Protocol of the Session on June 8, 2011

Wir wissen, dass nicht jeder, der anders betet, ein Islamist ist. Wir wissen aber auch, dass manche Gebetsstätten von Hasspredigern missbraucht werden. Dafür haben wir kein Verständnis. Dies dulden wir nicht. Gegen Hassprediger werden wir entschieden vorgehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Schließlich hat der Staat einen verfassungsrechtlich verankerten Schutzauftrag. Den werden wir erfüllen. Das betrifft insbesondere die am schnellsten wachsende islamistische Bewegung in Deutschland, den Salafismus. Diese Bewegung strebt, wie wir wissen, einen islamischen Gottesstaat an, eine Staatsordnung, in der wesentliche Grundrechte und Verfassungsgrundsätze keine Geltung haben sollen, eine Bewegung, die im Einzelfall auch zum Einsatz von Gewalt aufruft, um ihre Ideologie durchzusetzen.

Eine solche Propaganda, die zur Radikalisierung gerade junger Muslime beitragen kann, ist für uns nicht akzeptabel. Die Gefahr des islamistischen Extremismus beginnt nämlich nicht erst mit der konkreten Planung von Anschlägen, sondern bereits mit der Vorbereitung und der Verbreitung von Gedankengut, das andere Menschen verachtet und unsere Werte verunglimpft, einem Gedankengut, das Gewalt und Hass den Boden bereitet. Dies geschieht oft im Verborgenen, aber dies geschieht auch ganz öffentlich, insbesondere durch die vergifteten Botschaften, die salafistische Hassprediger aussäen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer Intoleranz und Gewalt predigt, gegen Andersgläubige hetzt, die Gleichberechtigung ablehnt und die Völkerverständigung diskreditiert, der verliert sein Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Wer nämlich die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit missbraucht, kann sich nicht zugleich auf sie berufen. Hassprediger haben deshalb in Hessen nichts verloren. Die Religionsfreiheit ist zweifelsohne ein zentraler Teil unserer Verfassung, aber sie steht nicht über der Verfassung. Der Staat muss Grenzen aufzeigen, und er muss jene, die diese Grenzen überschreiten, auch über seine Grenzen bringen, also ausweisen dürfen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich halte daher den Vorschlag von Innenminister Rhein für richtig, die rechtlichen Grundlagen – insbesondere Änderungen im Aufenthaltsgesetz – zu überprüfen. Wer das Land bekämpft, in dem er lebt, sollte seinen Aufenthalt in diesem Land nicht auch noch erzwingen dürfen, denn er hat sein Aufenthaltsrecht verwirkt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Salafistischen Propagandisten wie Pierre Vogel und Bilal Philips darf der liberale Rechtsstaat keine Bühne bieten. Sie dürfen ihre Verachtung des Westens nicht zur Schau stellen. Ihr Auftreten vor wenigen Wochen in Frankfurt war unerträglich.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vor 1.500 Sympathisanten, sorgfältig nach Männern und Frauen getrennt, konnten sie ihr islamistisches Gedankengut ausbreiten. Nur dank der Maßnahmen des hessischen Verfassungsschutzes und der hessischen Sicherheitsbehörden waren es beim zweiten Auftritt lediglich noch 300 Personen, und zu einem Totengebet, ursprünglich für bin Laden geplant, ist es auch nicht gekommen. Das war ein entschiedenes Vorgehen, und es war das richtige Vorgehen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Eine Stadt wie Frankfurt, in der viele Migranten friedlich miteinander leben – 90 % der Muslime sind verfassungstreu –, und ein Land wie Hessen mit einer vorbildlichen Integrationspolitik können keine Personen dulden, die die moderne Zivilisation und Kultur ablehnen. Es war deshalb richtig, einen Hetzer wie Philips auszuweisen. Es war deshalb richtig, einem muslimischen Fundamentalisten wie Vogel eine Verbotsverfügung zu erteilen, auch wenn diese gerichtlich zurückgezogen wurde. Dadurch hat unser Staat aber Zeichen gesetzt, Zeichen für Integration und gegen Eskalation.

Muslime, die am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen, zeigen, dass sie zu einer toleranten Gesellschaft gehören wollen. Sie zeigen auch, dass eine Verwestlichung nicht eine Verweltlichung zur Folge haben muss. Muslime, die sich von jeglicher Form des Extremismus glaubwürdig distanzieren und für einen integrativen und friedlichen Islam eintreten, verdienen daher unseren Respekt.

