Was sind die Folgen? Eine Folge ist die Armut trotz Arbeit, wenn das Monatseinkommen trotz Vollzeitbeschäftigung bei weniger als 800 € liegt. Über 1,3 Millionen Erwerbstätige müssen ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken. Arbeitgeberpräsident Hundt hat heute Morgen in einem dpa-Gespräch zum Ausdruck gebracht, dass er das richtig findet. Ich halte das für zynisch.
Von der Tradition unternehmerischer Verantwortung, die einst ein wichtiger Pfeiler der sozialen Markwirtschaft bundesrepublikanischer Prägung war, hat sich der Herr offensichtlich meilenweit entfernt.
Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gewachsen. Damit nehmen wir in Europa einen unrühmlichen Spitzenplatz ein. Das ist kein Wunder; denn in den allermeisten anderen europäischen Ländern schützen gesetzliche Mindestlöhne oder vergleichbare Regelungen die Beschäftigten vor Lohndumping und sorgen für fairen Wettbewerb.
Im Übrigen ist die Situation nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Wirtschaft ein Problem. Auch immer mehr Betriebe beklagen nämlich unlauteren Wettbewerb durch Dumpinglöhne. Darauf kann man nicht à la FDP mit Schulterzucken reagieren; das darf keiner von uns hinnehmen.
Mehrere Millionen Beschäftigte würden von einer verbindlichen Lohnuntergrenze profitieren. Gilt die Lohnuntergrenze allerdings nur für Branchen, in denen es bisher überhaupt keine tariflichen Regelungen gibt – so hat es die CDU am Wochenende beschlossen –, geht ihre Einführung an den realen Bedürfnissen vorbei.
Insofern hat der Herr Ministerpräsident ausnahmsweise sogar recht, wenn er sagt, der CDU-Beschluss sei nichts anderes als Symbolpolitik. Ihr zugegebenermaßen pompös inszeniertes „Die CDU sagt Ja zum Mindestlohn“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nämlich leider wieder einmal als typisches Soufflé à la Merkel, das in sich zusammenfällt, sobald man hineinpiekst: ein bisschen aufgehübschte Fassade und viel heiße Luft.
Ihr Mindestlohn soll nämlich erstens nur für die Branchen gelten, in denen es gar keine Tariflöhne gibt. Man braucht gar nicht bei den 3,60 € Stundenlohn für die sächsische Friseurin anzufangen, die durch Ihren Beschluss keinen Cent mehr in der Tasche hat. Sie wissen sehr wohl, dass das auch für eine große Zahl von Beschäftigten im Hotelund Gaststättengewerbe, im Gartenbau und in der Landwirtschaft gilt. Für all diese Beschäftigten ändert sich nichts. Im Grunde genommen bedeutet Ihr Beschluss nichts anderes, als dass Hungerlöhne dann akzeptabel sind, wenn sie den tariflichen Segen haben.
Das aber ist eine Einladung an die Arbeitgeber, Dum ping löhne einzuführen. Wir werden das mit Sicherheit nicht mitmachen.
Zweitens sieht Ihr Mindestlohn keine einheitliche Lohnuntergrenze vor. Da kann ich dem CDA-Vorsitzenden Karl-Josef Laumann wirklich nur zustimmen: Auch ich kann mir kein Deutschland vorstellen, in dem es 500 unterschiedliche Lohnuntergrenzen gibt. Ein solcher Fli
ckenteppich wäre für die Wirtschaft übrigens unzumutbar. Auch deshalb können wir diesen Weg nicht gutheißen.
Was bleibt also? Es bleibt der ziemlich unappetitliche Eindruck, die vermeintliche Einsicht der Union in die Notwendigkeit von Mindestlöhnen ist nicht mehr als weiße Salbe. Weiße Salbe für die CDU-Sozialausschüsse ließe sich sicherlich verschmerzen. Aber dass Sie gleichzeitig auch den Beschäftigten im Niedriglohnsektor weiße Salbe auf die Backen schmieren, nehmen wir nicht hin. Wir wollen einen echten Mindestlohn und damit echte Lohngerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, wir GRÜNE wollen einen generellen Mindestlohn, der von einer Kommission nach britischem Vorbild festgelegt und jährlich angepasst wird, der mindestens 7,50 € betragen muss und für alle verbindlich ist. Diese Kommission soll sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft zusammensetzen und die Mindestlohnhöhe unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen ermitteln, die dann durch Rechtsverordnungen der Bundesregierung wirksam wird.
