Wenn man fragt, wo man in Hessen in Sachen Integrationspolitik tatsächlich vorangekommen ist, wird als Ers tes immer darauf hingewiesen, dass wir jetzt ein Integrationsministerium hätten. Nun haben wir schon, als es um die Namensgebung des jetzt wieder so heißenden Sozialministeriums ging, die Frage erörtert, was der Name eines Ministeriums über Qualität und Inhalt der Politik aussagt. Wir haben feststellen müssen, dass die Korrelation zwischen Name und Inhalt eher nicht signifikant ist. Herr Minister, das gilt leider auch für Ihr Haus.
Wir haben ein Ministerium, das das Wort „Integration“ in seinem Namen führt, in dem aber nicht wirklich die Integrationspolitik in diesem Land gemacht wird.
Welche Bilanz hat der Herr Minister heute gezogen? Herr Hahn, Sie haben, wie zu erwarten war, sehr viel Zeit – mehr Zeit, als ich gedacht hätte – auf die Darstellung der Arbeit in den sechs Modellregionen Integration verwandt.
Auch hier will ich Missverständnissen vorbeugen: Viele der Projekte in den einzelnen Modellregionen Integration sind hochinteressant und innovativ und werden von den jeweiligen Kommunen oder den freien Trägern mit sehr viel Herzblut, sehr viel Engagement und sehr kenntnisreich durchgeführt.
Aber dass Sie sich als Landesminister bei Ihrer Halbzeitbilanz – es sind immerhin schon zweieinhalb Jahre – seitenlang bei einem Ansatz aufhalten müssen, der weitgehend kommunal bestimmt ist, auf vier Jahre befristet ist und zu dem das Land über das Jahr gerade einmal 770.000 € beisteuert, zeigt doch, dass Ihre Bilanz sehr mager ist. Sonst müsste man diese Geschichte nicht so auswalzen, wie Sie es gemacht haben.
Unabhängig von den konkreten Erfolgen, die es in dem einen oder anderen Integrations- und Modellprojekt gibt, ist und bleibt es sachlich problematisch, dass dies immer noch und immer wieder eine Politik des Modellversuchs ist: der zeitlich befristeten, also unsicheren, prekären und materiell eher ärmlichen Finanzierung durch das Land.
Herr Minister, Sie haben an einer Stelle auch die Arbeit der Enquetekommission angesprochen. Wenn sich etwas wie ein roter Faden durch die Anhörungen unserer Kommission zieht, ist es die im Grunde auch von den Kollegen aus den Koalitionsfraktionen nicht bestrittene, sondern sogar bestätigte Notwendigkeit, solche Projekte endlich aus dem Stadium des Modellversuchs herauszuholen und
sie auf eine auskömmliche und vor allem verlässliche und dauerhafte Finanzierungsgrundlage zu stellen.
Dann hätten wir übrigens auch Kristallisationskerne, an die sich all die Lotsenprojekte, sei es in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt oder Gesundheit, anlagern könnten. Auch dies ist ein Punkt, der in den Positivbilanzen gern erwähnt wird.
Von einer so strukturierten, fachlich gegliederten und flächendeckend eingerichteten Migrations- und Integrationsberatung sind wir aber weit entfernt, zumal Sie seinerzeit im Zuge der „Operation düstere Zukunft“ – daran muss man bei Gelegenheit erinnern – sämtliche Mittel für diesen Arbeitsbereich gestrichen und sie bis heute nicht wieder in den Haushalt eingestellt haben.
Was man damals an flächendeckenden festen Strukturen zerstört hat, kann mit noch so vielen Modellprojekten und auch Modellregionen nicht repariert werden.
Herr Kollege Blum, bevor Sie mich wieder fragen, was die SPD will: Sie können ex negativo auf das schließen, was die SPD will. Das ist nur ein sachdienlicher Hinweis, den ich Ihnen zwischendurch geben möchte, damit Sie nicht dazwischenplärren müssen.
Im Übrigen hört man, wenn man mit Vertreterinnen und Vertretern der Modellregionen spricht – was wir natürlich tun –, durchaus häufig die Klage über aufwendige und bürokratische Antragsmodalitäten und über ein, wie ich es einmal sagen möchte, nicht ganz stimmiges Verhältnis von Aufwand und Ertrag.
