Protocol of the Session on May 22, 2014

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem unsere Fraktion vor einigen Wochen in einem Berichtsantrag nach offenen Haftbefehlen gegen polizeibekannte Neonazis in Hessen gefragt hatte, kam das Unglaubliche ans Tageslicht: Die Landesregierung musste einräumen, dass sich in Hessen 17 verurteilte Neonazis, gegen die 22 Haftbefehle vorliegen, ihrer Verhaftung entzogen haben. Diese Täter, die unter anderem wegen schwerer Straftaten wie gefährlicher Körperverletzung, Erpressung, schweren Raubs oder räuberischen Diebstahls rechtskräftig verurteilt wurden, sind schon seit Längerem untergetaucht, in einem Fall sogar seit 2006.

Es drängt sich förmlich die Frage auf: Wie konnte das geschehen? Wer ist für die Versäumnisse verantwortlich? Welche Unterstützungsstrukturen unter den Neonazis gibt es, die ein solch langjähriges Untertauchen erst ermöglichen?

Wir fragten auch, ob es in der Vergangenheit noch mehr als diese jetzt erst bekannt gewordenen Fälle gab. Aber dazu konnten wir keine Auskunft erhalten, weil es bisher keine bundesweit einheitlichen Kriterien für solche Erhebungen gibt.

Diese wurden nämlich erst jetzt, zwei Jahre nach den NSU-Morden, bundesweit in den Ländern vereinbart. Mit anderen Worten: Es kann sogar sein, dass es noch viel mehr untergetauchte Neonazis gibt, aber „nichts Genaues weiß man nicht“. Die untergetauchten Personen standen zuvor also nicht unter besonderer Beobachtung durch den Verfassungsschutz, und ich frage: warum eigentlich nicht?

In dem gleichen Bericht wird dann aber vom Landesamt für Verfassungsschutz beschwichtigend darauf hingewiesen, dass die Zahl der Neonazis seit 2000 kontinuierlich zurückgegangen sei. Das soll heißen: Trotz der mindestens 17 untergetauchten Personen haben wir alles im Griff, also kein Grund zur Beunruhigung, oder, wie es der frühere Innenminister Bouffier schon 2008 behauptete, um Hessen machen die Neonazis einen weiten Bogen. – Und das sollen wir glauben, meine Damen und Herren?

(Horst Klee (CDU): Sie glauben ja gar nichts! Das haben wir im Innenausschuss schon breit besprochen!)

Herr Klee, solcherlei verharmlosende Aussagen zum rechtsextremen Umfeld kennen wir zur Genüge. Gestimmt haben sie leider nie. Über zwei Jahre nach dem Bekanntwerden des Neonaziterrors durch den sogenannten NSU muss man sich wieder fragen: Sind Behörden und Politik nicht willens oder nicht in der Lage, militante Neonazis zu erkennen und zu verfolgen?

Schon im letzten Jahr hatte DIE LINKE aufgedeckt, dass militante Nazis aus hessischen Gefängnissen heraus völlig ungestört ein Netzwerk betreiben konnten. Die Landesregierung behauptete damals zunächst auch, es gebe keine Neonazistruktur in hessischen Gefängnissen. Aber das Gegenteil war der Fall. Man hatte irgendwie übersehen, dass einschlägig vorbestrafte Häftlinge mit Nazi-Tattoos und Hakenkreuzringen, die teilweise im Gefängnis sogar als

NSU-Zeugen vernommen wurden, eben keine „normalen“ Gefangenen sind und dass sie weiterhin aus dem Gefängnis aktiv waren.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Der Hessische Rundfunk titelte dazu damals: „NeonaziSzene blüht in Hessen“. RTL berichtete unter der Überschrift: „Nazi-Mafia im Gefängnis“. Und das ZDF titelte seinen Bericht mit: „Stille Post aus dem Knast – die Justiz hat nichts gelernt“.