So macht man das, wenn man es mit der Sorge um die Situation der prekär Beschäftigten in diesem Land ernst meint. Wer wie Herr Laumann meint, dass, wer arbeite, doch auf einen grünen Zweig kommen müsse, darf es nicht bei weißer Salbe belassen.
Deshalb geht die Frage jetzt auch an die CDU Hessen: Wie halten Sie es nun konkret mit Ihrem Parteitagsbeschluss? Nehmen Sie ihn schulterzuckend hin, weil sich praktisch sowieso nichts ändert? Halten Sie den Mindestlohn für Schwachsinn, wie es Ihr Koalitionspartner in Gestalt von Herrn Rentsch hat verlautbaren lassen, der Ihrer Parteivorsitzenden und Kanzlerin im gleichen Atemzug eine psychische Störung bescheinigt hat? Oder sorgen Sie dafür, dass dieser Beschluss dann doch mehr wird als weiße Salbe im Interesse der vielen betroffenen Menschen, die trotz ihrer Vollzeittätigkeit nicht von ihrer Hände Arbeit leben können?
Die CDU Hessen schuldet den Betroffenen hier im Land schon eine Aussage darüber, was dieser Parteitagsbeschluss nun konkret ändert. Wir brauchen einen Ordnungsrahmen, der für faire Arbeitsbedingungen sorgt und sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erhält. Genau deshalb geht es nicht länger ohne einen Mindestlohn, ohne eine echte Lohnuntergrenze.
Eine so wohlhabende Gesellschaft wie unsere muss doch in der Lage sein, wenigstens 7,50 € für die Stunde zu bezahlen.
Meine Damen und Herren, wenn selbst Friedrich Merz das sagt, den Sie auch seitens der FDP gern als Kronzeugen für eine angeblich vernünftige Wirtschaftspolitik zitieren, müssten doch auch Sie sich wenigstens an dieser Stelle einmal einen Ruck geben können.
Überlegen Sie es sich gut. Es gibt auch in diesem Landtag eine breite Mehrheit für eine wirksame Mindestlohnregelung, jenseits der Partei, der aktuell noch 0 % Problemlösungskompetenz zugesprochen werden.
Wenn Sie Ihre Standing Ovations für Herrn Laumann vom Montag ernst meinen, dann ringen auch Sie sich dazu durch, den Antrag der SPD-Fraktion zum Mindestlohn zu unterstützen, so wie wir das tun. Wir wollen, nachdem es hier zum Thema Bodenverkehrsdienste inzwischen drei Anträge verschiedener Fraktionen gibt, auch an Sie appellieren, alle drei Anträge mit dem Ziel eines gemeinsamen Beschlusses im Ausschuss zu beraten. Auch wir GRÜNE wollen die EU-Verordnung so nicht.
Meine Damen und Herren, statt Trickserei und Schlupflöchern, statt Potemkinscher Dörfer und weißer Salbe brauchen die Betroffenen endlich faire Löhne, von denen sie leben können. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erneut unterhalten wir uns über das Thema Mindestlohn, und erneut hören wir im Grunde von der linken Seite dieses Hauses nichts Neues. Ich freue mich trotzdem, dass wir uns noch einmal über dieses Thema unterhalten, weil es mich die letzten drei Jahre lang begleitet hat, ich heute vermutlich vor diesem Hohen Hause zum letzten Mal reden werde und es eines der Themen ist, worüber ich ganz gern noch einmal diskutieren wollte.
Ich habe eingangs gesagt: Es gibt sowohl von der SPD als auch von den LINKEN nichts Neues. Auch von den GRÜNEN gab es im Grunde nichts Neues. Es bleibt bei der allgemeinen Forderung.
Ich könnte jetzt natürlich wieder die Argumente, die, wie ich finde, gegen einen gesetzlichen Mindestlohn sprechen, vorbringen. Wir können hierüber reden, dass das gar nicht so sozial gerecht ist, wie Sie immer behaupten. Wir können darüber reden, dass im Baubereich trotz eines branchenbezogenen Mindestlohns immer noch 16.000 Arbeitnehmer Aufstocker sind und es trotzdem bei 10,90 € bleibt. Wir können darüber reden, dass die Bürokratie sehr hoch ist. Wir können darüber reden, dass betriebliche Bündnisse für Arbeiter darunter leiden würden. Wir können uns einmal das Ausland anschauen: In den 20 EULändern, die einen Mindestlohn haben, ist alles gar nicht so rosig, wie es hier immer heißt. All diese Argumente können wir wieder austauschen, aber ich glaube, das haben wir die letzten Monate genug getan.