Ich weiß nicht, mit wem Sie reden. Die, mit denen ich rede, sagen das, Herr Kollege Blechschmidt. – Ich weiß, dass Geld nicht alles ist – Landesgeld schon gar nicht mehr. Aber, Herr Minister, von so wenig Geld so viel her zumachen, wie Sie es getan haben, ist auch eine Kunst.
Der nächste Punkt, auf den Sie eingegangen sind, ist die Sprachförderung im Kontext der frühkindlichen Bildung. Da ist viel statistisches Material vorgetragen worden; aber es war wenig Konkretes darüber zu hören, wie die Landesregierung die Sprachförderung für alle Kinder, die das nötig haben – das sind beileibe nicht nur die Kinder mit Migrationshintergrund –, zu einem Strukturprinzip der Arbeit in den Kindertagesstätten unseres Landes machen will statt ausschließlich zu einer in die Vorlaufkurse ausgelagerten Aufgabe. Es ist nichts dazu gesagt worden, wie die Landesregierung dazu beitragen will, dass die konzeptionellen, sachlichen und vor allem die personellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Nach dem Debakel mit der Mindestverordnung und angesichts all dessen, was man über Struktur und Inhalt des kommenden Kinderförderungsgesetzes hört, war das wahrscheinlich auch das Beste, was Sie tun konnten.
Herr Minister, Sie haben dann sehr viel Zeit darauf verwandt, uns hier eine bundespolitische Initiative zur Hei
ratsmigration zu erläutern. Die Integrationsministerkonferenz hat auf Initiative des Landes Hessen angeregt, eine Studie dazu zu erstellen – Donnerwetter –, und auch dabei haben Sie auf die völlig unbestrittene Notwendigkeit und Nützlichkeit der Beherrschung der deutschen Sprache für diejenigen hingewiesen, die in Deutschland leben. Das ist in der Integrationsdebatte der Offene-Türen-Einrenner schlechthin.
Ich will dazu noch Folgendes sagen: Dass wir es beim Spracherwerb mit einem ernsthaften Problem zu tun haben, muss hier nicht extra betont werden. Sie wissen, dass wir da übereinstimmen.
Diese Anmerkung habe ich zur Vermeidung von erneuten Missverständnissen vorausgeschickt. Nun möchte ich Sie Folgendes fragen: Herr Hahn, finden Sie nicht auch, dass es als diskriminierend und demzufolge als verfassungsrechtlich zumindest nicht unproblematisch empfunden werden kann, wenn von den einen, nämlich den Türkinnen – um die es sich in der Regel handelt –, etwas verlangt wird, woran man bei den anderen, z. B. bei Amerikanerinnen, Japanerinnen, Koreanerinnen oder Israelis, nicht im Traum denkt?
Muss man es einem Verfassungsminister erklären, dass da ein Widerspruch besteht und dass dort eine Diskriminierung drinsteckt? Muss man einer sich als christlich bezeichnenden Partei, die den Schutz von Ehe und Familie für eines ihrer Markenzeichen hält, erklären, dass das Grundgesetz nicht nur die Ehe zwischen Deutschen unter den Schutz der staatlichen Ordnung stellt? So heißt es in Art. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, nicht aber: „Die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar“ – um diesmal Johannes Rau zu zitieren.
Herr Minister, nach diesem sehr langen Anlauf sind Sie schließlich zu dem Thema vorgestoßen, das der eigentliche Anlass für diese heute abgegebene Regierungserklärung war, nämlich die Frage der Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts. Sie haben gesagt, es habe in den letzten Wochen diesbezüglich Irritationen gegeben. Das ist nun in mehrfacher Hinsicht irreführend. Es hat während der gesamten Legislaturperiode in der Koalition handfeste Auseinandersetzungen zu dieser Frage gegeben. Es ist praktisch kein Monat vergangen – und es vergeht nach wie vor kein Monat –, ohne dass Ihr Koalitionspartner Herr Irmer Ihnen via „Hessen Kurier“ jeden Knüppel zwischen die Beine schmeißt, den er finden kann. Auch Herr Wagner hat sich immer wieder dazu geäußert.
