Protocol of the Session on June 8, 2011

Sie haben in Ihrem Antrag Vergleiche mit verschiedenen anderen Ländern der Europäischen Union, aber auch mit den USA, gebracht. Zu den USA möchte ich etwas sagen.

Ich habe mir die Frage gestellt: Warum gibt es in den USA einen Mindestlohn? – Da frage ich mich doch: Worin liegt der Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland? – Der ganz große Unterschied besteht in den Gewerkschaften.

(Zuruf)

Nein, das sind die Gewerkschaften. – In den USA sind die Gewerkschaften nicht so stark wie bei uns. Sie sind nicht flächendeckend so vertreten, dass z. B. Mindestlöhne in Tarifverträgen festgelegt werden. Deswegen ist es durchaus sinnvoll, dass es dort einen Mindestlohn gibt. Das ist aber nicht 1 : 1 auf die Bundesrepublik Deutschland übertragbar. Das gilt auch für verschiedene Länder der Europäischen Union.

(Beifall bei der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Was ist mit England, Frankreich und Spanien?)

Es bleibt dabei: Wir sind gegen einen flächendeckenden Mindestlohn. Wir sind aber auch ganz klar gegen Lohndumping. Wir haben ein sehr gut funktionierendes Tarifsystem. Damit sind wir einverstanden.

Damit komme ich zu dem Punkt, an dem ich die CDA ins Spiel bringe. Ich bin CDA-Mitglied. Dazu stehe ich auch. Es gibt mit Sicherheit aber Unterschiede innerhalb der CDA. Nicht alle sind für einen Mindestlohn. Das bin ich auch nicht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Man merkt gar nicht, dass Sie CDA-Mitglied sind!)

Das merkt man schon, keine Angst. – Ich bin mit der CDA hinsichtlich des Mindestlohnes nicht überein. Das ist durchaus richtig. Ich glaube aber, dass die CDA mit ein Garant dafür ist, dass die CDU in verschiedenen Branchen einen Mindestlohn eingeführt hat. Dafür sollte man ihr danken. Denn es ist ganz wichtig, dass wir da ein sozia les Gewissen haben. Das sage ich, auch wenn ich in diesem Punkt nicht zu 100 % mit der CDA überein bin.

Meine Damen und Herren, wir sind bei Ihnen, dass wir mit Bezug auf den 1. Mai dieses Jahres und die Arbeitnehmerüberlassung schauen müssen, in welchen Branchen wir weiterhin einen Mindestlohn brauchen. Wir brauchen aber keinen flächendeckenden Mindestlohn. Es bleibt dabei: Wir sind weiterhin gegen einen flächendeckenden Mindestlohn und gegen Lohndumping in der Bundesrepublik Deutschland. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Burghardt, vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt Herr Kollege Bocklet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Burghardt, wenn zwischen den Tarifparteien alles so gut funktioniert, dann müssen Sie sich die Frage gefallen lassen: Warum gibt es in der Bundesrepublik immer noch 6,6 Millionen Beschäftigte, deren Einkommen unter der Niedriglohnschwelle liegt? – 3,4 Millionen Menschen arbeiten für weniger als 7 € die Stunde. Wie funktioniert das Ihrer Meinung nach?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie beschreiben Felder, bei denen die Tarifparteien in der Mehrheit vernünftige Abschlüsse getätigt haben. Aber offensichtlich bleibt doch eine Lücke. Wer von der sozialen Marktwirtschaft redet, der muss die soziale Verantwortung in der Politik auch leben.

(Holger Bellino (CDU): Das machen wir doch!)

Er muss sie vorzeichnen. Er muss einschreiten, wenn es sittenwidrige Löhne gibt, die weit unter dem liegen, mit dem sich ein Mensch selbst ernähren kann.

Wir sehen Löhne unter 7 oder 6 €. Zum Teil geht das bis zu 5 €, wie wir wissen. Da muss man doch klar sagen: Da ist eine Lücke im System entstanden; und der Staat und die Politik haben den Auftrag, das zu korrigieren. Das geht mit dem generellen Mindestlohn, für den auch wir uns aussprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Burghardt, lassen Sie mich den Versuch unternehmen, dem Ganzen für Hessen noch einmal ein Gesicht zu geben. Wir haben von der Bundesagentur für Arbeit die Zahlen für Januar 2011. Herr Burghardt, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, demnach haben 22.000 Menschen in Hessen Vollzeit gearbeitet und gleichzeitig Arbeitslosengeld II empfangen. Das sind die sogenannten Aufstocker.

Es kommt darauf an, welchen Schnitt man dort ansetzt. Das sind aber mindestens 7 Millionen € und bis zu 11 Millionen € Gelder öffentlicher Art, die wir zur flächendeckenden Lohnsubventionierung einsetzen. Es geht da um 7 Millionen bis 11 Millionen €, die wir den Unternehmen hinterherwerfen. Sie werden richtiggehend aufgefordert, niedrige Löhne zu zahlen, weil sie wissen, ihre Mitarbeiter gehen dann zum Jobcenter und bekommen die nötigen aufstockenden Mittel.

Das ist flächendeckende Lohnsubventionierung bei der gleichzeitigen Aufforderung, Lohndumping zu betreiben. Das kritisieren wir GRÜNE. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich glaube, dass es an der Zeit ist, einen generellen Mindestlohn einzuführen. Ich halte aber auch nichts von dem Wettlauf nach dem Motto, das an der Wursttheke gilt: Darf es ein bisschen mehr sein? – 8,50 € fordert die SPD. Die LINKEN fordern 10 €, wie der Vorsitzende mir versichert hat.