Es bleibt bei dem grundsätzlichen Dissens, den wir, die CDU – ich nehme die FDP hier einmal mit –, haben: Wir wollen keinen vom Staat diktierten Lohn haben.
Wenn wir so oft über dieses Thema diskutieren, will man nicht immer alles wiederholen. Wir hatten zu diesem Thema letzte Woche auch im Deutschen Bundestag eine Aktuelle Stunde der SPD. Da hat mein geschätzter und alter JU-Kollege Peter Tauber etwas Nettes gesagt, was ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.
Meine Damen und Herren, das zeigt ein bisschen die Scheinheiligkeit der Diskussion, die wir hier in Teilen führen – Frau Wissler hat es dankenswerterweise mit Anträgen von den LINKEN schon erwähnt, die wir natürlich nicht unterstützen, aber die SPD, was den Mindestlohn angeht, auch nicht unterstützt hat, und die GRÜNEN wohl auch nicht –: Wir haben 1987 den ersten branchenbezogenen Mindestlohn verabschiedet. Seit 1987 gibt es elf Branchen, in denen es einen branchenbezogenen Mindestlohn gibt. Was ich bemerkenswert finde, ist: Alle diese elf branchenbezogenen Mindestlöhne wurden unter einem CDU-Kanzler oder einer CDU-Kanzlerin eingeführt und nicht in den sieben Jahren, in denen Sie von RotGrün die Verantwortung getragen haben.
Sie haben andere Dinge entschieden; Sie haben sich aber nicht für einen Mindestlohn entschieden und schon gar nicht für einen branchenbezogenen Mindestlohn.
(Zuruf von der FDP: Nicht so viele Fakten, das stört! – Gegenruf des Abg. Gerhard Merz (SPD): Sie sind mit Ihrem Latein am Ende!)
Ich komme jetzt einmal zu dem Antrag, den wir am Montag auf dem Bundesparteitag verabschiedet haben. Was haben wir denn verabschiedet? – Wir haben ein klares Bekenntnis zur Tarifautonomie verabschiedet. – Jetzt ist Herr Schaus, der hier immer die Fahne der Gewerkschaften so hochhält, nicht anwesend. – Wir haben gesagt, dass wir den Tarifpartnern in den Branchen, wo es keinen Mindestlohn und keinen branchenbezogenen Mindestlohn gibt, die Aufgabe geben, im Rahmen einer Kommission einen Mindestlohn festzulegen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir wollen keinen politischen Mindestlohn, sondern wir wollen einen Mindestlohn, den die Tarifpartner wie in den letzten Jahrzehnten aushandeln und der nicht von der Politik diktiert wird.
Meine Damen und Herren, stellen Sie sich doch einmal vor, wir hätten in der Bundesrepublik Deutschland einen Mindestlohn. Ich kann mir ausmalen, was bei jedem Bundestagswahlkampf passiert. Wir schaukeln uns gegenseitig dabei hoch, wer den höheren Mindestlohn haben will. Das passiert momentan zwischen einzelnen Fraktionen. Die LINKEN waren 2006 – das hat Frau Wissler gerade selbst gesagt – bei 8,50 €. Mittlerweile sind sie bei 10 €. Die SPD schaukelt da auch hinterher. Das ist eine Art und Weise, wie man mit Arbeitnehmern und dem Entlohnen von Arbeitnehmern nicht umgeht. Diese Gefahr wollen wir nicht, sondern wir wollen, dass weiterhin die Tarif
partner die Löhne aushandeln. Dabei bleibt es auch nach dem Beschluss auf dem Bundesparteitag der CDU, dem im Übrigen auch ich und fast alle CDA-Mitglieder zugestimmt haben. Wir haben für diesen Antrag eine breite Basis gefunden. Es ist ein ganz wichtiges Signal für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass die größte oder letzte Volkspartei in dem Punkt einig ist und dort gemeinsam in die richtige Richtung geht.