Herr Minister, Sie sind aber diesem Kern des Problems letzten Endes auch heute wieder ausgewichen. Sie tragen den Grundsatzkonflikt nicht aus. Sie machen nicht klar Front, wo Klarheit gefragt wäre. Stattdessen haben Sie auf die nicht neuen verbalen Knüppel des Herrn Wagner und des Herrn Irmer in der Vergangenheit auf eine Art und Weise reagiert, die mich ein bisschen an meine Kinderzeit erinnert: Ich sage es meinem großen Bruder, der schmeißt Dreck auf euer Hoftor.
Das ist die Geschichte mit der Diskussion über den bekenntnisorientierten Unterricht. Herr Minister, ich frage Sie allen Ernstes: Welcher Teufel hat Sie eigentlich geritten, auf die in Ihrer Partei angeblich oder tatsächlich geführte Diskussion über den bekenntnisorientierten Reli
Ich könnte jetzt natürlich sagen: Was in einer Partei mit 1,8 % Anteil diskutiert wird, ist letzten Endes verfassungspolitisch nicht wirklich von Belang. – Aber es ist der Verfassungsminister und der Integrationsminister, der hier spricht.
Na gut, dann nicht. – Nichtsdestoweniger sollte auch ein Integrationsminister wissen, wovon er da redet.
Herr Minister, was wollten Sie uns also damit sagen? Wem wollten Sie damit eigentlich drohen? Wollten Sie das dem Koalitionspartner oder den Kirchen, die doch in der zugrunde liegenden Frage fest an Ihrer Seite stehen? Oder geschah das einfach nur nach dem Motto: „Ich weiß auch etwas“, also einfach einmal so dahingeplaudert, wie wir es leider von Ihnen relativ oft erleben? Auch das musste an dieser Stelle einmal gesagt werden.
Das ist das Vertrackte an der ganzen Debatte: Sie haben natürlich in gewisser Weise recht. „Malgré tout“, Ihnen selbst zum Trotz haben Sie in gewisser Weise recht. Denn, wer die verfassungsrechtliche Notwendigkeit und Möglichkeit eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts grundsätzlich bestreitet, wer, wie es die Kollegen Ihres Koalitionspartners tun, leugnet, dass sich dies aus der verfassungsrechtlich gebotenen religiösen Neutralität und demzufolge dem Gebot der Gleichbehandlung aller Religionen durch den Staat ergibt, der legt wirklich die Axt an die Wurzel unseres Verständnisses vom Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften an. Indem er das tut, entzieht er auch der derzeitigen verfassungsrechtlichen Garantie des Religionsunterrichts die Legitimation.
Das ist schon richtig: Wenn es diese Garantie des Religionsunterrichts insgesamt gibt – wir rütteln nicht daran, wir haben die Debatte auch nicht eröffnet –, dann muss das unter sonst gleichen Bedingungen für alle gelten. Das Problem ist, dass Ihnen wesentliche Teile Ihres Koalitionspartners genau bei dieser Frage nicht folgen.
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie so wie bisher weitermachen, werden Sie damit auch nicht durchkommen. Das ist das Problem.
Herr Minister, der Kern des Problems besteht doch nicht darin, dass es Auseinandersetzungen in der Sache über die Frage gibt, wie das Ziel erreicht werden kann. Darüber muss sehr sorgfältig gesprochen werden. Darüber haben Sie einiges gesagt, was durchaus richtig oder bedenkenswert ist.
Ja, die Frage der Wahl der inneren Verfasstheit des Partners ist in vielerlei Hinsicht praktisch schwierig. Das wissen wir. Ja, die Modalitäten der Einführung müssen über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben sein, weil uns an einer dauerhaften Lösung gelegen sein muss. Auch uns ist daran gelegen.
In diesem Zusammenhang will ich nur am Rande anmerken, dass die im Koalitionsvertrag genannten Alternati
ven allerdings verfassungsrechtlich hoch problematisch sind. Das gilt auch für das, was Sie immer wieder zum Thema Islamkundeunterricht gesagt haben. Das Wort haben Sie über die Jahre hinweg verschiedentlich in den Mund genommen. Denn damit liefe das genau auf die Probleme zu, die Sie für das Übergangsmodell in Nord rhein-Westfalen beschrieben haben. Sie haben wörtlich gesagt: