Man kann die Probleme mit den vollen Straßen aber nicht durch immer neue Straßen lösen. Der Ansatz, immer mehr, immer breitere Straßen zu bauen, führt nachweislich zu immer mehr Verkehr – bis irgendwann jeder Acker asphaltiert ist, wir aber noch immer im Stau stehen. Mehr Straßen verursachen mehr Verkehr. Diese Binsenweisheit kann man nicht oft genug wiederholen. Wer immer mehr Umge
hungen, Abkürzungen und Rennstrecken baut, während die Schieneninfrastruktur weitgehend stagniert, macht die Pkw-Nutzung und den Lkw-Verkehr natürlich attraktiver. Wohin dieser Teufelskreis aus mehr Straßen und mehr Autos führt, sehen wir immer öfter. Die Autobahnen rund um Frankfurt sollen laut Bundesverkehrswegeplan weiter ausgebaut werden: sechsspurig, achtspurig, zehnspurig. Das kann man natürlich weiterhin so machen, bis wir nur noch Beton und Lärm in Stadt und Land haben. Aber, ich finde, diese Wachstumslogik ist keine zukunftsfähige Politik; sie löst keine Probleme, keine Verkehrsprobleme und erst recht keine Umweltprobleme.
Es ist heute mehrfach eines der früheren CDU/FDP-Lieblingsprojekte angesprochen worden – das Projekt „Staufreies Hessen“. Dieses setzte auf diese sehr kurzsichtigen Lösungsansätze, beispielsweise auf die Freigabe von Standstreifen. Das hat kurzfristig eine Linderung verschafft, aber auf Kosten der Sicherheit. Oder auch das hessische Prinzip, lieber drei superschmale Fahrspuren durch eine Baustelle zu führen, statt eine Spur zu sperren, geschah beispielsweise auf Kosten der Möglichkeit einer funktionierenden Rettungsgasse. Deswegen: Jede Flickschusterei, jedes vorübergehende Druckablassen durch eine neue Straße oder durch ein verbreitertes Autobahnkreuz, verschafft nur etwas Zeit, aber es löst die Probleme, die wir haben, nicht. Deswegen müssen wir darüber reden, dass wir eine Verkehrswende brauchen, einen grundsätzlichen Umstieg auf eine nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität.
Natürlich muss – da sind wir uns mit der SPD einig – zum Erhalt der Landesstraßen und insbesondere der Brücken der Investitionsstau dringend abgebaut werden. Dafür brauchen wir auch eine starke Landesbehörde. Hessen Mobil und die SPD haben recht, wenn sie den Personalabbau mit dem Zustand der Straßen im Land in Verbindung bringen. Wir brauchen bei Hessen Mobil gute Arbeit statt Stellenabbau, und wir brauchen sichere Arbeitsplätze statt Verunsicherung durch die selbst entstandene Situation.
Wir müssen uns den Gründen widmen, warum die Straßen der Belastung nicht mehr standhalten. Der Personenverkehr explodiert, weil immer mehr Menschen einen weiten Weg zur Arbeit haben. Auch das ist eine Folge veränderter Lebensverhältnisse, es ist aber auch eine Folge von explodierenden Mieten in den Städten. Man kann Verkehrspolitik und Verkehrswende nicht isoliert betrachten. Wir müssen dieses Thema auch mit den Themen Stadtentwicklung, Regionalförderung und Wohnungspolitik diskutieren.
Die Zahl der Autos nimmt zu, Autos werden größer, schwerer und haben immer stärkere Motoren. Das bedeutet nicht nur, dass sie immer mehr Sprit verbrauchen und immer stärker die Umwelt belasten, sondern auch, dass sie immer mehr Platz in den Städten wegnehmen und die Straßen immer mehr belasten.
Noch mehr hat sich der Lkw-Verkehr erhöht. In den letzten 20 Jahren wurde der Transportaufwand um mehr als 50 % gesteigert. Angesichts der rollenden Lagerhäuser auf den Autobahnen und des zunehmenden Transports von Waren und Rohstoffen kreuz und quer durch Europa muss hier
dringend gegengesteuert werden, und zwar nicht nur aus Umwelt- und Klimaschutzgründen und zur Reduzierung von Staus, sondern auch aus Gründen der Gesundheit und der Lebensqualität der Menschen.
Diesen stetig steigenden Belastungen immer weiter hinterherzubauen und damit immer mehr Verkehr zu schaffen, zeugt von einer verfehlten Wachstumslogik in diesem Bereich. Wir müssen darüber reden, wie wir erzwungenen Verkehr vermeiden und reduzieren können. Wir brauchen Strategien zur Verkehrsvermeidung. Möglichkeiten zur fußläufigen Versorgung müssen gefördert werden, ebenso wie bezahlbare Wohnungen in den Städten, damit die Pendelei begrenzt wird. Wir brauchen erschwinglichere Mieten. Regionale Wirtschaftskreisläufe müssen gestärkt werden, auch bei öffentlichen Ausschreibungen. Gewerbeansiedlungen müssen klüger gesteuert werden: weg von der grünen Wiese, womit man immer mehr Verkehr produziert, dorthin, wo die Menschen sind.
