Protocol of the Session on June 7, 2011

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

In den Fällen, die auch denkbar sind, in denen die Interessen anders liegen, in denen die Ausübung des Sorgerechts dem Kind schaden kann, soll es künftig ein allgemeines Widerspruchsrecht der Mutter geben. In diesen Fällen soll das Familiengericht von Amts wegen eine Entscheidung auf der Grundlage des Kindeswohls treffen.

Eines möchte ich klar sagen: Wir werden es nicht schaffen, eine Regelung zu finden, die für alle Fälle eine optimale Lösung garantiert. Aber wir glauben, dass wir mit unserem Vorschlag die Variante ausgesucht haben, die im Hinblick auf das Kindeswohl für die absolute Mehrzahl der Fälle die beste Lösung ist.

Unsere in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP vorgeschlagene Lösung ist einfach. Sie ist unbürokratisch. Ich denke, es ist unstreitig, dass sie in jeder Hinsicht den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts entspricht.

Man kann bei diesem durchaus emotionalen Thema sehr viele Meinungen vertreten. Ich glaube, rechtlich, im Hinblick auf das Kindeswohl und auch im Hinblick auf die Vorgaben des Grundgesetzes ist die von uns vorgeschlagene Lösung die sauberste. Ich sage es noch einmal: Für uns steht einzig und allein das Wohl des Kindes im Mittelpunkt, und zwar ohne Abstriche.

Ich würde mich freuen, wenn dieser Antrag über die Fraktionen der CDU und der FDP hinaus Zustimmung erhalten würde. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Kollege Müller, herzlichen Dank. – Für die SPDFraktion erhält nun Frau Hofmann das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist zutreffend, dass mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Dezember 2009 und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 eine Neuregelung des Sorgerechts nicht miteinander verheirateter Eltern zwingend erforderlich ist. Ich bin Herrn Müller dafür dankbar, dass er die historische Entwicklung des Sorgerechts nachskizziert hat. Ich bin auch dankbar dafür, dass das Bundesverfassungsgericht da eine wegweisende Entscheidung getroffen hat.

Das Verhältnis zwischen dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Bundesverfassungsgericht ist in dem Sinn positiv, als der Europäische Gerichtshof auch in diesem Fall wieder einmal dem Bundesverfassungsgericht vorauseilend wegweisend bei dieser Frage tätig war. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich entschieden, dass das Elternrecht des Vaters eines nicht ehelichen Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz dann verletzt ist – Herr Müller hat das schon angesprochen –, wenn der Vater generell ohne Zustimmung der Mutter per se von dem Sorgerecht für das Kind ausgeschlossen ist und das nicht im Einzelfall gerichtlich überprüfen lassen kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht ausdrücklich gerügt und den Bundesgesetzgeber beauftragt,

eine entsprechende Regelung zu erlassen. Ich denke, dass diese Entscheidung für viele betroffene Väter und Kinder längst überfällig war.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einmal genau und gründlich durchlesen, werden Sie sehen, dass es viele gesellschaftliche Entwicklungen aufgenommen hat und dort widerspiegelt. Das Bundesverfassungsgericht sagt nämlich zu Recht, dass sich die Annahme des Gesetzgebers nicht durchgängig bestätigt hat, dass sich die Verweigerung der Zustimmung der Mutter positiv auf das Kind auswirkt, weil sie auf einem elterlichen Konflikt basiert und weil eigene Interessen der Mutter nicht im Vordergrund stehen und das dem Kindeswohl dient.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auch deswegen zu begrüßen, weil sie eines klarstellt: Das Kindeswohl ist zurück in dem Mittelpunkt der Betrachtung.

(Beifall bei Abgeordneten SPD und des Abg. Ste- fan Müller (Heidenrod) (FDP))

Das ist ganz unabhängig davon, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder ob sie es nicht sind. Deshalb muss sich die Entscheidung des Gesetzgebers, aber auch die der nachgeordneten Behörden und Gerichte allein und unmittelbar am Kindeswohl orientieren.

Wir alle wissen, es ist gerade für das Kind immer der beste Weg, wenn die Eltern gemeinsam die Verantwortung und die Sorge für das Kind übernehmen. Es ist aber auch klar, dass das nicht der Fall ist, wenn die Eltern zerstritten sind, wenn die Übereinstimmung fehlt, wenn Konflikte auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden oder wenn gar das Kindeswohl gefährdet ist. An dieser Stelle will ich ganz klar sagen: Wir reden natürlich nicht über die Fälle, in denen Vater und Mutter nicht verheiratet sind, aber unstrittigerweise gemeinsame Sorge tragen wollen. Wir reden über die Fälle, in denen es knirscht und zu Konfliktsituationen kommt.

