Protocol of the Session on October 4, 2011

ven allerdings verfassungsrechtlich hoch problematisch sind. Das gilt auch für das, was Sie immer wieder zum Thema Islamkundeunterricht gesagt haben. Das Wort haben Sie über die Jahre hinweg verschiedentlich in den Mund genommen. Denn damit liefe das genau auf die Probleme zu, die Sie für das Übergangsmodell in Nord rhein-Westfalen beschrieben haben. Sie haben wörtlich gesagt:

Ein Religionsunterricht, dessen Inhalte der Staat bestimmt, ist verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren.

So ist es. Deshalb wüsste man doch sehr gerne mehr darüber, wie Ihr Plan B genau aussieht.

(Wolfgang Greilich (FDP): Sie haben vorhin nicht zugehört!)

Der Islamkundeunterricht kann es nicht sein. Die islamkundliche Unterweisung im Fach Ethik, wie es im Koalitionsvertrag steht, kann es auch nicht sein. Denn Ethik ist Pflichtunterricht nur für die, die eigentlich zur Teilnahme am bekenntnisorientierten Unterricht verpflichtet wären. Das heißt, diese Alternative würde genau das voraussetzen, was sie ersetzen soll. Damit würde sich die Katze endgültig in den Schwanz beißen.

Herr Minister, falls Sie das ändern wollen, habe ich einen Vorschlag: Machen Sie Ethik zum Pflichtfach, so wie wir das mit unserem Gesetzentwurf zur Novellierung des Schulgesetzes machen wollten, der leider abgelehnt wurde. Damit wäre dieser Teil des Problems gelöst.

(Beifall bei der SPD)

Der Kern des Problems ist und bleibt also, ob man den islamischen Religionsunterricht als konsequenten Ausfluss der Gleichbehandlung der Religionen durch den Staat und der derzeitigen verfassungsrechtlichen Garantie des Religionsunterrichts haben will oder nicht. Das und nichts anderes stellt den Kern unseres Entschließungsantrags dar. Herr Minister, Sie werden die Gelegenheit haben, sich dazu ebenso wie die Herren Wagner und Irmer in namentlicher Abstimmung zu verhalten.

(Zuruf: Das machen wir!)

So viel wollte ich zu dem sagen, was in dieser Regierungserklärung vorkam. Nun möchte ich auf das zu sprechen kommen, was vielleicht wesentlicher ist, nämlich zu dem, was in ihr nicht vorkam. Dazu gehören z. B. vor allem die für die Integrationsdebatte so wichtigen Fragen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, des Aufenthalts- und des Asylrechtes.

Es ist doch für diejenigen, die sich integrieren sollen, von ganz erheblicher praktischer Bedeutung, ob sie überhaupt da sein können, wie lange sie hier sein können und unter welchen rechtlichen Bedingungen sie hier sein dürfen. Ganz praktisch gesprochen, geht es um die Frage, wie lange sie noch da sind. Dabei geht es um die drängenden Fragen des Optionszwangs und der doppelten Staatsangehörigkeit mit ihrer derzeitigen diskriminierenden Praxis. Bei den einen wird das geduldet, bei den anderen nicht.

Das verhält sich genauso wie mit den Deutschkenntnissen bei den nachziehenden Ehegatten. Das brennt doch den Menschen ebenso auf den Nägeln wie die gesamten Fragen hinsichtlich der künftigen Zuwanderungspolitik zur Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels. Dazu hörten wir vom Integrationsminister in dieser Regierungserklärung kein Wort.

Kein Wort sagte er auch zu der Frage, die uns in diesen Tagen menschlich bewegt, nämlich wie sich das Land Hessen angesichts des erneuten Auslaufens der Härtefallregelung für langjährig Geduldete zur Frage einer erneuten Verlängerung stellt. Auch das ist eine integrationspolitisch bedeutsame Frage. Auch dazu hörten wir kein Wort. Dazu hätte man gerne etwas gehört, übrigens gerne positiv.

Auch die Begriffe demokratische Partizipation und gleichberechtigte Teilhabe kamen nicht vor. Das sind Schlüsselbegriffe für die Integration. Für uns sind das die zentralen Ansatzpunkte. Wir hatten hier eine Regierungserklärung. Ich rede hier nicht über irgendwelche Aktuellen Stunden. Herr Minister, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung für die Landesregierung gesprochen. Da wäre es wichtig gewesen, etwas zu den Fragen der politischen Partizipation und zur gleichberechtigten Teilhabe zu sagen.

