Protocol of the Session on June 8, 2011

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das ist schon eine intellektuelle Zumutung: diesen Zusammenhang herzustellen! – Gegenruf des Peter Beuth (CDU))

Wieso? Sie haben das so gesagt, dann muss man das auch so erwidern.

Der Herr Schaus ist leider nicht mehr anwesend. Trotzdem möchte ich ihm zwei Punkte erwidern.

Er hat hier gesagt, ein Großteil der Arbeitsplätze, die hier geschaffen worden sind, seien im Niedriglohnsektor geschaffen worden. – Meine Damen und Herren, das sind aber Arbeitsplätze. Das sind sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Die werden zwar aufgestockt, aber es sind Arbeitsplätze. Da frage ich mich doch: Was will denn der Herr Schaus? Will er mehr Arbeitslose, die zu Hause sitzen? Oder will er Menschen, die in Arbeit sind, auch wenn ihr Lohn am Ende nicht reicht, um ihren Lebensunterhalt zu sichern?

Ich frage mich auch: Was kommt den Staat denn teurer? Kommt es den Staat teurer, wenn diese Menschen weiterhin in der Arbeitslosigkeit bleiben?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist nicht die Alternative!)

Oder kommt es den Staat teurer, wenn sie vom Staat hier eine Aufstockung erhalten?

Dann nochmals das Thema Friseurhandwerk. Da frage ich den Herrn Schaus: Wer hat denn den Vertrag unterschrieben? Wenn die gewerkschaftlich wenig organisiert sind: Irgendjemand muss doch diesen Vertrag unterschrieben haben. Meine Damen und Herren, Sie drehen sich hier im Kreis. Sie haben gemerkt, das Thema Mindestlohn ist kein Thema mehr. Ich bitte Sie darum, das einfach einmal einzusehen. Der Mindestlohn ist für die Bundesrepublik Deutschland kein gangbarer Weg. Das zeigt auch das Ausland. Wir gehen mit unserer sozialen Marktwirtschaft bei den sozialen Themen den richtigen Weg. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Burghardt. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Wortmeldung der Staatssekretärin Petra Müller- Klepper)

Doch, Entschuldigung, das konnte ich nicht sehen. Also, Frau Staatssekretärin Müller-Klepper nochmals.

Ich möchte noch einmal kurz auf einige Argumente dieser Diskussion eingehen.

Sehr geehrter Herr Spies, Sie haben mir vorgeworfen, dass ich einen Zusammenhang zwischen dem Thema Mindestlohn und den Arbeitsmarktreformen unter Bundeskanzler Schröder – Stichwort: Agenda 2010 – herstelle. Exakt diesen Zusammenhang haben Sie in Ihrem Antragstext hergestellt, indem Sie als Begründung für die Notwendigkeit eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes anführen, dass wir eine steigende Zahl von Beschäftigten im Niedriglohnbereich haben. – Das ist der Zusammenhang zur Agenda 2010.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das stimmt!)

Wir waren uns damals einig, und von hessischer Seite aus haben wir es als Landesregierung mit unterstützt, dass im Zuge dieser Gesetze „Fördern statt Fordern“ umgesetzt worden ist, um denjenigen zusätzliche Arbeits- und Beschäftigungschancen zu ermöglichen, die ansonsten nur schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Aktivierung statt Stütze, Lohnzuschlag, Mindesteinkommen statt Almosen für Untätigkeit – das war die Zielrichtung. Das hat gewirkt.

Jetzt beklagen Sie den Erfolg dieser Reform. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das finde ich schon pharisäerhaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Zudem möchte ich auf das Thema „Aufgabenstellung des Staates, die Bürgerinnen und Bürger entsprechend zu schützen“, eingehen. Die haben sowohl Sie, Herr Spies, als auch Sie, Herr Bocklet, angesprochen.

