Ich habe eben schon gesagt: Die Empörung, die dieses Anliegen hervorgerufen hat, haben die Konzerne offensichtlich nicht erwartet. In der „Wirtschaftswoche“ konnte man eine sehr schöne Darstellung lesen. Am 19.05. wurde dort ein Kurzprotokoll einer Schaltkonferenz der vier großen Energiekonzerne wiedergegeben, die aufgrund der massiven öffentlichen Kritik stattfand. Darin heißt es, ich zitiere:
Liebe Kollegen und Kolleginnen, das wird nicht der Fall sein. Die Menschen wissen, welche Gewinne in den letzten Jahren eingefahren wurden, und der Protest wird weiter anhalten. Deswegen wird die Hoffnung der Energieversorgungsunternehmen an dieser Stelle nicht erfüllt werden.
Daher möchte ich nochmals auf die wirklich lukrativen Gewinne der Atomkraftwerksbetreiber eingehen. Über ein halbes Jahrhundert haben sie ohne Probleme Milliardengewinne eingestrichen. Sie haben staatliche Subventionen in dreistelliger Milliardenhöhe erhalten. All das ist niedergelegt.
Es gibt eine Studie von Greenpeace Energy, die sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat. Es wurde überprüft, wie hoch diese Beträge waren. Diese Studie von Greenpeace Energy sagt: Der Staat hat die Atomkraft bis zum Jahr 2018 mit 201 Milliarden € bezuschusst. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist eine ganz gewaltige Summe.
Auch die Dividendenausschüttungen lassen Rückschlüsse auf die Gewinne der großen Konzerne zu. Ich greife hier auf Angaben der „Wirtschaftswoche“ vom 19. Mai zurück. Danach haben die drei großen börsennotierten Stromriesen, E.ON, RWE und EnBW, in den Jahren 2000 bis 2013 Dividenden in Höhe von über 60 Milliarden € ausgeschüttet – eine sehr gute Einnahmequelle für die Anleger. Bei E.ON floss das Geld zu 60 % an institutionelle Anleger in den USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich.
Ich möchte daran erinnern – gerade weil die Energieversorgungsunternehmen jetzt diesen Vorstoß unternommen haben –, dass noch vor wenigen Jahren die vier großen Energiekonzerne immer wieder beteuert haben, dass die Stilllegungs- und Entsorgungskosten überhaupt kein Problem seien, sie hätten die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen. Auch das wurde überprüft. Auch hierzu hat Greenpeace eine Studie gemacht und untersucht, was Abriss und Entsorgung für die Konzerne an notwendigen Rückstellungen bedeuten. Die Studie hat ergeben, dass die vier Atomkraftwerksbetreiber im günstigsten Fall 25 Milliarden € und im schlimmsten Fall 43 Milliarden € für die Stilllegung, den Abriss und die Entsorgung zu zahlen hätten. Ich möchte die Kollegen, die an dem Kraftwerksgespräch mit RWE in Biblis teilgenommen haben, erinnern, dass auch damals die Frage gestellt wurde, ob RWE genügend Vorsorge für den Abriss und die Entsorgung der Abfälle getroffen hat. Damals wurde von RWE gesagt: Die Mittel für den Abriss und die Entsorgung der beiden Atomkraftwerksblöcke sind gesichert.
Doch nun haben wir mit den vier großen Energiekonzernen eine ganz andere Diskussion. Jetzt, da der Ausbau des Ökostroms die konventionellen Kraftwerke, wie man erkennen kann, immer unrentabler macht und die Gewinne der Energiekonzerne eingebrochen sind, würden sich diese möglicher Finanzrisiken gerne entledigen. Das können und dürfen wir aber nicht akzeptieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, über eines müssen wir wirklich nachdenken: Wie können die Rückstellungen wirklich insolvenzsicher gestaltet werden? Wir müssen über die Frage nachdenken: Wie und in welcher Weise können diese Rückstellungen langfristig gesichert werden? Für die Beantwortung dieser Fragen haben die Energieversorger selbst einen Aufschlag gemacht. Sie haben nämlich, um sich des Finanzrisikos zu entledigen, angeboten, die Rückstellungen in Höhe von ca. 30 Milliarden € in eine Stiftung einzubringen. Verwalten soll diese Stiftung die
Bundesregierung. Die Summe könnte aber noch weitaus höher sein; denn es gibt Aussagen aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die lauten, bis Ende des vorigen Jahres sind die Rückstellungen auf 36 Milliarden € angewachsen.
