Protocol of the Session on March 23, 2017

Noch einmal zu der Haltung der GRÜNEN: Wir brauchen eine Gestaltung der Einwanderung. Derzeit haben Menschen nur über das Asylrecht und über die Flucht die Möglichkeit, einzuwandern, oder sie erfüllen die eben beschriebenen, eng umrissenen Kriterien. Wer möchte, dass das Asylrecht nicht für die Einwanderung genutzt wird, muss legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns bedeutet das eine Einwanderung mit klaren Regeln. Danach können Arbeitskräfte, auch über ein Punktesystem, den wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechend in die Bundesrepublik Deutschland einwandern. Die Bedingungen werden durch die jeweilige Regierung oder durch Expertengremien immer wieder neu bestimmt und an den aktuellen Bedürfnissen ausgerichtet.

Meine Damen und Herren, das ist im Übrigen nicht neu. Das machen alle modernen Einwanderungsstaaten. Das macht Kanada, das macht Australien, das macht Neuseeland, und das macht Amerika.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher glaube ich, dass wir ein Einwanderungsgesetz brauchen, und zwar mit klar definierten Grundsätzen; und diese Grundsätze bestimmen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Grundsätze müssen wir dann auch

in Expertengremien und mit der Regierung nachvollziehbar festsetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Vizepräsident Wolfgang Greilich über- nimmt den Vorsitz.)

Das Verfahren zur Einwanderung muss dann aus dem jeweiligen Heimatland betrieben und über die deutschen Botschaften abgewickelt werden.

(Florian Rentsch (FDP): Sehr gut!)

Wer über das Asylrecht oder als Flüchtling einreist und nach einem rechtsstaatlichen Verfahren abgelehnt wird, ist später in der Regel von der Einwanderungsmöglichkeit ausgeschlossen. Das muss man auch ganz deutlich sagen.

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Ich bin der festen Überzeugung, dass wir neben der Wahrnehmung einer wirtschaftspolitischen Verantwortung, die wir in den Hauptfluchtländern haben, auch legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen müssen. Wer Schleusern das Handwerk legen will, muss eine legale Einwanderungsmöglichkeit schaffen. Die GRÜNEN sind schon lange hierfür. Wir sollten dafür werben, dass wir dieses Projekt nach der Bundestagswahl alle gemeinsam in Angriff nehmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Beuth. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin schon erstaunt, dass die FDP auf das Abschlusspapier der Süssmuth-Kommission Bezug nimmt. Dieses Dokument datiert immerhin vom 4. Juli 2001.

(Nicola Beer (FDP): Ja, eben!)

Sie, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, haben offenbar die Entwicklungen des Erwerbsmigrationsrechts der Europäischen Union und der Bundesrepublik in den letzten Jahren komplett ausgeblendet. Oder Sie wollen das Rad der Entwicklung zurückdrehen.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Frau Staatssekretärin a. D., die unter anderem für Europa zuständig war, inzwischen ist der überwiegende Teil des deutschen Ausländerrechts europarechtlich überformt. Dies gilt nicht nur für das Flüchtlingsrecht, wo dies fast durchweg so ist, sondern dies gilt auch für das Recht der Erwerbsmigration. Gerade hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Arbeitsmigration beschlossen, welches mehrere EU-Richtlinien umsetzt: die Richtlinie zur Saisonarbeit, zur konzerninternen Entsendung sowie eine Richtlinie betreffend Schüler, Studenten, Forscher und Praktikanten.

Damit wird Drittstaatsangehörigen, die auf legalem Weg nach Europa gekommen sind, die Arbeitsmigration innerhalb der Europäischen Union erleichtert. So sollen z. B. Studenten und Forscher leichter zu Studien- und Forschungszwecken in andere EU-Mitgliedstaaten wechseln dürfen. Auch der unternehmensinterne Transfer innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ist erheblich erleichtert worden. Mit solchen Rahmenbedingungen muss man sich auseinandersetzen; 16 Jahre alte Papiere helfen da nicht weiter.

