hin zu stellen, wo es ein Bemühen gab, alle mitzunehmen, und uns zu beschimpfen, das geht überhaupt nicht.
Herr Kollege Rudolph, einen Punkt möchte ich bei Ihnen korrigieren. Sie haben gesagt, es gebe keinen Unterschied zwischen Bund und Land, man könnte einfach die Daten nehmen. Nein, die Definition der Wahlberechtigten ist zwischen Bund und Land unterschiedlich. Insofern gibt es hier schon Punkte, die man beachten muss. Deswegen ist das Verfahren nicht ganz trivial.
Deswegen haben wir jetzt einen Vorschlag gemacht. Sie haben etwas vorliegen. Machen Sie bitte Änderungsvorschläge, aber hören Sie auf, hier immer nur Krawall zu machen, der uns nicht weiterbringt.
Augenblick. Wir haben heute Open End, wir haben Zeit ohne Ende. – Herr Kollege Schaus für die Fraktion DIE LINKE, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Entwurf des Überraschungsgesetzes – so will ich es einmal nennen –, der uns heute vorliegt, nämlich die Änderung des Landtagswahlgesetzes, ist nichts anderes als das Sinnbild der Verpenntheit des hessischen Innenministers. Ich will das einmal so auf den Punkt bringen.
Herr Boddenberg, er und die Koalition sind dafür verantwortlich, den Diskussionsprozess rechtzeitig anzustoßen, bei dem sich alle Fraktionen dieses Hauses beteiligen und einbringen können. Das ist mitnichten der Fall. Herr Kollege Rudolph hat es beschrieben.
Wir haben im April dieses Jahres ein Schreiben des Innenministers bekommen. Ich habe dann hier im Haus nachgefragt, was es damit auf sich hat. Frau Dorn, Sie waren dabei. Unisono wurde mir erklärt, das habe gar nichts zu bedeuten, das diene nur der Information. In dieser Legislaturperiode sei keine Änderung vorgesehen. – Sie waren dabei.
Günter Rudolph nickt. Das war in der Runde der parlamentarischen Geschäftsführer. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Das war die Aussage.
Wenige Monate danach bringen die Fraktionen einen Gesetzentwurf ein, der aus der Not geboren ist. Herr Kollege Bauer hat das ausgeführt. Das geschieht aus Interesse an Rechtssicherheit, weil man die Gefahr umgehen will – ich weiß nicht, ob man sie tatsächlich umgeht –, dass es zu einer Anfechtung der Landtagswahl kommt. Aus der Not geboren, legt man einen solchen Entwurf vor, mit dem aber wirklich nur das Notwendigste verändert würde.
Nun haben wir in den hessischen Gesetzen keine 25-%Grenze. Sie gibt es für die Bundestagswahl. Sie gibt es in anderen Bundesländern. Da geht es um die Zahl der Wahlberechtigten, die in den Wahlkreisen nicht überschritten werden darf.
Sie haben diese 25 % zugrunde gelegt und schlagen Änderungen nur bei acht Wahlkreisen vor. Zum Beispiel soll der Wahlkreis 42, Main-Kinzig III, unverändert bleiben. In diesem Wahlkreis gibt es 24,6 % mehr Wahlberechtigte. Das liegt knapp unter den 25 %. Ob das sinnvoll und notwendig ist – wie auch immer. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Es gibt mindestens noch acht Wahlkreise, die in der Zone zwischen 20 % und 25 % darüber oder darunter liegen.
Frau Dorn, ich finde es besonders spannend, dass Sie der FDP die Schuld zuschieben. Deren Landesvorsitzender hat in einem Schreiben darauf hingewiesen. Das hat – so kommt es bei mir an – das Innenministerium und den Innenminister erst einmal in Trab versetzt. Letztendlich hatte das auch die Fraktionen in Trab versetzt. Sonst wären wir gar nicht zu dem Gesetzentwurf gekommen. Das ist die Begründung.
Nun muss ich natürlich Folgendes sagen: Ich finde das schon ein bisschen schofelig. Frau Dorn, ich bin weit davon entfernt, die FDP in Schutz zu nehmen.
Da muss ich mich aber schützend vor die FDP stellen. Ich kann doch nicht wie Sie hergehen und sagen: Weil die den Brief geschrieben haben und jetzt rechtliche Bedenken aufgetaucht sind, haben wir den Gesetzentwurf eingebracht. – Wo sind wir denn hier?
Wessen Aufgabe ist es, das zu überwachen und hier rechtzeitig eine Vorlage einzubringen? – Das ist die Aufgabe der Landesregierung und von niemand anders.
Das schaffen Sie einfach nicht. Die Bedenken sind groß. Deswegen sage ich es noch einmal: Das hat der Innenminister verpennt.
Denn er ist in der Verantwortung dafür, dass ein Gesetzentwurf rechtzeitig, d. h. zwei bis drei Jahre vor einer Landtagswahl, vorgelegt wird, d. h. so rechtzeitig vor einer Landtagswahl, dass die Nominierungen noch nicht eingeleitet sind.
Wir alle haben unsere Wahlkreiskonferenzen für die Landtagswahl schon in Vorbereitung, wenn sie nicht gar schon durchgeführt sind. Fangen wir dann wieder von vorne an, falls der Gesetzentwurf beschlossen werden sollte? – Das ist doch der Punkt.