Wir GRÜNE haben schon vor vielen, vielen Jahren mit Blick auf die Insolvenzproblematik gesagt: Die Rückstellungen müssen gesichert werden. – Wir haben deshalb seit vielen Jahren die Forderung erhoben, dass die Rückstellungen der Atomwirtschaft in einen öffentlich kontrollierten Fonds überführt werden, einen Fonds, der in der Organisationsform einer rechtsfähigen Stiftung des öffentlichen Rechts geführt werden sollte. Leider haben wir uns mit dieser Forderung bis jetzt nicht durchsetzen können. Man muss dazu wissen: Aus unserer Sicht war und ist die bisherige Praxis der Bildung von Rückstellungen mit Problemen behaftet; zum einen führen die steuerfreien Rückstellungen zu Wettbewerbsverzerrungen, zum anderen ist eben nicht sichergestellt, dass die Rückstellungen tatsächlich zur Verfügung stehen, wenn sie benötigt werden. Zu unserer Haltung gab es von vielen Seiten sehr kritische Stellungnahmen und Stimmen. Kritik an der bisherigen Praxis gab es aber auch vom Bundesrechnungshof, der unsere Haltung unterstützt hat. Der Bundesrechnungshof kritisierte insbesondere die Intransparenz der Rückstellungspraxis.
Man muss nur einmal über den Tellerrand blicken und sich die Praxis in anderen Ländern anschauen. Dann kann man schnell erkennen, dass es z. B. in einigen Nachbarländern entsprechende Fondslösungen bereits gibt. In der Schweiz gibt es einen öffentlich kontrollierten Stilllegungs- und Entsorgungsfonds. Ich verweise auch auf das Fondsmodell in Schweden, das hier beispielhaft herangezogen werden kann. Den Bedenken, die Einrichtung eines Fonds sei nicht möglich, da die Energiekonzerne das Geld dafür nicht flüssig machen könnten, stehen Äußerungen gegenüber, die das Gegenteil besagen. Wolfgang Irrek, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr West in Bottrop, wird wie folgt zitiert:
Bei E.ON, RWE und Vattenfall steht den Atomrückstellungen mehr als das Doppelte an kurzfristigen Vermögenswerten und Forderungen gegenüber.
Dies bedeutet, dass die Energiekonzerne die Kosten für die Entsorgung sehr wohl aufbringen können. Die Einrichtung einer Stiftung ist daher möglich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir stimmen an vielen Punkten mit Ihnen überein. Schlicht falsch ist aber der Adressat Ihres Antrags. Nicht die Landesregierung ist für die Erstellung eines Konzepts zuständig. Das ist eben vom Herrn Ministerpräsidenten dargestellt worden.
(Timon Gremmels (SPD): Sie könnten aber eine Bundesratsinitiative einleiten, Frau Hammann! Das fordern Sie doch sonst auch immer!)
Ihr Ansprechpartner ist die Bundesregierung. Daher möchte ich Ihnen ganz zugewandt sagen: Sie sind mit in der
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Morgen in der Presse einen weiteren Aufschlag zu dem Thema Rückbau der Kernkraftanlagen gelesen. Der RWE-Vorsitzende, Peter Terium, wird heute mit dem Satz zitiert: „Die Politik hat die Branche in die Kernenergie getrieben.“ – Nun frage ich mich, wer das war. Waren es die „kommunalen Eigentümer“ von RWE, die hohe Dividenden haben wollten? Außerdem meine ich, es ist ein schlechtes Zeichen, wenn der Leiter eines Unternehmens sagt: Wir sind eigentlich gar nicht die, die selbst entscheiden, sondern die Politik gibt uns die Entscheidungen vor. – Das würden wir an manch anderer Stelle auch gerne einmal hören.
Positiv betrachtet ist die Äußerung des RWE-Chefs im Grunde der dritte Aufschlag zu der Frage, wie wir mit den Folgelasten der Kernenergie umgehen. Der erste Aufschlag findet sich im Berliner Koalitionspapier: Schwarz-Rot hat Gesprächsbereitschaft zu diesem Thema angeboten. Der zweite Aufschlag war ein Artikel im „Spiegel“. Den dritten Aufschlag macht heute ein Unternehmensleiter, der diese Gesprächsbereitschaft nutzen will.
Kolleginnen und Kollegen, was die SPD-Fraktion daraus mit diesem Setzpunkt gemacht hat, ist etwas völlig anderes. Der „Spiegel“ schreibt etwas, und schon sind in den Augen der SPD die Atomlobby, die CDU und die FDP wieder die Bösen, die fest zusammenhalten. Die SPD schreit: „Haltet den Dieb!“ Herr Gremmels, wie gewohnt, wissen Sie alles besser. Gott sei Dank haben Sie dieses Thema zum Setzpunkt gemacht. Das gibt uns die Chance, hier eine klare Sprache zu sprechen, Ihren Antrag zu analysieren und in den wesentlichen Punkten zurückzuweisen, wie es Ministerpräsident Bouffier ja gemacht hat. Herr Gremmels, es sind genau die Punkte, mit denen Sie den Antrag begründet haben, denen wir auf keinen Fall folgen können.