Meine Damen und Herren, die vorliegenden Antworten zu unserem jüngsten Berichtsantrag sind wieder erschütternd. So behauptet der Verfassungsschutz selbst noch jetzt weiterhin, es gebe in Hessen nur lose organisierte Gruppen, die regional agierten, das Mobilisierungspotenzial der Szene sei eher gering, und dass zu dem – jetzt kommt es – zum Untertauchen notwendigen Unterstützungskreis dieser Personen keine belastbaren Aussagen getroffen werden könnten.

Dazu kann ich nur sagen: Ein Verfassungsschutz, der die rechte Gefahr permanent herunterspielt, der zulässt, dass verurteilte Straftäter über Jahre untertauchen können, der bis vor einigen Monaten noch gar nicht gemerkt hat, dass es diese untergetauchten Neonazis überhaupt gibt, ist gänzlich überflüssig.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Schaus, Sie müssen zum Schluss kommen.

Herr Präsident, mein letzter Satz. – Ich fordere die Landesregierung hier und heute auf, diesen Fällen mit Hochdruck nachzugehen und die Fahndung nach ihnen endlich zu intensivieren. Das ist das Mindeste, was jetzt getan werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Abg. Holger Bellino, CDUFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Was die LINKEN hier suggerieren wollen, ist ungeheuerlich.

(Heiterkeit bei der LINKEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist die Antwort Ihres Ministers!)

Es ist ungeheuerlich wegen der Unterstellung an sich, die wir eben hörten, und es ist ungeheuerlich, da die LINKEN wider besseres Wissen argumentieren. Der Innenausschuss hat sich in seiner letzten Sitzung ausgiebig mit dieser Fragestellung befasst. Detailliert haben Landesregierung und Polizei berichtet. Wir sind sicher, die hessische Polizei hat jede Form des Extremismus gleichermaßen im Blick und verfolgt mit Haftbefehl gesuchte Kriminelle mit großem Engagement – unabhängig davon, warum sie gesucht wer

den. Wir müssen die Polizei daher vor subtilen Verdächtigungen und Unterstellungen schützen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das haben die Beamtinnen und Beamten nicht verdient. Aber es zeigt, wie DIE LINKE über die Polizei und den Verfassungsschutz denkt, und das lassen wir Ihnen, wie Sie wissen sollten, nicht durchgehen.

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)

Die Fakten sind doch ganz anders, als hier suggeriert wird. Die Anzahl der offenen Haftbefehle ist seit Jahren rückläufig. In den letzten neun Jahren bis 2013 ist sie um ein Drittel gesunken. Das ist ein großartiger Erfolg der Polizei.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch keineswegs so, dass bei politisch motivierter Kriminalität ein auffälliger Überhang offener Haftbefehle rechtsextremer Straftäter festzustellen wäre. Von den 78 Personen, die zum Stichtag 30. März 2014 mit offenem Haftbefehl gesucht wurden, waren 16 dem rechten Spektrum zuzuordnen, also gerade einmal ein Fünftel. Das ist die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist jetzt nicht so wenig!)

Wir haben auch nicht gesagt, dass es „wenig“ sei. Aber es ist nicht so, dass ein Überhang besteht. Wir verniedlichen hier gar nichts; wir sind nur auf keinem Auge blind, wie das bei Ihnen anscheinend der Fall ist.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

DIE LINKE hat offenbar auch vergessen, was wir erst kürzlich aus der neuesten Polizeilichen Kriminalstatistik erfahren durften: Hessen ist nach wie vor eines der sichersten Bundesländer. Die Aufklärungsquote der hessischen Polizei hat sich noch einmal, obwohl sie sich auf einem hohen Niveau befand, verbessert. Seit Einführung der neuen Polizeistatistik vor über 40 Jahren war sie noch nie so gut wie heute. Ich nenne es taktische Vergesslichkeit, was bei Ihnen festzustellen ist.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich Dank an die Sicherheitsbehörden und die Polizistinnen und Polizisten, die hierfür hart gearbeitet haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage auch: Diese Sicherheit, in der wir leben dürfen, ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis guter Polizeiarbeit und der richtigen Prioritätensetzung bezüglich der personellen und materiellen Ausstattung der Polizei sowie der richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren, stand die frühere Regierungskoalition, und dafür steht die jetzige Landesregierung. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es doch darum geht, die Polizei entsprechend auszustatten, die richtigen Entscheidungen im Gesetzgebungs

verfahren zu treffen, stehen Sie, DIE LINKE, doch im Abseits. Da greift Ihr Slogan: „Links überholt uns keiner“.

