Protocol of the Session on June 8, 2011

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schäfer-Gümbel. – Jetzt spricht Frau Schott für die Fraktion DIE LINKE.

(Günter Rudolph (SPD): Ach Gottchen! – Leif Blum (FDP): Schlimmer als gerade kann es nicht werden!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Art und Weise, wie in diesem Haus aneinander vorbeidiskutiert wird, finde ich manchmal erschreckend. Zuhören wäre tatsächlich hilfreich. Dann würde man nicht immer wieder Dinge aufgreifen oder behaupten, die faktisch so nicht gesagt worden sind oder aber falsch sind. Ich finde die Art und Weise, wie ein Mensch einen Antrag stellen muss, um in diesem Land eine Leistung zu erhalten, zum Teil sehr schwierig. Ein Hartz-IV-Empfänger muss – ich sage es

ganz plump – die Hosen runterlassen, um den Zuschuss zu bekommen, den er braucht.

Kein Arbeitgeber wird in irgendeiner Weise gefragt, warum er Löhne in der Höhe bezahlt, die er zahlt. Kein Arbeitgeber wird gefragt: Kannst du es dir nicht leisten, deine Mitarbeiter anständig zu bezahlen? – Er hat die Freiheit, wenn er nicht tariflich oder anderweitig gebunden ist, diese Dumpinglöhne zu zahlen, ohne dass ihn jemand fragt, ob er sich gleichzeitig endlos die Taschen vollstopft und in Saus und Braus lebt.

(Minister Boris Rhein: Du liebe Güte! Was ist denn das? – Zurufe von der CDU und der FDP)

Niemand fragt das, und das ist die eigentliche Unverschämtheit in der Diskussion, wie wir sie hier führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt in diesem Staat jede Menge Mittel und Möglichkeiten für Arbeitgeber, die in Schwierigkeiten sind, Unterstützung zu beantragen.

(Zurufe von der CDU)

Sie können, wenn sie in Gründung sind, Unterstützung beantragen. Sie können, wenn sie ein junger Betrieb sind, für Arbeitnehmer Unterstützung beantragen. Sie können, wenn sie in einer Krise sind, Unterstützung beantragen. Aber schauen Sie sich an, auf welcher Grundlage hier Niedriglöhne gezahlt werden. Dafür gibt es keine Grundlage, die das rechtfertigt.

Deswegen brauchen wir Mindestlöhne. Im Übrigen brauchen wir sie in Hessen noch aus einem anderen Grund, aus einem ganz simplen und festgeschriebenen Grund, und der heißt Art. 33 der Hessischen Verfassung. Da steht:

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Das Arbeitsentgelt muss der Leistung entsprechen und zum Lebensbedarf für den Arbeitenden und seine Unterhaltsberechtigten ausreichen.

Wenn Sie genervt aufstöhnen, wenn wir die Verfassung zitieren, dann finde ich das hoch bedenklich. Dann frage ich mich, wo hier die Menschen sitzen, die die Verfassung schützen und verteidigen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Horst Klee (CDU): Ausgerechnet Sie! – Weitere Zurufe von der CDU – Gegenrufe von der LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bitte darum, dass hier wieder mehr Ruhe und gegenseitige Aufmerksamkeit eintritt. – Vielen Dank dafür.

Nächster Redner ist Herr Al-Wazir, der jetzt zu uns sprechen wird.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu diesem Thema gemeldet, nachdem Frau Müller-Klepper gesagt hat, dass wir offensichtlich nichts mehr davon wissen wollten, was wir im Zuge der Arbeitsmarktreform in den Jahren 2003 und 2004 beschlossen haben.

Ich sage Ihnen ausdrücklich, Frau Müller-Klepper: Das ist falsch. Denn wer sich ein bisschen mit der Frage beschäftigt, wie damals die Agenda 2010 zustande gekommen ist, und sich daran zurückerinnert, welche Debatten im März 2003 geführt wurden, der müsste wissen, dass die Frage, ob ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird, damals schon Thema war.

Es war so, dass es Einzelne gab, auch in der Koalition, die sich damals schon für einen Mindestlohn ausgesprochen haben, weil sie gesagt haben: Wer auf der einen Seite die Zumutbarkeitskriterien bei der Arbeitsaufnahme verschärft, der muss auf der anderen Seite ein Gegengewicht einbauen, eine Grenze nach unten.