Noch ein Satz zur „Gründlichkeit“, mit dem Sie Ihren Antrag geschrieben haben. Sie sprechen in Ihrem Antrag von 32 Milliarden €, die an Rückstellungen vorhanden seien. Eben haben sie von 35 Milliarden € gesprochen. In der Presse finden Sie den Betrag von 36 Milliarden €, der angeblich an Rückstellungen bereitstehe. Bevor man hier in die Debatte einsteigt, sollte man eine sorgfältige Recherche betreiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich auf einige Kernpunkte der Diskussion eingehen. Erstens ist wohl unstrittig, dass die Betreiber der Kernkraftwerke die ge
setzliche Pflicht haben, Rückstellungen für den Rückbau und die Endlagerung zu bilden. Sie haben die Pflicht, sorgfältig mit den Abfällen umzugehen. Eigenverantwortung ist ein Kernelement der Marktwirtschaft. Die Unternehmen müssen darüber hinaus eigenwirtschaftlich handeln; auch das ist ein Element der Marktwirtschaft. Daran wollen wir nicht rütteln. Frau Merkel hat der „FAZ“ gesagt, als die Diskussion begonnen hat:
Im Grundsatz muss es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen. Eine einseitige Verlagerung der Risiken werden wir nicht mitmachen. Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab.
Viel klarer kann man in diesem Stadium zu diesem Thema eigentlich nicht Stellung beziehen. Auch Ministerpräsident Bouffier hat in genau diesem Tenor bereits in seiner ersten Stellungnahme an einem Montagmorgen ausgeführt, wie die Thematik zu sehen ist.
Es kann nicht sein, dass die Verantwortung abgegeben wird. Ich glaube, an der Stelle sind wir uns alle einig. Der Staat hat aber dafür zu sorgen, dass das Geld, das zurückgestellt worden ist, zweckgerecht bereitsteht, wenn wir es brauchen und wofür wir es brauchen.
Die Frage, ob die Summe reicht, ist eine andere. Frau Hammann hat eben die Spannbreite der möglichen Rückbaukosten dargestellt. Da liegt man mit 36 Milliarden € recht gut in der Mitte. Reicht es, oder reicht es nicht? Auch wenn es jetzt so aussieht, als ob es reiche, müssen wir mit den Unternehmen darüber reden. Sie haben schließlich eine Gesamtverantwortung.
Deswegen halte ich es für völlig falsch, dass wir auf diesen Presseartikel gleich reflexartig reagieren und sagen: Das ist falsch. Es ist schlecht. Der Staat muss übernehmen, und der Staat wird übernehmen. – Nein, der Staat wird die Kosten nicht übernehmen. Aber der Staat wird sich daran beteiligen, dass eine vernünftige Lösung für den Rückbau und für die Endlagerung gefunden wird. Der Staat wird auch die Rahmenbedingungen für den Rückbau und die Endlagerung definieren. Das ist seine Aufgabe.
Aber es ist nicht seine Aufgabe, diese Kosten zu tragen. Eben ist auch das Thema Gewinne angesprochen worden. Ja, Unternehmen haben Gewinne gemacht. Aber vergessen wir bitte nicht, dass wir einen großen Teil unseres Wirtschaftsaufschwungs und viel von den guten Zeiten auch der Kernenergie verdanken. Die Kernenergiepreise waren in der Produktion im Schnitt günstiger, und sie sind es immer noch.
Herr Schmitt, was ist denn heute mit der Kohle? Da haben wir auch Nachfolgekosten. Wir haben überall Nachfolgekosten im Energiesektor.
Das tun wir doch auch. – Der Staat wird also gesetzlich regeln, wie der Rückbau erfolgt. Er wird auch regeln, wie er zu finanzieren ist – dann aber nur noch im Detail, weil die grundsätzliche Entscheidung darüber bereits getroffen ist.
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darauf hinweisen, dass wir jetzt nicht darüber diskutieren sollten, ob die Ideen, die bislang nur im Raum stehen, über die aber noch nicht gesprochen worden ist, schlecht oder gut sind. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt keine Panik, sondern Dialog und Gesprächsbereitschaft gebrauchen.
Jetzt kommen wir dorthin, wo die Verantwortung für die Gesprächsbereitschaft eigentlich liegt: Der Koalitionsvertrag in Berlin sagt klar, es sollen Gespräche geführt werden. Wer ist denn in Berlin für diese Frage zuständig? Das sind eine SPD-Ministerin für Umwelt und ein SPD-Minister für Energie. Warum handelt man denn dort nicht, wenn wir schon hier agieren?
Wenn ich dann sehe, dass der Energieexperte der SPD im Hessischen Landtag sitzt, frage ich mich, warum in Berlin nicht gehandelt wird. Wollen Sie hier prophylaktisch eine Diskussion führen, weil Sie erwarten, dass die SPD-Minister in Berlin Fehler machen?