Protocol of the Session on November 17, 2011

Eine weitere Marktöffnung würde nicht nur zulasten der Bediensteten gehen, sondern auch zulasten der Qualität und der Sicherheit am Flughafen. Im Übrigen würde die gleichzeitig geforderte künftige Trennung zwischen Flughafenbetreiber und Bodenverkehrsdienstleistern auch zu erheblichen Reibungsverlusten in den Dienstabläufen führen.

Meine Damen und Herren, das Vorfeld auf dem Flughafen ist, wie wir alle wissen, ein hochsensibler Bereich. Dafür braucht man gut ausgebildete, verantwortungsvolle und verlässliche Mitarbeiter. Die bekommt man nur, wenn man sie auch anständig bezahlt.

(Beifall bei der SPD)

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bodenverkehrsdienste haben unsere uneingeschränkte Solidarität verdient. Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung alles daransetzen, dass der Vorstoß des EU-Kommissars Kallas zur weiteren Deregulierung der Bodenverkehrsdienste nicht in die Tat umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir brauchen deshalb einen solidarischen und fraktionsübergreifenden Schulterschluss im Landtag und ein entschlossenes Vorgehen der Landesregierung. Die Landesregierung muss nach unserer Auffassung rasch und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln sowohl auf der Bundes- als auch auf der Europaebene gegen diese Pläne intervenieren und dagegen vorgehen. Wie zu hören ist, wird die Gefahr für die Bodenverkehrsdienste in den anderen Fraktionen des Hauses und auch bei einzelnen Vertretern der Landesregierung offensichtlich genauso gesehen. Das ist gut. Gut und für die Sache sehr hilfreich wäre auch, wenn man im zuständigen Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr am Ende zu einem gemeinsamen Antrag käme.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dies wäre ein wichtiges Signal nach draußen. So, wie ich die einzelnen Anträge der Fraktionen sehe, kann ich mir das gut vorstellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Abg. Janine Wissler, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im wirtschaftsstarken Bundesland Hessen arbeiten heute rund 300.000 Beschäftigte zu Niedriglöhnen, also zu Löhnen, die kaum oder gar nicht ausreichen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, geschweige denn, eine Familie zu ernähren – selbst dann nicht, wenn man Vollzeit arbeitet. Diese Zahl wächst stetig. Von dieser Entwicklung sind Frauen besonders stark betroffen. Mittlerweile – ich finde das eine schockierende Zahl – arbeitet jede dritte Frau im Niedriglohnsektor. Das zeigt, welche Dimension das Problem angenommen hat und dass dringend gehandelt werden muss.

In immer mehr Haushalten ist mittlerweile der Hauptverdiener von Niedriglöhnen betroffen. Das führt dazu, dass ein Job nicht mehr reicht, um davon leben zu können. Immer mehr Menschen arbeiten in zwei oder drei Jobs, um irgendwie über die Runden zu kommen und ihre Familien ernähren zu können. Mittlerweile wächst jedes sechste Kind in Armut auf. Auch das ist eine Schande für ein reiches Land wie Deutschland, und auch das hat eine Ursache in der zunehmenden Ausuferung des Niedriglohnsektors.

Es ist einfach nicht hinzunehmen, dass eine wachsende Zahl von Menschen gezwungen ist, trotz Vollzeitbeschäftigung zur Arbeitsagentur zu gehen und ihre geringen Einkommen aufzustocken. Genau darauf spekulieren die Unternehmen. Sie zahlen Niedriglöhne, und der Steuerzahler soll am Ende draufzahlen, damit diese Menschen finanziell überleben können.

Das geht nicht nur zulasten der Allgemeinheit, sondern das ist vor allem für die Betroffenen entwürdigend. In einem reichen Land wie Deutschland muss deshalb gelten: Von Arbeit muss man leben können. Deshalb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn, der die Menschen vor Lohndumping schützt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lehnen auch die geplante EU-Richtlinie zur Deregulierung der Bodenverkehrsdienste ab, weil wir für gute Arbeitsbedingungen eintreten. Deshalb darf es kein weiteres Lohndumping, kein Outsourcing bei den Bodenverkehrsdiensten geben. Dabei haben die Beschäftigten unsere volle Unterstützung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Niedriglohnsektor keinesfalls ein Sprungbrett in bessere Arbeitsverhältnisse ist, wie gerne behauptet wird. Dieses Versprechen, mit dem Niedriglöhne in Deutschland legitimiert wurden, hat sich als eine Luftnummer herausgestellt. Besonders betroffen von Niedriglöhnen sind Menschen mit Migrationshintergrund, deren ausländische Abschlüsse in Deutschland häufig nicht anerkannt werden. Sie sind gezwungen, in Berufen unter ihrer Qualifikation zu Hungerlöhnen zu arbeiten. Deshalb gilt: Sozial ist eben nicht, was Arbeit schafft. Dann ist die Arbeitslosigkeit zwar geringer, aber die Löhne reichen nicht zum Leben. In dieser Situation darf man sich auch nicht auf das Prinzip der Tarifautonomie zurückziehen und Hunderttausende Betroffene einfach ihrem Schicksal überlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors steigt das Armutsrisiko für breite Schichten der Bevölkerung, insbesondere im Alter. Niedrige Einkommen bedeuten nämlich auch niedrige Renten. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die steigende Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse werden in der Zukunft zu einer explodierenden Altersarmut führen. Schon heute liegen die gesetzlichen Renten in Hessen im Durchschnitt nur bei etwas über 700 €. Die heutigen Rentner sind aber bei Weitem noch nicht so stark von befristeten Arbeitsverhältnissen, von Niedriglöhnen und von Erwerbslosigkeit betroffen wie die zukünftigen Rentnergenerationen. Aber schon jetzt können viele Menschen nicht mehr von ihrer Rente leben, sind gezwungen, bis ins hohe Alter zu arbeiten, um nicht völlig in die Armut abzurutschen.