(Beifall bei der CDU)

Es ist unter Fachleuten unbestritten, dass Deutschland nach den unzähligen Änderungen des Erwerbsmigrationsrechts im Aufenthaltsgesetz und in der Beschäftigungsverordnung über den europäischen Rechtsrahmen hinaus ein besonders liberales und zuwanderungsfreundliches Recht hat. Die Erwerbsmigration folgt dabei den Regelungen der Beschäftigungsverordnung. Erfüllt der Ausländer die Voraussetzungen und hat er ein Arbeitsplatzangebot, bekommt er einen Aufenthaltstitel. Die Beschäftigungsverordnung orientiert sich am aktuellen Arbeitsmarkt und lässt sich leicht geänderten Bedingungen anpassen. Dass außerdem der Lebensunterhalt gesichert sein muss, ist für mich eher eine Selbstverständlichkeit.

Das im Antrag der FDP-Fraktion beschworene Punktesystem Kanadas ist aufmerksam zu prüfen. Kanada hat dieses System aufgrund verschiedener Fehlentwicklungen im Jahr 2015 grundlegend überarbeitet. Es fordert inzwischen konkrete Beschäftigungsangebote mit entsprechenden Bezahlungen. Das deutsche Recht, das Zuwanderung sogar zur Jobsuche zulässt und äußerst geringe Anforderungen an die Einkommensgrenzen stellt, geht weit über das Recht anderer Länder hinaus, die sich eigentlich als klassische Einwanderungsländer definieren. Wer einer Steuerung über ein zusätzliches Einwanderungs- und Punktesystem das Wort redet, muss auch zur Frage der drastischen Begrenzung von anderen Migrationsformen Stellung nehmen. All das fehlt in dem Antrag der FDP. Ein Einwanderungsgesetz ist keine Antwort auf Armutswanderungen. Ein Einwanderungsgesetz ist keine Antwort auf Humanität.

(Florian Rentsch (FDP): Aber natürlich!)

Ein Einwanderungsgesetz ist nicht als Ersatz für Asyl oder Flüchtlingsschutz gedacht; es soll Einwanderung kumulativ zu Asyl ermöglichen. Herr Kollege Di Benedetto, darauf will ich noch einmal hinweisen: Wenn Sie sagen, es wird sozusagen auf jeden Fall bei dem bleiben, was wir im Moment an Zuwanderung haben, dann müssten Sie bei einem Einwanderungsgesetz dafür Sorge tragen, dass unser Asylrecht an irgendeiner Stelle geschliffen wird; ansonsten funktioniert das nicht.

(Florian Rentsch (FDP): Das hätten Sie einmal der Kanzlerin im Jahr 2015 erklären sollen!)

Meine Damen und Herren, ich glaube, bei dem Thema sollte man weder Ängste verbreiten noch Illusionen nachhängen. Wir haben vorrangig die Integration von 1 Million Menschen zu organisieren, die in den letzten zwei Jahren zu uns gekommen sind. Das wird unsere Gesellschaft wirklich sehr herausfordern. Es gibt einen Bedarf an Fach- und Arbeitskräften, der auch durch gezielte Einwanderung gedeckt werden kann. Hierzu sind übrigens – das darf man in einer solchen Debatte auch sagen – unsere Interessen im Ausland ein bisschen klarer zu formulieren. Ich finde, dass man nicht alles auf die deutschen Behörden, die im Ausland aktiv sind, schieben darf, sondern auch die Wirtschaft

selbst hat entsprechende Interessen wahrzunehmen. Ich finde, auch das gehört mit dazu.

Herr Minister, ich darf Sie an die vereinbarte Redezeit erinnern.