(Beifall bei der CDU)

Die zuvor genannten Erfolge lassen wir uns von niemandem kaputtreden. Deshalb weise ich auch die hier geäußerte Kritik an der Polizei und dem Verfassungsschutz ausdrücklich zurück. Die Fahndung nach polizeilich gesuchten rechtsextremen Straftätern ist doch nur die eine Seite. Sie ist wichtig, weil das Gewaltmonopol des Staates mit der Pflicht korrespondiert, diese staatliche Gewalt auch einzusetzen und Straftäter festzunehmen.

Nicht weniger wichtig ist aber, dafür zu sorgen, dass es gar nicht zu Straftaten kommt. Auch hier weist die Kriminalstatistik einen großen Erfolg aus. Die Anzahl der Straftaten ist insgesamt zurückgegangen – auch weil wir auf Prävention setzen, mit vielfältigen Programmen zur Bekämpfung des Extremismus. Ich nenne hier nur schlagwortartig: das Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus, das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus, Informationsund Kompetenzzentrum Ausstiegshilfen Rechtsextremismus, Beratungsnetzwerk Hessen – Mobile Intervention und vieles mehr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns ist es selbstverständlich, dass wir unser Engagement im Kampf gegen jegliche Art von Extremismus auch in dieser Legislaturperiode gemeinsam fortsetzen. Für uns ist auch selbstverständlich, dass wir die Polizei dabei nicht schlechtreden, sondern unterstützen. So wie wir das immer getan haben, werden wir das auch in Zukunft tun. – Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bellino. – Das Wort hat der Abg. Jürgen Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, guten Morgen! Es ist generell schlecht, darüber kann man auch in aller Ruhe diskutieren, wenn Haftbefehle gegen Straffällige nicht vollzogen werden. Das ist für jeden hier im Hause ein Zustand, der nicht in Ordnung ist. Gleichwohl muss man feststellen, dass es immer wieder passiert, dass sich Menschen der Verhaftung oder der Strafverfolgung entziehen. Das ist immer so, das ist aber grundsätzlich schlecht, deswegen muss man an dem Problem insgesamt arbeiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Gerade nach den Debatten in Bezug auf den NSU-Komplex muss man Menschen mit rechtsextremistischem Hintergrund und Menschen, die schwerste Kriminalität begehen und in terroristischen Organisationen tätig sind, besonders in den Blick nehmen und besondere Sensibilität walten lassen. Herr Kollege Schaus, ich finde, das sollte man mit etwas weniger Schaum vor dem Mund tun. Man sollte es auch tun, indem man sich die Zahlen genauer anschaut

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wo war der Schaum? – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das waren alles Fakten!)

und zur Kenntnis nimmt, was der Innenminister im Ausschuss gesagt hat: Es sind insgesamt 17 Personen, die sich bisher der Verhaftung entzogen haben, aus dem Bereich politisch motivierte Kriminalität – rechts –. Im Vergleich dazu: Wir haben in Hessen insgesamt rund 11.050 Haftbefehle, die nicht vollstreckt worden sind. Man muss die Relation sehen, damit deutlich wird, dass bei über 10.000 Haftbefehlen, die insgesamt nicht vollstreckt worden sind, diese Zahl etwas anders zu bewerten ist. Es gibt 17 PMKrechts- und 3 PMK-links-Haftbefehle, die noch nicht vollstreckt worden sind.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie sind seit Jahren untergetaucht!)