Zum einen haben wir die materielle Absicherung durch die Regelungen der Grundsicherung. Hier ist der Lebensunterhalt gesichert. Wir haben auf der anderen Seite aber auch arbeitsmarktpolitisch die Instrumente durch das

Entsendegesetz. Diese Instrumente greifen, um Lohndumping und sittenwidrige Löhne zu verhindern.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dieses konkrete Handeln zu betrachten. Vorhin habe ich bereits darauf hingewiesen: Wer hat denn die branchenbezogenen Mindestlöhne umgesetzt? Von den zehn Mindestlohnverordnungen ist eine einzige unter Rot-Grün eingeführt worden.

(Norbert Schmitt (SPD): Sind damit Arbeitsplätze gefährdet worden?)

Alle anderen neun wurden unter einer unionsgeführten Bundesregierung eingeführt. Nicht das Reden über Mindestlohn ist entscheidend, sondern konkretes Handeln.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Bundesregierung hat im Einklang mit den Ländern auch dafür gesorgt, dass Deutschland gut auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit vorbereitet ist – indem sie durch die entsprechenden Mindestlohnverordnungen dafür gesorgt hat, dass Lohnuntergrenzen gelten und Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht zu Lohndrückerei missbraucht werden kann.

In der Diskussion ist wieder der Vergleich zu anderen europäischen Ländern angeführt worden. Herr Spies, Sie haben auf den Ex-Arbeitsminister Olaf Scholz hingewiesen. Ja, Sie können auch dessen Amtsvorgänger und auch den damaligen Bundeskanzler Schröder hier zurate ziehen, wenn Sie die Frage eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns in unserem Arbeitsmarktsystem beurteilen wollen. Oftmals teile ich die Positionen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder nicht – aber die eine teile ich: Im Hinblick auf den Vergleich mit anderen Ländern hat er festgestellt, dass der Mindestlohn hier in die Irre führt. Denn er hat gesagt: Wir haben eine andere Tradition als die meisten europäischen Länder; sie einfach über Bord zu werfen, wäre problematisch.

In diesem Sinne hat er recht. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Müller-Klepper. – Jetzt tritt das Rederecht der Fraktionen wieder in Kraft. Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben sich gemeldet. Ihnen stehen fünf Minuten Redezeit zur Verfügung.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich nochmals zu Wort gemeldet, nachdem die Staatssekretärin mir dazu die Möglichkeit eröffnet hat. Herr Rentsch hat sehr wortreich und lautstark versucht, seine Sicht aus seiner Position deutlich zu machen. Kollege Rentsch war sehr lautstark, und deswegen will ich dazu gerne einige Bemerkungen machen.

Der entscheidende Punkt – das gilt auch für Herrn Burghardt wie für Herrn Rentsch, aber auch für die Staatssekretärin, die ich eigentlich als ehemalige CDAlerin – –

(Staatssekretärin Petra Müller Klepper: Ich bin CDAlerin!)

Sie sind vielleicht formal noch CDAlerin. Frau MüllerKlepper, das, was Sie heute hier vorgetragen haben, ist mit den Positionen der CDA ausdrücklich nicht vereinbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Das ist ein Teil des Problems der Union und auch der Sozialausschüsse innerhalb der Union: dass die Lebenswirklichkeit der Beschäftigten in Ihrer Positionierung überhaupt nicht mehr widergespiegelt wird. Deswegen will ich nochmals auf das Thema Lebenswirklichkeit zurückkommen.

Wenn heute die Hälfte aller unter 35-Jährigen noch nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag hatte, wenn heute die Hälfte aller unter 30-Jährigen im Niedriglohnsektor arbeitet, wenn heute in Hessen jede dritte Frau zu Niedriglöhnen arbeitet, dann ist am Arbeitsmarkt doch etwas nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ihre Hinweise auf die Hartz-IV-Reformen sind an dieser Stelle grundfalsch. Warum ist denn die Aufstockerregelung im Kern geschaffen worden? Doch deswegen, weil wir mit der Aufstockerregelung sichern wollten, dass Menschen, die mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit am Arbeitsmarkt aktiv sind, einen Ausgleich erhalten. Die Aufstockerregelung wurde niemals dafür geschaffen, dass wir Beschäftigung, die sich eigentlich am Markt finanzieren muss – das ist eigentlich das Gebot der sozialen Marktwirtschaft –, im nennenswerten Umfang vom deutschen Steuerzahler subventionieren. Es war niemals das Ziel der Aufstockerregelung, dass wir bei Unternehmen, die nicht willens sind, ihre Beschäftigten so zu finanzieren, dass sie, wenn sie vollschichtig arbeiten, am Ende des Monats von ihrem Einkommen auch leben können, das ausgleichen und damit heute zugleich in der perversen Situation sind, Unternehmen, die nach wie vor tariflich entlohnen und die durch diese Belastung kaputtgehen, in eine Konkurrenzsituation zu drücken.