Das Magazin „Panorama“ hat vor einiger Zeit eine ziemlich erschütternde Reportage zu diesem Thema gemacht. Dort wird über einen 84-jährigen Rentner berichtet, der in Vollzeit als Taxifahrer arbeitet, 50 Stunden die Woche, jeden Tag von nachmittags bis Mitternacht. Er tut das, weil seine Rente nicht reicht, weil ihm kaum Geld zum Leben bleibt, obwohl er ein Leben lang gearbeitet, aber immer zu wenig verdient hat, um heute von seiner Rente leben zu können. In der Reportage wurde auch über eine 70-jährige Rentnerin, einer ehemalige Grafikerin, berichtet, die heute putzen geht, Zeitungen austrägt und nebenbei in einer Druckerei arbeitet – drei zusätzliche Jobs neben der Rente, obwohl auch sie ihr Leben lang gearbeitet hat. Sie tut das nicht, um einen hohen Lebensstandard zu erreichen, sondern nur deshalb, um der Armut zu entgehen.

Die Zahl der Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist in nur sechs Jahren bundesweit um fast 150.000 gestiegen. Das ist ein deutlicher Beleg für Altersarmut. Natürlich belasten die Niedriglöhne – auch darüber müssen wir reden – die Sozialversicherungssysteme; denn wer wenig verdient, der zahlt auch wenig ein. Je größer der Niedriglohnsektor, desto mehr Steuergelder müssen aufgewendet werden, um die Renten überhaupt auszahlen zu können.

Die Gewerkschaften setzten sich seit 2005 für einen gesetzlichen Mindestlohn ein. Sinn und Zweck eines Mindestlohns ist es, eine Lohnuntergrenze einzuziehen. Sie soll einerseits garantieren, dass bestimmte Dumpinglöhne erst gar nicht mehr angeboten werden. Andererseits soll eine solche Untergrenze Druck nach oben auf das Niveau von Löhnen und Gehältern insgesamt ausüben. Das ist in unserem Land dringend geboten, denn der Anteil der Arbeitseinkommen am Bruttoinlandsprodukt sinkt in Deutschland so dramatisch wie in keinem anderen Industrieland. Für das Anwachsen des Niedriglohnsektors gibt es viele Gründe. Der DGB Hessen nennt an erster Stelle die – ich zitiere – „arbeitsmarktpolitischen Weichenstellungen der jüngsten Vergangenheit, insbesondere... die Hartz-Gesetzgebung“, also die vier sogenannten Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.

Hier sind die Liberalisierung der Leiharbeit durch Hartz I, die Einführung der Minijobs durch Hartz II und natürlich Hartz IV zu nennen, wobei sich Hartz IV nicht auf die zu niedrigen Regelsätze reduzieren lässt. Vielmehr ist Hartz IV auch für die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln und die Einführung des Kombilohnmodells verantwortlich, wodurch das Lohnniveau direkt ins Visier genommen worden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

In seiner Stellungnahme zu der Anhörung im Bundestag schrieb der DGB 2003 – ich zitiere –:

„Arbeit um jeden Preis“ führt zu Dequalifizierungs- und Verdrängungseffekten, nicht jedoch zum Aufbau zusätzlicher Beschäftigung. Wenn dann noch zu den Niedrigstlöhnen ergänzend die Fürsorgeleistungen gezahlt werden, wird das gesamte Lohn- und Tarifgefüge ins Rutschen kommen. Die Folgerungen für die Lohnpolitik sind unübersehbar.

So weit der DGB schon im Jahr 2003. Der DGB hat also bereits damals vor einer Entwicklung gewarnt, die heute beklagt wird. Wer daher heute über die schwindende Durchsetzungskraft der Gewerkschaften, die Abnahme der Bindekraft von Tarifverträgen und den allgemeinen Trend zu Niedriglöhnen klagt, ist gut beraten, sich die Diskussionen über die Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes durch die rot-grüne Bundesregierung noch einmal anzuschauen und sich auch mit dem zu befassen, vor dem die Gewerkschaften damals gewarnt haben.

(Beifall bei der LINKE)

Dass die Einführung eines Mindestlohns heute überhaupt notwendig ist, liegt in allererster Linie an der falschen Arbeitsmarktpolitik des letzten Jahrzehnts. „Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen“, erklärte der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder wörtlich. Den haben wir jetzt. Das heißt, es handelt sich bei dem ausufernden Niedriglohnsektor nicht um Wildwuchs oder um irgendwelche unabsehbaren Fehlentwicklungen. Nein, das war politisch so gewollt und wurde durch gesetzliche Regelungen ganz bewusst gefördert.