Das Recht auf demokratische Partizipation ist in erster Linie eines des Wahlrechts. Denn beides, demokratische Partizipation und Wahlrecht, sind Menschenrechte, die ganz sicher auch für Migrantinnen und Migranten gelten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt ganz unabhängig von der Frage der Menschenrechte und des bürgerlichen Grundrechts, wählen zu dürfen. Wenn es richtig ist, dass Integrationsprozesse jedweder Art am besten gelingen, wenn man den betroffenen Menschen, also den Individuen, wie auch den Gruppen ein Mitspracherecht einräumt, dann ist die Erweiterung der politischen Mitwirkungsmöglichkeiten und nicht nur der gesellschaftlichen, von denen Sie im Kontext des Ehrenamtes gesprochen haben, aus pragmatischen integrationspolitischen Gründen unabdingbar. Das beginnt mit der Erweiterung der Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Ausländerbeiräte und hört mit dem Kommunalwahlrecht für Ausländer noch nicht auf. Kein Wort hörten wir dazu vom Integrationsminister.

Die gleichberechtigte aktive Teilhabe am gesamten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft ist die soziale Kehrseite derselben Medaille. Darauf haben Sie hingewiesen: Wir wissen, dass die Hauptursache für die bestehenden Integrationsprobleme der Menschen mit Migrationshintergrund darin besteht – das ist einer der anderen roten Fäden in der Arbeit der Enquetekommission –, dass ein überproportional hoher Anteil dieser Menschen sozial benachteiligt lebt. Der Anteil der Migrantinnen und Migranten an der Gesamtgruppe der sozial Benachteiligten ist überdurchschnittlich groß.

Herr Minister, Sie haben das gesagt. Das muss dann aber doch Konsequenzen für die Grundstrategie der Integrationspolitik haben. Wenn der Befund so ist, dann muss Integrationspolitik doch in allererster Linie aktive gestaltende Gesellschaftspolitik sein, von der Bildungspolitik über die Gesundheitspolitik bis zur Wohnungs- und Städtebaupolitik.

Zur Bildungspolitik. Kinder aus bildungsfernen Schichten brauchen mehr Zeit, um das aufzuholen, was ihnen aufgrund ihrer sozialen Lage verwehrt worden ist. Längeres gemeinsames Lernen aller Kinder in gut ausgestatteten Ganztagskindertagesstätten und wirklichen Ganztagsschulen – das ist eine andere Dimension vom längeren gemeinsamen Lernen – ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, ebenso wie eine kindgerechte Flexibilisierung der Schullaufbahn und eine andere Rhythmisierung des Schullalltags. – Auch dazu kein Wort.

(Vizepräsident Lothar Quanz übernimmt den Vor- sitz.)

Kein Wort auch zu der Frage, wie wir mit der zunehmenden Zahl älterer und pflegebedürftiger Menschen umgehen wollen, wie die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen auf eine sich dramatisch wandelnde Situation eingestellt werden können.

Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren. Gettos entstehen, wenn Gettos gebaut werden. Niemand lebt freiwillig im Getto. Niemand lebt freiwillig in schlechteren und gleichzeitig teureren Wohnungen. Niemand lebt gerne in vernachlässigten Quartieren, in denen sonst keiner mehr wohnen will und in denen sich deshalb die Benachteiligten jedweder Art und damit potenzieller sozialer Sprengstoff ansammeln. Eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus, eine Beibehaltung der nicht investiven Teile des Programms „Soziale Stadt“ und ein Nachfolgeprogramm für das Programm „Soziale Stadt“ wären deshalb ebenso wichtig wie eine Wohnungs- und Städtebaupolitik, die nicht nur im Interesse von Migrantinnen und Migranten wäre, sondern für alle, die sich keine teure Eigentumswohnung in gentrifizierten Wohnquartieren leisten können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man keine abgeschotteten Parallelgesellschaften will, dann muss man die sozialen und städtebaulichen Entstehungsbedingungen dafür abschaffen. – Auch dazu kein Wort vom Minister.

Meine Damen und Herren, zusammenfassend muss man sagen: Diese Regierungserklärung war in jeder Hinsicht äußerst unbefriedigend.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Sie hinterlässt ein Gefühl der Leere – sowohl in dem, wozu etwas gesagt wurde, als auch deswegen, weil zu sehr vielen wesentlichen Fragen gar nichts gesagt wurde.

Herr Minister, wir – gerade auch ich – waren bereit, Ihnen Kredit zu geben, weil Sie manches Gute zu wollen schienen. Ihr Rating war nie AAA und musste seither leider mehrmals zurückgenommen werden. Man weiß nie, ob und was Sie wann liefern werden. Ihr politischer Kredit ist auch in Sachen Integrationspolitik ziemlich aufgebraucht. Nach Lage der Dinge wird es auf eine geordnete oder vielleicht auch ungeordnete Insolvenz hinauslaufen – am Tag der Landtagswahl. Danach erwarten wir dann eine Regierungserklärung zur Integrationspolitik, die sich tatsächlich mit den relevanten Fragen beschäftigt und die richtigen Antworten darauf gibt. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Merz. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Bauer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Integration – dies lehrt die Geschichte – fordert der Mehrheit und der Minderheit Anpassungsprozesse ab. Menschen und Gesellschaften ändern sich durch die Migration. Integration baut auf dem Prinzip der gegenseiti

gen Akzeptanz und Toleranz auf. Den Rahmen bilden unser Grundgesetz und die Hessische Verfassung. Unterlassene oder verfehlte Integration schafft Konflikte und lässt Potenziale ungenutzt.

