Protocol of the Session on May 22, 2014

Deswegen sagen wir: Man muss attraktive Alternativen zum Auto schaffen. Man muss den ÖPNV ausbauen. Immer mehr Straßen zu bauen löst die Probleme nicht. Das verlagert den Verkehr nur, während das ÖPNV-Angebot vielerorts verschlechtert wird. Ich sage ganz ehrlich: Wir brauchen über die Ziele des Energiegipfels und auch über die Klimaschutzziele überhaupt nicht zu diskutieren, wenn wir nicht endlich zu einer Verkehrswende und zu einer ökologischeren Art der Fortbewegung kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Minister Al-Wazir, ich will ausdrücklich sagen: Wir halten den Ansatz „Erhalt vor Neubau“ im Bereich der Straßen für richtig. Wer aber nicht ständig Neubauprojekte finanzieren und die Erhaltungskosten mindern möchte, der muss zukunftsfähige Konzepte haben, um den Straßenverkehr zu reduzieren. Wir sind sehr gespannt, was da in den nächsten Jahren aus Ihrem Ministerium kommen wird.

Wir brauchen auch Antworten auf die Frage: Wie sieht eigentlich der Gütertransport der Zukunft aus? Lkw belasten die Straßen deutlich stärker als Pkw. Der Transitverkehr durch Hessen soll sich nach Prognosen in den kommenden 15 Jahren sogar verdoppeln, was ich, ehrlich gesagt, für eine Horrorvorstellung halte.

Wir müssten also daran arbeiten, z. B. regionale Produktkreisläufe zu stärken, statt vermeintlich billige Ware von weither heranzuschaffen. Wenn in einem Becher Jogurt 6.700 km Transportweg stecken, muss man sich doch fragen, was das mit einer Steigerung der Lebensqualität zu tun hat und ob es nicht nötig wäre, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und auch dadurch Verkehr zu vermeiden.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Art des Verkehrs kostet nämlich nicht nur Geld, sondern auch Luftqualität, und es belastet die Gesundheit. Wenn es irgendwann doch so kommen sollte und sich Gigaliner als rollende Lagerhäuser durch die Straßen schieben und diese noch weiter verschleißen, werden die Kosten entsprechend weiter steigen. Deshalb brauchen wir eine Verkehrswende.

Ob diese 63 Projekte dieses oder nächstes Jahr verwirklicht werden: Die Grundprobleme bleiben. Deshalb dürfen wir nicht immer nur über die Symptome und über einzelne Maßnahmen reden, sondern wir müssen über das Grundproblem sprechen. Ohne eine grundlegende Verkehrswende werden wir weiter darüber diskutieren müssen, wie wir dem anwachsenden Straßenverkehr hinterherbauen, während immer mehr Landstriche vom ÖPNV abgehängt werden.

Deshalb sagen wir: Wir wollen statt einer weiteren Privilegierung des motorisierten Individualverkehrs den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, und zwar so, wie ihn die Menschen brauchen: flächendeckend, attraktiv und bezahlbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre verkehrspolitisch notwendig.

Die FDP hingegen – das haben wir heute einmal mehr erlebt – denkt ausschließlich in den Kategorien Straße und Asphalt. Herr Rentsch, Sie haben sich in Ihrer Amtszeit als Schutzpatron der Raser hervorgetan. Sie haben lieber Warnschilder vor Radarfallen errichtet und Tempolimits abgeschafft,

(Zuruf des Abg. René Rock)

statt dass Sie sich um innovative und integrative Verkehrskonzepte gekümmert hätten. Herr Rentsch, auch dafür sind Sie abgewählt worden. Das müssen Sie so hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN – Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Wir brauchen zweifelsohne eine gute Verkehrsinfrastruktur und einen attraktiven ÖPNV. Aber natürlich brauchen wir auch Straßen ohne Schlaglöcher, mehr Radwege und an der einen oder anderen Stelle Ortsumgehungen, um Anwohner zu entlasten.

Wenn das Geld für den Unterhalt der Straßen nicht reicht, wie hier beklagt wird, dann ist das eine Angelegenheit fehlender Einnahmen, und dann geht es um die Frage, ob der Staat seine Aufgabe erfüllen und die öffentliche Infrastruktur in einem guten Zustand erhalten kann. Es ist letztlich aber auch eine Frage von Prioritäten.

Anstatt den verkehrsberuhigten Flughafen Kassel-Calden künstlich am Leben zu erhalten, könnte man schon eine ganze Menge Radwege bauen, eine ganze Menge Schlaglöcher auffüllen und einige Projekte, die jetzt aufgeschoben wurden, doch verwirklichen – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Als nächster Redner spricht Kollege Frankenberger für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn ein Wort an den Kollegen Kaufmann richten. Dessen Auftritt hat mich nämlich in der Tat sehr beeindruckt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Kaufmann, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Opposition auch bei grüner Regierungsbeteiligung weiterhin ihr Recht wahrnehmen und daher auch grüne Minister kritisieren wird. Das ist nämlich Aufgabe der Opposition.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich sage das jetzt, damit wir es nicht jedes Mal mit dem Ritual des Beleidigtseins der tragenden Fraktionen zu tun haben, wenn die Opposition dem nachkommt, wofür sie auch gewählt worden ist.