Sicherlich hilft jeder Euro. Ich glaube aber, dass wir vor allem einen generellen Mindestlohn brauchen. Unser Modell ist, dass das von einer Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild festgelegt werden soll. Die festgelegte

Grenze muss dann für alle verbindlich sein. Sie darf von keinem Betrieb in keinem Beschäftigungsverhältnis unterschritten werden. Mit dieser Untergrenze würde zukünftig Lohndumping zulasten der Beschäftigten und der Steuerzahler wirksam verhindert werden.

Diese Kommission soll sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner und der Wissenschaft zusammensetzen. Sie soll die Höhe des Mindestlohns unter umfassender Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen festlegen.

Das britische Modell ist sehr erfolgreich. Ich wiederhole: Sicherlich gibt es zwischen England und Deutschland Unterschiede. Das ist bei irgendwelchen Modellen immer so.

Das hat sicherlich nicht dazu geführt, dass die Wirtschaft in erheblichem Maß geschädigt wurde. Nein, das hat dazu geführt, dass die Menschen, die dort arbeiten, von ihrem Lohn leben können. Genau das muss die Zielrichtung auch in diesem Hause sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Steter Tropfen höhlt den Stein, so lautet der Satz. Ob der stete Tropfen auch den Beton höhlt, bleibt nach der Rede des Herrn Burghardt fraglich. Das wird sicherlich auch so sein, nachdem der Kollege der FDP geredet hat. Er wird zum wiederholten Mal versuchen, uns zu überzeugen, dass es doch so sinnbringend ist, dass wir Gelder öffentlicher Art quasi den Arbeitgebern überweisen, damit die Niedriglöhne zahlen können.

Der Tropfen wird wahrscheinlich wieder sinnlos auf den Beton fallen. Herr Decker und liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und der CDU, ich kann dazu nur sagen, dass wir auch in anderen Politikbereichen jahrelang und zum Teil jahrzehntelang erfolglos versucht haben, die Menschen auf der rechten Seite des Hauses zu überzeugen. Nehmen Sie nur die Atompolitik. Irgendwann kommt dann doch einmal im Bewusstsein an, dass da etwas passieren muss.

Diese Hoffnung wollen wir auch heute ein weiteres Mal hegen. Wir fordern Sie auf: Stimmen auch Sie endlich für einen generellen Mindestlohn in der Bundesrepublik. – Wir unterstützen die SPD-Fraktion darin, dass eine Bundesratsinitiative eingebracht werden soll.

Wir halten es da, wie es die CDA und Matthias Zimmer, Bundestagsabgeordneter, zum Schluss gesagt haben: „Überall dort, wo Arbeitnehmer nicht durch Tarifverträge geschützt werden, muss ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden.“ – Manchmal haben auch CDUler recht. Deswegen überdenken Sie einmal Ihre Position, Sie müssen nicht immer den rechtesten Landesverband als CDUler in Deutschland bilden.

(Zuruf von der CDU)

Vielleicht kommen Sie einmal zu der Überzeugung, dass es richtig ist, dass wir in der sozialen Marktwirtschaft eine soziale Verantwortung haben, dass Menschen auch von ihrer Hände Arbeit leben können. Gehen Sie endlich den richtigen Weg für einen Mindestlohn. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Danke, Herr Bocklet. – Als Nächster spricht – er ist schon da – Herr Rock für die FDP. Wohlan.

Herr Präsident, vielen Dank für die freundlichen Wünsche. Aber ich wünsche auch den Zuhörern, dass sie jetzt vielleicht das eine oder andere lernen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Zuruf von der CDU: Nötig wäre es!)

Da bin ich mir eigentlich ganz sicher, weil ich großes Vertrauen zu ihren intellektuellen Fähigkeiten habe.

„Mindestlohn“ ist heute das erste Thema, aber nicht das erste Mal das Thema hier. Der Mindestlohn, diesen Eindruck habe ich immer, ist ein Symbol. Und Sie, Herr Decker, versuchten hier wieder den Eindruck zu erwecken, Mindestlohn sei ein Symbol für Gerechtigkeit, für eine gerechte Gesellschaft;

(Demonstrativer Beifall des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

nur Gesellschaften, die Mindestlohn haben, seien gerecht. Dann haben Sie zu meiner Überraschung als Erstes die USA angeführt, die aus Ihrer Sicht nicht immer ein Beispiel für Gerechtigkeit in einer Gesellschaft darstellen; das haben Sie selbst in Ihren Antrag geschrieben.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte Ihnen jetzt sagen: Zunächst einmal gibt es in den Vereinigten Staaten diese Form des Mindestlohns, wie Sie sie hier propagieren, in der Realität gar nicht, vielmehr haben sich alle Bundesstaaten eigene unterschiedliche Mindestlöhne gesetzt. Trotz eines gesetzlichen Mindestlohns sind in den Vereinigten Staaten 1,5 Millionen Menschen beschäftigt, die unterhalb dieser Mindestlohngrenze arbeiten. In allererster Linie die USA als Beispiel für eine gerechte Gesellschaft zu nennen, finde ich daher mutig.

Ich nenne aber noch andere Länder, die einen Mindestlohn haben: China hat einen Mindestlohn. Ist China eine gerechte Gesellschaft? – Dort beträgt der Mindestlohn 128 € im Monat. Also China als Symbol für eine gerechte und soziale Gesellschaft anzuführen – na ja.

(Zurufe von der SPD)

32 afrikanische Staaten haben einen Mindestlohn – auch da würde ich mir bei dem einen oder anderen Staat überlegen, ob das eine gerechte Gesellschaft ist. In Spanien hat der Diktator Franco den Mindestlohn eingeführt. Auch da würde ich mir überlegen, ob das das Symbol einer offenen und sozialen Gesellschaft ist – denken Sie doch einfach mal darüber nach.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)