieht man bedroht. Auch in unserem Land greift Denken um sich, dass Journalisten von Politik bewertet werden müssen, was sie schreiben, was sie denken, was sie vertreten.

Ich würde nicht alles teilen, was Herr Yücel in seiner Arbeit vertreten hat. Aber ich würde immer und überall alles tun, dass er dies vertreten kann.

(Allgemeiner Beifall)

Wir in Deutschland haben eine besondere Verbindung zur Türkei, weil viele Menschen aus der Türkei bei uns leben und viele türkischstämmige Menschen bei uns leben. Es ist so, dass es uns sehr schwerfällt, nicht einfach die Türkei und den Staat Türkei mit den Menschen gleichzusetzen. Wir haben vielmehr die Aufgabe, eine besonders schwierige Aufgabe, das zu trennen – zu trennen, was ein Regime tut, was politisch Verantwortliche tun, was nicht im Einklang mit unseren Werten ist, und gleichzeitig zu sehen, dass die Menschen, die in unserem Land leben, Verbindungen und Traditionen in die Türkei haben. Auch wir haben Traditionen mit Verbindungen in die Türkei.

Es ist eine Herausforderung, eine diplomatische und menschliche Herausforderung, sich auf diesem schmalen Grat zu bewegen. Wir sollten nicht die, die das machen müssen, gleich verdächtigen, dass sie Dinge tun oder getan haben, die sicherlich nicht klug wären. Was hier von den LINKEN angesprochen worden ist, ob es einen Deal für die Freilassung gab, sollten wir, wenn wir es nicht beweisen können, nicht in den Raum stellen.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)