Jetzt zum Thema: Was erleben wir seit der denkwürdigen Pressekonferenz des zuständigen Ministers Al-Wazir am 4. April dieses Jahres, in der der Minister die Verschiebung von 63 bereits zugesagten Projekten im Straßenbau wegen mangelnder Finanzausstattung verkündete, die sein Vorgänger zu verantworten habe? Da ist eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen Vorgänger und Amtsinhaber entbrannt, wie ich es – so muss ich sagen – in meiner 15-jährigen Zugehörigkeit zu diesem Hause noch nicht erlebt habe.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Aber der neue Stil des Hauses ist immer wieder für Überraschungen gut. Der neue Minister erhebt Schuldvorwürfe gegenüber dem Vorgänger, der Vorgänger weist das zurück und kritisiert den Nachfolger, und natürlich kann der Nachfolger das nicht auf sich sitzen lassen und krallt zurück.

Lassen Sie uns noch einmal einen Augenblick überlegen, wie diese Art der Auseinandersetzung auf diejenigen wirken muss, die von den Kürzungen betroffen sind. Die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger, die meist viele Jahre auf die Realisierung dieser Maßnahmen gewartet haben, wenden sich, glaube ich, mit Kopfschütteln ab; denn sie erwarten Lösungen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Ich sage, die haben nichts davon, dass der Amtsinhaber auf den Vorgänger eindrischt. Ich kann diese Schuldfrage überhaupt nicht beurteilen.

Die Betroffenen erwarten mit Recht Aussagen darüber, wie es denn nun weitergeht und wie die Landesregierung, die die Verantwortung, in der sie steht, auch wahrnehmen muss, mit diesen bereits versprochenen Projekten zukünftig umgeht. Was die Betroffenen aber bisher erlebt haben, ist ein Hahnenkampf – ich sage das einmal so – zweier al

ter Politiker, die ihre Haltung, ähnlich zweier Kinder im Sandkasten, mit Zähnen und Klauen verteidigen.

(Beifall bei der SPD)

Wäre der Sachverhalt, um den es geht, nicht so ernst, könnte man sich einfach amüsiert zurücklehnen. Das ist aber nicht das Gebot der Stunde.

Vom Kollegen Rentsch können wir nichts mehr einfordern. Er ist nämlich kein Minister mehr. In der Verantwortung ist ganz allein die jetzige schwarz-grüne Landesregierung. Sie trägt die Verantwortung dafür, ob etwas gemacht wird oder auch nicht. Da sollte man sich auch nicht hinter dem Vorgänger verstecken.

(Beifall bei der SPD)

Fakt ist: Im Ergebnis steht unter Schwarz-Grün weniger Geld für den Landesstraßenbau zur Verfügung als vorher. Meine Damen und Herren von der CDU, das ist genau das Gegenteil dessen, was Sie vor der Wahl versprochen haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Genau das müssen Sie auch den Kommunen, die von diesen Streichungen betroffen sind, erklären. Noch verwerflicher finde ich, dass der Amtsinhaber – er trägt jetzt nämlich die Verantwortung – überhaupt nichts unternommen hat, um diesen vermeintlichen Fehler des Vorgängers zu korrigieren.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Kollege Schmitt hat gestern in der Debatte über den Nachtragshaushalt darauf hingewiesen, dass im Nachtragshaushalt die Chance bestanden hätte, diesen Fehler zu beheben. Nichts ist passiert. Die Ehrlichkeit gebietet es sogar, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass durch die Untätigkeit der Landesregierung mittlerweile so viel Zeit verstrichen ist, dass die Mehrzahl der 63 Projekte, selbst bei Bereitstellung der Mittel im Nachtragshaushalt im Juli 2014, nicht mehr umgesetzt werden könnte. Das hat der zuständige Minister uns im Ausschuss so erklärt.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

So kann man auch durch Nichtstun Fakten schaffen. Meine Damen und Herren von der CDU, es ist ja nicht nur der Minister. Sie kommen an dieser Stelle aus Ihrer Verantwortung nicht heraus. Sie sind in der Auseinandersetzung bisher erstaunlich ruhig geblieben.

Nehmen wir einmal an, die Vorwürfe des Ministers an seinen Vorgänger seien zutreffend. Das ist dann aber nicht die alleinige Verantwortung des Vorgängers, das ist dann eine Gesamtverantwortung der alten schwarz-gelben Landesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Da war die CDU auch dabei. Da können Sie sich nicht wegducken. Aber erst recht trifft für die jetzige Situation zu, dass Sie verantwortlich sind. Auch die CDU hat nämlich erkennbar nichts unternommen, um diesen Fehler zu korrigieren. An diese Verantwortung werden wir Sie im Hessen-Land auch immer wieder erinnern. Das werden wir auch nach außen tragen.

(Beifall bei der SPD)

Die CDU hat ihr Wahlversprechen, jährlich 100 Millionen € für den Straßenbau in Hessen zur Verfügung zu stel

len, also bereits im ersten Regierungsjahr von BÜNDNIS 90/Die Schwarzen gebrochen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)