Es war damals leider so, dass IG Metall und IG Chemie vorneweg und damit auch der DGB gesagt haben, sie sind gegen einen gesetzlichen Mindestlohn.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Die haben es auch nicht nötig!)

Das ist ein Teil des Problems. Wer sich ein bisschen daran zurückerinnert, was es innerhalb der SPD für Diskussionen gab, der kann vielleicht nachvollziehen, warum am Ende Gerhard Schröder und Franz Müntefering gesagt haben: Wir können das nicht auch noch gegen die Gewerkschaften durchsetzen.

Was lernen wir daraus? Die Linkspartei sollte daraus lernen, dass man nicht jeder gewerkschaftlichen Forderung immer zustimmen sollte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Das tun wir auch nicht!)

Aber auch die Union sollte sich überlegen, wenn man sieht, was seitdem passiert ist und wie viele Aufstocker es inzwischen gibt, wenn man sich anschaut, wie viele Leute es gibt, die inzwischen sogar Vollzeit arbeiten und trotzdem zusätzlich Sozialleistungen beziehen müssen, weil sie trotz Vollzeitarbeit unter dem ALG-II-Niveau sind, ob es bei der Frage, ob wir in unserer Gesellschaft das, was im Niedriglohnsektor passiert, immer weiter betreiben wollen, ob wir immer weiter zuschauen, was das mit dieser Gesellschaft macht, nicht an der Zeit wäre, an diesem Punkt zu sagen: Da ist in den Jahren 2003 und 2004 etwas versäumt worden, was Sie übrigens damals auch nicht gefordert haben und auch jetzt noch nicht fordern, und das muss man jetzt korrigieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir diskutieren morgen über die Frage, warum manchmal auch Stammwähler der CDU ein Problem damit haben, Regierungspolitik wiederzuerkennen. Sie werden am Ende um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes nicht umhinkommen. Er wird am Ende kommen. Bevor es am Ende so wird wie mit der Wehrpflicht, dass man das, was für jeden offensichtlich ist, der sich mit der Frage beschäftigt, immer negiert und sagt, es dürfe nicht sein, und am Ende von der Wirklichkeit hinweggefegt wird und den eigenen Leuten nicht mehr erklären kann, warum man jetzt auf einmal das macht, von dem man zehn Jahre lang erklärt hat, dass es nicht sein darf, sollte es klugen Menschen in der Union ein Anliegen sein, über die Frage zu diskutieren, ob ein gesetzlicher Mindestlohn für den Frieden in dieser Gesellschaft nicht dringend nötig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man sich am Ende der Argumente der FDP bedient, könnte einem das nachher ziemlich schnell auf den Fuß fallen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU.

Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns an dem Punkt einfach ganz nüchtern betrachten: Was passiert in dieser Gesellschaft? Was passiert im unteren Lohnbereich? Welche Konkurrenzsituationen werden entstehen? Wenn man das einmal ganz nüchtern betrachtet, dann müsste man – jenseits aller Ideologie – auf den Gedanken kommen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn dringend nötig ist. Über den Betrag kann man streiten; 8,50 € pro Stunde sind nicht unser Vorschlag. Wir sind für 7,50 € pro Stunde. Deshalb werden wir uns zu dem Punkt enthalten. Aber dass ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn nötig ist, das sieht jeder, der sich mit der Frage beschäftigt, was in dieser Republik im unteren Lohnbereich los ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Danke, Herr Al-Wazir. – Jetzt sind wir wirklich am Ende der Aussprache zu der Beschlussempfehlung und zum Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses zu dem Antrag der Abg. Dr. Spies, Decker, Merz, Müller (Schwalmstadt), Roth und Fraktion betreffend einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn sofort einführen – Hessen muss Bundesratsinitiative ergreifen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer dieser Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU und FDP. Wer ist dagegen? – SPD und DIE LINKE. Enthaltungen? – Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist die Beschlussempfehlung durch die Fraktionen von CDU und FDP angenommen worden.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu Tagesordnungspunkt 40:

Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Integration fördern, Extremismus bekämpfen, Demokratie verteidigen und stärken – Drucks. 18/4135 –

