Protocol of the Session on June 8, 2011

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will das an dieser Stelle auch gleich dazusagen: Ein Mindestlohn ergibt nur dann Sinn, wenn damit das Aufstocken aufhören kann. Das heißt, er muss so hoch sein, dass ein Mensch davon wirklich leben kann. Die Pfändungsgrenze liegt derzeit bei 990 €. Wenn wir davon ausgehen, dass sie den Betrag bestimmt, den ein arbeitender Mensch zum würdigen Leben braucht, dann muss der Mindestlohn 10 € betragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur nebenbei bemerkt: Die Pfändungsfreigrenze ist seit 2005 nicht mehr angehoben worden, und das ist auch ein unhaltbarer Zustand.

Da gibt es die Behauptung, Mindestlöhne würden zu mehr Schwarzarbeit führen. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn ein Arbeitnehmer von seinem Entgelt nicht leben kann und von kriminellen Arbeitgebern das Brutto als Netto angeboten bekommt, begibt er sich eher in die Illegalität, als wenn er eine Chance hätte, seine Existenz in einer legalen Beschäftigung zu sichern.

Genauso falsch ist es, anzunehmen, dass Mindestlohn zu mehr Abwanderung ins Ausland führt. Die meiste Arbeit im Mindestlohnsektor gibt es nicht in der Industrie, sondern im ortsgebundenen Dienstleistungsbereich, in Bäckereien und beim Friseur. Kein Friseur verlässt das Land, wenn er einen Mindestlohn zahlen muss, und es ruiniert auch nicht sein Geschäft.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Preisspirale nach unten hat ein Ende, denn der Punkt, an dem gespart wird, sind die Löhne. Wenn daran nicht mehr gespart werden kann, pendelt sich der Preis neu ein. Diese Preissteigerung steht aber in keinem Verhältnis zu den positiven Aspekten, die weit überwiegen. Ich kann schon lange nicht mehr hören, dass ein gesetzlicher Mindestlohn unzulässig in die Tarifautonomie eingreift. Wie das Wort deutlich sagt, geht es darum, einen Boden einzuziehen. Darüber können die Tarifpartner verhandeln, Löhne und Arbeitsbedingungen vereinbaren, je nach Branche und Möglichkeiten.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wenn es so wäre, würden es die Gewerkschaften nicht fordern!)

In den Niederlanden beträgt der Mindestlohn 8,74 €, in Belgien sind es 8,58 €, in Frankreich 9 €, und in Luxemburg sind es sogar 10,16 €, und keines dieser Länder ist vom Untergang bedroht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es bedurfte doch nicht erst der Ergebnisse der BöcklerStiftung, um sich darüber klar zu werden, dass höhere Einkommen zu mehr Steuereinnahmen, zu mehr Einnahmen in der Krankenkasse, in der Rentenkasse und in der Arbeitslosenversicherung führen. Es bedurfte auch nicht dieser Untersuchung, um zu verstehen, dass höhere Löhne zu weniger Ausgaben bei der Arbeitsagentur und in der Folge auch bei der Grundsicherung im Alter führen werden. Wenn sich die Einkommenssituation breiter Bevölkerungsteile so weiterentwickelt wie in den letzten Jahren, gehen wir einer nicht vorzustellenden Altersarmut entgegen. Mindestlöhne sind da nicht die einzige Gegenmaßnahme, aber eine ganz wesentliche. Der gesamte Bereich der geringfügigen Beschäftigung und der Leiharbeit muss neu geregelt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist außerdem klar, dass wir mit Mindestlöhnen unserer Binnenwirtschaft einen dringend notwendigen Anstoß geben. Jeder Euro, den ein armer Mensch in diesem Land mehr zur Verfügung hat, wird doch unmittelbar im Land umgesetzt, und davon profitieren wiederum die Bäcker, die Friseure und die Metzger. Wenn wir mit unseren Steuergeldern Geringverdiener unterstützen und dadurch die Gewinne in den Unternehmen steigen, wissen wir nicht, ob das Geld in Deutschland, auf den Kaimaninseln, in der Schweiz oder sonst wo landet. Geld, das hier ausgegeben wird, sichert die Binnenwirtschaft und die Arbeitsplätze, aber es sichert auch die Binnenwirtschaft unserer Nachbarn, denn diese Niedriglohnpolitik ist auch maßgeblich für unser Exportkönigtum verantwortlich, und die Kritik dafür durfte sich die Kanzlerin bereits aus verschiedenen Ländern anhören.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Würde von 350.000 Menschen wird in Deutschland Tag für Tag verletzt, und eigentlich sind es deutlich mehr als diese, denn es sind nur diejenigen, die in Vollzeit Niedriglohn verdienen und Mindestlohn haben müssten, weil ihre Arbeit und damit ihr Selbstwertgefühl durch zu niedrige Löhne entwertet werden. Diese 350.000 Menschen erwarten von den Politikern, endlich zu handeln.

Ich hoffe, ich konnte dazu beitragen, insbesondere den Abgeordneten der CDU-Fraktion noch das eine oder andere Argument für ihren Parteitag mit auf den Weg zu ge

ben, und ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und viel Spaß.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: Danke!)

Danke sehr, Frau Schott. – Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Burghardt zu Wort gemeldet. Die Redezeit beträgt zehn Minuten. Sie wissen das, Herr Burghardt.

Die brauche ich nicht, danke schön. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Decker hat den Vergleich mit dem Murmeltier gebracht. Das wäre schrecklich, dann würden wir jeden Tag über das Thema diskutieren. Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich eher an „Dinner for One“ – „same procedure as every year” – gedacht. Wir haben seitens der SPD wieder einmal einen Antrag zum Thema Mindestlohn auf dem Tisch liegen.