(Beifall bei der CDU)

Neben der unverzichtbaren Sicherheitspolitik trägt die Integrationspolitik zu einem friedlichen Zusammenleben und zur Sicherheit in unserem Land bei. Hier haben wir in Hessen in den vergangenen Jahren viel geleistet, und wir werden diese erfolgreiche Politik fortsetzen; denn extremistisch motivierte Gewalt wird auch durch Prävention und durch staatlich geförderte Integration bekämpft. Integration – unser Angebot steht.

Jeder, der sich integriert, kann eine Bereicherung für unser Land sein, und jeder Muslim, der in seinem Umfeld berichtet, dass er sich wohlfühlt, dass er nicht unterdrückt wird und dass man nicht gegen Ungläubige vorgehen muss, um seine Erfüllung zu finden, ist ein Gewinn und eine Chance, die Radikalisierung zu reduzieren.

(Beifall bei der CDU)

Solange die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht berührt wird, kann und darf der deutsche Staat nicht vorschreiben, was ein Muslim zu glauben hat. Er kann aber Strukturen schaffen, die einen aufgeklärten Islam fördern, der Toleranz sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau akzeptiert, die weltanschauliche Neutralität des Staats achtet und für Völkerverständigung eintritt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): So wie die katholische Kirche, oder wie?)

Es ist deshalb gut, dass wir in Frankfurt einen Ausbildungsort bekommen, an dem eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Islam auf wissenschaftlichem Niveau stattfinden kann.

Wenn es muslimische Organisationen gibt, die den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen genügen, kann auch mit der Einführung des Religionsunterrichts begonnen werden. Hier ist aber nicht allein der Staat in einer Bringschuld, sondern hier sind auch die Muslime selbst gefragt, die in der Mehrheit friedlich in diesem Land leben wollen.

Herr Bellino, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich habe noch zwei Sätze. – Wer hier lebt, die durch die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegebenen Rechte nutzt – auch das Recht auf freie Glaubensausübung –, hat sich an das Grundgesetz zu halten. Wer hier lebt und die Rechte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung achtet, hat auch einen Anspruch darauf, dass der Staat ihn schützt, egal welchen Glaubens er ist. Gemeinsam mit allen friedlichen Menschen rufe ich deshalb dazu auf: Demokratie leben und keinen Dschihad predigen. – Besten Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Bellino. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Merz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es war in der Debatte zu dem vorangegangenen Tagesordnungspunkt mehrmals von dem Recyceln alter Auffassungen und alter Anträge die Rede. Wenn es einen Anlass gäbe, dergleichen zu sagen, so würde ihn der Antrag von CDU und FDP bieten, der Gegenstand dieses Tagesordnungspunkts ist. Der Gegenstand dieser Debatte ist eine lieblos zusammengestückelte Ansammlung von Textbausteinen anlässlich des Auftretens eines islamistischen Predigers in Frankfurt.

(Beifall bei der SPD)

Er ist eine seltsame Mischung aus ebenso allgemeinen wie wohlfeilen Bekenntnissen zur Integration einerseits und Selbstlob für die angeblich vorbildliche Integrationspolitik der Landesregierung andererseits sowie aus Bekenntnissen gegen jegliche Form von Extremismus im Allgemeinen und aus Warnungen vor dem islamistischen Extremismus im Besonderen. Er bietet also nichts Neues.

(Beifall bei der SPD)

Damit ich aber nicht gleich am Anfang missverstanden werde: Niemand – niemand in diesem Haus, nehme ich an, insbesondere niemand in der SPD-Fraktion – bezweifelt, dass es extremistisch verzerrte Versionen des Islams gibt. Niemand bezweifelt, dass solche extremistisch verzerrten Versionen des Islams von manchen seiner Anhänger als Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt und für das Begehen von Terrorakten benutzt werden. Niemand bezweifelt, dass es auch in unserem Land Anhänger solch extremistischer Auffassungen gibt und dass sich dadurch auch hier Menschen zu Akten der Gewalt und des Terrors im In- wie im Ausland verführen lassen, und dass Organisationen existieren, die dies fördern.