Meine Damen und Herren, unsere Welt ist internationaler geworden. In der Bundesrepublik kommen mit jeweils rund 3 Millionen Menschen die meisten Migrantinnen und Migranten aus der Türkei und aus Russland, der ehemaligen Sowjetunion. Aus den Mitgliedsländern der Europäischen Union kommen rund 4,8 Millionen Menschen. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund lag in Hessen 2008 bei rund 25 % – das ist mehr als in Berlin und die vierthöchste Quote aller Bundesländer. Etwa die Hälfte der Menschen mit Migrationshintergrund in Hessen besitzt einen deutschen Pass. In Frankfurt haben allein rund 42 % der Einwohner einen Migrationshintergrund, 66 % der unter Sechsjährigen. In Hessen leben rund 350.000 Menschen mit türkischen Wurzeln. Das sind Fakten, an denen niemand vorbeikommt.

Ein weiteres Faktum ist: Wir werden weniger, wir werden alle älter, und wir werden bunter.

(Zuruf von der CDU: Genau so ist es!)

Die Integration von Menschen in unsere Gesellschaft bietet für Deutschland viele Chancen. Unser Land ist auf Zuwanderung angewiesen, sonst würde die Bevölkerungszahl drastisch sinken und auch das Potenzial der Erwerbstätigen noch weiter abnehmen. Fest steht: Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft können es sich nicht leisten, auf dieses Potenzial zu verzichten. Wir brauchen Fachkräfte, wir brauchen Menschen, die Verständnis für andere Kulturen haben, wenn wir auch die Chancen nutzen wollen, die die Globalisierung für unser Land mit sich bringt.

Meine Damen und Herren, Grundlage unserer Integrationspolitik sind die Anerkennung individueller Persönlichkeit, gegenseitige Achtung und Toleranz.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Die uneingeschränkte Akzeptanz unserer Rechtsordnung, einschließlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau, ist für uns Christdemokraten unabdingbare Voraussetzung für ein gedeihliches und friedvolles Zusammenleben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Unsere Toleranz gegenüber anderen weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen und Praktiken endet dort, wo die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Staates infrage gestellt wird. Deshalb muss jeder Art von fundamentalistischen und extremistischen Tendenzen, die zu Intoleranz führen, entschieden entgegengetreten werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, in der Integrationspolitik hat es in den letzten Jahren in Hessen schon deutliche Fortschritte gegeben. Hessen ist ein weltoffenes und tolerantes Land mit einer großen Zuwanderungs- und Integrationstradition.

Hessen hat im Jahr 2000 als erstes Bundesland einen Integrationsbeirat eingerichtet, der die Landesregierung bei Fragen der Integration berät und die Interessen der Betroffenen in Entscheidungen der Landesregierung einbindet. Seit 2007 haben wir ein Integrationslotsennetzwerk

von vielen Hundert Aktiven. Sie erleichtern Menschen mit Migrationshintergrund die Eingliederung in unsere Gesellschaft. Sie sind also eine Art Brückenbauer, und das Land fördert die Integrationslotsen mit Fortbildungen und Qualifizierungen. In Hessen steht im Internet für alle ein Integrationskompass zur Verfügung, mit dessen Hilfe relativ leicht alle Projekte und Maßnahmen sowie Initiativen, die der Integration dienen, abrufbar sind. Die institutionelle Förderung der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessens wurde schon vor über 20 Jahren eingeführt, und zwar von einer bürgerlichen Regierung aus CDU und FDP.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es wurde schon oft genannt: Sprache ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb haben wir als Union das Erlernen der deutschen Sprache schon früh und konsequent zu einem der wichtigsten Ziele unserer Politik erklärt. Das wurde anfangs von vielen hier im Parlament heftig bekämpft und als Zwangsgermanisierung tituliert.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe schon mehrfach gefragt, woher Sie dieses Zitat eigentlich haben!)

Ich weiß, dass Sie heute weiter sind und solche Begrifflichkeiten nicht mehr verwenden. Die Notwendigkeit, gut Deutsch zu sprechen, wird mittlerweile von allen anerkannt. Auch die Erfolge durch Vorlaufkurse, wie wir sie eingeführt haben, werden heute von niemandem mehr ernsthaft bestritten. Neben der Sprachförderung von Kindern ist aber auch die Sprachförderung von Erwachsenen enorm wichtig. Das unterstützen wir, ich nenne beispielsweise das Programm „Mama lernt Deutsch“, das sich an Mütter ohne jede Kenntnis unserer Sprache richtet.

Die Integration findet vor Ort in den Kommunen statt, in den Städten und Gemeinden. Deshalb hat die Hessische Landesregierung das Programm Modellregionen Integration entwickelt, in welchem ausgewählte Städte und Landkreise ein Handlungskonzept für wirksame Integration ausarbeiten werden, das dann alle übernehmen können.