Natürlich muss das Land auch – das ist ein wichtiger Punkt – den Radverkehr stärken und allen voran den ÖPNV; dazu komme ich gleich.
Insbesondere der Lkw-Verkehr muss eingedämmt werden. Das rollende Lagerhaus und die Just-in-time-Praxis darf nicht weiter gefördert werden. Dazu müsste der Bund endlich die Lkw-Maut auf ein Niveau anheben, das die tatsächlichen Kosten für Gesellschaft und Umwelt einpreist. Auch die Dieselsubvention in Höhe von 7 Milliarden € jährlich muss endlich aufhören.
Wir brauchen neue, menschenverträgliche Eisenbahngütertrassen, wir brauchen flexible Umschlagplätze, und wir brauchen gute Konzepte. Die Güter müssen auf die Schiene, und die Vertriebswege müssen wieder auf ein rationales Maß gebracht werden. Da gibt es den berühmten Joghurt, der 8.000 km zurücklegt, bis er überhaupt im Supermarkt steht. Die Frage lautet: Wie können wir es vermeiden, dass Waren völlig sinnlos quer durch die Gegend transportiert werden, und wie können wir regionale Wirtschaftskreisläufe stärken, um Verkehr zu vermeiden?
Dann wird immer gerne gesagt, was wir uns alles nicht leisten können. Ich sage: Das können wir uns nicht mehr leisten. Aus Gründen des Klimaschutzes, der Gesundheit und der Umwelt können wir es nicht zulassen, dass es immer mehr Verkehr in Form von Autos und Lkw gibt, weil die Überlastungsgrenze an vielen Orten jetzt schon überschritten ist.
Jetzt komme ich zum zweiten Teil des SPD-Antrags, zu den überfüllten Bahnen. Natürlich müssen dringend neue Kapazitäten geschaffen werden, um Menschen und Güter von der Straße aufnehmen zu können. Gerade das rasant wachsende Rhein-Main-Gebiet brauchte dringend eine erhebliche Kapazitätserweiterung des ÖPNV, dessen Zustand seit dem Ende der Achtzigerjahre weitgehend stagniert.
Frau Müller, eine Werbekampagne hilft dem Pendler nicht, wenn er im Stau steht oder sich in der überfüllten S-Bahn befindet. Mein Eindruck ist, dass die vielen aufwendigen Werbekampagnen, die wir gerade erleben – Beispiel: Wis
senschaftsministerium, Wirtschaftsministerium, Finanzministerium; den Finanzminister habe ich letztens auch im Kino gesehen –, gar nicht den Projekten dienen, sondern vor allem eine Werbung für die Landesregierung im Wahljahr sind.
Deswegen: Selbstvermarktung und gute Werbeagenturen sind kein Ersatz für gute Politik und Endlich-einmal-Handeln bei der Infrastruktur.
Meine Damen und Herren, auf dem Land müssen wir vielerorts erst einmal wieder ein grundlegendes und verlässliches ÖPNV-Angebot schaffen, das in Attraktivität und Flexibilität wenigstens annähernd mit dem eigenen Pkw mithalten kann. Drei Schulbusse am Tag bedeuten das nicht. Wer den ÖPNV ausdünnt, hängt den ländlichen Raum ab und verschärft damit auch die Probleme in den Städten. Fahrgemeinschaften sind kein Ersatz für ein öffentliches Verkehrsangebot. Darauf hat die Landesregierung leider überhaupt keine Antwort. Es gibt überhaupt keine vernünftigen Strategien, wie man den ländlichen Raum wieder vernünftig an den ÖPNV anbindet.
Auch beim Thema Barrierefreiheit gibt es noch viel zu tun. Auch hier geht es langsam voran. Gerade da, wo seit Jahrzehnten ein Ausbau geplant ist, wie entlang der S 6, ist die Lage oft verheerend. Wir brauchen eine zügige Modernisierung der noch nicht barrierefreien Bahnhöfe. Wir brauchen ein sinnvolles Bahnsteighöhenkonzept; umständliche Rampen an den Zügen können nur eine Übergangslösung sein. Das betrifft nicht nur Bus und Bahn, sondern alle Lebensbereiche, insbesondere auch den Fußverkehr. Auch hier gibt es noch viele Probleme.
Auch finanziell ist die Alternative ÖPNV oft noch zu unattraktiv. Deutlich günstigere Busse und Bahnen, irgendwann bis hin zum umlagefinanzierten Nulltarif, würden die Autoschlangen schrumpfen lassen, und, viel wichtiger, sie würden Mobilität für alle garantieren. Mobilität ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Es kann nicht sein, dass Menschen sich diese hohen Preise nicht leisten können. Deswegen streiten wir auch für das Konzept eines Nulltarifs, meine Damen und Herren.