Herr Müller hat zutreffend dargestellt, dass nun insbesondere der Bundesgesetzgeber den Auftrag hat, zu regeln, wie diese Entscheidungen durch Bundesgesetz umzusetzen sind. Er hat beschrieben, dass das gar nicht so einfach ist und dass es verschiedene Modelle gibt. Im Prinzip sind das das Widerspruchsmodell und das Antragsmodell.

Eines muss ich Ihnen ganz klar sagen: Sie versuchen sich jetzt mit dem Antrag als CDU und FDP in einer schwierigen Debatte zu positionieren. Wir müssen da aber redlich bleiben. Auf der Bundesebene ist man noch gar nicht so weit. Es gibt in dieser Frage einen Streit in der Koalition zwischen CDU und FDP.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Aber nicht in Hessen!)

Übrigens haben auch wir uns noch nicht abschließend positioniert. Das will ich ganz klar sagen.

Die Bundesjustizministerin hat im letzten Sommer einen Gesetzentwurf dazu angekündigt. Wo ist der? Da herrscht absolute Fehlanzeige.

(Beifall der Abg. Lothar Quanz, Heike Habermann (SPD) und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich möchte da etwas ganz nüchtern sagen. Ich habe ganz offen gesagt, dass wir uns in dieser Frage auch noch nicht

abschließend positioniert haben, weil das sehr diffizil ist. Wir müssen in dieser Frage sehr sorgfältig vorgehen. Ich will deshalb kurz die unterschiedlichen Modelle skizzieren und dabei die Vor- und Nachteile herausarbeiten. Herr Müller, skizziert haben Sie sie schon.

Wenn Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genau lesen, erkennen Sie, dass es eher das Antragsmodell bestätigt. Es hat gesagt, dass der Gesetzgeber eigentlich tragfähige Gründe dafür hätte, von einer gemeinsamen Sorge ab Geburt abzusehen. Denn, so das Bundesverfassungsgericht, die elterliche Übereinstimmung hinsichtlich der Anerkennung der Vaterschaft lasse nicht unbedingt darauf schließen, dass beide in der Lage seien, die Sorge für das Kind auszuüben. Das beinhaltet nicht immer gleichermaßen die Berücksichtigung des Kindeswohls.

Es kann nicht immer von einer tragfähigen Bindung zwischen beiden Eltern ausgegangen werden. Sie wissen, auch so sehen Beziehungen aus. Es kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass das von Anfang an konfliktfrei und das Kindeswohl nicht beeinträchtigt ist.

Das kann der Bundesgesetzgeber in seine Überlegungen einbeziehen. Es gibt Fälle massiver Konflikte zwischen den Eltern, bei denen das Kindeswohl in Mitleidenschaft gezogen ist. Er kann dann anders entscheiden und sagen: Wir wollen anders verfahren. Wir wollen eine andere gesetzliche Regelung.

Wie gesagt: Diese Erwägungen sprechen für das Antragsmodell. Demnach steht der Mutter nach der Geburt erst einmal die elterliche Sorge zu, und der Vater hat auf Antrag die Möglichkeit, das Sorgerecht mit auszuüben. Ich kann Ihnen ganz klar sagen: Wenn ein Vater dies möchte – Gott sei Dank wollen das die meisten Väter –, dann kann er relativ unbürokratisch diesen Antrag stellen.

Wahrscheinlich wissen Sie es: Die sogenannten A-Länder, also die von der SPD geführten Länder, haben auf der Justizministerkonferenz einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgestellt. Es handelt sich um den Entwurf eines Antragsmodells. Sie haben gesagt, dass in Konfliktfällen zunächst das Jugendamt entscheiden soll. Ich finde, das macht diesen Vorschlag sehr charmant. Das Jugendamt soll die Konfliktfälle lösen. Erst danach geht das zu Gericht. Ich glaube, das ist ein zumindest interessanter Gedanke.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Bei dem Widerspruchsmodell, das muss man klar sagen, gibt es Vorteile, auch für die Väter. Sie sind von Anfang an kraft Gesetz mit sorgeberechtigt.

Herr Müller, an einer Stelle muss ich Ihnen auch widersprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung ganz klar gesagt, dass Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz nicht gebietet, Vätern nicht ehelicher Kinder generell mit wirksamer Anerkennung der Vaterschaft kraft Gesetz das Sorgerecht gemeinsam mit der Mutter zuzuerkennen. Das hat das Bundesverfassungsgericht gerade noch einmal ausgeführt. Das macht bei dem Widerspruchsmodell auch etwas nachdenklich.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Bei der Frage des Wie der Neuregelung der Sorge nicht verheirateter Eltern muss eines im Vordergrund stehen, das muss uns allen bewusst sein: die beste und praktikabelste Lösung für betroffene Kinder und El

tern. Das muss im Mittelpunkt stehen, das dürfen wir nicht vergessen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank, Frau Kollegin Hofmann. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Kollege Bocklet das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wesentlichen Einführungen brauche ich nicht zu wiederholen, im Kern ist es gesagt worden: Bisher konnten Väter in unehelichen Beziehungen, wenn die Mutter das Sorgerecht verweigert hat, dagegen nicht rechtlich vorgehen. In dem Punkt sind wir uns einig, wir wollen, dass Väter künftig in dieser Hinsicht gleichberechtigt sind und, wenn sie es wollen, rechtliche Möglichkeiten der Gleichstellung haben.