Ich komme zum Schluss. – In der Tat ist unser Aufenthaltsrecht nicht unkompliziert, und zum Teil ist es stetig erweitertes Stückwerk. Allerdings ist es naiv, zu glauben, qualifizierte Einwanderung ließe sich durch bessere Gesetzesformulierungen motivieren. Sei es drum, in dieser Wahlperiode wird der Deutsche Bundestag kein neues Gesetz verabschieden. In der nächsten wird es mit Sicherheit eine entsprechende Debatte über ein Dachgesetz zur Einwanderung geben, sodass dann vielleicht weniger symbolhaft und mehr an der Sache orientiert diskutiert wird. Dem wird sich Hessen nicht verschließen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Wegen der Überschreitung der Redezeit verlängert sich die Redezeit der Fraktionen um jeweils eine Minute. – Als Nächster hat sich Herr Abg. Rentsch gemeldet. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Beuth, ich kann in der kurzen Zeit nur eine ganz kurze Anmerkung machen. Nach dem, was Deutschland in den letzten Jahren versäumt hat, gibt es – das will ich hier einmal ausdrücklich sagen – neben allen parteipolitischen Debatten eine Mehrheit von Sozialdemokraten, GRÜNEN und der FDP dafür, dass wir in diesem Land endlich aktiv werden müssen. Wir haben unterschiedliche Gewichtungen, zwischen den GRÜNEN und der FDP gibt es diese, aber klar ist, dass Frau Beer zwei wichtige Punkte herausgegriffen hat:

Erstens. Wir haben in Deutschland zurzeit eine Situation, wo das Asylrecht als Einwanderungsrecht missbraucht wird. Das kann man an den geringen Anerkennungsquoten sehen, die wir in Deutschland haben.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Die Union verhindert seit über 20 Jahren, wie man schon fast sagen kann, hierzu eine gesetzliche Grundlage. Es ist nicht nur problematisch, dass wir eine Flucht in das Asylrecht haben, sondern wir machen etwas falsch. Übrigens eine kleine Anmerkung: Wenn die Kanzlerin so rechtstreu wäre, wie Sie das beschrieben haben, hätte sie im September 2015 nicht diesen Fehler gemacht. Ich glaube, da können wir uns auch einig sein.

(Beifall bei der FDP)

Herr Beuth, es ist auch ganz klar – das ist es, was mich als Wirtschaftspolitiker interessiert –: Was wir in Deutschland falsch machen, ist, dass wir kein Signal an die klugen Köpfe in der Welt senden, das besagt, dass wir sie hier haben wollen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Rentsch, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Letzter Satz. – Wir unterhalten uns zurzeit über die Einwanderung in die Sozialsysteme. Das ist ein schwieriges Thema, wenn es um Flüchtlingsbewegungen geht. Was wir aber dringend brauchen, sind kluge Köpfe aus der ganzen Welt; diese brauchen wir in Deutschland dringend für unseren Arbeitsmarkt. Dabei versagt dieses Land durch die Haltung der CDU leider vollständig.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten. Wir haben beschlossen, die beiden mit aufgerufenen Anträge direkt abzustimmen.

Dann lasse ich über den Dringlichen Antrag der FDP, Druck. 19/4709, abstimmen. Ich bitte um das Zeichen, wer diesem Antrag zustimmt. – Das sind die Fraktionen der SPD und der Freien Demokraten. Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 19/4718. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Zeichen. – Das sind die Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das sind die anderen Fraktionen des Hauses. Damit ist dieser Antrag beschlossen.

Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 43:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Wahl in den Niederlan- den, Tausende auf den Straßen in Hessen und deutsch- landweit: starke Signale für eine starke Europäische Union) – Drucks. 19/4689 –

Hier hat sich zunächst Frau Kollegin Hammann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir GRÜNE sind sehr erleichtert und sehr zufrieden, dass der rechtspopulistische Selbstdarsteller und Europakritiker Geert Wilders bei der Wahl in den Niederlanden seine persönlichen Ziele nicht erreichen konnte und sich die Rechtspopulisten in den Niederlanden in ihren Erwartungen enttäuscht sehen. Diese Rechtspopulisten hatten Geert Wilders bereits an der Spitze der Regierung gesehen. Deshalb ist es absolut erfreulich, dass die demokratische Entscheidung der Niederländer mit einer hohen Wahlbeteiligung einen Triumph der Rechtsradikalen in den Niederlanden verhindert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)