Ich sage es noch einmal: Es geht uns als LINKE darum, dass man hier nicht ein Gesetz macht, das sozusagen eine Halbwertszeit von einem Jahr hat. Sie haben das selbst an
gesprochen. Nach der Landtagswahl, also in einem Jahr, können wir uns dann zusammensetzen und eine grundlegende Diskussion führen. Ich sage es noch einmal an dieser Stelle: Die hätten wir vorher führen müssen. Das wäre die Aufgabe gewesen.
Das können wir jetzt nicht mehr ändern. Wir können das alles nicht mehr reparieren. Aber das Ziel muss sein, tatsächlich gleiche Verhältnisse in den Wahlkreisen herzustellen. Ich weiß, das ist schwierig. Ich weiß, das ist unter Berücksichtigung der Kreisgrenzen und Stadtgrenzen noch schwieriger. Es ist noch schwieriger, wenn man sie einhalten will. Das ist auch derzeit nicht bei allen Wahlkreisen in Hessen der Fall. Daran muss man aber gemeinsam gehen. Man sollte da nicht die Opposition überraschen, weil man schnell ein Gesetzgebungsverfahren auf den Weg bringen muss.
(Beifall der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es war gut, dass ich gewartet habe, bis die anderen Fraktionen dazu gesprochen haben. Ich habe mir angehört, was hier alles vorgetragen wurde. Man kann in der Tat feststellen, dass zur Genese dieses Gesetzentwurfs hier viel Buntes – oder, wenn man die Rede der Frau Dorn gehört hat, viel Grünes – an seltsamen Theorien in Umlauf ist.
Es erscheint mir schon notwendig, die Fakten einmal in aller gebotenen Kürze im Plenum des Hessischen Landtags zusammenzufassen, um auch der Legendenbildung vorzubeugen, wie sie anscheinend gerne betrieben wird. Ende April dieses Jahres hat sich der Innenminister an die im Landtag vertretenen Fraktionen und nachrichtlich auch an die Parteien gewandt. Er hat in seinem Schreiben auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, wonach es verfassungsrechtlich erforderlich ist, dass die Wahlkreise bei Wahlen zur Volksvertretung möglichst gleich groß sein müssen.
Dieses Erfordernis ergibt sich auch für jeden juristisch unerfahrenen Zuhörer recht offensichtlich aus dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Demnach muss die Stimme jedes Wahlberechtigten den gleichen Zählwert, die gleiche Gewichtung und die gleiche Erfolgschance haben. Diese Gleichheit des Stimmengewichts – das ist ein Fakt, der sich nicht leugnen lässt und im Übrigen auch Gegenstand der Feststellungen des Innenministeriums gewesen ist – ist in Hessen durch die demografische Entwicklung derzeit schlichtweg nicht mehr gewährleistet.
Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgelegt, dass sich hieraus die Verpflichtung des Gesetzgebers ableitet, die Einteilung der Wahlkreise regelmäßig zu überprüfen und erforderlichenfalls zu korrigieren. Dazu bedient sich der
Gesetzgeber auf allen Ebenen traditionell der Regierungen, in deren Apparat natürlich gerade die Person des Verfassungsministers dafür zuständig ist, für die Einhaltung der Verfassung zu sorgen.
Bezüglich der Toleranzspanne, die beispielsweise aus historischen oder regionalen Gegebenheiten Abweichungen erlaubt, hat das Verfassungsgericht auch klare Vorgaben gesetzt. Es ist für jeden klar, dass nicht alle Wahlkreise zu 100 % gleich groß sein können. Eine Einteilung in absolut gleich große Wahlkreise ist auch wegen der natürlichen Schwankungen der Bevölkerungszahl nicht möglich.
Ursprünglich hatte das Bundesverfassungsgericht eine Über- oder Unterschreitung bis zu einem Drittel, also 33 1/3 %, als zulässig erachtet. Seitdem das Bundeswahlgesetz vorschreibt, dass es ab einer Abweichung von einem Viertel, also plus/minus 25 %, eine neue Einteilung geben muss, haben sich die Verfassungsgerichte daran orientiert, und zwar sowohl das Bundesverfassungsgericht wie auch die Verfassungsgerichte der Länder, ohne dass die Grenze explizit festgelegt worden wäre.
Wie unschwer zu erkennen ist, wird diese Vorgabe in Hessen recht deutlich über- oder unterschritten. Damit besteht mit Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte in den letzten Jahren das ganz erhebliche Risiko, dass die Einteilung der Wahlkreise einer gerichtlichen Überprüfung derzeit nicht standhalten würde.
Hierfür spricht auch, dass fast alle anderen Flächenländer, die hierzu bereits eine Vorgabe statuiert haben, festgelegt haben, zwischen plus/minus 20 % oder plus/minus 25 % zu tolerieren, aber nicht mehr. Er ergibt sich also ein klarer verfassungsrechtlicher Auftrag aus der Rechtsprechung, auch mit Blick auf die Landtagswahl im nächsten Jahr. Es muss eine entsprechende Anpassung der Wahlkreise gemacht werden.
Herr Kollege Rudolph hat sich beschwert, dass die Zahlen zu alt seien. Ich sage es einmal umgekehrt: Mindestens seit 2015 weiß diese Landesregierung, dass dem so ist.
Im Übrigen dürfte man festhalten: Wenn man die Zahlen von 2015 nimmt, dürften heute die Abweichungen mit Blick auf den starken Zuzug im Ballungsraum eher noch größer sein als im Jahr 2015. Also ist die Angelegenheit noch dringlicher geworden. Frau Dorn, was müssen wir feststellen, wenn es – wie so oft – um wichtige Dinge geht? Sie machen lieber den Kram, der Ihnen wichtig ist; aber die Hausaufgaben werden nicht erledigt.