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Herr Spies, hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie anfangen, zu brüllen. – Man hat so das Gefühl, das habe ich auch im Ausschuss gesagt, dass Sie irgendwie Rechenschaft ablegen und irgendwelche Parteizeitschriften bedienen müssen, sodass Sie hier jedes Jahr einen Antrag zum Thema Mindestlohn einbringen, auch wenn sich die Situation nicht geändert hat. Das Einzige, was sich geändert hat, sind Ihre Forderungen. Sie waren einmal bei 7,50 € und sind jetzt bei 8,50 €. Mal schauen, wann Sie auf die 10,50 € gehen, die die LINKEN fordern. Da ist ja ein kleiner Wettstreit zwischen den LINKEN und der SPD entbrannt.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Was ist denn mit der CDA?)

Zu der CDA komme ich gleich.

Meine Damen und Herren, der einheitliche Mindestlohn, der von der SPD gefordert wird, gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze

(Zurufe von der SPD: Oh!)

voll getroffen –, insbesondere bei jungen Menschen ohne Berufsabschluss und geringer Qualifikation. Deswegen wollen wir, die CDU, ein Mindesteinkommen und lehnen weiterhin einen flächendeckenden Mindestlohn ab.

Es ist keine Aussage von mir – es ist klar, dass Sie dagegen dann etwas sagen werden –, aber nach einer Studie des Instituts für Wirtschaftsförderung in Halle und des ifo-Instituts besteht die Gefahr, dass es durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die damit gestiegenen Einkommen zu Arbeitsplatzverlusten bei Geringverdienern kommt.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das ist aber doch klar!)

Natürlich ist das klar. – Das wollen wir nicht, und deswegen wollen wir keinen flächendeckenden Mindestlohn.

Es gibt sogar Studien, die von bis zu 1,5 Millionen weniger Arbeitsplätzen ausgehen, wenn es einen flächendeckenden Mindestlohn geben sollte. Wir setzen auf ein Min

desteinkommen, das eine Kombination zwischen dem erwirtschafteten Lohn und den Zuschüssen des Staates ist. Das hat sich in der Vergangenheit bewährt.

Es sollte eigentlich jeder von seiner Arbeit leben können. Das muss das Ziel sein. Das soll auch in Zukunft das Ziel sein. Wir sind auch weiterhin gegen sittenwidrige Löhne. Sie müssen unmissverständlich durch ein Gesetz verboten werden.

Die CDU ist da einen Weg gegangen, den ich sehr befürworte. In den letzten Jahren wurde in sehr vielen Branchen, in denen das unserer Ansicht nach notwendig war, ein branchenbezogener Mindestlohn eingeführt. Ich möchte nur das erwähnen: 1997 geschah das im Baugewerbe, 2007 ebenfalls im Baugewerbe, im Fleischerfachgewerbe, im Speditions- und Transportgewerbe und in der Gebäudereinigung. Im Jahr 2008 geschah dies bei den Briefzustellern, im Jahre 2009 im Wach- und Sicherheitsgewerbe, in der Altenpflege, in der Abfallwirtschaft und bei den großen Wäschereien.

Gute Löhne auszuhandeln ist aus unserer Sicht Aufgabe der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Das Schöne an unserem System ist, dass wir eine Tarifautonomie haben, auf die wir stolz sein können.

(Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU))

Sie ist historisch gewachsen. Sie ist sehr stark. Wir haben starke Gewerkschaften, die die Interessen der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland vertreten.

Die CDU steht zur Tarifautonomie. Sie ist ein ganz wichtiger Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft.

Frau Schott, Sie sagen, es wäre toll, wenn die Friseure 3 € mehr verdienen würden, als sie es jetzt tun. – Wo ist sie denn? – Ah, da ist sie ja. Sie beschäftigt sich mit etwas anderem.

Dass der Haarschnitt dann um 75 Cent teurer würde, könnten wir uns alle leisten. Wer hat denn den Mindestlohn im Friseurgewerbe ausgehandelt? – Das müssen Sie auch sagen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Die 3,64 €, die in Ostdeutschland ausgehandelt wurden, stehen in einem von den Gewerkschaften unterschriebenen Tarifvertrag. Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, dass die Gewerkschaften solche Tarifverträge unterschreiben. Da müssen Sie einmal mit Ihren eigenen Genossen sprechen. Ich denke, da müssen wir dringend handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Schaus, ich habe klar gesagt, dass ich für die Tarifautonomie bin.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Einmal so herum und einmal so herum, wie man es gerade braucht!)

Das ist doch nur ein Beispiel dafür, dass die Gewerkschaften, die Sie immer groß anführen, solche Tarifverträge unterschreiben. Sie müssen Ihre Kolleginnen und Kollegen einmal fragen, ob 3,64 € der richtige Weg und der richtige Lohn für das Friseurgewerbe sind.

(Beifall bei der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Deshalb brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn! Sie haben mit dem Beispiel gerade den Beweis erbracht!)

Sie sollten nicht Ihren Gewerkschaften vertrauen. Ich habe den Beweis erbracht, dass es bei Tarifverhandlungen anders zugehen muss. Ich glaube, das ist allen klar.

In dem Antrag der SPD-Fraktion finden wir den Vergleich mit verschiedenen – –

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Herr Dr. Spies, das macht hier vorne überhaupt keinen Spaß. Jetzt bleiben Sie einmal ganz ruhig. Ich mache mir langsam Sorgen.

Sie haben in Ihrem Antrag Vergleiche mit verschiedenen anderen Ländern der Europäischen Union, aber auch mit den USA, gebracht. Zu den USA möchte ich etwas sagen.