Ich komme zum Schluss. Die Verkehrswende ernst nehmen, heißt, Abschied zu nehmen von der Wachstumslogik in diesem Bereich. Wenn die Autobahnen immer breiter werden, mittlerweile Umgehungsstraßen um frühere Umgehungsstraßen gebaut werden und auch der Flughafen immer weiter ausgebaut wird, dann haben wir bald nur noch Beton, Stau und Lärm statt Mobilität in einer lebenswerten Region.
Ja, wir brauchen kluge integrierte Verkehrskonzepte. Wir brauchen Vernetzung, wir brauchen aber auch etwas, was da ist, damit man es miteinander vernetzen kann. Deshalb die Aufforderung an die Landesregierung, dass sie dringend aktiv werden muss und zukunftsfähige Konzepte vorlegen soll. Dieser Aufforderung des SPD-Antrags können wir uns nur anschließen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte mit den Ausführungen der Kollegin Wissler anfangen. Sie haben gesagt, wir müssten Verkehr vermeiden, wir müssten sehen, dass der Verkehr nicht immer mehr wird. Wenn Sie das sagen, sollten wir uns schon mit der Frage beschäftigen, warum wir heute ein verstärktes Verkehrsaufkommen haben.
Wir wissen, dass es vor allem Engpässe im Rhein-MainGebiet gibt, dass es Engpässe zu Pendlerzeiten gibt. Warum gibt es diese? – In den letzten zehn Jahren wurden allein in Frankfurt am Main über 100.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen. Wenn Sie sagen, Sie wollten weniger Verkehr, dann frage ich Sie: Haben Sie denn ein Problem damit, dass jetzt mehr Menschen in Arbeit sind? – Das ist doch die Ursache des zusätzlichen Verkehrs.
(Janine Wissler (DIE LINKE): Sie sollten die Mieten in Frankfurt etwas im Zaum halten, dann können die Menschen auch in Frankfurt wohnen!)
Darüber können wir auch gerne reden. Jetzt reden wir aber erst einmal über die Dinge, die Sie eben gesagt haben.
Der zweite Punkt ist: Die Bevölkerung hat – das ist auch sehr erfreulich – in den letzten Jahren endlich mehr Kaufkraft erreicht. Das hat damit zu tun, dass es gelungen ist – was lange Zeit nicht der Fall war –, dass bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Geld in der Tasche bleibt, und zwar nach Berechnung der Preissteigerungsund Inflationsrate. Das hat es in diesem Umfang lange Zeit nicht gegeben. Das bedeutet, dass die Menschen über mehr Geld verfügen. Sie kaufen damit auch mehr ein. Aus diesem Grund werden auch mehr Waren und Güter transportiert.
Das sind alles positive Effekte. Damit geht einmal einher, dass der Verkehr zunimmt. Wer das stoppen will, wirkt den positiven Effekten entgegen – das kann man in den Ländern tun, in denen es wenige Arbeitsplätze und somit wenig Kaufkraft der Bevölkerung gibt –; das ist genau das, was wir nicht wollen.
Sie kommen immer wieder mit Konzepten. Aber dort, wo Ihre Partei regiert hat oder mitregiert, beispielsweise in Thüringen, gibt es nicht den Nulltarif für den ÖPNV, von dem Sie immer behaupten, dass er Ihre Zielsetzung sei.
Da gibt es noch nicht einmal das, was wir in Hessen umgesetzt haben, nämlich dass sich die Schülerinnen und Schüler pro Tag für 1 € im ÖPNV in ganz Hessen bewegen können. Wenn Sie wenigstens einmal so etwas zustande bringen würden, dann hätten Sie auch ein Recht, hier so aufzutreten – so aber nicht, Frau Wissler.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Wie hoch sind denn die Kosten für die Schülerbeförderung in Thüringen? Können Sie dazu einmal Zahlen nennen?)
Das können Sie gerne hier vortragen, damit Sie einmal darstellen können, dass Ihr Ansatz, dass es zur Null geht, dort nicht der Fall ist.
Im Übrigen ist natürlich jede Stunde, die die Menschen im Stau verbringen, ein Unding. Deswegen arbeiten wir auch daran, dass sich das reduziert, und zwar mit sehr unterschiedlichen Programmen. Noch 2001 war es so, dass die Menschen in Hessen 85.000 Stunden im Stau standen. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen ist es uns gelungen, diese Zahl bis 2011 – also innerhalb von zehn Jahren – auf 15.000 Stunden zu reduzieren. Das ist ein unglaublicher Erfolg. Sie sehen, dass man so etwas mit vielen Maßnahmen erreichen kann.