DIE LINKE hat seit 2006 immer wieder Anträge in den Bundestag eingebracht, um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns voranzubringen. Noch in der Debatte im Jahr 2006 hieß es seitens der SPD – ich darf aus einem Beitrag von Andrea Nahles zitieren –:

Ich schlage Ihnen vor: Verabschieden Sie sich von Ihrer populistischen Forderung nach 8 € Mindestlohn!

Konsequenterweise hat die SPD-Fraktion im Bundestag dann auch immer gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gestimmt.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Hört, hört!)

Die SPD vertrat damals immer die Position, dass die Lohnuntergrenzen von Kommissionen festgelegt werden sollen, an denen die Gewerkschaften und die Arbeitgeber beteiligt sind. Das ist – wenn ich es richtig verstanden habe und es da eine gemeinsame Position gibt – in etwa die Position der CDU nach ihrem Parteitag. Im Endeffekt bedeutet dieser Vorstoß die gesetzliche Einführung von Tarifverhandlungen. Das muss nicht dazu führen, dass ein vernünftiger Mindestlohn dabei herauskommt; denn die Arbeitgeber haben immer ein Vetorecht.

Diese Debatte ist nun auch in der CDU angekommen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vor Erkenntnisgewinnen ist keiner gefeit. Zur Verteidigung der CDU muss man sagen: Umfallen muss nicht verwerflich sein, vorausgesetzt, man fällt in die richtige Richtung.

Die Argumente gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sind allesamt nicht stichhaltig. In den Branchen, die bereits Mindestlöhne haben, ist der befürchtete Arbeitsplatzabbau ausgeblieben, vor dem Sie damals gewarnt haben. Ganz im Gegenteil, dort gab es sogar eine Zunahme

der Beschäftigung. 20 von 27 EU-Staaten haben Mindestlöhne. Deutschland als eines der reichsten Länder der EU darf nicht länger die Ausnahme sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen einen allgemeingültigen gesetzlichen Mindestlohn, und wir dürfen keine Ausdifferenzierungen zwischen Ost und West sowie zwischen Branchen und Berufsgruppen zulassen. Es muss Schluss damit sein, dass Menschen als Lohndrücker missbraucht werden.

Ein Mindestlohn muss so hoch sein, dass er zum Leben reicht. Ein Mindestlohn von etwa 7 €, über den derzeit in der CDU diskutiert wird, wäre falsch; er würde nämlich die Dumpinglöhne zementieren. Deshalb fordern wir einen Mindestlohn von 10 € in der Stunde. Das ist das Mindeste. Bei einer 40-Wochenstunden-Stelle ergibt das gerade einmal 1.600 € brutto. Wer das für zu viel hält, sollte aufhören, den Menschen zu erzählen, dass Leistung sich wieder lohnen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. Es ist völlig inakzeptabel, dass in manch einem DAX-Konzern ein Pförtner 300 Jahre arbeiten müsste, um auf ein Jahresgehalt seines Chefs zu kommen. Das ist eine nicht hinzunehmende Ungerechtigkeit. Wenn sich Leistung wieder lohnen soll, wie es die FDP gern fordert, brauchen die Menschen als Erstes mehr Brutto.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat Herr Abg. Klose, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor auch ich bei diesem Tagesordnungspunkt auf die vermeintliche Wendigkeit der CDU und auf das Potemkinsche Dorf namens „Merkel-Mindestlohn“ zu sprechen komme, das in Leipzig errichtet wurde, will ich den Fokus auf die Menschen richten, die in diesem Land trotz Vollzeitbeschäftigung nicht von ihrem Einkommen leben können.

Erst am Dienstag, also vor zwei Tagen, hat das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen aktuelle Zahlen zu den prekären Arbeitsverhältnissen veröffentlicht. Demnach arbeiteten 2009 rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland – das sind gut 11 % aller Beschäftigten – für weniger als 7 € brutto pro Stunde. 1,2 Millionen arbeiteten sogar für weniger als 5 € brutto pro Stunde.

Ein wohlhabendes Land, das sich so viel auf seine soziale Marktwirtschaft zugutehält, müsste sich dafür eigentlich schämen. Da haben Herr Laumann und Frau von der Leyen in der Analyse recht, auch wenn sie noch nicht die richtigen Schlüsse ziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein allgemeiner Mindestlohn ist eine elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Die Bundesregierung hat sich bisher geweigert, dafür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Deshalb erhalten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine angemessene Entlohnung.

Was sind die Folgen? Eine Folge ist die Armut trotz Arbeit, wenn das Monatseinkommen trotz Vollzeitbeschäftigung bei weniger als 800 € liegt. Über 1,3 Millionen Erwerbstätige müssen ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken. Arbeitgeberpräsident Hundt hat heute Morgen in einem dpa-Gespräch zum Ausdruck gebracht, dass er das richtig findet. Ich halte das für zynisch.