Normalerweise halten Sie, wenn wir hier debattieren, die skandinavischen Länder hoch, wie z. B. Schweden, aber auch etwa Finnland für die Schule. Diese nordischen Länder halten Sie immer hoch, wenn wir sozialpolitische Debatten führen. Da versuchen wir auch immer, etwas zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Diese Länder haben aber keinen gesetzlichen Mindestlohn,
in Schweden haben die Gewerkschaften für die Tarifautonomie gegen die Politik für das Verhindern eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns gekämpft.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): 95 % haben einen Tarifvertrag, deshalb brauchen sie das nicht! Das gehört auch zur Wahrheit!)
Das sage ich ja. Versuchen Sie doch einmal, über den Tellerrand zu schauen. – Und jetzt, nachdem wir hier nun jedem klargemacht haben, dass Mindestlohn an sich kein Symbol sozialer Gerechtigkeit und kein Garant für eine gerechte Gesellschaft ist – das haben meine Beispiele wohl unwiderlegbar klargemacht –,
Sie haben hier den Eindruck erweckt, dass, wenn man einen Mindestlohn einführt, die Beschäftigung explodiert, das Wachstum und der Konsum anziehen, alles in der Gesellschaft super wird – und gleich Großbritannien als Beispiel genannt. Also, ich kann mir vorstellen, dass ich, wenn ich heute als junger Mensch die Wahl hätte, in Großbritannien oder in Deutschland zu leben, mich klar für Deutschland entscheiden würde, weil ich bessere Bildungschancen habe,
weil ich in einer gerechten Gesellschaft lebe und weil ich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe als in Großbritannien. Das will ich doch einmal deutlich hinterlegen.
Wenn die ganze Welt nach Deutschland schaut, insbesondere auf den deutschen Arbeitsmarkt und dessen Entwicklung, und überall in der Welt gefragt wird: „Wie habt ihr in Deutschland das denn hinbekommen, so einen robusten Arbeitsmarkt zu haben und so hervorragend aus der Krise gekommen zu sein?“,
dann will ich wirklich sagen: „Wir haben es ohne Mindestlohn hinbekommen, liebe Freunde.“ Und die Länder mit Mindestlohn stehen deutlich schlechter da als wir. Auch da würde ich sagen: Denken Sie doch einmal darüber nach.
Jetzt hat es die SPD ja schon erkannt – die GRÜNEN noch nicht so genau –: Diesen alten Slogan, dass man, wenn man den ganzen Tag arbeitet, auch davon leben können muss – der aus meiner Sicht absolut richtig ist –, haben Sie in Ihrem Antrag eingedampft. Da haben Sie nämlich gesagt: Wer den ganzen Tag arbeitet, muss seine Familie ernähren können. – Das haben Sie in Ihrem Antrag geschrieben, lesen Sie einmal genau nach. Warum haben Sie das geschrieben? – Weil Sie mittlerweile die Arbeitsmarktzahlen kennen: 1,4 Millionen Aufstocker, davon über die Hälfte – also über 700.000 – Minijobs, die Sie mit den Hartz-Gesetzen eingeführt haben und die gewollt sind.
„Wir wollen, dass Menschen, die keinen festen Arbeitsplatz bekommen, zumindest einen Teil zu ihrem eigenen Einkommen beitragen können, auch wenn sie es nicht voll erwirtschaften können“ – die Minijobs sind gewollt gewesen.
700.000 Minijobber sind von Rot-Grün gewollt – heute vielleicht nicht mehr, aber zumindest früher einmal. Dann gibt es 230.000 Teilzeitbeschäftigte, die deshalb aufstocken müssen, weil sie eben nicht den ganzen Tag arbeiten. Für alle weiteren Aufstocker gilt bis auf wenige, dass sie weitere Familienmitglieder oder Lebensgefährten in ihrer Bedarfsgemeinschaft haben, für die sie aufkommen müssen. Darum haben Sie nämlich „Familie“ geschrieben und nicht mehr allein von Singlehaushalten gesprochen; denn bei den Singles – wenn man das Bundesministerium für Arbeit abfragt – sind es 35.000 Menschen in ganz Deutschland, die dauerhaft aufstocken müssen, um ihren Lohn auf eine Höhe zu bringen, damit sie selbst davon leben können. Bei diesen 35.000 Menschen muss man sich jeden einzelnen Fall ansehen – dafür haben wir die Optionskommunen und die Fallmanager, um die Menschen im Einzelfall aus dieser Situation herauszubekommen. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg.
Wir reden von 35.000 Menschen, um die wir uns kümmern müssen. In unserem System kann man sich auch darum kümmern, und ich hoffe, dass das vor Ort auch entsprechend passiert.