An diesem Punkt gibt es einen Unterschied zwischen uns und Ihnen. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Regelungen, die bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes völlig zu Recht geschaffen wurden, zu Entwicklungen führen, die wir nicht gewollt haben. Wir müssen jetzt die Konsequenzen daraus ziehen. Das ist im Übrigen auch der Auftrag von Politik, dass wir, wenn wir sehen, dass es Fehlentwicklungen gibt, auch die Konsequenzen ziehen, dass wir neue Schutzmechanismen einziehen, damit die notwendigen Schutzmechanismen am Arbeitsmarkt ihre volle Wirksamkeit erreichen.

Davon ist in Ihren Beiträgen nichts zu hören. Dazu haben Sie als Union – als FDP sowie nicht; da ist die Bemerkung mit dem Beton völlig richtig – überhaupt keine Wahrnehmung. Wir haben in der letzten Woche eine sehr interessante Debatte in den Medien erlebt über die Frage: Kommt der Wirtschaftsaufschwung bei den Beschäftigten an? Deswegen haben wir das Thema für heute gesetzt, weil es uns wichtig ist, auf der einen Seite darauf hinzuweisen: Ja, wir sind gut aus dieser Krise herausgekommen. Das hat etwas mit Kurzarbeiterregelungen zu tun, das hat etwas damit zu tun, dass wir an verschiedenen Stellen Unternehmensführungen und Betriebsräte haben, die in hoher Verantwortung für die Beschäftigungssituation die Unternehmen in der Krise gesteuert haben.

Ich will noch einmal daran erinnern – ich weiß, dass das insbesondere die FDP nicht gerne hört –: Wenn es bei Sell oder Opel nicht kluge Betriebsräte gegeben hätte, würde es diese Unternehmen heute nicht mehr geben. Da haben

die Betriebsräte teilweise mehr Kompetenz gehabt als das Management.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ein wesentlicher Teil der Beschäftigten in Deutschland an dem wirtschaftlichen Aufschwung nicht partizipiert, dass sie keinen Anteil davon bekommen. Einen der Hinweise darauf sage ich hier insbesondere zu der Abteilung der Babyökonomen von der FDP: Ein Teil der Entwicklung beim Thema Lohnstückkosten im internationalen Vergleich hat genau etwas mit der Niedriglohnentwicklung zu tun. Das ist aber auch ökonomisch eine gefährliche Entwicklung. Viele Bankenanalysten werden Ihnen sagen, dass darin viele Probleme stecken.

Deswegen hätte ich mir heute in dieser Debatte ein biss chen mehr ökonomischen und beschäftigungspolitischen Sachverstand auf der Seite der jetzt noch Regierenden gewünscht.

(Zurufe der Abg. Dr. Matthias Büger und Leif Blum (FDP))

Aber dass die Erkenntnisgewinne insbesondere bei der FDP nicht sonderlich ausgeprägt sind, ist schon an verschiedenen Stellen deutlich geworden. – Ich will einen letzten Satz sagen, Herr Präsident.

Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Denn bei all den Maßnahmen, die uns dazu geholfen haben, aus der Wirtschaftskrise gut herauszukommen, insbesondere auch bei wesentlichen Veränderungen, auch bei der Hartz-Gesetzgebung, war die FDP nie dabei. Sie haben sich immer in die Ecke gemacht. Sie haben sich immer verweigert. Deswegen seien Sie an dieser Stelle am besten ein bisschen ruhiger. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)