Es ist deshalb nichts dagegen zu sagen, dass Vorfälle dieser Art, seien es verbale extremistische Ausfälle oder konkrete Gewalttaten, Gegenstand von Landtagsdebatten werden, so, wie wir in der Vergangenheit über rechtsextremistisch und auch über linksextremistisch motivierte Ausfälle und Gewalttaten diskutiert haben. Wenn wir aber darüber diskutieren, müssen wir das auch mit dem notwendigen Ernst und der notwendigen Konkretheit machen.

Dann muss man über die konkreten Anlässe und ihre Besonderheiten reden, aber auch über die Gemeinsamkeiten mit Vorkommnissen desselben Typus. Dann muss man

die konkreten Ursachen und die Wirkungszusammenhänge in den Blick nehmen. Man muss auch über die angemessene Reaktion auf den jeweiligen konkreten Fall reden: über den rechtsstaatlichen Umgang damit sowie über das angemessene Zusammenspiel von Repression und Prävention.

Dann muss man darüber sprechen, welche der vorhandenen Mittel der strafrechtlichen Verfolgung, des Verbots von Veranstaltungen oder von ganzen Organisationen und gegebenenfalls auch der Abschiebung unter strikter Einhaltung der rechtsstaatlichen Regeln zu nutzen oder eben nicht zu nutzen sind. Die Beispiele, die der Kollege Bellino hier angesprochen hat, und die Debatte darüber – selbst in Ihren eigenen Reihen; der Herr Innenminister musste den Kollegen Tipi darauf hinweisen, dass es mit dem Abschieben nicht ganz so einfach ist, wie es sich manch einer vorstellt oder wünscht –, zeigen doch, welche Schwierigkeiten es gibt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Veranstaltungs- und Demonstrationsverbote eine Geschichte für sich sind.

(Beifall bei der SPD)

Wir schlagen uns in Gießen gerade mit dem Verbot einer NPD-Demonstration herum. Das ist nichts, was man einfach so machen kann.

Wenn Sie es wirklich ernst damit meinen, dass Sie dort mehr rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung stellen wollen, machen Sie endlich einmal einen konkreten Vorschlag. Dann reden wir auch darüber.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir also die Aufgabe unter diesem Aspekt betrachten, dürfen wir bei ritualisierten Formen der Auseinandersetzung und bei stereotypen Formulierungen, vor denen dieser Antrag leider strotzt, nicht stehen bleiben. Man muss sich sowohl vor einer verzerrenden als auch vor einer verharmlosenden Wahrnehmung dieser Vorkommnisse hüten. Man muss sich vor allen Dingen davor hüten – das ist der zentrale Punkt meiner Ausführungen –, sie in einen Zusammenhang zu stellen, in den sie nicht gehören.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, genau das ist das Problem, das ich – nicht nur ich – mit diesem Antrag, mit dieser Debatte und auch mit Ihrem Redebeitrag, lieber Kollege Bellino, habe. Sie werfen immer wieder alles in einen Topf und rühren es durcheinander. Sie können immer noch nicht von Integration sprechen – das muss man mit Bitterkeit konstatieren –, ohne gleichzeitig den Extremismus zu erwähnen. Sie können nicht an den Islam denken, ohne dass Ihnen gleichzeitig Hassprediger einfallen.

(Beifall bei der SPD)

Sie können nicht über Millionen friedliche, mehr oder weniger religiöse Muslime in diesem Land reden, ohne gleichzeitig die paar Hundert – vielleicht sind es auch ein paar Tausend – gewaltbereiten Muslime zu erwähnen.

Das ist das Fatale an Ihrem Antrag, und das ist das Fatale an der Art und Weise, wie Sie diese Debatten immer wieder führen. Der Islam ist für Sie – um es mit einem Bild auszudrücken – immer noch wie die Nacht, in der alle Katzen grau sind. Sie werden damit der ausgesprochen bunten Vielfalt muslimischen Lebens in Deutschland nicht gerecht. Sie werden der Tatsache nicht gerecht, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in diesem Land nichts anderes will als ihre nicht muslimischen Mitbürger

auch, nämlich in Frieden zu leben und mit ihrer Hände oder ihrer Köpfe Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, eine Familie zu gründen – mit wem auch immer –, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu sichern und ihren Glauben unbehelligt zu bekennen oder auch nicht zu bekennen.

(Holger Bellino (CDU): Das habe ich alles gesagt!)

Ja, aber der Punkt ist, in welcher Reihenfolge und in welchem Ton Sie es gesagt haben, lieber Kollege.

(Beifall bei der SPD)