Das ist der Setzpunkt der CDU-Fraktion. Herr Kollege Bellino hat sich zu Wort gemeldet. Herr Bellino, Sie haben zehn Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die schrecklichen Ereignisse des Anschlags vom 11. September liegen zwar schon zehn Jahre zurück, aber das Grauen ist nach wie vor unvergessen. Die fieberhafte Suche nach dem Massenmörder bin Laden hat im letzten Monat ein erfolgreiches Ende gefunden, aber seine Terrorzellen sind noch aktiv. Daher ist es gut, zu wissen, dass auch die verschiedenen Einheiten der hessischen Sicherheitsarchitektur stark aufgestellt sind. Verfassungsschutz und Polizei wissen um die terroristischen Gefahren, und sie tun alles, um staatliche Einrichtungen und unsere Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Deshalb schon an dieser Stelle unser Dank an alle, die diese sicher mitunter aufreibende und gefährliche Arbeit schultern. Das sind aber Anstrengungen, die absolut notwendig sind. Schließlich sind auch gegen Deutschland –

und damit gegen Hessen, mitten in Deutschland gelegen, mit entsprechenden Verkehrsknotenpunkten und anderen anschlagsträchtigen Orten – gerichtete Anschlagsdrohungen nicht aus der Welt. Ganz im Gegenteil: Die Bedrohungslage hält an. Dies zeigen die missglückten Attentate der sogenannten Kofferbomber und der SauerlandGruppe und die jüngsten Festnahmen in Bochum und Düsseldorf. Vor wenigen Wochen hat uns das Attentat auf dem Frankfurter Flughafen auf schmerzliche Weise vor Augen geführt, wie real die Gefahr islamistischer Bedrohung ist.

Viele Fachleute sagen uns daher immer wieder, dass es nicht darum gehe, ob es einen weiteren Anschlag gibt, sondern wann. Deshalb müssen wir weiterhin wachsam sein. Wir müssen weiterhin alles tun, um zu verhindern, dass es irgendwann auch aus Deutschland Bilder von Toten, von blutenden Verletzten und verzweifelten Menschen gibt – Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Der in der letzten Woche vorgestellte Bericht des Hessischen Landesamts für Verfassungsschutz bestätigt die Gefahr des radikalen Islamismus. So heißt es im Bericht des Landesamts – ich zitiere –:

Die Bereitschaft hessischer Islamisten zu einer Beteiligung am bewaffneten Kampf gegen „die Ungläubigen“ hielt auch im Berichtsjahr unvermindert an …

Noch besorgniserregender ist: Allein in Hessen gibt es nach Schätzungen des Verfassungsschutzes ein Potenzial von rund 5.200 Islamisten – eine Zahl, die in jeder Hinsicht aufhorchen lässt. Schon deshalb dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, alles zu verhindern, was die Freiheit und das Leben der Menschen in unserem Land bedroht.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Wir dürfen die Gefahren nicht blauäugig und naiv vernachlässigen. Wir dürfen nicht darauf vertrauen, dass schon alles gut gehen wird. Vielmehr brauchen wir weiterhin einen starken Verfassungsschutz, und wir brauchen Sicherheitsgesetze, die Terror und Gewalt verhindern. Bewusst haben wir daher die rechtlichen Grundlagen erweitert, um potenzielle Täter zu finden, bevor sie ihr oft mörderisches Werk ausführen konnten. Ich nenne hier stellvertretend die G-10- und die G-13-Maßnahmen, Kennzeichenlesegeräte und IMSI-Catcher.

Der freiheitlich-demokratische Staat muss sein Abwehrpotenzial ausschöpfen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass er das auch in Zukunft tun kann: durch materielle und personelle Ausstattung und die passenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Für die Feinde des demokratischen Rechtsstaats, egal von welcher Ideologie irregeleitet, muss klar sein: Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie. Unsere Feinde müssen auch wissen: Freiheit und Demokratie sind, auf Sicht gesehen, immer stärker als Hass und Gewalt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir wissen, dass nicht jeder, der anders betet, ein Islamist ist. Wir wissen aber auch, dass manche Gebetsstätten von Hasspredigern missbraucht werden. Dafür haben wir kein Verständnis. Dies dulden wir nicht. Gegen Hassprediger werden wir entschieden vorgehen.