Die Zahlen sind recht simpel. Bundesweit kommen jährlich ca. 600.000 Kinder zur Welt, davon sind 200.000 nicht eheliche Kinder. Nur in den allerwenigsten Fällen ist es so, dass die Paare kein gemeinsames Sorgerecht haben. Die Möglichkeit, ein gemeinsames Sorgerecht zu beantragen, wird von der großen Mehrheit so genutzt. Zu regeln bleiben also die Fälle, in denen das gemeinsame Sorgerecht nicht ausgesprochen wird.

In diesem Zusammenhang gibt es – wie Frau Kollegin Hofmann eben richtig dargestellt hat – zwei Modelle, um dem Rechnung zu tragen und zu einer Gleichbehandlung zu kommen. In dem Ziel sind wir uns alle einig: Das Kindeswohl soll im Vordergrund stehen.

Das Widerspruchsrecht geht davon aus, dass der Vater grundsätzlich das Sorgerecht mit hat, und es gibt das Antragsrecht, das dem Vater die Möglichkeit gibt, bei der Vaterschaftsanerkennung gleich einen Antrag auf Sorgerecht zu stellen. Das ist das Modell, das auch meine Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN im Bund bevorzugen.

Wir bevorzugen dieses Modell deshalb, weil nicht miteinander verheiratete Paare nicht zu vergleichen sind mit verheirateten Paaren. Bei einer nicht unerheblichen Anzahl von nicht ehelichen Beziehungen befinden sich die Väter nicht mehr in der gemeinsamen Lebensgemeinschaft oder befinden sich nicht mehr am gemeinsamen Ort, oder wollen nicht die gemeinsame Sorge für das Kind tragen.

Es gab eine Untersuchung des Bundesjustizministeriums zu dieser Frage, die zu dem Ergebnis kam: Bei dieser kleinen Zielgruppe ist es ganz oft so, dass sich die Väter, salopp gesagt, vom Acker machen. Die Bundesjustizministerin sagt zu Recht, diesen Vätern werde das gemeinsame Sorgerecht aufgedrängt. Das ist ein Problem für die in der Regel weit über 80 % alleinerziehenden Mütter, dass ein gemeinsames Sorgerecht vorliegt und Entscheidungen getroffen werden müssen, die der Vater fernab mitbestimmen darf.

Das macht für uns das Antragsmodell zu dem bevorzugten Modell. Ein Vater, der von sich aus sagt, er möchte die gemeinsame Sorge mit übernehmen, soll von sich aus die Initiative ergreifen, niedrigschwellig, unbürokratisch und

einfach. Bei der Vaterschaftsanerkennung ist er sowieso schon beim Jugendamt und kann dann das gemeinsame Sorgerecht beantragen. Diesem Sorgerecht ist dann stattzugeben – jetzt kommen wir zu dem Punkt –, wenn die Mutter nicht innerhalb von acht Wochen widerspricht. In allen Konfliktfällen ist der Vater durch beide Modelle nicht mehr der Gekniffene. Er hat die Möglichkeit, vor das Familiengericht zu ziehen. Diese Möglichkeit hat die Mutter auch, wenn sie dem widerspricht. Damit sind alle Interessen gefangen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es klingt zunächst urdemokratisch – Frau Hofmann, Sie haben das alles schon sehr differenziert und klug dargestellt –, dass man von Anfang an den nicht verheirateten Paaren das gemeinsame Sorgerecht einräumt. Die Personen, die das zum ersten Mal hören, sagen, das sei doch die perfekte Lösung. Es korrespondiert aber leider nicht mit den Lebensrealitäten und vielerlei Problemen nicht verheirateter Paare, bei denen der Vater nicht zugegen ist. Warum sollte man dem Vater das Entscheidungsrecht über die Zukunft seiner Kinder hinterherwerfen, wenn er vorher nicht signalisiert, dass er auch Verantwortung übernehmen will? Das ist der entscheidende Unterschied.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Nachdem 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darüber befand, hat im Oktober 2010 das Bundesverfassungsgericht diese Regelung als illegal ausgesetzt. Im Januar 2011 hat das Bundesjustizministerium eine Lösung vorgeschlagen – Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist in der FDP –, nämlich das leicht modifizierte Antragsmodell. Das bedeutet, die FDP in Hessen widerspricht der FDP im Bund, das ist eine durchaus interessante Nummer.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nichts Neues!)

Das ist nichts Neues, sagt Tarek Al-Wazir.