Ich möchte noch etwas zu diesen 7 Milliarden € Einsparungen sagen. Also, das glauben Sie ja nicht ernsthaft, dass Sie einfach sagen können: „Wir lassen das System so, wie es ist, berechnen einmal, wie viele Leute, wenn sie denn für 8,50 € arbeiten, dem Staat nicht mehr auf der Tasche liegen, addieren die Zahlen und kommen auf 7 Milliarden €, während es sonst keinerlei Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat“ – das ist Kindergarten. Es gibt Wissenschaftler, Schöb und Knabe von der FU Berlin, die das widerlegt haben. Da möchte ich auch gar nicht so intensiv einsteigen. Aber Herr Bocklet hat dieses Stichwort gegeben und gesagt, man wolle die Wurst nicht ins Schaufens ter hängen, ob es jetzt 8,50 € oder 10 € seien. Warum machen Sie nicht 50 €? Warum machen Sie nicht 100 € Mindestlohn? – Weil Sie genau wissen, dass das Arbeitsplätze kostet.
Dass es bei dem Sprung von 7,50 € auf 8,50 € nicht ganz so viele kostet wie bei dem von 7,50 € auf 50 €, ist klar. Aber Sie können hier doch nicht dauerhaft erklären, dass, wenn man einen Mindestlohn setzt, lediglich gewisse Beschäftigungsverhältnisse wegfallen. Das heißt, Mindestlohn kostet Arbeitsplätze.
Wir sind ja nicht gegen Mindestlohn. Wir sind gegen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.
Wir haben doch nichts dagegen, dass Gewerkschaften mit Arbeitgebern Mindestlöhne vereinbaren. Wir als FDP und CDU haben das Arbeitnehmer-Entsendegesetz da
mals überhaupt erst auf den Weg gebracht, weil wir natürlich gewisse Gefahren durch Zuzug erkannt haben, und wir suchen nach pragmatischen Lösungen. Aber ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist es sicherlich nicht.
Ich möchte auch noch einmal sagen: Es mag in manchen Ländern für die Wohlfahrt der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vielleicht ein Vorteil sein. Aber wir müssen auch sehen, in welchem System wir arbeiten. Herr Schaus, mit den 90 % gewerkschaftlicher Bindung in Skandinavien haben Sie natürlich recht. Jeder muss in seinem System genau schauen, ob ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn dort hineinpasst. Ich sage Ihnen: Wir haben ein Mindesteinkommen – durch die Hartz-IV-Gesetze ist das sichergestellt –, und wir haben Tarifautonomie, damit sind wir über viele Jahrzehnte hervorragend gefahren. Wir sehen heute daran, wie unser Arbeitsmarkt dasteht, dass die Tarifpartner vernünftig damit umgehen.
Wir vertrauen auf dieses System – darum sagen wir: Wir brauchen keinen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.
Liebe Kollegen von der SPD, wenn man in dieser Situation sagt: „Unsozial ist, was Arbeitsplätze kostet“ – davon bin ich einfach überzeugt –, dann sage ich Ihnen, liebe Kollegen von der SPD: Wir werden Sie auch weiterhin von solch unsozialer Politik abhalten. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Rock. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Staatssekretärin Müller-Klepper.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir ein Anliegen, vorab eines klarzustellen: Wir streiten hier nicht über das Ziel, dass viele, möglichst alle Menschen, die arbeiten können, auch Arbeit haben und über ein ausreichendes Einkommen verfügen, um leben zu können. Wir streiten über den Weg, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Sie von der SPD recyceln – same procedure as every year – Ihr Lieblingsthema, den einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Ein Begriff, der zwar gut klingt, aber eine semantische Falle ist. Auch durch ständiges Wiederholen wird diese Forderung nicht besser. Für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik gelten die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft. Dieser Ordnung hat sich auch 1959 mit dem Godesberger Programm die SPD verpflichtet. Trotzdem kratzt die SPD immer wieder an den Grundpfeilern dieser Ordnung. Die Väter der sozialen Marktwirtschaft haben uns die Regeln mit auf den Weg gegeben,
dass die Festlegung von Löhnen in erster Linie in der Hand von Gewerkschaften und Arbeitgebern liegt. Das hat sich mehr als bewährt, zu unser aller Wohl – auch ganz aktuell.
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Deutschland vor allem deshalb so gut aus der Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist, weil die Sozialpartner sich verantwortlich verhalten haben. Dieses Verhalten hat sich auch in der Lohnpolitik ausgedrückt. Staatliche Lohnfestsetzungen in Form eines einheitlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns höhlen das Prinzip der Tarifautonomie aus.
Es ist aber seine Aufgabe, als Sozialstaat dafür zu sorgen, dass die Menschen ein Mindesteinkommen haben, von dem sie leben können. Sie von der SPD verkennen grundsätzlich, dass ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn die Gefahr des Verlusts von Arbeitsplätzen birgt.
Ein solcher Mindestlohn nimmt keine Rücksicht auf die jeweilige Situation einer Branche oder einer Region.
Dieser Mindestlohn ist starr und unverrückbar, und das marktwirtschaftliche Instrument schnell und flexibel, einen angemessenen Lohn auszuhandeln. Dieses Prinzip wird durch den Mindestlohn außer Kraft gesetzt. Arbeitsmarktpolitisch betrachtet ist dies höchst risikobehaftet. Aber exakt dies blenden Sie aus, indem Sie als Argument für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von nunmehr 8,50 € die Ergebnisse einer Studie der Prognos AG ins Feld führen, die einseitig auf die Entlastung der öffentlichen Haushalte ausgerichtet ist, aber nicht auf die Auswirkungen im Arbeitsmarkt.